Das alte Herz von Buenos Aires und wie Le Corbusier sich Puerto Madero vorstellte

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Man sollte sich nicht täuschen lassen von den vermeintlich kurzen Entfernungen, den “bloß drei Häuserblocks” weiter, denn diese haben es in sich in Buenos Aires! So betrachtet liegt das alte Centrum der Stadt nicht weit von dem Clubhaus der Yachtis entfernt. Im nachhinein empfehle ich jedoch dringend, einen Bus, oder noch besser, ein Taxi zu nehmen. Man wird zwar mit dem Taxi aufgrund der tagtäglichen Dauerstaus nicht wesentlich schneller, aber garantiert entspannter zum Ziel kommen.

Wir aber unternehmen einen vermeintlich kurzen Spaziergang. Zuerst stehen die Innenbecken des Puerto Madero auf dem Plan. Und wenn man schon mal da ist, dann kann man natürlich noch “die paar Schritte” weiter zum alten Centrum der Stadt gehen. Vom “dem” Centrum der Stadt zu sprechen, ist nicht ganz korrekt. Buenos Aires besteht aus mehreren Stadtvierteln und genauso vielen “Centren”. Das Centrum, von dem ich spreche, ist etwas Schwammiges, dessen Konturen ausufernd.

Dieses künstliche Gebilde besteht aus Puerto Madero, der Plaza de Mayo und den sie umgebenden Straßen, ein wenig von Constitusion und ein wenig von Monserrat nehmen wir auch noch dazu, am Ende haben wir das alte Centrum von Buenos Aires zusammen. Doch dazu im nächsten Bericht mehr. Zunächst wollen wir uns das alte, neu aufgemotzte Herz einer jeden Hafenstadt anschauen: den ehemaligen Hafen.

Puerto Madero, das eigentliche “Herz”

Puerto Madero, das ist zunächst der älteste Hafen von Buenos Aires. Und wie bei jeder Stadt am Meer – und zählen wir großzügig den meergleichen Fluß Río de la Plata dazu – ist der Hafen gleichbedeutend mit Wohlstand, florierenden Geschäften, Anziehungspunkt für Wirtschaftsflüchtlinge und Investoren gleichermaßen und schlußendlich auch ein Machtfaktor. Mit Macht hatte der erste Hafen oder eher ein Ankerplatz im wahrsten Sinne des Wortes zu tun, denn die Aufgabe von Buenos Aires lag darin, die Portugiesen von dem spanischen Boden fernzuhalten. Eine Bastion ragte oktogonal aus der Uferlinie heraus, dahinter die ersten Straßen und Verwaltungsgebäude.

Die ersten Spanier, die am Mar de la Plata um 1536 erschienen, waren nicht nennenswert und ihre einfachsten Hütten auch schnell verschwunden. Die erste echte Siedlung, entstanden um 1580,  war zu aller erst von strategischer Bedeutung, und ihr Hafen demnach eher ein ‘Militärhafen’ unmittelbar vor dem Fort am Flußufer. Nach spanischem Vorbild eines Schachbretts entstand allmehlig eine städtische Anlage mit unbefestigten Straßen, einem Hauptplatz, einer Kathedrale, einem Rathaus für die Stadtverwaltung und den Häuser der ersten Porteños. So nennt man im Spanischen die Bewohner einer Hafenstadt, Porteño abgeleitet von Puerto, dem Hafen. Porteño hieß aber auch die erste Siedlung – einfach nur “die Hafenstadt”, die erst später den offiziellen Namen Buenos Aires bekommen sollte.

Betrachtet man die ersten 200 Jahre der Stadtentwicklung von ihrer Gründung um 1580 bis zu der Unabhängigkeitserklärung Argentiniens von 1816, so wuchs die Stadt in ihrer Ausdehnung nur verhalten. Solange Argentinien für das spanische Mutterland vor allem Prestigeland bedeutete, und Buenos Aires nur dazu da war, dieses Land militärisch von den potenziellen Usurpatoren zu schützen, so lange passierte nichts Entscheidendes in der Land- und Stadtentwicklung. Das änderte sich beinahe schlagartig, als Argentinien die Unabhängigkeit ausrief und Buenos Aires seine Bedeutung als Tor zur Welt erlangte. Nun brauchte das Land und die immer noch junge Stadt eine starke ökonomische Grundlage – bis heute immer noch die Landwirtschaft – und einen Hafen, der die Erzeugnisse des Landes ins Ausland brachte und anderes, wie bspw. technologisches Know-How ins Land holte.

