Gefährliches Wandern auf La Gomera und alte Bergdörfer: Pastrana, Lo del Gato, Benchijigua

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Wenn man einerseits das Wandern auf einsamen Pfaden bevorzugt und andererseits Höhen- bzw. Fallangst hat, dann leidet man nicht nur doppelt an diesem Handicap, sondern kann sich unvermittelt in einer bedrohlichen oder sogar lebensgefährlichen Situation wiederfinden. Und so war es auch an diesem wunderschönen Sonntag im August auf der Insel La Gomera. Marcel und ich sind zwar ein ganz gut eingespieltes Team bei luftigen Geländesituationen. Dann geht Marcel voraus und hält mich an meinem Wanderstock fest – notfalls auch an der Hand, wenn die Strecke es erlaubt und die problematischen Stellen insgesamt kurz sind. Nico ist dabei keine Hilfe, denn er muss selbst davon abgehalten werden, sich in die Tiefe einer Schlucht hinunterzustürzen. Wie wird es aber sein, wenn Marcel nicht mitwandert?

Der Tag fing schon gut an, als Marcel beim Versuch, das Dinghi an Land zu ziehen, an der Rampe ausrutschte und auf den Rücken fiel. Der Rucksack fing den Sturz etwas auf, aber anschließend musste eine Schmerztablette eingenommen werden, die jedoch die Lust am Wandern nicht wiederherstellen konnte. So kutschierte uns Marcel in den Süden und ließ es sich nicht nehmen, uns eine Route aufzuschwatzen, die so ursprünglich nicht vorgesehen war. Sich darauf einzulassen, war ein Fehler, wir hätten den Weg sonst wahrscheinlich besser gefunden oder zumindest einschätzen können, ob ich ihn denn überhaupt gehen kann. Nun, im Nachhinein ist man bekanntlich immer klug.

Wir wanderten also ab El Cabezo los. Der Name ist Programm, denn “der (Dick-)Köpfige” ist eine Ansammlung von Häusern recht weit oben im Gebirge gelegen, wo zwei tiefe Barrancos zusammenkommen und sich ab da zu einem großen Barranco de Santiago vereinigen.  Und “wir”, das sind Iris und Robert von der SY Marie-Luise, und ich. Endziel der Wanderung ist der höher gelegene Ort Imada, den wir über mehrere Etappen erreichen wollen. Wir ziehen froh und munter die erste Hauptattraktion unser Tour, den Barranco de Benchijigua, entlang. Der Name des Barrancos verweist auf den letzten Ort auf dieser Strecke, den Weiler Benchijigua, der unsere dritte Etappe bilden soll.

Michael Fleck, der Autor der interessanten Reiseführer für die Kanarischen Inseln (veröffentlicht 1990), verspricht idyllische Weiler mit unbefestigten Pfaden als Verbindungswege. Und Marco Polo (redigierte Auflage von 2006) – nicht gerade unsere Wahl unter den möglichen Reiseführern, der uns aber freundlicherweise geschenkt wurde – verspricht sogar einen “wunderschönen Wanderweg” im Barranco und “authentische und sehr ursprüngliche Siedlungen”. Eine ungewöhnliche Steigerung von etwas, das schon ursprünglich sein soll… Man konnte also zurecht gespannt sein, auf das, was die Wanderung zu bieten hat.

Zunächst ging es ein wenig im trockenen Flußbett des Barrancos, anschließend windete sich der Pfad über wenige Kehren nach oben zu dem Dorf Pastrana, das nicht mehr ist als eine Straße und ein paar Casas. “Sehr ursprünglich”, wie Marco Polo verspricht, ist er nicht mehr, aber sicherlich noch sehr authentisch im Vergleich zu Siedlungen wie bspw. Vueltas – unser ‘Heimathafen’, wo Chulugi vor Anker liegt.

