Goethe in Venedig
Joanna, 14. 02. 2012

1786, am 28. September, traf Goethe in Venedig ein. Er kam mit einem Schiff (nicht mit einer Gondel) vom Festland, genauer: von Padua aus an! Denn Venedig war damals noch eine echte Insel, ohne feste Verbindung zum Festland. Regelmäßig fuhr ein Schiff den Brenta-Kanal entlang, teilweise von Pferden am Ufer gezogen, in die Lagune von Venedig. Die gesamte Fahrt soll sehr reizvoll gewesen sein: malerische Dörfer, große Gärten, einfache oder herrschaftliche Landsitze, Palazzi, die Sommerresidenzen der wohlhabenden Venezianer, reihten sich wie an einer Perlenkette an. Reste davon lassen sich heute noch hier und da sehen. Aber die Fahrt und das erste Erblicken der sagenhaften Stadt im Meer, die auf der Wasseroberfläche zu schwimmen schein, lassen sich nicht mehr nachvollziehen. Enorme Industrieanlagen versperren nicht nur die Sicht, sie verpesten vor allem die Luft und das Wasser, denn als sie gebaut wurden, hat es niemanden in Italien oder Europa interessiert, wo und welche Abwässer, ungeklärt, ins Meer abgelassen werden. Und jetzt hat man sich daran “gewöhnt” – es bringt schließlich Arbeitsplätze und vor allem große Gewinne. Da wo Goethe erwartungsvoll hinschaute und die schwimmende Stadt inmitten einer blau-grünen Fischer- und Vogelidylle erblickte, guckt man beflissen weg … wenn man mit dem Auto über die Brück nach Venedig einfährt sowieso.

Goethes und seiner Zeitgenossen Schiff fuhr in den Giudeccakanal ein, fuhr weiter an der Punta della Salute vorbei und legte direkt am Marcusplatz an. Man war inmitten der Stadt angekommen – und sicherlich überwältigt!

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Venedig, Stadtansicht und Markusplatz, Kolorierter Kupferstich von Matthäus Seutter, um 1750.

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Auch heute fahren Schiffe den Guideccakanal hoch und runter – allerdings kommen die meisten vom Meer her und sind riesige Vergnügungsschiffe Marke “Aida” und schlimmeres. Diese schwimmenden Hochhäuser – man müsste sie aber eigentlich mit Megacities vergleichen – überragen die gesamte Stadt Venedig. Das muß man sich mal vorstellen, was es für die Stadt, für den Kanal und schließlich für auf Holzpfählen liegende Fundamente der Stadt bedeutet! Schon lange machen die Stadtbewohner und verantwortungsvollere Politiker auf diesen Mißstand aufmerksam, erfolglos, denn diese Vergnügungstanker bringen Geld (wem auch immer). Ich bin mir recht sicher, daß kein Bisschen von diesem Geld der Restaurierung der Stadt oder sei es auch nur der Fundamente (damit die Häuser nicht absacken) zugute kommt. Für diese restauratorischen Kleinigkeiten – damit die Stadt noch von den Aida-Urlaubern angefahren wird – kommt wahrscheinlich dann die EU auf.

Es soll fünf Uhr Nachmittags gewesen sein, als Goethe die Insel erblickte oder vielleicht bereits schon betrat. Sicherich sah er sie nicht wie die modernen Vergnügungsfahrer von oben, das heißt auf die Dächer und Köpfe der Menschen herab. Er näherte sich Venedig auf “Augenhöhe” und in eher gemächlicher Geschwindigkeit. Auch hatte er die Sonne im Rücken und damit ein ganz besonderes rötliches Licht auf Venedig. Auch war seine Fahrtrichtung eine andere, nämlich hinaus aufs Meer und gleichzeitig hin zur Stadt! Und er war schwer begeistert, ohne jedoch, wie man zu berichten weiß und bei Julius Vogel (Leipzig 1918)  nachgelesen werden kann, seinen guten Beobachter- und Kennerblick getrübt zu haben.

Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, welchen Tagesrhythmus Signor Goethe auch in Venexia hatte.