Der Hafenbereich musste ausgebaut werden und da das Ufer des Flusses wie auch das Wasser davor kilometerweit flach ist, konnte mit dem Bau des neuen Hafens gleichzeitig auch Neuland hinzugewonnen werden. Auf diese Weise erreichte man gleichzeitig, dass vor den neuen Ufern das Wasser tief genug war, so dass auch tiefgehende Windjammer den neuen Hafen anlaufen konnten. Die Aus- und Beladung, die zuvor auf Reede mittels kleiner Transportboote erledigt wurde, vereinfachte sich nicht nur, sondern konnte auch wesentlich schneller vonstatten gehen.

Mit dem Ausbau der Bahnstrecke ins Landesinnere in den 1850ern kamen immer mehr und immer schneller neue Güter in den Hafen an, so dass die schlechte logistische Lage einer unzureichenden Pier und Reede schnell verbessert werden musste. So wurde zwar zu diesem Zeitpunkt die Umgestaltung des Hafens als notwendig erachtet, aber es erstaunt zu erfahren, dass erst in den 1880er Jahren entsprechende Baupläne angenommen wurden. Eingereicht hatte sie 1882 ein gewisser Eduardo Madero, der vier Becken entwarf, durch Schleusen und Fluttore miteinander verbunden, die von zwei Hauptzugängen im Norden und Süden angefahren werden konnten. Die Pläne wurden schließlich von der englischen Firma “Hawkshaw, Son and Hayter” ausgearbeitet.

Vor allem die Westseite der vier hintereinander gestaffelten Bassins stattete das englische Planungsbüro mit je vier Lagerhäuser pro Hafenbecken aus. Die Ostseite der Bassins sollte den Silos und den Kornmühlen vorbehalten bleiben. Konstruiert und gebaut hat die Lagerhäuser aber die deutsche Firma “Weyss und Freitag”. Im vierten Becken (im Norden) existieren sie nun restauriert noch heute, die anderen wurden leider abgerissen. Mich erinnern sie an Hanse, an Bremerhaven, Cuxhaven, Hamburg oder sogar an Köln.

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Historische Postkarte. Aufnahme vom Aeroplan aus gemacht, den Flügel sieht man noch im rechten Bildanschnitt. Die vier Hafenbecken werden vom Süden (unten) aus gezählt. Erhalten sind nur die im Bild rechter Hand liegenden Lagerhäuser des vierten Beckens.

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Lagerhäuser vor der Dársena Norte, dem Nord-Becken. Im Hintergrund das Buenos Aires der 1920er oder 30er Jahre.

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Die Siloanlagen im ersten Becken, der Dársena Sud. Obwohl sie im Masterplan der Erneuerung des Puerto Madero unter Denkmalschutz standen, wurden sie dennoch abgerissen. Allein Teile der vorderen Lagerhallen haben überlebt und wurden zu einem Luxushotel vom Stararchitekten Phillip Stark umgebaut.

“Puerto Madero” bedeutet somit nicht, wie wir es vermuteten, der alte “Holzhafen”, sondern ist nach seinem Entwerfer benannt. 1890 feierte man seine Einweihung und bestaunte die weltweit innovative Technologie, denn es galt als eine der modernsten, funktionalsten und technisch fortschrittlichsten Hafenanlage der Welt. Die heute noch bestehenden Lagerhäuser wurden zwischen 1900 und 1905 errichtet und glänzten durch ihre Modernität und besondere Ökonomie in der Be- und Entladung sowie Stapelung der Waren, was mit mobilen Kränen bewerkstelligt wurde.

