Kreta – Wissenswertes & Sehenswertes
Joanna, 21. 04. 2010

Ich erspare mir und dem Leser all jene einfach zu findenden Daten zu Größe, Anwohnerzahl etc. von Kreta und sammle statt dessen etwas über die Herkunft unserer „Gartenzwerge“:

Idäische Daktylen aus Kreta = Dactylii Daei oder Idæi Dactyli: die ersten Bergbauer und unsere späteren Gartenzwerge

[gr. Relief, ca. 500 v.Ch.]

Die kretischen Daktylen (=Finger) sind es nämlich, die auch unsere Sagen um die Zwerge mit ihren schlappigen großen roten Mützen mitgestaltet haben.

Die Daktylen kamen aus Kreta, genauer aus dem Ida-Gebirge, daher ihr Beiname „Idäisch“,  und waren später sagenumwobene Bergleute. So zumindest die eine Variante ihrer vielfältigen Sage, der ich kurz nachgehe möchte.

Bei den Daktylen handelte es sich jenseits der Mythen wahrscheinlich um kleine, gut gebaute Menschen/Männer, die im Dienste der Könige und Fürste standen. In den Mythen werden sie u.a. zu dienstfähigen Dämonen oder Zauberwesen und kleinen Göttern, die wiederum im Dienste der Mutter-Göttin Rhea standen. Um sich ein wenig in dem Wust der griechischen Mythologie zurecht zu finden, ist es nicht unwichtig zu wissen, wie Rhea zu Kreta steht: Sie ist die Tochter der Ur-Mutter aller Götter, Gaia und des Himmels, Uranos. Rhea ist somit eine der Titaninnen. Geichzeitig ist sie die Ehefrau ihres eigenen Bruders Kronos, der seinen Vater Uranos entmannte, und die Mutter von Zeus ist. Sie gebahr Zeus auf Kreta und versteckte ihn vor seinem Vater, der seine eigenen Kinder verspeiste (damit sie ihn nicht entmachten), in einer der Ida-Berghöhlen (heute zu besichtigen). Das heißt, sie versteckte ihn in eben jenen Höhlen, in denen auch die Daktylen wohnen oder arbeiten sollten. Vielleicht sind sie es auch, die sich um den kleinen schreienden Zeus kümmerten, damit der Vater Kronos ihn nicht hörte (sie veranstalten Lärm), fand und verspeiste, was er auch nicht tat.

Zu Rhea gebe es einiges Interessante zu berichten, da sie häufig als Dreieinigkeit auftritt, und wahrscheinlich einige andere matriarchalische Göttheiten in sich vereint, darüber hinaus auch eine Rolle in der modernen Psychoanalyse spielt (neben der Entmannung natürlich).

Zurück zu den Daktylen in den Ida-Höhlen: Ihr Name gilt als Schlüssel für ihre Herkunft und ihre Aufgaben. Der Interpretationsmöglichkeiten gibt es viele, warum sie „Finger“ hießen. Strabo, unser antiker gr. Geschichtsschreiber und Geograph, berichtet schlicht, sie hießen so, weil sie die Berghänge bebauten (mit den Händen/Fingern arbeiteten). Sie sollen auch die „Urkreter“ sein.

Als Zauberwesen sind sie in der Mythologie eng mit der Erfindung der Erznutzung, der Erzschmelze und der Tätigkeit des Schmiedens verbunden, derer die Minoer – die erste und das „goldene Zeitalter“ einläutende Herrscherkaste (ein Matriarchat) – so sehr bedurften. Sie sind möglicherweise, wie andere Quellen vermuten, mit den Minoern nach Kreter eingewandert.

[vgl. unter: http://www.textlog.de/40724.html]

Tatsächlich gilt Kreta als das Land der frühsten Eisenerzgewinnung und Verarbeitung. Für den Bergbau – wie überall später auch – bedurfte man zuerst kräftige Männer, die aber von kleinem Wuchs waren, in Europa bis ins 19. Jh. hinein waren es bspw. auch Kinder, die sich in den engen Flözen (Abbauröhren und -adern) besser bewegen konnten und weniger Abraum produzierten. Man muß sich diese kleinwüchsigen Arbeiter als mit einer ledernen Schürze und mit einer mit Schafswolle ausgestopften Zipfelkapuze (als Kopfschutz vor Verletzungen) bekleidet und einem Öllämpchen und einer Kreuzhacke ausgestattet vorstellen. Für unkundige Beobachter müssen sie wie von Zauberhand unsichtbar gemacht in dem Berg verschwunden sein, in Wahrheit aber in den winzigen Löchern und Schächten von ca. neunzig Zentimeter Höhe und einem halben Meter Breite. In dieser Tätigkeit der ersten Bergleute ist der Ursprung unserer Märchen um die Zwerge und Gnomen zu sehen.

