Marcel, 10. 06. 2010

Im von uns ungeliebten, weil aus Sicht eines auto- bzw. wohnmobilen Reisenden geschriebenen Peloponnes-Handbuch lesen wir, dass die ehemalige Haushälterin Sir Patrick Fermors, den die Einheimischen, sofern es noch solche gibt, die sich als Eingeborene bezeichnen können, Sir Paddy nennen, am kleinen Hafen von Kardanili eine Taverne führt. Diese ist natürlich sämtlich von “Professoren” bevölkert, wie Rod Heikell schreibt, die auf den Spuren Fermors wandern wollen, aber vermutlich zu Fuß noch nie aus Kardamili heraus gekommen sind. Das Essen ist jedoch gut. Der Wein mundet und die angebratenen weißen Bohnen mit Petersilie, Zwiebeln und Zitronensaft bieten eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Greek Salads. Der alten Dame in betuchtem Alter waren die jungen Kellner kontrastreich entgegen gesetzt, perfekt Englisch sprechend, teilweise auch so aussehend, kümmerten sie sich um die Gäste, während sie etwas abseits an einem Runden Tisch sitzend den erhabenen Blick einer Regisseurin über die Szene schweifen ließ.

In der Nacht wieder bleischwere See ohne eine einzige Welle. Von der Terrasse der Taverne beobachten wir unser Ankerlicht in der Dunkelheit. Auch am Morgen weht noch kein Lüftchen. Ohne Frühstück landen wir im kleinen Hafen an und suchen den Wanderweg, der sich zwischen Olivenhainen an der Küste entlang zu einer kleine Kapelle im Miniaturformat schlängelt. Wenige Meter weiter stehen wir zwischen dicht stehenden, knorrigen Olivenbäumen hinter Fermors Haus. In einem Zimmer sind naturkundliche Zeichnungen an den Wänden auszumachen. Pflanzen oder schlangen? Das Anwesen steht erhöht auf einer Klippe und schaut auf den Messinischen Golf hinaus. Zur linken Hand des Feldweges ein Gäste- oder Arbeitshaus. Das gesamte Anwesen scheint belebt. Vielleicht ist der Meister, der Bruce Chatwins Asche in den Bergen oberhalb von Kardamili dem Wind und dem harten maniotischen Boden übergab, zugegen.

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Nach einem Mittagessen in einer Taverne oberhalb des Hafens (selbstverlesene Oliven! von denen wir ein Glas erwerben), besuchen wir zum Abschied von diesem wunderschönen Fleckchen Erde, die vorgelagerte Insel. Auf dieser steht die Ruine einer kleinen Kapelle. Auf dem Hügel zum Meer hin stehen Olivenbäume. Darunter finden wir wilden Fenchel für unser Abendessen!

Anker auf um 1530.

Marcel, 08. 06. 2010

Um 1700 fällt der Anker vor Kardamili. Wir ankern neben dem kleinen, dem Ort vorgelagerten Inselchen, Sir Patrick Leigh Fermors Haus in Sichtweite. Die Fensterläden scheinen geöffnet, auch in der Nacht brennt noch Licht. Ist der große Fermor wirklich zugegen. Joanna zumindest scheint den Geist des Meisters zu spüren…

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Marcel, 08. 06. 2010

Die Bucht erwacht Windstill. Wir gönnen uns einen Kaffee, dann geht´s mit dem Dingi an Land. Unser Ziel: Areopolis. Der Ort hieß ursprünglich Tsimova. Der Name Areopolis leitet sich vom Kriegsgott Ares ab. In Areopolis und Limeni residierte der Clan der Lokalfürsten der Mavromichali. Petrobey Mavrochichalis war eine bedeutende Figur im Kampf gegen die Türken zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Mani selbst hat sich, wie bereits berichtet, immer eine rlative Unabhängigkeit bewahrt. Der Mani-typische Wohnturm der Mavromiachali steht in Limeni und bietet uns eine passende Kulisse.

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Nach ein paar Windungen auf segend heißem Asphalt biegen wir einen Feldweg nach rechts ab, der uns, so hoffen wir, auf kurzem Wege zu dem höher gelegenen Örtchen bringt.

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Die Abkürzung verlief dann aber schnell im Sande. Etwa 500m unterhalb einer kleinen Kapelle brach der Weg in unsere Richtung ab. Es hieß also klettern. Über jahrhundertealte Mauern kraxelten wir den Berg hinauf. Die Kapelle bot willkommenen Schatten und hielt tatsächlich einen Fahrweg nach Areopolis bereit. Das Dorf war von hier bereits in Sichtweite.

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Areopolis bietet pittoreske aufgehübschte Fassaden und Gassen.

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In einer kleinen Backstube kaufen wir frisches Brot und Paximadia. Überall im Laden liegen Backbleche mit vorbereiteten Paximadias in vorgebackenem Zustand. Daneben Berge von Broten und an den Wänden Fotos der Familie.

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Neben der Bäckerei, gegenüber einer Kirche, die leider verschlossen ist, speisen wir zu Mittag. Kaninchen, Lamm, Gemüse, Kichererbsen gewürzt mit Dill und wildem Fenchel; dazu Zaziki und Feta und natürlich Weißwein und Wasser.

Joanna, 01. 06. 2010

„Gehen ist eine Tugend, Tourismus eine Todsünde.“

Werner Herzog – der herausragende deutsche Nachkriegsregisseur – hält das Wandern für eine heilige Lebensnotwendigkeit.
Befreundet mit Bruce Chatwin hat er darin einen Gleichgesinnten gefunden. Für beide gibt es „den heiligen Aspekt des Gehens“.