Wir durchwanderten den Ort auf schnellsten, mit der Markierung “weiß-gelb” gekennzeichneten Wege, denn wir hatten noch einiges an Strecke vor uns, so dass die Ortsbesichtigung tatsächlich etwas zu kurz ausfiel. Der Wanderweg verlief gemütlich in grandioser Bergkulisse. Schroffe Berghänge des Barrancos linkerhand, alpine Almansichten vor uns, der wilde Barranco unter uns – und immer wieder die imposante Figur des Kegelbergs Roque de Agando (1250m). Da irrte sich weder Herr Fleck noch Herr “Marco Polo” – die Gegend ist unglaublich in ihrer markanten Vielfallt. Aber es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Zeit, wo das Wasser in Kaskaden die Steilwände hinunter rauschte und die Terrassenfelder mit Kaffeesträuchern, Avocado, Orangen und Feigen sowie Gemüse (!) bewässerte, längst oder eher unlängst vorbei ist. Stumme Zeugen des ehemaligen Wasserreichtums sind die weiß ausgewaschenen Steinwände, an denen Wassermassen aus dem oben gelegenen Bosque del Cedro hinunter rauschten. Jetzt wird das Wasser bereits oben ab dem Bosque – die “grüne Wasser-Lunge” der Insel –  aufgefangen und in Plastik- und Metallrohre abgeleitet, die allenthalben aus der Erde herausschauen, und direkt in die am Meer liegenden Ortschaften transportiert. So ‘verliert’ sich kein Wasser mehr in die von den Rohren links und rechts liegende Natur und auch die Terrassenfelder bekommen offenbar nichts mehr ab.

Die Insel ist ‘durstiger’ geworden, jetzt, wo alle auf den Tourismus setzen und dieser geliebte und gehasste Tourist sich bekanntlich täglich und sogar mehrmals mit Süßwasser abduschen will. Und nicht nur das. Mit anderen Worten, einer der wasserreichsten Barrancos führt kein Wasser mehr – und die reichbestellten grünen Terrassen existieren nicht mehr. Grün sind hier die lästigen Schilfrohre, die die endemische Pflanzenwelt verdrängen. Grün sind die Barrancos vielleicht noch im Winter durch den Regen, der dann auch hier fällt, und das Unkraut bewässert. Dieses selbstgemachte Umweltelend stört niemanden, denn das Land gehört immer noch den Großgrundbesitzern und damit auch den kommunalen Politikern. Und diese beiden kommen immer auf ihre Kosten. Ich meine es gelesen zu haben, dass die Wasserrechte weiterhin bei den Großgrundbesitzern liegen. Sie sollen zwar verpflichtet sein, dass Wasser an andere abzugeben, aber sie sind diejenigen, die jene Aufseher bestellen und bezahlen, die die Wasserverteilungen organisieren und bewachen. So sollen sie auf Geheiß die Rohre verstopfen, die das Wasser auf die nicht-eigenen Terrassenfelder führen, so dass zwar dem Gesetz genüge getan wird (das Wasser wird abgegeben), aber nie bei den Leuten, die es brauchen, ankommt.

[auf Wunsch von Roland zuerst eine Übersichtskarte, Wanderkarte 1:35000]

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Teil Zwei

Der zweite Weiler auf unserer Wanderung ist die Ortschaft Lo del Gato – wahrscheinlich eine Abkürzung für Lomo del Gato, “Katzenrücken”. Und wie ein Buckel der Katze duckt sich das Dorf auf der linken Flanke des Barrancos mit seinen verstreuten Gehöften. Es heißt, die Ortschaft läge “vollkommen einsam und teilweise verlassen”, doch so wirkte die frisch geteerte breite Straße und die Tätigkeit an einigen Häusern gar nicht. Wie üppig und oasenhaft muss sie ehemals vor dieser unglaublichen Bergkulisse gewirkt haben, als die Terrassenfelder bewirtschaftet waren und überall das Wasser gluckste! Nun liegt auch hier alles brach, vertrocknet, mit brüchigen Mauern.

Marco Polo berichtet noch 2006, dass sich hier deutsche Aussteiger angesiedelt haben, um in ‘klösterlicher Abgeschiedenheit’ und in sauberer Luft und bestem Quellwasser biologische Landwirtschaft zu betreiben… Ob sie durchgehalten haben? Von entsprechendem Anbau war nichts zu sehen.

Man kann sich gut vorstellen, dass der Weiler ein uralter Ort ist, ehemals bewohnt von den Altkanariern, den Gomeros, den sich später die spanischen Invasoren einverleibten, Wälder gerodet haben, Weizenfelder angelegt und Terrassen gebaut. Wenn man aufmerksam die Gegend (und die Fotos) betrachtet, dann entdeckt man mühelos Ackerfelder in schwindelerregenden Höhen und Steillagen. Alles versteppt mittlerweile – kein Weizen, keine Feigen, keine Wälder. Mit etwas Phantasie kann das vertrocknete Gras für Weizen gehalten werden, so golden-gelb wie es ist. Traditionelle Langhäuser im altkanarischen Trockenmauerbaustil soll es noch hier geben. Wir haben sie nicht gesehen. Der moderne Gomero lässt lieber das gute Erbstück verfallen, und baut daneben ein gesichtsloses aber höheres Haus aus Leichtbetonstein (heißt es so?). Es soll ja nicht für die Ewigkeit sein.