Den frühen Morgen (ich stelle es mir als "sehr sehr früh" vor) verbrachte er mit "Beschäftigungen an Iphigenien, des Mittags mit Betrachtungen des Sehenswürdigen in Natur und Kunst, mit Beobachtungen der Menschen, ihres Verkehrs, ihrer Sitten und Vergnügungen, des Abends mit Besuch des Theaters, und selbst der Nachts mit Aufzeichnungen des Gesehenen, Gedachten, Empfundenen zu eigener Erinnerung und zu brieflicher Mitteilung an die entfernten Freunde – nach einer solchen fleißigen Zeitbenutzung zu Vorübung seines Auffassungsvermögens und Gewöhnung seiner Sinne an die vielfältigen Gegenstände seiner Studien fühlt er sich wiederum ergriffen von dem Verlangen weiter zu kommen.” Und reist nach 17 Tagen Richtung Rom ab.

Mit anderen Worten: Zunächst die Arbeit dann das Vergnügen, das er nicht versäumte in Briefen und Tagebucheinträgen festzuhalten. Ein voll und ganz ausgefüllter und durchgeplanter Tag. Ich sollte mir also ein Beispiel an ihm nehmen… Dazu später mehr.

Goethes Eindrücke in Venedig

28. September 1786

Abreise von Padua mit dem »öffentlichen Schiffe«, Laguna Morta, Fusina, Laguna Viva. Abends »nach unserer Uhr um fünfe … Venedig zum erstenmal« Ankunft mit der Gondel.
Markusplatz, Unterkunft in der »Königin von England, nicht weit vom Markus Platz … Meine Fenster gehen auf einen schmalen Kanal [Seitenkanal des Rio Memmo], zwischen hohen Häusern, gleich unter mir ist eine Brücke [Ponte dei Fuseri] und gegenüber ein schmales belebtes Gäßgen [Calle dei Fuseri]«.

[Das Hotel ist abgerissen worden.]

29. September 1786

Canale Grande, Insel S. Giorgio gesehen (nicht betreten). San Marco, die vier Bronzepferde. Dogenpalast, besondere Erwähnung seiner Säulen, vor allem die »auf der Piazzetta«. Goethe wirft sich »ins Labyrinth der Stadt« Rialtobrücke (Ponte Rialto).

30. September 1786

»Markusthurm«, Lido, Spaziergang am Ufer (Riva degli Schiavoni)«.

1. Oktober 1786

»Kirche der Mendicanti« (San Lazzaro die Mendicanti), Spaziergang »beym Rialto«.

2. Oktober 1786

San Giorgio, dort: Carità
Besichtigung der nur teilweise realisierten Gebäudeanlage Palladios. »Antickensaal« (Sammlung Griani in der Libreria di S. Marco, erbaut von Jacopo Sansovino und Scamozzi). Oper à S. Moisé.

3. Oktober 1786

Dogenpalast. Paradies von Tintoretto in der Sala del Maggior Consilio des Dogenpalastes.
I Scalzi (Kirche S. Maria degli Scalzi). La Salute (Kirche S. Maria della Salute), darin Bild: Hochzeit zu Kana v. Tintoretto sowie Deckenstücke v. Tizian.Il Redentore auf der Insel Giudecca. Gesuati, »eine wahre Jesuistenkirche«, »Gemählde von Tiepolo.«
Theatro S. Luca (am Canal Grande).

4. Oktober 1786

Haus Farsetti/Canal Grande. Bilder/Skulpturen: »Kleopatra« (schlafende Ariadne), Mutter Niobe.
Kirche Francessco alle vigne.

5. Oktober 1786

»Arsenal« (Staatswerft, gegr. 1104).

6. Oktober 1786

»des Doge Zimmer« im Dogenpalast. Bilder: »Der Doge Grimani«/Tizian.
Spaziergang am Meer bei Ebbe, Besuch der Friedhöfe (?) »auf dem Lido«, wo »Engländer und weiter hin Juden begraben« liegen.
Theater S. Crisostomo.

7. Oktober 1786

»Pallast Pisani«. Scuola di S. Marco. »Schöne Gemählde von Tintoretto« (aus dem Legendenkreis um S. Marco).

8. Oktober 1786

Palazzo Pisani Moretta. Scuola di S. Rocco (Bilder: Gemäldezyklen Tintorettos). »Judenquartier« (Ghetto).

9. Oktober 1786

»Ich fuhr [über Malamocco, Volta] biß Pellestrina, gegen Chioggia über wo die Großen Baue sind, die die Republick gegen das Meer führen läßt.«

10. Oktober 1786

Theater S. Luca

14.- 16. Oktober 1786

Nachts Fahrt mit dem »Courierschiff nach Ferrara« über »Laguna Viva, Chioggia, poaufwärts, Pontelagoscuro«