Er und ich glauben beide, daß Gehen nicht einfach nur einen therapeutischen Wert besitzt, sondern eine poetische Handlung ist, die die Welt von ihren Übeln heilen kann. Er [Herzog] resümiert seinen Standpunkt in einer strengen Erklärung:
‚Gehen ist eine Tugend, Tourismus eine Todsünde.‘

[Bruce Chatwin über Herzog]

Als Herzog eines Tages 1974 hörte, daß Lotte Eisner – Filmkritikerin, Mitarbeiterin von Fritz Lang (in Berlin) und geistige Wegbereiterin des Nachkriegsfilms in Deutschland sowie Mitgründerin der Cinémathèque in Paris der 30er Jahre – schwer erkrankt sei oder sogar im Sterben läge, machte er sich zu Fuß auf, um sie auf diese Weise zu heilen.

Chatwin berichtet darüber folgendermaßen:

„[…] Begab er sich zu Fuß durch Eis und Schnee von München nach Paris, im Vertrauen darauf, daß er ihre Krankheit irgendwie wegwandern könne. Als er schließlich ihre Wohnung erreichte, war sie genesen, und sie lebte noch weitere zehn Jahre.“

Solvitur ambulando

Patrick Leigh Fermor ist, mehr noch als Chatwin, ein Anhänger der augustinischen Solvitur ambulando„. Es ist ein Ausspruch des Hl. Augustin (Aurelius Augustinus Hipponensis) überliefert. Wörtlich genommen bedeutet er soviel wie „geheilt/gerettet durch das Gehen/Wandern„. Wandern ist somit nicht nur eine physische Betätigung, sondern auch eine Stimulation kreativer Kräfte und vielleicht sogar eine Grundvoraussetzung für schöpferische Prozesse überhaupt.

Solvitur ambulando ist „jene melancholische Nomaden-Philosophie, nach der das Wandern als Heilung und Katharsis zu betrachten ist, als eine poetische Handlung, als einzig mögliche Lebenshaltung des Rastlosen, als Grundlage intensivsten Erlebens.“

[Wolf Reiser zu Fermor in SZ]



Joanna, 15. 04. 2010

Der absolute Gott unter meinen Reiseliteraten und überhaupt der Initiator meines Interesses für Griechenland – noch lange bevor Marcel und ich die Ägäis mit der Yacht erkundeten sollten – ist Patrick L. Fermor. Durch ihn und sein Buch »Mani« entstand bei mir der Wunsch, nach Griechenland (lange Zeit gleichgesetzt mit Máni) zu fahren. Durch ihn kam ich überhaupt dazu, „Reiseliteratur“ wert zu schätzen. Und so kam es nach und nach zu den hier versammelten anderen Autoren. Es hat gedauert, bis ich merkte, daß Fermor für viele berühmte Globetrotter gleichermaßen die Fackel vorangetragen hat. Doch er bleibt ‚meine Wiederentdeckung‘, lange bevor die deutschen Verleger Neuauflagen seiner Bücher projizierten!

Zu entdecken, daß dieser Mann mit 95+ noch lebt und zwar auf  jener ’sagenumwobenen‘ Halbinsel Máni, ließ das Herz höher schlagen.

Um so mehr wir jedoch über Máni lesen – das trifft leider auch auf fast alle Orte und Gegenden im heutigen Griechenland – desto klarer stellt es sich heraus: der Tourismus hat diese ehemals vergessene Gegend für sich entdeckt und das heißt: Straßen werden ausgebaut, zubetoniert, die Erreichbarkeit von jedem und allem ist garantiert, die Automobilleihgeschäft boomt, Hotels, Hotelketten und Bungalowanlagen sprießen aus dem Boden. Die Ruhe und Beschaulichkeit ist dahin. Und immer wieder die Sätze wie: „Viel hat sich seitdem verändert….“, „Der Autor hätte seine Gegend nicht wiedererkannt…“ Ja, das befürchten wir auch.


Sir Patrick Leigh Fermor DSO, OBE


(*11. Februar 1915 in London – lebt in Máni)

Ist ein britischer Autor und ehemaliger SOE-Agent. 1944 war er eine der Schlüsselfiguren bei der abenteuerlichen Entführung des deutschen Garnisonskommandanten von Kreta, Heinrich Kreipe.

Zunächst zu den ihn begleitenden Kürzel:

SOE = Das Special Operations Executive (deutsch etwa: „Durchführung besonderer Unternehmungen“) war eine aktive britische nachrichtendienstliche Spezialeinheit während des Zweiten Weltkriegs. Sie wurde von Winston Churchill und Hugh Dalton im Juli 1940 aufgestellt, um kriegerische Aktionen ohne direktes militärisches Engagement ausführen zu können. Zuständig für Unterstützung und Versorgung von Spionage und Sabotage hinter den feindlichen Linien sowie als Keimzelle für die Formierung einer Widerstandsbewegung in Großbritannien im Falle einer befürchteten deutschen Invasion der britischen Insel.

DSO = Distinguished Service Order ist eine britisch militärische Kriegsauszeichnung. Er wird an Mitglieder der britischen Streitkräfte für ausgezeichneten und verdienstvollen Einsatz in kriegerischen Auseinandersetzungen, meist im Kampf, verliehen.

OBE = The Most Excellent Order of the British Empire ist ein britischer Verdienstorden, der 1917 von König Georg V. gestiftet wurde. Er ist der jüngste der britischen Ritterorden und der am häufigsten verliehene. Mit dem Orden werden auch zahlreiche Bürger fremder Staaten ausgezeichnet und hat die weitaus meisten ausländischen Ehrenmitgliedern.

Biographisches

Mani, eine griechische Essenz

Sommer 1952. Ein englischer Reisender macht sich zu Fuss von Sparta auf. Sein Ziel ist die Mani, jene gebirgige, schwer zugängliche mittlere Landzunge der Peloponnes, die südlichste Spitze des kontinentalen Griechenland. Sparta schmilzt in der Mittagshitze, und bevor der Fremde die Stadt verlässt, soll er ein graecoromanisches Mosaik sehen, die einzige Antiquität, die hier überdauert hat. Unter einer improvisierten Abdeckung tritt er einige Schritte hinunter und steht vor einem staubigen Fussboden. «Mit einem Schnicken des Handgelenks» leert sein einheimischer Begleiter einen Wasserkrug über die vage Fläche, und im nassen Schwall erscheinen für einen kühlen Moment Muster und Mythen: Orpheus mit der Lyra inmitten von Kaninchen und Löwen, Leoparden, Hirschen und Schlangen, Achilles, weich hingegossen, unter den Frauen von Skyros. Und während im nächsten Raum nach einem weiteren Wasserwurf Europa «schwerschenklig, langbeinig» auf dem lächelnden Stier durch die Wellen reitet, beginnen die ersten Bilder trocknend schon wieder zu verschwinden.