[Handschrift „Aurora consurgens“ (um1420),  ehem. Klosters Rheinau, heute Stadt-Bibliothek Zürich]

Die rote Zipfelmütze ist kulturgeschichtlich die sog. „phrygische Mütze“, die Bestandteil der Zunftkleidung „frühgeschichtlicher zwergenhafter Bergleute [der Idäischen Daktylen] in Griechenland und auf Kreta war“, so berichtet Die Zeit (vom 19.11.1982 Nr. 47, s.u.). Und weiter heißt es dort: “ Die Fingermännchen waren winzig genug, um im Altertum für Fürsten und Herrscher Bergbau betreiben zu können. Sie sollen von Griechenland über den Balkan nach Österreich und Deutschland gezogen sein. In alten Bergwerken in Thüringen und Westfalen fand man Hacken, deren Kupfer mit dem kretischen Kupfer identisch war. Bei Meschede wurden 90 Zentimeter hohe und 35 Zentimeter breite Stollen und Schächte entdeckt.“ Die „phrygische Mütze“ übernahmen die Kreter wahrscheinlich von den Phrygern, einem indoeuropäischen Volk, das im 8. Jh. v. Chr. in Anatolien ihr Reich gründete.

Die bronzezeitliche Kultur um 4500 v.Chr. bedurfte bereits Unmengen an Edel- und Halbedelmetallen (entspr. den archäologischen Funden, auch als Grabbeigaben) und Kreta war nicht übermäßig reich an diesen Rohstoffen. So wanderten die Kreta, das heißt die Daktylen (Fingermännchen, Däumlinge, Zwerge), nach Asien und ins nördlich-östliche Europa aus, um von da aus die Erze zu liefern.  Prof. Heinrich Quring (Geologe, Mineraloge, ehem. TU Berlin) konnte zahlreiche Bergwerke nach kretischen Muster auf gr. Festland, auf dem Balkan, in den Karpaten, in Sachsen und Thüringen und im Hochsauerland in der Zeit von 2000 bis 1900 v.Chr. nachweisen.

Daktylen sind also als die Vorfahren oder die ersten Kumpel zu sehen?

Mythologisch sind sie die Anverwandten des von dem Vater Zeus oder der Mutter Hera verschmähten Sohnes und Schmiedegotts Hephaistos (Hephästos). Seine ägyptische Entsprechung, der Gott Ptah (der Weltbildner, Erderschaffer und Bergwerksgott), wird auf einigen Darstellungen von kleinwüchsigen Bergleuten begleitet. Und da diese Männer Edelmetalle förderte und sicherich die entdeckten Metallmienen eifersüchtig hüteten auch Neider und ‚Fremdenhasser‘ produzierten, so sind die europäischen Sagen und Märchen voll von guten und bösen Zwergen, die sagenhaft reich sind oder Schätze horten und vergraben (in Bergen und Höhlen natürlich).

Übrigens…

Auch eine „phrygische Mütze“ zeigt Giovanni Bellini auf dem Gemälde „Der Doge Leonardo Loredan“, der den „Corno“ (Horn) trägt (um 1501, National Gallery, London). Tatsächlich waren die Dogen in ihrer Machtausübung so klein wie Zwerge… dafür aber prächtig ausstaffiert.

„Die phrygische Mütze, das revolutionäre Zeichen überwundener Kultureselei. Denn König Midas schuf diese Mütze, um die ihm vom Gotte Dionysos verpassten Eselsohren zu bedecken – eine pädagogisch wertvolle Maßnahme, weil der König auf diese Weise ständig daran erinnert wurde, wie arm im Geiste und schwach am Charakter der Wunsch von Menschen ist, es möge alles, womit sie zu tun haben, sich in Gold verwandeln, und jede Unternehmung zur Gewinnmaximierung führen, weil das Maß aller Dinge das finanzamtlich eingeforderte Gewinnstreben sei.“ Bazon Brock, Asketen des Luxus, Gründung eines Konvents der goldenen Eßstäbchen

Und auch der Versmaß „Daktylus“ kommt von diesen ersten sagenumwobenen Bergleuten aus Kreta: sie sollen in der Kunst der Erzgewinnung und Verarbeitung auch deren Rhythmus gefunden haben: „Der Daktylus (gr. δάκτυλος, dáktylos, „Finger“) bezeichnet in der Metrik einen Versfuß und auch ein Metrum aus hintereinander einer schweren (langen) und zwei leichten (kurzen) Silben (vier Moren)“, soweit Wikipedia dazu. Die Homer zugeschriebene Illias, das älteste schriftlich verfaßte Werk Europas, ist in diesem Versmaß verfaßt.

Literaturquellen

Vgl. unter anderem:

„Gold und Gartenzwerge“, in: Rainer Karbe/Ute Latermann-Pröpper: Kreta – Anders Reisen, 1986;

Heinrich Quring: „Geschichte des Goldes“, 1948;

Artikel in der Zeit vom 19.11.1985;

Thomas Brinkmann: „Der Gartenzwerg in seiner historischen Erscheinung“ [eine gute Zusammenfassung auch in Bezug auf die Kretischen Bergleute und die späteren Sagen];

Das sehr interessante Buch von Karl Hoeck (Prof. der Uni Göttingen), das es online zu lesen gibt unter (S.277 ff.):

Und hier: