Als wir am 31.12.2020 Suakin im Sudan anliefen, um auf dem Weg von Indien durch das Rote Meer uns mit Diesel zu ‚verproviantieren‘, hatte ich von dem Ort keine Ahnung. Wir waren hier tatsächlich nur auf der Durchreise, und hatten keine Ambitionen, ganz entgegen unserer sonstigen Reisegewohnheiten, länger zu verweilen. Als wir die Altstadt von Suakin auf unserem Weg zum Ankerplatz passierten, war ich ob der sich mir bietenden Ansicht schockiert. Gab es hier einen Krieg? Bürgerkrieg? Ich war nicht auf Suakin eingestellt.
Wechselvolle Geschichte einer Prachtstadt
Ja, Suakin hatte sowohl Kriege als auch einen Bürgerkrieg erlebt. Doch das, was sich unseren Augen bot, war eine andere Art der Zerstörung, die man menschliche Dummheit nennen könnte. Desinteresse, Ideenlosigkeit, Selbstaufgabe – alles Namen, die gleicherweise die Schuldigen an der Zerstörung der einst wichtigsten Hafenstadt am Roten Meer.
Die Stadt wurde von Händlern auf einer Insel gegründet, bekannt war sie schon seit dem 4. Jh. v. Chr. als die alten Ägypter hier ihren Handelsumschlagplatz hatten. Strategisch ist die Stadt auch bestens platziert, sehr geschützt und auf halben Wege zu allen Ecken des Roten Meeres. Auch in den folgenden Jahrhunderten zog die Stadt unter anderem reiche Sklaven-, Elfenbein-, Straußenfedern- und Gewürzhändler an, die sich hier niederließen und prächtige, schon damals dreistöckige Häuser und Kontore bauten. Im frühen Mittelalter siedelten hier auch äthiopische Christen, Massen an Menschen unternahmen von hier aus ihre Pilgerfahrten nach Jerusalem, später nach Mekka (übrigens bis heute). Natürlich, wenn es um große Gewinne ging, waren auch die Venezianer nicht fern, die sich hier eine Zeitlang niederließen.
Für unsere Reise vom alten Cochin hierher ist die historische Tatsache interessant, dass auch in Suakin die Portugiesen Spuren hinterlassen haben (wenn auch keine rühmlichen und auch keine sichtbaren). Es heißt, 1540 kam Stefano da Gama (eigentlich Estevão, der zweite Sohn von Vasco da Gama und Gouverneur von Indien in Goa) auf seinem Weg von Goa nach Suez, das er anzugreifen gedachte, auch nach Suakin. Er geriet offenbar mit dem Gouverneur von Suakin in ernsthafte Auseinandersetzungen, die dazu führten, dass einige der Gebäude schwere Schäden erlitten und sicherlich auch einiges an Menschenleben, wovon aber nicht berichtet wird.
Fotos aus den 1920er Jahren belegen die Pracht der kulturell weit entwickelten Inselstadt immer noch, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt angeblich bereits zu 80 % verlassen war. Was geschah also zwischen dem 4. vorchristlichen Jahrhundert und dem 20. Jahrhundert, das die Stadt so niedermachte? Vieles natürlich, doch irgendwie auch nichts, was den Abzug der reichen Händler und die totale Verwahrlosung der Stadt erklären würde. Natürlich gab es auch hier (Religions-) Kriege, doch sie zerstörten nicht die Stadt selbst. Der einst bedeutenden Hafen wurde für die modernen Schiffe und Warenlieferungen zu unrentabel, zu klein und zu altmodisch. Doch sein Niedergang war bereits im 19. Jahrhundert vollumfänglich sichtbar, zu einem Zeitpunkt also, als die Schiffe ihn anlaufen konnten.
Weil ich als Vielschreiberin verschrien bin, will ich nun das Gegenteil beweisen und mich nicht weiter über die spannende Geschichte der Stadt auslassen, sondern auf den umfangreichen Artikel bei Wiki verweisen (dieses Mal ist die deutsche Version wesentlich informativer). Hier geht es stattdessen als Foto-Beitrag weiter.