Der Guss über den staubigen Boden, mit dem Patrick Leigh Fermors «Mani. Reise ins unentdeckte Griechenland» beginnt, ist ein Zeichen für das initiierende Reisen und Schreiben selbst. Das Wasser setzt frei. Aus dem irdenen Krug hingeschüttet, wird es zum Wasser der Aufmerksamkeit, das im staubigen Stein jahrtausendalte Kulturen entdeckt, es wird zum Wasser des Erinnerns, das im diffusen Erleben glänzende Momente öffnet.

Partisan und Wanderer

Als Patrick Leigh Fermor 37-jährig über das Taygetos-Gebirge in das bitterschöne Land der Manioten wanderte, war er in seiner Heimat ein preisgekrönter Autor und eine Kultfigur. Gut zehn Jahre zuvor hatte er sich als britischer Offizier mit dem Fallschirm über Kreta absetzen lassen. In der Verkleidung eines Hirten agierte er zwei Jahre lang auf der von deutschen Truppen besetzten Insel als englischer Verbindungsmann unter den griechischen Partisanen. 1944 gelang ihm die spektakuläre Entführung des Wehrmachtgenerals Kreipe mitten aus dem deutschen Hauptquartier, eine Geschichte, die verfilmt wurde und in verschiedene englische und griechische Kriegslegenden einging.

Und Fermor galt als bekennender Wanderer. Achtzehnjährig war er 1933 von Rotterdam nach Konstantinopel gelaufen. Das dauerte vier Jahre und endete in Athen, wo er eine rumänische Malerin aus einer adligen Familie kennen lernte. Sie nahm den jungen Mann mit nach Moldawien auf das Familienschloss und führte ihn in die byzantinische Bibliothek. Fermor blieb zwei Jahre und las.

Seine Bücher, die von der transkontinentalen Jugendwanderung erzählen, schrieb er im Alter. «A Time of Gifts» (1977) und «Between the Woods and the Water» (1986) behandeln die ersten Etappen von Holland bis Ungarn und von dort bis in die Karpaten. Den dritten, abschliessenden Band schreibt der Autor, der heute 86-jährig in der Mani lebt, derzeit zu Ende.

Da Patrick Leigh Fermor im deutschen Sprachraum, soweit er übersetzt ist, als Sachbuchautor gilt, blieb ihm hier, anders als in England, literarischer Ruhm versagt. Ihn einen Reiseschriftsteller zu nennen, würde in die Irre führen. Auch sein nun endlich wieder aufgelegtes Buch «Mani» folgt zwar in seiner Struktur einer konkret unternommenen Wanderung, es ist aber, wie Fermor einleitend festhält, «keinesfalls ein Reiseführer, tatsächlich in gewisser Weise sein Gegenteil».

Reisen ist, wenn es gelingt, dem Schreiben vergleichbar eine Frage der Intensivierung. Der Preis ist ein persönliches Sich-Aussetzen, der Lohn kann jenes dankbare Staunen sein, wie es den Autor an einer abendlichen Bucht überwältigt: «Welch wunderbares Ding ist dies – mein Leben.» Für Fermor sind griechisches Licht und seine Schatten, griechische Ruinen und unbehauene Steine, ja noch die Luft, die er als körperhaft empfindet, essenzielle Substanzen. Sie versetzen in das Fluidum eines anderen Zustands. So verknüpft er einzelne Alltagsbeobachtungen mit kulturhistorischen Abschweifungen, etymologische und kunstkritische Studien mit lustvollen Vermutungen, die phantastisch bis in die Antike reichen können und wenn nötig – wie ein Hahnenschrei – weiter und weiter über den ganzen Erdball führen.

Gerade in der rauen, vom übrigen Griechenland durch den Taygetos abgeschnittenen Mani witterte er noch Lebensformen und Bräuche, die direkt aus dem untergegangenen Byzanz oder dem mythischen Altertum zu kommen scheinen. So kehrt in der (noch heute üblichen) aus dem Stegreif gesungenen Totenklage, wenn die Sängerin sich die Haare rauft und zerkratzt, Andromaches Trauer um Hektor wieder. Und in einem reusentragenden Fischer steht ein Nachfahre der letzten byzantinischen Kaiser am Strassenrand. Dann wieder verfolgt Fermor die durch Not und Geschlechterkämpfe immer wieder zur Auswanderung gezwungenen Manioten bis in die Toskana der Medici oder nach Korsika und entdeckt, dass der Name des Geschlechts der Kalomeros die wörtliche Übersetzung von Buonaparte ist. Warum soll Napoleon kein Maniote gewesen sein?

«Mani» ist konkret und subjektiv zugleich, geprägt durch die persönliche Anteilnahme an einem Land, das bereits im Erscheinungsjahr des Buches 1958 (sechs Jahre nach der Reise) wie die Mosaiken Spartas im Begriff war zu verschwinden. Fermor sollte zum grossen Vorbild der angelsächsischen reisenden Schriftsteller werden. Er hatte das besessene Auge des Ethnographen und den Sinn des Historikers für heimliche Traditionen. Er war ein Ästhet und Exzentriker. Er teilte die adlige Verachtung des Überflüssigen und hatte einen untrüglichen Sinn für die Qualität des Einfachen. Früh sah er die Gefahr von «unangemessenem Komfort» und den «rapiden Verschleiss Tausender Dinge, die nie mehr ersetzt werden können».