Aufgrund der explosionsartigen Entwicklung, die die Hauptstadt in dieser Zeit nahm, war der modernste Hafen der Welt bereits nach 10 Jahren schon unzureichend für den enorm Umsatz an Gütern zwischen Argentinien und Europa. Die zunehmende Größe der Transportschiffe und ihre spezifische Beladung konnte der nun wieder zu eng gewordene und zu flache Puerto Madero nicht mehr aufnehmen. Ein neuer “neuer Hafen” musste her, bei dem die alte gute Hafenmauer ausgedient hat und man das neuartige Finger-System favorisierte. Puerto Madero verlor seine aktive Bedeutung als Beladehafen und verfiel zusehends.

Heutzutage ist man stolz auf die abgeschlossene Gentifizierung des Hafenviertels, die alles in allem um 1991 ihren Anfang nahm und bis in die 2000er Jahre andauerte. Das neue alte Puerto ist in gewisser Weise gerettet und leider moderner als zuvor. Es ist überall auf der Welt die gleiche Entwicklung zu beobachten: Ob Bremen, Hamburg, Köln oder eben Buenos Aires, zuerst mussten die Altstädte dran glauben, dann folgten die alten Hafenanlagen. Ein paar der alten Hallen haben die Abrißbirnen und die Manie des Hochhausbaus überlebt. Nun haben sich darin Restaurants akklimatisiert. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden, so überleben wenigstens ein paar der historischen Hallen. Doch die hohen Miet- oder Verkaufspreise locken nur bestimmte Restaurantbetreiber an, deren Phantasie über zwei oder drei immer gleichen Innenarchitekten nicht hinauslangt. Geld macht nicht per se vielfältig. Auch die Speisekarten überraschen wenig: Überall das gleiche, sicherlich das gleiche auf hohem Niveau. Dazwischen Starbucks und McDonalds. Sitzt man in einem dieser Schicki-Micki-Restaurants, so hat man wenigstens einen schönen Blick auf das Hafenbecken, das jetzt eine neue Marina beherbergt, die, wie sollte es anders sein, “Marina Puerto Madero” heißt.

Im unteren Bildanschnitt sieht man ein schwimmendes gelbes Etwas. Das sind jene kleinen Pontons, mit deren Hilfe man Dreck und Wellen, die die Fähre verursacht, abzuhalten. Beim Dreck funktioniert es ganz gut…

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Tatsächlich überlegen wir zunächst, ob wir hier ein oder zwei Tage Cortesia in Anspruch nehmen wollen, doch die zwischen den Hochhäusern gestaute Hitze des extrem heißen Sommers in Bs. As., sowie das permanente Flanieren der Menschen(massen) haben uns davon bewahrt.

Wäre das Hafenviertel anders geworden, hätte man hier Le Corbusier bauen lassen?

Le Corbusier in Buenos Aires

Es ist keine theoretische Frage, die ich hier stelle, denn Le Corbusier besuchte Buenos Aires 1929 und entwarf, ob ungebeten oder offiziell angefragt, weiß ich nicht zu berichten, Pläne für einen Ausbau des Hafens und der umliegenden Areale. Tatsache ist, dass die Stadtregierung bereits in den 1925er Jahren mit einer Revitalisierung des alten Hafenviertels liebäugte. Das mag daran gelegen haben, dass Puerto Madero in unmittelbarer Nähe zum Cabildo, dem Rathaus und dem Präsidentenhaus, lag (und liegt). Was zuerst als Signum der Prosperation Argentiniens galt, wurde nun zu ärmlich, zu dreckig, zu heruntergekommen für die feine Nachbarschaft.

Le Corbusier  entging nicht, dass Buenos Aires, die aufstrebende Megapolis des “Neuen Welt”, den gleichen Weg ging, wie ihre Schwestern im “Alten Europa”: Hier wie dort entstand die Großstadt als eine Mischung aus protzigen Bauten, privaten Stadtvillen, prächtigen Alleen und unweit davon liegender Verelendung der alten Vierteln, Armut, Dreck und unzureichenden sanitären Einrichtungen.

Buenos Aires zeigte sich hochmodern, aber ihre Modernität stand mit beinahe beiden Beinen im Stil des Alten Europas. Als Chic galt alles, was in Europa auf dem Niveau von Jugendstil, Wiener Sezession oder Art Noveau blieb. Beliebte Architekten in Buenos Aires kamen aus Paris oder aus den italienischen Metropolen und verhielten sich der Moderne im Stile von Bauhaus verhalten gegenüber.

Le Corbusier kam 1929 auf Einladung von Victoria Ocampo, der Grand Dame der argentinischen Literatur und Kultur, die neben ihrer weltberühmten Zeitschrift “SUR” vor allem die bedeutendsten Geistes- und Kulturköpfe der damaligen Welt nach Buenos Aires holte. Offiziell war Le Corbusier als Gast der “Asociación Amigos del Arte” (Vereinigung der Kunstfreunde) eingeladen, doch es war Ocampo die alles finanzierte. Im Rahmen dieser Einladung hielt er einige öffentliche Vorträge über Architektur und Gesellschaft sowie zum Thema der modernen Großstadt wie Buenos Aires. Es überrascht, wie wenig Resonanz seine Vorträge erfuhren.

Le Corbusier steht in der hintersten Reihe neben der feschen Victoria Ocampo. Sie mit einem gestromten Schal, er mit einer markanten Eulenbrille. Aufgenommen in den Räumen des SUR-Verlags.

Buenos Aires mit seinen Augen gesehen, fehlte die echte Modernität, die seiner Ansicht nach sich mitunter darin äußert, dass sie für alle Einwohner ein klares, menschenwürdiges Konzept der Lebensgestaltung anbietet. Das bedeutete für ihn, dass die Wohnhäuser und Stadtviertel von klaren, lichtdurchfluteten Baustrukturen dominiert sind. Das Hochhaus erfüllte seiner Meinung nach die notwendigen Bedingungen und bediente gleichzeitig auch die Ökonomie der Fläche, so dass eine ganze Stadt en miniature darin Platz finden konnte.

Doch nicht nur dieser ökonomisch-humane Aspekt trieb Le Corbusier um, sondern auch die Idee einer innerstädtischen Ganzheit, die sich nach einer spezifischen Ästhetik richtete. Kurz gesagt, die Architektur hatte für Le Corbusier den Rang einer “Natur”, die innerstädtischen Bauentwürfe sind demnach als “Landschaften” zu verstehen. Landschaften aus Häusern und Plätzen.

Buenos Aires, eine Stadt am Wasser  und vor einem ausgedehnten Hafen, erfuhr Le Corbusier als eine Metropole, die sich von diesem Element abgewandt hat. Sie lebte nicht mit dem Fluß, sondern kehrte ihm den Rücken zu, so Le Corbusier. Das musste sich ändern. Und Le Corbusier entwarf 1929 einen Masterplan für ein administratives Zentrum, für einen Regierungs- und Verwaltungsbezirk, von Wasser umgeben und durch eine Mole mit der Altstadt verbunden. Die Idee – unabhängig davon, was man von Le Corbusiers Bauten hält – überzeugt durchaus.

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Links das Bild, das Le Corbusier seinen Plänen für die Neugestaltung des Puerto Madero beilegte. Es verdeutlicht die Idee, die ihm vorschwebte: Unter sternefunkelndem Nachthimmel eine Stadt, die durch vier dominante Hochhäuser am Ufer des Flusses, hell erleuchtet, illuminiert wird.

Le Corbusiers geniale Grundidee bestand darin, die Hochhäuser in den Fluß hinein zu verlagern. Eine lange Pier führte mehr oder weniger direkt von der Plaza de Mayo über die vier Bassins des Puerto Madero hin zu den neuen Gebäuden wie zu einer “neuen Welt” hinaus. Damit wurde das Wasser und das Land – der Fluß, der Hafen und die historische wie moderne Stadt miteinander verbunden.

Le Corbusier plante Wohn- und Arbeitsraum in mehreren Hochhäusern aus Stahlbeton für 3200 Menschen. Die Plattform sollte auf Stelzen stehen, der Lehmboden des Flußes war als Trägerstoff hierfür laut Corbusier ausreichend stabil. Die Plattformen sollten begrünt sein.

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Zwei amerikanische Megapolis: In Nordamerika New York mit seiner berühmten, unverwechselbaren Skyline und in Südamerika Buenos Aires mit… keiner Skyline.

 

In seinem Plan legte er Wert auf  weitsichtige Verkehrsgestaltung, die er hinter der Plattform anlegte. Nord-Süd-Tangente war für ihn die wirtschaftlich interessante und notwendige im Ausbau, um die Arbeiter und Güter gleichermaßen zum Centrum zu befördern.

Darüber hinaus verlor er nicht das alte Centrum, die Keimzelle der Stadtgründung, die sich um die Plaza de Mayo befindet, aus den Augen. Auch zu diesem kolonialen Boden sollte das neue moderne Buenos Aires in Beziehung stehen, und gewissermaßen mit dem historischen Erbe im Rücken verbunden sein. Le Corbusier hat bereits damals darauf hingewiesen, dass die alte Stadt des Anwachsens der Stadtbevölkerung und des damit verbundenen Verkehrs nicht gewachsen sein wird und auch keine Möglichkeiten hat, sie menschenwürdig aufzunehmen… Seine Hellsichtigkeit bewahrheitet sich heute in einer im Individualverkehr untergehenden Stadt.

Doch die Porteños dieser Zeit waren nicht begeistert von den modernistischen Plänen Le Corbusiers. Diese Art der Modernität, das war doch zu viel für sie. Schade, denn so wäre Buenos Aires in die Geschichte der Weltarchitektur eingegangen und hätte einen unvergleichlichen touristischen Magnet gratis dazu bekommen.

 

Puerto Madero heute

Die zeitgenössische radikale Umgestaltung des alten Puerto Madero hat bereits 1991 ihren Anfang genommen – Partnerstadt und Beraterin war dabei Barcelona. Zu diesem Zeitpunkt hat die Lokalregierung 16 Gebäude auf die Liste der schützenswerten Objekte gesetzt, die es sowohl in den Fassaden als auch in der Innenausstattung zu respektieren galt, um so das historische Puerto im modernen Stadtbild zur Erinnerung zu erhalten. Die Ostseite der Becken war offenbar stärker in Mitleidenschaft gezogen gewesen, so hat man beschlossen, fast alles noch vorhandene abzureißen und die riesigen Areale zur radikalen Neugestaltung freigegeben. Die wenigen geschützten Gebäude auf dieser Seite unterlagen ganz offensichtlich nicht den gleichen strengen Auflagen. So gestaltete Philip Starck das einzige nicht abgerissene Lagerhaus zu einem Luxushotel um. Stand auf der Westseite die vorsichtige Renovierung und Konservierung der historischen Gebäude im Vordergrund, so versuchte man offenbar der – seien wir ehrlich – Eintönigkeit durch berühmte Namen der zeitgenössischen Architektur entgegenzuwirken, mit Philip Starck, Santiago Calatrava und seiner Brücke, oder mit Rafael Viñoly, der ein Museumsgebäude kreierte. Tatsächlich ist nicht alles nur schlecht, was das reichste Viertel von Buenos Aires an zeitgenössische Architektur zu bieten hat. Doch die alles beherrschende “Modernität” macht diese bloß zu einer Massenware.

Wer einen virtuellen Besuch der klassisch-modernen und zeitgenössischen Architektur von Buenos Aires unternehmen möchte, dem empfehle ich folgende Internetseite “Modernabuenosaires”.

Die Bebauung der ersten Phase wurde noch von der Idee des Zitats oder der Anlehnung an die noch vorhanden alten Gebäude getragen. Am auffälligsten zeigt sich das in der relativ niedrigen Höhe der Bebauung. Ganz anders hingegen verfährt die zweite, noch andauernde Phase des Ausbaus. In unserer Zeit herrscht der entfesselte Boom des Hochhauses. Eine städtebauliche, ästhetische Gesamtidee ist nicht erkennbar und wahrscheinlich gar nicht gewollt. Obsolet scheint die Vorstellung, die Le Corbusier von einem Gesamtkunstwerk oder einer architektonischen “Landschaft” umtrieb. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die zweite Bauphase wird ausschließlich durch die Idee des Geldes, das man pro gebaute Etage erwirtschaften kann, getragen.

