Durrell und Miller
Joanna, 23. 05. 2010

Lawrence George Durrell
(* 27. Februar 1912 in Jalandhar, Britisch-Indien; † 7. November 1990 in Sommières, Département Gard, Frankreich; sein Grab ist unbekannt)

Er war ein britischer Schriftsteller und Diplomat.

Biographisches

Der Sohn der britischen Kolonialisten Louisa und Lawrence Samuel Durrell verbrachte seine ersten Lebensjahre in Indien. Mit elf Jahren wurde er zum Schulbesuch nach Canterbury (England) geschickt, wo er sich jedoch nie heimisch fühlte. Er verließ die Universität ohne Abschluss, da er den Beruf des Schriftstellers anstrebte.
Am 22. Januar 1935 heiratete Durrell Nancy Isobel Myers, seine erste Ehefrau. Im März 1935 zog er nach Aufenthalten in Paris und Athen mit Mutter, Frau und Geschwistern einschließlich Bruder Gerald nach Korfu. Zu dieser Zeit begann auch seine lebenslange Freundschaft mit dem Schriftstellerkollegen Henry Miller. Im gleichen Jahr veröffentlichte er seinen ersten Roman Pied Piper of Lovers.

1941 mussten die Durrells Griechenland wegen der näherrückenden deutschen Armee verlassen. Die Familie zog nach Kairo. In der Folge lebte Durrell in Alexandria, nach dem Ende desZweiten Weltkrieges auf Rhodos, 1947/48 in Argentinien, 1949 bis 1952 in Belgrad. Er arbeitete in verschiedenen Positionen, meist als Presseattaché, für die britische Regierung.

Im Jahr 1952 zog Durrell nach Zypern, wo er zunächst Englischunterricht erteilte und später wiederum für die britische Regierung in Nikosia arbeitete. Seine Erlebnisse aus der Zeit der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen türkischen und griechischen Zyprioten verarbeitete er in dem Buch Bittere Limonen (veröffentlicht 1957).
Noch während der Zeit auf Zypern begann Durrell mit der Arbeit am Alexandria-Quartett, das zwischen 1957 und 1960 veröffentlicht wurde. Diese vier Bücher brachten Durrell internationale Anerkennung ein.

Als Durrell Zypern verlassen musste, siedelte er sich in Südfrankreich an, wo er den Rest seines Lebens verbringen sollte. Durrell war viermal verheiratet und hatte zwei Töchter.

Durrell wurde wiederholt für den Nobelpreis vorgeschlagen. Seine Dramen Sappho und Actis wurden in Deutschland von Gustaf Gründgens, Ein irischer Faust von Oscar Fritz Schuh am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt.

http://www.lawrencedurrell.org/bio.htm

~~> Biographie

Literarische Begleitung

für Korfu

  • Schwarze Oliven – Korfu. Insel der Phäaken (1945, Prospero’s Cell; Rohwolt )

für Kreta

  • Das dunkle Labyrinth (1947, The Dark Labyrinth; Rowohlt 1992)

für alles andere

  • Griechische Inseln (1978, The Greek Islands; Rowohlt 1987)

Über Durrell, seine Familie und die Insel Korfu:

  • In the Footsteps of Lawrence Durrell and Gerald Durrell in Corfu (1935-39): A Modern Guidebook, Taschenbuch von Hilary Whitton Paipeti
  • Im Garten der Götter. Eine Kindheit auf Korfu,
  • Die Geburtstagsparty. Eine heitere Familiengeschichte unter griechischer Sonne,
  • My Family and other Animals (1956), dt: Meine Familie und anderes Getier, alle drei Bücher von Laurence´ Bruder Gerald Durrell.
  • Das Buch ist 2005 von Sheree Folkson verfilmt worden: My Family And Other Animals, http://www.imdb.com/title/tt0482552/fullcredits#cast. Das folgende Filmstill erinnert ein wenig an eine Szene aus Fermors Buch Mani:


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Henry Valentine Miller
(* 26. Dezember 1891 in New York; † 7. Juni 1980 in Los Angeles)

Er war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Maler. Miller war ein enger Freund von Laurence Durrell, über ihn lernte er auch den griechischen Lyriker Katsimbalis kennen und schätzen, so daß er mit ihm Griechenland bereiste und in dem Buch „Der Koloss von Maroussi“ festhielt.