Wege in die Stille

«Mani» lesen heisst zwangsläufig über das schnelle Reisen nachdenken. Dann wird das brillant geschriebene, gelehrte, sinnliche Buch zu einem wirksamen Gegengift gegen die Kurzstrecken der Spasskultur. Wandern, buchstabierten Autoren wie Paul Theroux und Bruce Chatwin ihrem Vorbild nach, Wandern sei eine Tugend, Tourismus eine Todsünde. In diesem Sinn gibt es Autoren, die zu Pilgern werden müssen.

Fermor hat immer wieder Klöster aufgesucht. Er setzte sich dem strengen Leben aus, nicht als ein Gläubiger, sondern weil er über den Umweg ritualisierter Lebensformen «Licht», «Frieden», «Glückseligkeit» nicht zuletzt für seine Arbeit finden konnte. Wer sein nun erstmals auf Deutsch erschienenes kleines Büchlein «Reise in die Stille. Zu Gast in Klöstern» liest, kann von hier aus leicht verstehen, dass er das «unentdeckte» Griechenland der Mani betrat wie einen sakralen Raum. Noch jeder Ölzweig, der in der armen, kargen Landschaft Früchte trug, war ihm heilig. Jede Geste konnte hier Segnung sein. (Einmal gibt es die eigenartige Überblendung einer Olivenernteszene mit einer Kreuzigung.) So ist «Mani» auch ein religiöses Buch. Es umfasst Verlust und Verheissung. Sein tiefer Grund, auf dem die Farben intensiver werden, ist das klare Bewusstsein von Vergänglichkeit und Tod, sein Glücksversprechen liegt in der Hingabe an die Kostbarkeit des Lebens. Der Leser kann daran teilhaben.
[geschrieben von Angelika Overath, Neue Züricher Zeitung]

Das Haus

Fermors so unvergessliches Haus, wie viele es beschreiben, steht auf einem Grundstück, das Fermor auf das Anraten seines Freundes Georgos Katsimbalis – niemand geringerem als dem „Held“ von  „Koloss von Maroussi“ und Begleiter von Henry Miller, mit dem zusammen er Teile Griechenlands bereiste. Gekauft hat das Paar Fermor dieses Grundstück in den 1960er Jahren, das heißt nach ihrer gemeinsamen Wanderung durch das Land, das sie 1952 unternahmen und als Mani noch von niemandem entdeckt wurde.

Es liegt über der Bucht von Kalamitsi gegenüber der kleinen Merope-Insel mit einem privaten Strand, von dem aus Chatwin mit seinem Surfbrett jeden morgen ins Wasser ging, wenn er die Fermors besuchte.

Die Frau an seiner Seite:

Joan Leigh Fermor geb. Eyres-Monsell

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“The Daily Telegraph Obituary” schreibt:

Joan Leigh Fermor, who has died aged 91, created a remarkable house in southern Greece with her husband, the writer Patrick Leigh Fermor, which attracted a host of distinguished figures from the literary and social spheres.

Joan Leigh Fermor was a noted beauty, with a ready gift for company and a sharp intelligence; her friends and admirers included Maurice Bowra, Cyril Connolly, Stephen Spender, Giacometti, Lawrence Durrell, and what sometimes seemed like almost every figure from the literary and scholarly worlds who gathered around the Mediterranean after the Second World War. She was also one of the most distinguished amateur photographers of her generation, and provided the illustrations for several of her husband’s books.

Patrick Leigh Fermor’s Mani (1958), an account of his travels with his wife in the southern Peloponnese, was illustrated with Joan’s photographs; eight years later, the couple produced Roumeli, devoted to the north of the country. In addition, Patrick Leigh Fermor’s Three Letters from the Andes (1991), an account of his mountaineering expedition 20 years earlier, were addressed to his wife. They provided a picture of the gentleman traveller, stoical in the face of all hardships (other than the preparation of a hard-boiled egg at altitude).

Joan Elizabeth Eyres Monsell was born on February 5 1912 at Dumbleton, Gloucestershire. Her father was Bolton Eyres Monsell, the Tory MP for South Worcestershire who went on to become Chief Whip and First Lord of the Admiralty before being created Viscount Monsell in 1935. He had added the name Eyres on his marriage to his wife (Caroline Mary) Sybil, who was lady of the manor and patroness of the living at Dumbleton.

Joan was educated at St James’s, Malvern, and at finishing schools in Paris and Florence. Afterwards she became keen on photography, concentrating – on the advice of her friend John Betjeman – on architectural studies. The first among these were published in Architecture Review; she went on to become a contributor to Horizon.

On the outbreak of war, Joan Monsell became a nurse, and also took photographs of architectural sites which were thought vulnerable to bombing. She then joined the cypher departments of the British embassies in Madrid, Algiers and then Cairo, where she became friendly with Lawrence Durrell, Robin Fedden and Charles Johnston, and where she met Patrick Leigh Fermor. From Cairo, she managed to escape on leave in order to travel in Kurdistan, before moving to Athens, where she became secretary to the cartoonist Osbert Lancaster.

Joan Leigh Fermor was passionately fond of cats, eight of which were settled about her her bed on her last morning. She was also addicted to chess, and kittens were reprimanded only if they had the temerity to muddle the pieces. She was accommodating, too, of her husband’s derring-do – though she watched him swim the Hellespont (at the age of 69) „sitting on her hands so as not to wring them“.

She died on June 4 after a fall in the Mani, where she and her husband had settled nearly half a century before, living in tents while constructing their home. The house, centred on a great room full of books (and often also music), stands on a wild peninsula on the southernmost tip of Greece, looking out on olive groves and cypresses toward the sea, against a backdrop of mountains. There the Leigh Fermors entertained many visitors, plying them with large quantities of wine and the sea-green olive oil from their own trees.

She married, first, in 1939, John Rayner, features editor of the Daily Express; but the match did not survive the war, and was dissolved in 1947. She married Patrick Leigh Fermor in 1968.

56837542 British soldier and travel writer Patrick Leigh Fermor with Joan Rayner after their wedding at Caxton Hall, Westminster, London, 17th January 1968. (Photo by Evening Standard/Hulton Archive/Getty Images) GINS

Billa Harrod writes: Joan and I met when we were both 18 and remained great friends for more than 70 years. Neither of us was quite the sort of daughter our mothers would have hoped for (luckily they had others). We were very lucky in our backgrounds of big comfortable houses – which we did not always treat as well as we should have, once breaking off an arm of a dignified candelabrum at Dumbleton. (Though when Joan’s father was First Lord of the Admiralty and they lived at Admiralty House in Whitehall, we did appreciate the beautiful fish furniture.)

Joan had more money than most of her friends and was quietly but largely generous when she saw that it would be helpful. She was beautiful and elegant, and also a highbrow, who had the highest standards, and did not suffer fools gladly. Although her actual schooling was rather feeble, she had read a vast amount and had an excellent memory. Music and literature were her real interests, but she was also a superb cook, and taught others to be. The food in her various houses was always delicious.

Literarische Begleitung
  • Mani. Reise ins unentdeckte Griechenland (1958, Mani – Travels in the Southern Peloponnese; Otto Müller 2001)

 

 

 

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Bruce Chatwin

(* 13. Mai 1940 in Sheffield; † 18. Januar 1989 in Nizza) Beerdigt im Beisein von Fermor auf Máni.

Der Wanderer aus Leidenschaft

War ein britischer Schriftsteller, ein Reisender, ein passionierter Wanderer, ein Umstrittener, ein Dandy und Asket der Ästhetik. Das war er im Wesentlichen. Daneben machte er (allerdings eher durch seine Anwesenheit, denn Schriften darüber sind mir nicht bekannt) Máni berühmt. Verbrachte dort, in dem heutigen Hotel Kalamitsi und unweit des Hauses Fermors einige Wochen (oder Monate) und schrieb an der Endfassung seines kontrovers diskutierten, jedoch als Bestseller zu bezeichnenden Buches „Traumpfade“ (über die australischen Ureinwohner). Das war 1985 und Chatwin war schon von seiner Krankheit gezeichnet, wohl aber mit ihr abgefunden. Als Bisexueller mit wechselnden Beziehungen – zum Teil zu prominenten Liebhabern – erkrankte er an AIDS. Verheiratet blieb er seit 1965 mit der Amerikanerin Elizabeth Chanler, die er von Sotheby’s her kannte.

Biographisches

Chatwin wurde 1940 in Sheffield, Großbritannien, geboren. In den Kriegsjahren reiste seine Mutter mit ihm durch England, um bei Freunden und Verwandten vor den deutschen Luftangriffen Unterschlupf zu finden. Statt das geplante Architekturstudium zu beginnen, arbeitete er mit 18 Jahren als Botenjunge für das Auktionshaus Sotheby’s. Vier Jahre später war er bereits Direktor der Abteilung für impressionistische Kunst. Vorgeblich wegen eines Augenleidens (wahrscheinlich psychosomatisch) gab er diese Stelle auf und reiste in den Sudan (auf die Empfehlung seines Augenarztes hin). Danach studierte er in Edinburgh ein Jahr lang Archäologie, brach das Studium jedoch ab. 1973 wurde er Mitarbeiter der „Sunday Times“, zunächst als Berater für Kunst. Bald darauf widmete er sich vielfältigen Themen, reiste für Interviews und Berichte durch die Welt. Im Dezember 1974 kündigte er dort, angeblich mit dem Telegramm an die Redaktion: „Für vier Monate fort nach Patagonien“.

Eine Begegnung mit der Architektin und Designerin Eileen Gray gab den entscheidenden Anstoß zu einer halbjährigen Reise nach Patagonien, um Überreste des Brontosaurus zu suchen. Hier wurde ihm klar, dass das Erzählen und Schreiben die für ihn angemessene Beschäftigung sei. Er bereiste neben zahlreichen anderen Ländern Australien und setzte sich mit der Kultur der Aborigines auseinander. Reisebücher wie In Patagonien und Traumpfade wurden Bestseller. Die Romane Auf dem schwarzen Berg und Der Vizekönig von Ouidah wurden verfilmt, letzterer unter dem Titel Cobra Verde durch den Regisseur Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle.

Andere Quellen sprechen davon, daß Chatwin ein Homesexueller war, der während seiner fünfzehnjährigen Ehe ausschließlich Verhältnisse mit Männern hatte. Die Ehe selbst zölibatär. Viele der Episoden seiner Bücher könne man nur dann richtig erfassen, wenn man realisiert, daß Chatwin mit einigen der Männer, die er unterwegs traf, auch sexuellen Verkehr hatte.  So z.B. handelt auch sein erstes bekanntes Buch Auf dem schwarzen Berg von zwei Brüdern in Wales, die über Dekaden in selben Bett schlafen. Seine Homosexualität versteckte er gleicherweise wie seine AIDS-Erkrankung. Er hatte viele ‚Namen‘ und Geschichten zu diesem Zwecke erfunden. Bspw. erzählte er, daß er eine seltene Blutkrankheit habe, die er sich auf einer seiner Reisen in China und zwar durch den Biß einer Fledermaus holte. Oder einen Virus, den er sich beim Verzehr eines hundertjährigen Eis in China holte.

Chatwin: ein manisch-depressiver „aber viel netter“ als ihn sein Biograph darstellt, so berichtet Elizabeth Chatwin.

Schwer von seiner Krankheit gezeichnet lebte er die letzten Jahre, gepflegt von seiner Ehefrau, in Südfrankreich in dem Haus von Shirley Conran (Schriftstellerin), der Mutter seines Ex-Liebhabers Jasper Conran, dem bekannten Modedesigner.

Elizabeth Chatwin berichtet:

“Kevin [Volans, s.u.] was with me in France when Bruce died. The Mellys were there, and Shirley Conran – we were staying in her house. It was very nice having Kevin there, even though he’s a terrific worrier. He worries and worries but he’s got a very strong character and you feel he’s very steady. And he’s very funny. He makes me laugh a lot and, for me, that’s the criterion.”

1989: Der Tod

Bruce Chatwin stirbt am 18. Januar im Alter von achtundvierzig Jahren im Krankenhaus in Nizza, nachdem man die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet hat.

Am 14. Februar findet der Gedenkgottesdienst in der griechischen Kathedrale Saint Sophia in Bayswater (London) statt. Chatwin war zum orthodoxen Glauben konvertiert. Anwesend waren u.a.

Am nächsten Tag fliegt seine Frau Elizabeth nach Griechenland und begräbt seine Asche an einem seiner Lieblingsorte: den Trümmern der byzantinischen Kapelle Agios Nikolaos am Rand des Dorfes Kato Chora hoch über Kardamili:

„Der Boden war zu hart, um sie einzugraben. Deshalb hoben wir unter einem Olivenbaum sehr dicht bei der Kirche mit dem Spaten ein Loch aus, schüttelten Bruce‘ Asche hinein, gossen Retsina als Trankopfer hinzu und sprachen ein griechisches Gebet: „Möge die Erde leicht auf ihm ruhen, und möge die Erinnerung an ihn ewig andauern“, so berichtet Paddy Leigh-Fermor.

Auf der wunderbaren – nicht nur für Kunsthistoriker aber auch für diese – Internetseiten von John

ist die Kirche genau beschrieben und folgender Vermerk zu lesen:

“Bruce Chatwin, the mercurially brilliant and self absorbed English travel writer often visited Mani during the late seventies and early eighties and wrote „The Songlines“ in Kardamili where he stayed near Paddy and Joan Leigh Fermor at Kalamitsis. St. Nikolaos in the Chora was a favourite location of his – for walks or al fresco picnics. When he died of AIDS in 1989 one of his wishes was to have his ashes scattered near this church. He had, late on, converted to Orthodoxy and was of the opinion that the Greeks chose the sites of their places of worship with care for the sublimity of their locations. This is probably a left over from the siting of ancient shrines and temples and the area around Ag. Nikolaos is reputedly, and if you look carefully, observably, rich in marble and stone fragments of the ancient period.

Chatwin’s wife Elizabeth brought his ashes to Kardamili in March 1989 and they were taken by Patrick Leigh Fermor and others to just below the church and scattered, with a generous libation of retsina, in the olive groves Bruce so loved. As Elizabeth related, „It was a picnic“, something Chatwin would have loved. This is related in Nicholas Shakespeare’s splendid biography of Chatwin (Bruce Chatwin. Cape. 1999 and later paperback versions) and Paddy Leigh Fermor was seen in Shakespeare’s BBC documentary „In the Footsteps of Bruce Chatwin“ (broadcast 3/4 April 1999). As Paddy makes clear he’s not quite certain exactly where they buried the ashes – but if any Chatwin fans do make the pelegrinage don’t search – just stop and stare at the view and take in the silence.”

[Siehe unter: John Chapman: Mani]

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Ein Artikel aus Neue Zürcher Zeitung — „Nomadentum als Alternative“ von  Georg Sütterlin

Verstreute Schriften von Bruce Chatwin

Bruce Chatwin starb 1989 im Alter von 48 Jahren. Er hatte verbreitet, er leide an einer seltenen Pilzerkrankung, die das Rückenmark zerstöre und durch den Verzehr eines mehrhundertjährigen Eies in China ausgelöst worden sei. Diese Mystifikation war typisch für jemanden, dessen Leben und Persönlichkeit alle, die ihn lasen, zum Träumen brachte und dessen Enthusiasmus allen, die ihn kannten, die Welt aufregender und interessanter erscheinen liess.

Laufbahn

Mit 18 Jahren wurde Chatwin Laufbursche bei Sotheby’s, mit 22 Direktor der Impressionistenabteilung – einer der jüngsten Direktoren, die das Auktionshaus je hatte. Auf eine vorübergehende psychosomatische Erblindung folgte eine Reise nach Sudan, wo Chatwin eine Art Bekehrung erlebte. Er quittierte seine Stellung und begann, prähistorische Archäologie zu studieren. Und er arbeitete an einem Buch, das immer dicker und immer unpublizierbarer wurde. Währenddessen schrieb er als freier Journalist für die «Sunday Times». 1975 sandte er das inzwischen mythische Telegramm an den Redaktor: «Bin nach Patagonien gefahren.»

Von dort brachte Chatwin das Material für sein erstes und bekanntestes Buch, «In Patagonien» (1977), mit. Künftig schrieb er für die angesehensten englischen und amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften. Fünf weitere Bücher folgten; sie sind so verschieden, als stamme jedes von einem anderen Autor, wäre da nicht eine gewisse Einheit des Stils, der Obsessionen, der Weltsicht. «Was mache ich hier?», eine Sammlung von Kurzprosa und journalistischen Texten, hatte Chatwin noch selbst zusammengestellt; sie erschien wenige Monate nach seinem Tod an Aids. Dann übernahmen die Verleger.

Zweifelhafte Nachlassverwaltung

Chatwin hat rund 50 schwarze, kleinformatige Moleskin-Hefte mit Reisenotizen hinterlassen. Auszüge daraus erschienen im Bildband «Auf Reisen» (1993), der zeigte, dass Chatwin auch mit dem Photoapparat umzugehen verstand. Diese Notizen aus Mauretanien, Westafrika und Afghanistan sind nicht uninteressant, aber es sind eben Notizen. Man fragt sich, ob Chatwin, ein besessener Stilist, einer Publikation zugestimmt hätte. Und jetzt haben Verleger und Nutzniesser von Chatwins Werk die Zitrone weiter ausgepresst: «Anatomy of Restlessness» (1996), auf deutsch unter dem pathetisch-raunenden Titel «Der Traum des Ruhelosen» veröffentlicht, ist eine Sammlung verstreuter, mehrheitlich journalistischer Texte. Einige fanden sich bereits in «Was mache ich hier?» und werden jetzt rezykliert.

Als ich Chatwin 1987 in London besuchte, arbeitete er gerade an seinem letzten Roman, «Utz» (1988). Er wohnte in Belgravia in einer kleinen Wohnung im obersten Stock; das winzige Schlafzimmer hatte ein Glasdach, auf das der Regen prasselte. In diesem Pied-à-terre, karg ausgestattet, hell und luftig, hielt sich einer auf, der dauernd auf dem Sprung war und ohne Neigung, sich im Kokon einer saturierten Häuslichkeit einzuspinnen. Wie Chatwin in den Besitz dieser Wohnung gekommen war und was sie ihm bedeutete, erfährt man im Text «Ein Ort, wo man seinen Hut aufhängen kann».

Nach einem Monat am selben Ort werde er unruhig, nach zwei Monaten unausstehlich, schrieb Chatwin. Er begeisterte sich für Nomaden und ihre Kultur und wollte über das In-Bewegung-Sein ein Buch schreiben, das er seinem Verleger in einem ausführlichen, im vorliegenden Band enthaltenen Brief erläutert und das «Die nomadische Alternative» heissen sollte. Ein Kapitel dieses schliesslich aufgegebenen Projekts ist in «Der Traum des Ruhelosen» abgedruckt; es erschien ursprünglich im Katalog zu einer Ausstellung in New York über die Kunst der Nomaden, die Chatwin 1970 mitorganisiert hatte. Erfrischend darin sind Chatwins breites Wissen und sein Enthusiasmus, der ihn zu Thesen inspirierte, denen die Wissenschaft nicht unbedingt zustimmte. Chatwins ausgeprägt persönlicher Blickwinkel macht alle seine Gelegenheitstexte lesenswert. Wenn Chatwin etwa den autobiographischen Band «Mountain, Marsh and Desert» von Wilfred Thesiger rezensiert, der sein Leben unter afrikanischen und arabischen Nomaden verbrachte, erfährt man soviel über Autor und Buch wie über Chatwin selbst. Das Reisen ist der rote Faden im Leben und Werk Chatwins, wobei der gelegentliche Überschwang seinen Blick für den Unterschied zwischen echtem Nomadentum und seinem eigenen, durch materiellen Überfluss ermöglichten Umherziehen nicht trübt.

Horizonte

Ich fragte Chatwin damals, was ihm das Reisen bedeute: «In der Schule brachte man uns bei, dass ein Mann nicht nur Ingenieur oder Anwalt werden kann, sondern auch Beamter in den Kolonien. Es gab ein Empire, eine ganze Welt jenseits des insulären England. Irgendwie glaubten wir, die Welt sei Englands Hinterhof. Diese Vorstellung hielt an bis zur Suezkrise 1956, als Harold Macmillan die veränderte Situation im berühmten Diktum ‹The winds have changed› zum Ausdruck brachte. Für uns Junge war Reisen damals nicht Selbstzweck, es gehörte einfach dazu. Man konnte nach London, aber ebensogut in die Südsee gehen. Diese Vorstellung hat mich bis heute nicht verlassen. Wenn ich meine Sachen packe, nehme ich mir nicht vor, eine Reise zu unternehmen. Ich gehe einfach weg.»

«Der Traum des Ruhelosen» ist in fünf Abteilungen gegliedert: Autobiographisches, Erzählungen, Texte zum Nomadentum, Buchrezensionen, Texte zur Kunst. Im letzten Kapitel beeindruckt ein Aufsatz über Capri und die «Narzissten» Munthe, Malaparte und Adelswärd-Fersen, die auf dieser Insel lebten und sich in einem übersteigerten architektonischen Rahmen selbst inszenierten. Aufschlussreich ist auch Chatwins ikonoklastischer Vortrag, gehalten 1973 anlässlich einer Benefizauktion zugunsten des Roten Kreuzes. Er zeigt, wie tief sein Dégoût vor dem Kommerz mit der Kunst war, als er 1965 Sotheby’s, einer brillanten Karriere und den Artefakten den Rücken kehrte und sich der Askese und dem Unterwegssein zuwandte.

Atmosphärisches

Wie eine Rezension in Chatwins Hand zu Literatur werden kann, demonstriert sein Aufsatz über Osvaldo Bayers Studie «Die Rächer des tragischen Patagonien». Geschrieben, als er «In Patagonien» abgeschlossen hatte, vermittelt der Text eine geraffte Darstellung der Anarchistenaufstände auf den britischen Schaffarmen Südpatagoniens in den zwanziger Jahren. Geschichte und eigene Erlebnisse und Begegnungen, Kritik und einen stupenden Sinn fürs Atmosphärische verbindend, lässt Chatwin hier das Bild einer fremden, grausamen, melancholischen Welt entstehen, so halluzinierend, dass die Fakten, die Namen und die Daten den Eindruck von Irrealität nur noch verstärken.

Und die Frau des berühmten Mannes?

Elizabeth Chanler

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Eine Frau aus einem amerikanischen „guten Hause“, aus einer reichen Oststaatenfamilie. Geboren 1939 in Kalifornien. Sie hat keine Kinder, dafür aber eine Menge Tiere und Hunde, deren Haare im ganzen Haus fliegen. Sie lebt im ländlichen Oxfordshire und zeitweise in ihrer Londoner Wohnung.

Ob sie wohl mit jener Elizabeth Chanler verwandt ist, die John Singer Sargent wundervoll porträtierte? Immerhin möglich, denn auch die Porträtierte entstammte einer angesehenen und wohlhabenden New Yorker Familie im späten 19. Jh. Und eine gewisse Ähnlichkeit ist auch vorhanden…

Sargent, Elizabeth Winthrop Chanler 1893Sie ist eine Radcliff-Absolventin und Kunsthistorikerin. Wie Chatwin so war auch sie bei Sotherby’s tätig – als Sekretärin? als wissenschaftliche Mitarbeiterin? Mit dem Millionär John Jacob Astor (eine deutschstämmige Familie, die nach Amerika auswanderte) verwandt hatte sie eine reiche Mutter, aber nur ein schmales persönliches Einkommen von $8000 im Jahr.

Ihre Ehe mit Chatwin war für alle offenbar eine Überraschung – weil sie um seine Homosexualität wußten?

Besonders tolerant, überaus gebildet und mehrsprachig begabt, zurückhaltend in bezug auf eigenen Bedürfnisse und offenbar sehr aufopfernd, war sie eine ideale Begleitung für einen egoistischen Autor. Während Chatwin in der Weltgeschichte reiste und unzählige homosexuelle Beziehungen hatte, kümmerte sie sich um die Tiere auf der gemeinsamen Farm und war auch dazu gezwungen, als Bedienung in einem Gartenladen für  £45 in der Woche zu arbeiten. Jederzeit bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um Chatwins Ruf zu folgen und ihn irgendwo in der Welt zu treffen. Chatwin war der Meinung, daß ihre Ehe am besten unterwegs funktionierte. Als er todkrank war und nicht mehr für sich selbst sorgen konnte, fand er dann zu ihr zurück.

Und sie? Sie soll die Homosexualität ihres Mannes akzeptiert haben. Nur einmal, in den 1980er Jahren, soll sie eine Scheidung gewollt haben und das gemeinsame Haus verkaufen wollen. In seinen letzten Jahren hat sich das Ehepaar offensichtlich versöhnt.

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Sie selbst berichtet: Die Ehe war wenn auch nicht in die Kategorie „normal“ einzustufen, so doch eben eine Ehe mit allem drum und dran. “Er war eben die beste Gesellschaft, der ich je begegnet bin.”

Die „Frau des schönen, schwulen, toten Dichters“ ist eine, die erzählen kann, die sich weiterhing „herumtreibt“ in der Weltgeschichte, die eine seltene Rasse Schafe hält, die heilige Männer und Mönche aus Buthan bei sich in London aufnimmt. Die sich darüber freut, daß sie über Chatwin interviewt wird. Aber sie ist eben eine, die keine Schreibleidenschaft verspürt. Sie hat was anderes zu tun, sagt sie.

Nachzulesen in einem Interview der FAZ [http://octolan.com/journey/upload/chatwin.pdf]

Kevin Volans, der berühmte Komponist, der die Chatwins 1987 besuchte, weil er den Roman Song Lines als Oper umsetzen wollte, berichtet folgendes:

“The first thing that strikes you is that she talks continuously. When we got back, Bruce was already ill and in bed and he said: „Elizabeth, fetch Kevin some Champagne“ – which I thought very stylish. She went away and he began to talk. When she came back, she was talking too. I discovered that the two of them held simultaneous conversations with you all the time, on completely different topics, totally disregarding each other. It was quite difficult to respond to both politely.

Elizabeth has a phenomenal memory. When it comes to geography, history, botany, she knows all the names; I find it hard to remember the names of my best friends.

She may describe herself as a shepherd but really she’s a globetrotter, that’s what her passport should say. We made a deal that if she took me to the Himalayas I’d show her South Africa. Both trips were a great success – but in South Africa, when I was driving, she went straight to sleep and missed the scenery. When it was her turn to drive, she’d light a cigarette, switch on the radio and pull out into traffic, all at once: frightened the life out of me.

Elizabeth is one of those people you don’t need to see often. You know you could take up your relationship just where you left it. She’s a friend for life.”

Nachzulesen im Interview “How we met: Elizabeth Chatwin & Kevin Volans”, interview von Sue Gaisford, 1999: www.independent.co.uk

Und noch ein Interview zum Abschluß:


Coda

Bruce Chatwin verwendete auf seinen zahlreichen Reisen stets Moleskine-Notizbücher; noch heute wird diese Tatsache werbewirksam vermarktet.

Verfilmungen

  • 1987: Cobra Verd, Regie: Werner Herzog (mit Klaus Kinski)
  • 1988: Black Hill (On the Black Hill)
  • 1991: Nach Patagonien
  • 1991: Utz, mit Armin Mueller-Stahl in der Hauptrolle

Literarische Begleitung

  • What am I doing here? (eine Sammlung von Aufsätzen, die Chatwin vor seinem Tod noch selbst zusammengestellt hat)
  • Der Traum des Ruhelosen (nach seinem Tod veröffentlichte Aufsätze)


Weblinks Fermor

Schule der Langsamkeit

~~> Zeit-Artikel zu Reiseliteratur

SZ-MANI

~~> pdf Artikel über Fermor und Mani aus der SZ

http://www.welt.de/welt_print/article3081973/Moege-die-Erde-leicht-auf-ihm-ruhen.html

~~> österreichische Schriftsteller Rudi Palla reist zum Grab von Bruce Chatwin

http://www.dumbletonvillage.co.uk/Peopleinhistory/TheEyresMonsellfamily/JoanLeighFermor/tabid/150/Default.aspx

http://www.impalapublications.com/blog/index.php?serendipity[action]=search&serendipity[searchTerm]=dervla

http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article1003269/Besuch_beim_Haudegen_des_Peloponnes.html

http://www.independent.co.uk/news/obituaries/joan-leigh-fermor-548272.html

http://patrickleighfermor.wordpress.com/

http://patrickleighfermor.wordpress.com/tag/joan-leigh-fermor/

http://www.flickr.com/photos/insyros/3063680310/

http://license.icopyright.net/user/viewFreeUse.act?fuid=ODU1Nzc2Mg%3D%3D

Weblinks Chatwin

http://bruce-chatwin.virtusens.de/chatwin_texte.php ~~> Textauszüge

http://octolan.com/journey/upload/chatwin.pdf ~~> Interview mit Elisabeth Chatwin.

http://www.newcriterion.com/articlepdf.cfm/chatwin-meyers-2707 ~~> Rezension der Chatwin-Biographie

http://www.welt.de/welt_print/article3081973/Moege-die-Erde-leicht-auf-ihm-ruhen.html

~~> österreichische Schriftsteller Rudi Palla reist zum Grab von Bruce Chatwin

Ein Ausschnitt aus diesem Artikel hier:


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