Fragt man danach, ob der Masterplan der Revitalisierung des alten Puerto gelungen ist, so wird man von den meisten Porteños sicherlich positive Meinungen zu hören bekommen. Ökonomisch betrachtet, ist diese Art der Gentifizierung eine durch und durch rentable Angelegenheit. Gewonnen haben wie immer die Investoren, denn es gibt in Buenos Aires keinen teureren Gewerbe- und Wohnraum als hier. Besehen aus der Sicht der schützenswerten, historisch bedeutsamen innerstädtischen Orte ist die vorsichtige Renovierung der alten Warenhäuser auf der Westseite des Puerto gelungen, was jedoch relativiert wird durch den beinahe totalen Abriss der alten Bausubstanz in restlichen Hafenarealen. Am gravierendsten wird die gute Idee der Erinnerungskultur in der vollkommenen Mißachtung der Proportionen in der weiterhin andauernden zweiten Bauphase. Die Dominanz der Wolkenkratzer verändert den Eindruck und die ursprüngliche Stimmung des Puerto auf eine beinahe unnatürliche Weise, die ursprünglich durch die alten erhaltenen Bauten erzeugt bzw. bewahrt werden sollte. Angesichts der ungebremsten Bauwut wirken die erhaltenen Kräne, die alten Warenhäuser, ja selbst die alten Bassins wie niedliche Anekdoten aus einer längst vergangenen Welt, die ihrer historischen Realität enthoben und zu einem Miniatur-Disneyland werden.

Es sei am Rande angemerkt, dass die Elendsviertel, die casas miseras, weiterhin inmitten der Stadt zu finden sind – um den Bahnhof herum lassen sich nicht nur vielen Baracken sondern ganze Elendsbezirke ausmachen. Selbstverständlich liegen diese nicht im Sichtfeld der Bewohner verglaster Fassadenhochhäuser, wobei man sie aus vielen Appartements und Büros eigentlich sehen müßte.

Ob diese Modernität im Sinne von Le Corbusier wäre?

 

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Auf der Ostseite, gegenüber den alten Lagerhäusern, liegt nicht nur die neue Marina, sondern auch eine Reihe gleichgestalteter, verspiegelter Häuser. Im allerersten Haus in dieser Reihe ist ein Museum untergebracht (entworfen von Rafael Viñoly), dessen private Sammlung sehr schöne Einzelexponate hat. Bspw. ein schönes Bild von Peter Brueghel d.Ä. Doch es tröstet nur wenig über die eintönige Gestaltung der Ostseite hinweg, und über die verschwundenen Industriebaudenkmäler.

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Kräne als Zitate.

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Die sogenannte Frauenbrücke von Santiago Calatrava, benannt nach dem Weltfrauentag, an dem sie 2005 eröffnet wurde. Eines der wenigen denkmalgeschützten Gebäude auf der Ostseite ist das Silohaus, das man in der Verlängerung der Brücke links im Foto sehen kann, erkennbar an den Rundungen der Silofassade. Das Gebäude befindet sich, angesichts des protzenden Geldes ringsherum, in einem erbarmungswürdigen Zustand. Und ist gleichwohl ein Symbol für die Einfallslosigkeit vieler zum Masterplan zugelassenen Architekten. Wo die alten Formen der alles überglasenden und überspiegelnden Idee der heutigen Architekten Wiederstand leisten, versagt ihre Phantasie. Das Haus harrt wohl einer Gesetzesänderung, um legal abgerissen zu werden… oder man traut sich doch noch, einen guten aber weniger bekannten Architekten zu engagieren.

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Gut erkennbar die zwei Bebauungsphasen: die erste mit verhaltenen Hochhäusern, die zweite mit überschießenden Wolkenkratzern.

 

P.S.

Wer sich für das einzige Werk von Le Corbusier in Argentinien interessiert, der mag vielleicht dieses Video sehen. Es handelt sich um das Haus, das Le Corbusier für den argentinischen Arzt Curutchet in La Plata unweit Buenos Aires entwarf.