Das Foto zeigt Miller im Jahr 1939 in Hydra. Aufgenommen wahrscheinlich von George Seferis (tatsächlicher Name Seferiades), der zusammen mit Miller und Katsimbalis nach Hydra kam, um den Maler Ghika in seinem Haus zu besuchen. Miller hat über diesen Besuch einige Seiten in Koloss von Maroussi geschrieben (angefangen mit S. 52)

Biographisches ~~> Folgt bald

Henry Miller wurde am 26. Dezember 1891 in Yorkville/New York in einfachen Verhältnissen geboren. Seine Eltern stammten aus Deutschland – die Mutter aus Hessen und der Vater, der von Beruf Schneider war, aus Bayern.

Literarische Begleitung

  • Der Koloß von Maroussi. Eine Reise nach Griechenland (1941, The Colossus of Maroussi, San Francisco: Colt Press)

Ein Artikel aus dem SPIEGEL vom 02.12.1959 über Durrell und weitere Links:

DURRELL — Inselsucht

Vergeblich hatte der erfolgreiche Romancier Lawrence Durrell jahrelang versucht, die Londoner Theaterwelt für sein 1947 auf Rhodos geschriebenes Versdrama „Sappho“ zu interessieren. Nobelpreisträger Thomas Stearns Eliot hatte zwar den Druck des Mammutstücks im Verlag Faber und Faber durchsetzen können, und die Schauspielerin Margaret Rawlings erwirkte eine Sendung im Dritten Programm der BBC. Die Londoner Impresarios aber scheuten vor dem Risiko einer Uraufführung zurück.

Gustaf Gründgens, von seinem Chef dramaturgen Günther Penzoldt im Sommer 1958 auf Durrells Stück mit Nachdruck hingewiesen, wagte im Vertrauen auf den Weltruhm des 47jährigen Romanciers Durrell die Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg unter eigener Regie. Titelrolle: Elisabeth Flickenschildt.

Durrells „Sappho“ -Drama hat nichts mit lesbischer Liebe zu tun und nur sehr wenig mit der griechischen Lyrikerin, die um 600 vor Christi Geburt in Mytilene auf der Insel Lesbos lebte. Das Stück hat auch kaum etwas mit den Legenden zu schaffen, deren bekannteste – die Liebe zum Fährmann Phaon – den Dichter Grillparzer zu seinem nur noch selten gespielten Trauerspiel „Sappho“ anregte.

Durrell erfand sich eine eigene, nicht sonderlich aufregende Handlung. „Die Verquickung von Liebe und Politik im alten Griechenland“ reizte ihn. Sappho, als Kind bei einem Erdbeben auf Lesbos gerettet

(sie stottert nach Durrells Willen seitdem ein wenig), ist mit dem viel älteren, wohlhabenden Handelsherrn Kreon verheiratet; „ein großer, ernst aussehender Mann, obwohl ihm keine Erschütterung tief unter die Haut geht“, fordert das Textbuch.

Sappho, die auch als Orakel (hinter einer Goldmaske sprechend) fungiert, hat den ehrgeizigen General Pittakos, dessen Geliebte sie wurde und den sie nun nicht mehr mag, in den Krieg gegen Athen geschickt. Siegreich kehrt er heim, macht sich zum Tyrannen, ruiniert Kreon und wird dann seinerseits von Sappho ruiniert; sie wird nach Korinth verbannt und bringt dort eine Art Untergrundbewegung gegen Pittakos zustande.