Faszination und Traurigkeit einer Auslöschung
Die ägyptische Nationalbank
Das türkische Projekt der Erneuerung
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Die Anlegestelle und Fischerwohnstätten
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P.S.
Ich kann es einfach nicht lassen. Für Interessierte doch noch ein paar Informationen und Bormots:
Wer sich für Jean Cocteaus Umweltsünden interessiert, der kann die nicht weit von Suakin, das Cocteau ebenfalls besuchte, entfernte ‚Passage‘ im Riff besuchen, die er für seinen Film hat sprengen lassen. Wer kennt noch den Taucher und Meeresforscher der 1950er Jahre, Hans Hass? Ich muss mir unbedingt sein Film „Abenteuer im Roten Meer“ besorgen, den er in Suakins Ruinenstadt drehte. Fotos von der Stadt sollen gleichfalls in seinem Buch „Manta: Teufel im Roten Meer“ (1952) abgedruckt sein. Sein Kammeramann und Fotograf, Klaus Wissel, ist bei Hass‘ Expedition auf dem Xarifa-Schiff in Shaab Anbar bei Suakin 1957 ums Leben gekommen. Herzversagen beim Tauchen…
An der Stadt und der Architektur Interessierten empfehle ich den Artikel von Robert Berg, den man hier auf Englisch lesen kann. Gleichfalls auf Englisch und sehr vielversprechend hört sich das Buch von Jean-Pierre Greenlaw „The Coral Buildings Of Suakin. Islamic Architecture, Planning, Design and Domestic Arrangements in a Red Sea Port„.
Es gibt auch um den Erhalt der Ruinen bemühte Organisationen, doch angesichts des heutigen Zustands befürchte ich, dass hier nichts mehr zu retten sein wird. Dennoch gibt es viele Informationen auf folgenden Seiten:
Archaeological Work at Suakin: eine interessante Seite mit Grundrissen und Karten (auf Englisch).
Mein Favorit mit sehr guten Informationen und Aufnahmen ist Kaushik Patowarys Artikel auf „Amusingplanet.com“. Gleichfalls auf Englisch, aber allein wegen der Fotos eines Besuchs wert.
Hans
Exzellente Fotografie! Natürlich gleichzeitig sehr traurig, aber von einem ästhetischen Potential sondergleichen – man erinnerst sich an La Havana oder Colon, Städte im Zerfall. Doch was wir Westler mit einem romanischen Schaudern toll finden, ist für die Bewohner dieser Orte natürlich bloss Schreck, Leid und Armut. Trotz der Erinnerung, welches architektonische Potential hier mal vorhanden war. So long, friends, keep straight on, soon the Med will be under your keel.
Joanna
Lieber Hans, vielen Dank für dein Lob! Bei so vielen interessanten Motiven werden die Fotos schon von alleine „gut“. Leider war das Licht nicht besonders gut. Und ich hatte auch gar keine Zeit, Lightroom oder Photoshop zu bemühen, um aus den Fotos mehr zu machen :-) Ich bin Kunsthistorikerin und mich macht solche unglaubliche „Verschwendung“ in jeder Hinsicht schon wieder wütend. Denn mit dem Verfall, den man ohne Probleme hätte aufhalten können (ist ja nicht im Krieg zerstört), geht auch die Geschichte dieser Menschen, der Region, der Kultur – schlussendlich die Identität – verloren. Dieses Desinteresse an eigenen Wurzeln ist uns überall in Südamerika aber vor allem in Afrika begegnet. Da kämpfen sie Jahrhunderte um ihre Unabhängigkeit, um ihre eigene Geschichte und Identität und wenn sie diese dann haben, dann wird alles dem Verfall preisgegeben oder sogar nachgeholfen, damit von der eigenen Geschichte nichts mehr übrig ist. Fürs Objektiv könnte ich in Suakin Wochen verbringen… ich bin sehr froh, dass wir den Zwischenstopp dort gemacht haben. Ich hatte ja gar keine Ahnung, welche Geschichte(n) mich dort erwarten…
Herzliche Grüße aus Ismailia – wo wir leider wohl länger auf ein Wetterfenster warten müssen.