Am Ende sind – wie es sich bei einer klassizistischen Tragödie gehört – alle oder doch fast alle Träger der Hauptrollen tot. Außer Kreon und Pittakos muß auch der Taucher Phaon, Zwillingsbruder des Pittakos, sterben. Der trinkfrohe, 50jährige Dichterling Diomedes begeht Selbstmord, weil er sich schämt, eine 17jährige Sklavin zu lieben; sie war seinem Sohn zugedacht, aber der ist von dem bösen Pittakos eigenhändig wegen Feigheit vor dem Feinde an den Mauern von Athen erdolcht worden. Kommentar des „Welt“-Kritikers Willy Haas: „Humbert Humbert, der intellektuelle Held von (Vladimir Nabokovs) ‚Lolita‘, würde sich ausgeschüttet haben vor Lachen über soviel erotische Zimperlichkeit: Nach seiner Meinung ist eine Altersdifferenz von vierzig Jahren das wahre Minimum, das ein besserer Herr von seiner jungen Dame voraussetzen darf.“

Gründgens zeigt nur das Teilstück eines Teilstücks der Durrellschen „Sappho“. Der vom Theaterverlag Rowohlt angebotene Text, übertragen von Ursula und Oscar Fritz Schuh (dem Kölner Generalintendanten, der das inzwischen auch in London, Zürich und Göttingen angenommene Stück ebenfalls bringen wird), vermittelt knapp zwei Drittel des englischen Originalbuchs. Von dieser gekürzten Fassung hat Gründgens weitere Stellen und Szenen gestrichen: „schöne“ Verse, ironisch heitere Partien und politische Anspielungen.

So hält im Urtext der Feldherr Pittakos nach seinem Sieg über Athen eine Rede mit deutlich bemerkbaren Hitler-Anklängen; er berichtet über das, was er den Athenern gesagt hat: „Wir wünschen, sagte ich, nur eines: Sie sollen unsere Gleichberechtigung auf dem Meer anerkennen. Wir verabscheuen Blutvergießen, so sprach ich weiter, hassen Gewalt. (Aber fürchten tun wir sie nicht, wie manche andere.) Schon haben wir in Küstenstädte, eh‘ Ihr’s gedacht, unsern überlegenen Sinn für Gesetz und Ordnung gebracht.“

Zu den Bewohnern von Lesbos sagt Pittakos dann: „Der Feldzug war hart. Wir haben Blut vergossen. Wir haben Tote zu beklagen. Aber wir haben Aktivposten. Denn meine Kinder, Krieg ist Krieg und Vorteil nicht Verlust.“

Starke Kürzungen waren unvermeidlich – die Aufführung des Dramas in der Urfassung würde acht Stunden dauern. „Es stecken ja mindestens drei ausgewachsene Theaterstücke in der „Sappho“‚, meint Durrells Freund und Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Daß der Romancier Durrell ein Erzähler von Weltformat, ein Erfinder neuer Formen ist, darüber sind sich bis auf wenige Ausnahmen die Kritiker einig Ebenso einig sind sie sich nach der Hamburger Uraufführung, daß der kleine, sympathisch wirkende Autor irischer Abstammung ein Dramatiker nicht oder noch nicht ist.

Die „Frankfurter Allgemeine“ geht so weit, von einem „Betriebsunfall“ zu sprechen, die „Süddeutsche Zeitung“ vermerkt nach kräftigem Lob der Gründgens-Inszenierung („Sie schob das Stück in die Nähe eines unterkühlten Mysteriums von Cocteau“) nur: „Man kann diese Sappho nicht beleben, sondern nur bengalisch beleuchten.“

In das Scheinwerferlicht des Weltruhms rückte Lawrence Durrell erst verhältnismäßig spät. Er wurde 1912 am Südabhang des Himalaya als Sohn eines in britischen Kolonialdiensten stehenden Iren geboren. Vater Durrell schickte seinen Sohn auf die kostspielige St. Edmund’s School in Canterbury und träumte von einer großen diplomatischen Karriere. Aber Larry (wie Lawrence noch heute von seinen Freunden genannt wird) träumte auf seine Art und fiel viermal durch das Examen. Er schrieb Gedichte und Romane, lernte Griechisch, schlug sich mit Sprachunterricht durch; mit seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern lebte er einige Jahre lang auf der ionischen Insel Korfu.

Dieses Familienleben hat vor drei Jahren Gerald Durrell – Lawrences Bruder – lebendig und lustig in dem Buch „Meine Familie und anderes Getier“ („My Family and Other Animals“) beschrieben. Gerald Durrell, der sich in der Nähe von London eine Art Privatzoo eingerichtet hat, ist Tierfänger und Tierforscher. Er nahm an großen Expeditionen teil und veröffentlichte darüber ein paar Bücher, die in England sensationellen Erfolg hatten.

In der amüsanten autobiographischen Familienchronik berichtet Gerald vom Leben mit der Mutter, mit dem damals 23jährigen Larry, einem 19jährigen Bruder Leslie und der 18jährigen Schwester Margo, die jetzt ebenfalls an einem Roman schreibt. Larry -Lawrence, der mit viel Sympathie und Humor geschildert wird, erscheint in den Memoiren des Bruders etwas angeberisch.

Im Jahre 1937 ging Lawrence Durrell nach Paris. Er lernte dort Henry Miller („Plexus“) und den Verleger Alfred Perlès kennen. Durrell erschien dem jungen Literaturfreund Perlès „wie ein Wunderkind, eine Art Homunkulus, durch Magie faust wagnerscher Art entstanden, luftgeboren wie Euphorion, und was er seitdem geworden ist – Sänger, Poet, Epikuräer, Wanderer, Maler und Romancier -, er war es schon damals“.

Gedichte von Durrell brachte die kleine Pariser Zeitschrift „Transition“, in der auch Samuel Beckett („Warten auf Godot“) seine ersten Arbeiten veröffentlichte. Aber weder mit seiner frühen Lyrik, dem Band „Zehn Gedichte“ (1933), noch mit seinen frühen Romanen, die er – wie der junge Balzac – unter einem Pseudonym publizierte, erweckte Lawrence Durrell Beachtung. Auch von dem Roman „Panischer Frühling“, der unter dem Decknamen Charles Norden 1937 erschien, nahm niemand Notiz.

Den freilich nur von Kennern bemerkten Sprung in die hohe Literatur bewirkte die nächste Veröffentlichung Durrells: „Das schwarze Buch“ (1938). Eliot schrieb das Vorwort, Miller besorgte den Verleger. Es war Jack Kahane von der Pariser Obelisk Press, und dort, wo schon Henry Millers skandallöser Roman „Der Wendekreis des Krebses“ herausgekommen war, erschien diese „verblüffende ‚Chronik des englischen Todes'“ (Miller).

Die in Paris redigierte Zeitschrift „Two Cities“ druckte am 15. April dieses Jahres Mitteilungen der Freunde über den jungen Durrell. Henry Miller betont, Durrell sei schon damals ein harter, gewissenhafter Arbeiter gewesen. „Er nahm sein Werk ernst, nicht sich selbst. Heute scheint es sich umgekehrt zu verhalten, besonders bei Schriftstellern“, fügt Miller hinzu.

Da die hohe Literatur nichts weiter einbrachte, nahm Durrell Aushilfsstellungen an. Er betätigte sich als Korrespondent für Zeitungen, war eine Zeitlang Lehrer und aushilfsweise auch Pianist in einem Nachtklub. Dann wurde er Presse-Attache in Athen, Kairo, Alexandria und Belgrad, später Direktor der britischen „Public Relations“ auf Zypern.

Früchte dieser Jahre sind Durrells Reisebücher über Korfu („Prospero’s Cell“), Rhodos („Reflections on a Marine Venus“) und Zypern („Bitter Lemons“). Für das Zypern -Buch erhielt Durrell den englischen Duff -Cooper-Preis; es wurde auch ein Verkaufserfolg. Der Titel des Korfu-Buches spielt auf eine Stelle in Shakespeares Traumspiel „Der Sturm“ an, der zweite Titel bezieht sich auf eine Venus-Statue, die aus dem Meer gezogen wird.

In diesem Reisebuch „Reflections on a Marine Venus“ findet sich eine für Durrell aufschlußreiche Stelle: „Unter den Notizen meines Freundes Gideon habe ich einmal eine Liste von Krankheiten gefunden, die bisher noch nicht in ein medizinisches System eingegangen sind. In der Liste fand sich auch die Bezeichnung ‚Islomania‘ (Inselsucht) für ein seltsames, aber keineswegs unbekanntes Leiden, das manche Gemüter befällt. Es gibt, so pflegte Gideon zu sagen, Menschen, die keiner Insel widerstehen können. Das bloße Bewußtsein, sich auf einer Insel, einer kleinen, von der See umzingelten Welt, zu befinden, berauscht sie auf eine kaum zu beschreibende Weise. Diese geborenen Islomanen, fährt er fort, sind die direkten Abkömmlinge der Atlantiden, und ihr ganzes Inselleben lang sehnen sie sich, ohne es zu wissen, nach der verlorenen Atlantis.“

Durrell hat lange Jahre seines Lebens auf Inseln zugebracht; seine Reisebücher sind Inselbücher, „Sappho“ ist ein (recht undramatisches) Inselgedicht, und auch der Erzähler des bisher berühmtesten Werkes von Durrell, eines vierteiligen Romans – die beiden ersten Bände „Justine“ und „Balthazar“ sind 1958 und 1959 in deutscher Übersetzung herausgekommen* -, schreibt sein Buch auf einer Insel.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte Durrell seinen Freund und Mentor Henry Miller nach Griechenland begleitet. Fast zwei Jahre verbrachten die beiden auf der Insel Korfu. 1941, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, floh Miller in die Vereinigten Staaten zurück; Durrell ging nach Alexandria. Das britische Informations-Ministerium hatte ihm eine bescheidene Stellung in der dortigen Botschaft angeboten.

In Alexandrien, etwa zwischen 1935 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, spielt Durrells vierstöckiges Romanwerk (der dritte Teil „Mountolive“* wird deutsch im Frühjahr, der Abschlußband „Clea“ im Herbst 1960 bei Rowohlt erscheinen).

Ähnlich wie sein Erzähler Darley lebte auch Durrell, der zweimal verheiratet war und zwei Töchter hat – Penelope und Sappho-Jane -, eine Zeitlang mit der kleinen Sappho-Jane wie ein Einsiedler auf der Insel Zypern. Zu Anfang des Romans „Justine“ heißt es:

„Ich bin auf diese Insel entkommen mit ein paar Büchern und dem Kind – Melissas Kind … Nachts, wenn der Wind tost und das Kind ruhig in seiner kleinen hölzernen Wiege am heulenden Kamin schläft, zünde ich eine Lampe an und wandere umher und denke an meine Freunde – an Justine und Nessim, an Melissa und Balthazar. Glied um Glied taste ich mich an der eisernen Kette der Erinnerung zurück in die Stadt, in der wir nur so kurze Zeit wohnten; in jene Stadt…, die uns in Konflikte stürzte, welche die ihren waren und welche wir für die unseren hielten: geliebtes Alexandria.“

Held des Romans ist nicht ein Mensch, sondern die Halbinsel-Stadt Alexandria, gegründet von Alexander dem Großen (365 bis 323 vor Christi Geburt); der König wurde, nach der Sage, dazu animiert durch die Homer-Verse:

Eine der Inseln liegt in der weit aufwogenden

Meerflut

Vor des Ägyptos Strom, und Pharos wird sie geheißen.

Bei Durrell wird Alexandria auch als „die große Kelter der Liebe“ bezeichnet. „Fünf Rassen, fünf Sprachen, ein Dutzend Glaubensbekenntnisse“ treffen dort zusammen, „das sexuelle Angebot ist verwirrend vielfältig“. Der Erzähler Darley, ein mittelloser englischer Lehrer, der mit einer melancholischen, lungenkranken griechischen Tänzerin namens Melissa zusammenlebt, trifft mit der Titelfigur des ersten Bandes, der Jüdin Justine, zusammen. Sie ist mit Nessim, einem koptischen Millionär, verheiratet.

Durch Spione läßt Nessim die Liebesbegegnungen zwischen Darley und Justine beobachten. Er trifft Vorbereitungen zu einer Entenjagd (Glanzstück und Höhepunkt des Buches), und Darley fürchtet, daß er bei dieser Gelegenheit „aus Versehen“ erschossen werden soll. Statt seiner wird ein anderer getötet. Justine verläßt ihren Mann und geht als Landarbeiterin nach Palästina. Melissa stirbt, und der Erzähler adoptiert ihr Kind, dessen Vater Nessim ist.

Die Inhaltsangabe sagt wenig über Lawrence Durrells Roman, der zunächst verwirrend, ja chaotisch anmutet. Einzelne Szenen, Episoden, Miniaturen, Gesprächsfetzen stehen nebeneinander, geordnet nach ihrer Bedeutung – so, wie die Erinnerung des Erzählers sie wiedergibt. (Eine Klammer-Bemerkung Durrells: „Das Wichtigste für mich ist, von Erfahrungen zu berichten, nicht in der chronologischen Reihenfolge …“) Herangezogen werden Tagebücher und Aufzeichnungen von Justine und Nessim, zitiert werden Stellen aus einem Buch, das ein Schriftsteller Jacob Arnauti, der vor Nessim mit Justine verheiratet war, unter dem Titel „Moeurs“ („Sitten“) geschrieben hat.

Die Gestalt der Sappho, früher konzipiert oder doch früher vollendet als die der Justine, enthält übrigens einige Charakterzüge der so bezaubernden wie ausschweifend liebenden Frau des ägyptischen Bankiers Nessim. Durrell über Justine: „Wie alle amoralischen Menschen hat sie etwas von einer Gottheit an sich.“

Durrell zeichnete seine Heldin einem Vorbild

nach, dem er auch den Namen entlehnte – der Justine des berühmt-berüchtigten französischen Schriftstellers Donatien -Alphonse-Francois Marquis de Sade (1740 bis 1814). Sades Roman „Justine oder Das Malheur der Tugend“, der wenige Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution zusammen mit dem Roman „Juliette oder Die Vorteile des Laster.“ erschien und von Napoleon I. verboten wurde, behandelt die Erlebnisse eines Mädchens, das – wie de Sade erklärt – „in einer verbrecherischen Zeit tugendhaft leben will“.

Als Durrell im Mai dieses Jahres in Paris gefragt wurde: „Ist es Zufall, daß Ihre Heldin Justine heißt?“, antwortete er: „Nein. De Sade stellt ein Wesen dar, das durch seine Exzesse das weite Gebiet der Sinnlichkeit durchschritten hat, ohne irgendwo anzukommen, ein Wesen, das sein Leben in der Hölle verbracht hat, ohne den Schlüssel zu einem anderen Land gefunden zu haben dessen hoffnungslose Anstrengung jedoch anderen erlaubt, weiter zu gehen.“

Im Gegensatz zum Marquis de Sade, der seine moralische Justine als unzeitgemäß und erbärmlich bedauerte, sieht Durrell in seiner Justine „das Opfer wahrhaft heroischer Zweifel“. Justine habe sich, so erläutert Lawrence Durrell, „in einem Exzeß falsch ausgerichteten Mutes“ selbst zerstört. Zu ihren Eskapaden werde sie durch eine Art Schuldgefühl getrieben, das sich von Abenteuer zu Abenteuer noch steigere. Immerhin dient Justine ihren Liebhabern auf besondere Weise: „Nur sie versteht es, die Männer zu verwunden.“

Henry Miller hat „Justine“ mit einem „Spinnennetz“ verglichen und gesagt: „Die Menschen in diesem Buch sind von unglaublicher Wirklichkeit; ich wage die Behauptung, daß sie den europäischen Leser geradezu hypnotisch fesseln werden. Sie verkörpern die ganze Unruhe und das Delirium des Nahen Ostens.“

In einem (von „Two Cities“ veröffentlichten) längeren Interview wurde Durrell gefragt, ob es so etwas wie ein Urbild der Justine gebe, ob eigene Erlebnisse dahinterstünden. Durrell antwortete: „Justine hat alles und nichts mit mir zu tun; sie ist, anders ausgedrückt, ein sehr alltäglicher Typ mittelmeerischer Abenteuer, den ich an mehr als einem Ort beobachtet habe. Etwas von ihr pickte ich in Athen auf, etwas in Beirut und in Kairo. Aber Justine ist keine biographische Schallplattenaufnahme, ich habe sie erfunden. Ich denke, Cleopatra war etwas Ähnliches wie sie.“

Interessant sind auch Durrells Äußerungen über die Form seiner Romantetralogie. Als er mit „Justine“ begann, habe er wohl die Anlage des Ganzen im Auge gehabt, nicht aber das Detail, berichtete er. „Im Idealfall hätte ich erst alle vier Bücher geschrieben, sie sorgfältig aufeinander abgestimmt und drucken lassen. Geldmangel zwang mich, sie nacheinander zu schreiben – ein etwas gefährliches Verfahren. Ich fürchtete Lücken in der Wahrscheinlichkeit, Fugen, die nicht ineinanderpassen. Glücklicherweise sind die Widersprüche … gering, und wenn das … Werk im ganzen vorliegt, werde ich in der Lage sein, die erforderlichen winzigen Änderungen vorzunehmen.“

Durrell hat nach eigener Aussage etwa zehn Jahre lang über sein Romanwerk nachgedacht, in dem dieselbe Geschichte von vier Personen, von vier verschiedenen Gesichtspunkten aus, erzählt wird. „Justine“ schrieb er dann in neun Monaten (aber zwischendurch noch anderes), die übrigen Bände durchschnittlich in je sechs Wochen. Die ersten drei Bände umspannen jeweils Ereignisse desselben Zeitraums. Der Erzähler, der im ersten Band sein Netz ausbreitet, sitzt, wie Durrell später mitteilt, selbst im Netz.

Deutlich wird das im zweiten Band. „Balthazar“ enthält die Randbemerkungen, Ergänzungen und Korrekturen, eine Art Kommentar, die große „Interlinear-Version von Justine“, die der Arzt und Kabbalist Balthazar in das Manuskript des Erzählers Darley hineingeschrieben hat: „Es war kreuz und quer mit Anmerkungen übersät, durchgestrichen, verbessert, mit Fragen und Antworten in verschiedenartiger Tinte bedeckt, die über die Maschinenschrift hinliefen. Es schien mir damals symbolisch zu sein für die Wirklichkeit, die wir seinerzeit miteinander geteilt hatten – ein Palimpsest (mehrere Schriften übereinander), auf dem jeder von uns, Schicht auf Schicht, seine persönlichen Spuren hinterlassen hatte.“

„Mountolive“, die Lebensgeschichte eines Diplomaten, ist eine weitere Korrektur dieser korrigierten Korrektur. In „Clea“ löst sich das Ganze. Erst von diesem Schlußband aus wird sich das vierbändige Romanwerk zureichend kritisch prüfen lassen – und Durrells „seltsam hochgestochene, angeblich an der Relativitätstheorie (Albert Einsteins) orientierte Strukturabsicht“ erklären, „in vier Romanen ein Kontinuum aus drei Raumebenen und einer Zeitebene herzustellen“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“).

„Wenn es gerecht zugeht, müßte … Lawrence Durrell eines Tages den Nobelpreis erhalten; denn er ist … dabei, eine Tetralogie zu entwerfen, die das Vollkommenste werden kann, was ein europäischer Erzähler seit jenem 18. November 1921 niederschrieb, an dem die Stimme Marcel Prousts für immer verstummte“, vermerkte der Altphilologe und Erzähler Walter Jens in der Hamburger „Zeit“. Kritiker Joachim Kaiser dagegen konstatierte in der „Süddeutschen Zeitung“, Durrell vollende „die Kapitulation des Erzählers“. Was er biete sei „keine Geschichte, sondern eine Inflation der Perspektiven“.

Der Erfolg des dritten Bandes „Mountolive“ hat die Hollywood-Produzenten aufhorchen lassen. Durrell beendete schnell den vierten Band „Clea“ und schickte – freilich zweifelnd – das Manuskript an die stoffhungrigen Filmhersteller.

Der Engländer Richard Aldington, bekannt durch sein Buch über David Herbert Lawrence („Lady Chatterleys Liebhaber“) und seine desillusionierende Darstellung des Archäologen und Araberaufstand-Organisators Thomas Edward Lawrence („Die sieben Säulen der Weisheit“), arbeitet gegenwärtig an einer Monographie über einen dritten Lawrence: Lawrence Durrell.

Seit einigen Jahren wohnt der Dichter mit der Französin „Claude“ – sie schreibt unter diesem Namen Romane, die Rowohlt deutsch herausbringen wird – in der Nähe von Nimes (Südfrankreich), so versteckt (wie er dem Londoner dpa-Korrespondenten Peter Munk erzählte), daß ihn „außer dem verflucht scharfen Mistral“ niemand finden kann.

Das Haus, eine umgebaute Jagdhütte, liegt in einem Bezirk von zwanzig Quadratmeilen Heideland, auf dem sich Kaninchen tummeln. An die Mauer ist eine Tafel gelehnt: „Wenn nicht eingeladen und nicht erwartet – unwillkommen. Dies ist eine Werkstatt. Bitte schreiben Sie.“ Diese Warntafel soll den Autor vor allzu vielen Störungen durch (vornehmlich amerikanische) jugendliche Enthusiasten bewahren.

Durrell, der in der Hamburger Buchhandlung Felix Jud in zweieinhalb Stunden 300 Bücher signierte, machte vier „Sappho“ -Proben mit und meinte danach: „Ich habe bei diesem genialen Regisseur gelernt, worauf es beim Theater ankommt.“ Bei Gründgens habe er „die Geburt eines Dramatikers“ erlebt; so viel habe sich ihm offenbart. Er wolle in Zukunft auch weder einen Affen noch etwa zwei Giraffen auf die Bühne bringen. (In der „Sappho“-Aufführung wirkte ein Äffchen mit, das während der Proben ein so ablenkendes Theater machte, daß Gründgens fragte, ob es nicht durch eine Schildkröte ersetzt werden könnte.)

Sein nächstes Stück werde viel kürzer, konzentrierter und dramatischer sein, versprach Durrell. Dieses neue, schon halb fertige Stück soll nicht in der Substanz verändert, aber formal redigiert und auch wieder Gründgens zur Uraufführung angeboten werden. Es handelt von Acte, einer Konvertitin aus dem Rom des Mordkaisers Nero. Der römische Schriftsteller Suetonius (etwa 70 bis 140) lieferte den Stoff.

* Lawrence Durrell: „Justine“ und „Balthazar“; Rowohlt Verlag, Hamburg; 272 und 268 Seiten; je 15,80 Mark.

* Lawrence Durrell: „Mountolive“; Faber and Faber, London; 320 Seiten; 16 Shilling

Autor Durrell in Hamburg: Geburt eines Dramatikers

Hamburger Durrell-Uraufführung „Sappho“**: Liebe und Politik

Durrell-Freund Miller

Geborene Islomanen sehnen sich …

Durrell-Gefährtin „Claude“

… nach der verlorenen Atlantis

Durrells Besucher-Abwehrtafel

Vorteil ist nicht Verlust

** Elisabeth Flickenschildt als Sappho, Ulrich Haupt als General Pittakos.

DER SPIEGEL 49/1959
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LINKS:

http://www.henrymiller.org/miller.html

http://en.wikipedia.org/wiki/Henry_Miller

http://www.lawrencedurrell.org
~~> Internationale Lawrence-Durrell-Gesellschaft

http://www.helleniccomserve.com/keeley.html

~~> zu Durrell, Katsimbalis und Miller


Das „Weiße Haus“ in dem Durrell während seiner Zeit in Korfu lebte, ist heute als Ferienwohnung zu mieten:

http://www.fewo-direkt.de/Griechenland/urlaub-ferienhaus-Korfu/p38137.htm

http://www.meingriechenland.de/Griechenland/property/Ferienhaus/Das_Weisse_Haus.html

Mehr hierzu siehe unsere Routenplanung zu Korfu und später dort.