P.S.

Habe auch hierzu nachrecherchiert. Wer die Tour aber ‘unverfälscht’ nachverfolgen möchte, kann diesen Nachtrag einfach überspringen. Gefunden habe ich diese Informationen übrigens auf der Seite (dort auch ein paar Fotos): http://www.oder-havel.de/2014/11/14/das-dorf-lo-del-gato/ Ich zitiere nach der Originalhomepage, es ist eine Art Tagebuch.

“Name: Lo Del Gato, Einwohner: ca. 12 -18 ( 13 bei der letzten Volkszählung 2007), Nationen: 4 (Deutsche(8), Spanier(5), Engländer(2), US- Amerikaner(1)), Tiere: 1 Esel, 1 Muli, 6 Hunde, ca. 20 Hühner, minestens 10 Katzen und natürlich unzählige Gekos, Eidechsen, Skinks etc.; Lage: Süden von Gomera; Leerstand der Gebäude: ca. 50 %, bewirtschaftete landwirtschaftliche Fläche ca. 30 %

Gerüchten zufolge soll die Straße bis zur erwähnten Abzweigung noch immer eine Schotterpiste sein, weil ein gewisser Herr „Olsen“ das so möchte. Schliesslich soll die angeblich älteste Siedlung Gomeras (Benchijigua, welche sich im Besitz von Peter Olson befindet) ihren „abgelegenen Charme“ bewahren. Das geschieht leider auf Kosten der Bewohner von Lo Del Gato. Schlussendlich ist Lo Del Gato, gerade weil es so abgelegen liegt, ein wunderbarer Ort. Beruhigende Stille mit Aussicht auf den Roque Agando, Nachts ein wunderschöner Sternenhimmer, dank der Südausrichtung des Dorfes viel Sonne, und durch die Nähe zum Wald auch genügend Wolken um nicht ständig geröstet zu werden. Die Tage laufen gemütlich ab. Im Gegensatz zum normalen Leben das wir bisher kennen, spielt Zeit hier keine große Rolle.  Man schreibt und recherchiert für das Paraktikum, geht aufs Feld und kümmert sich um seine Pflanzen, schaut an den Wassertanks vorbei (die zur Bewässerung der Terrassen das Wasser auffangen), um zu wissen wie gerade der „Stand“ ist. Die Sachen die zu tun sind werden erledigt und das ist das Wesentliche. Ab und zu hilft man ein paar verirrten Wanderern die mal wieder einem Wanderführer auf den Leim gegangen sind, der sie zuerst quer durch das Dorf schickt und dann mit dem Hinweis „dichter Bewuchs“ in ein Cañada führt, dass ganzjährig (genau wegen des Bewuchses) nicht zu durchqueren ist.

Was Lo Del Gato und Umgebung ebenso prägt wie die Ruhe, ist der stetige Verfall der einen Umgibt. Die Hälfte aller Häuser steht leer und viele sind bereits zu Runinen verfallen. Dem Großteil der Terassen, die früher alle landwirtschaftlich genutzt wurden geht es ähnlich. Das liegt nicht unbedingt daran, weil so abgelegen kaum jemand Wohnen möchte.

Oft gehören diese „Ruinen“ oder Häuser mehreren „Erben“ der ehemaligen Dorfbewohner. Diese verlangen für 4 Terassen, von denen bei Zweien die tragenden Natrursteinmauern eingestürzt sind und außerdem 100m² Ruine ohne Dach, einen 6-Stelligen Eurobetrag.

Ähnlich sieht es auch oberthalb von Lo Del Gato aus. Dort liegt das bereits erwähnte Dorf Benchijigua. Ein Dorf mit schönen Häusern und Flächen für landwirtschaftliche Nutzung. Aber ohne menschliche Bewohner. Noch weiter oben in südwestlicher Lage stehen mitten in den Bergen noch weitere verlassene Häuser. Aber gerade diese leicht morbide Atmosphäre, zusammen mit der wunderschönen Natur und der Ruhe vor der menschlichen Zivilisation üben eine Anziehung aus, die man allgegenwertig spürt. Jedenfalls gefällt es uns hier in Lo Del Gato sehr gut. Das merkt man vor allem daran das unsere Forschungsprojekte sehr gut vorrankommen. Aber dazu gibt es beim nächsten Blogeintrag mehr.”

Und hier ist die Blog-Adresse mit Videos und anderen Berichten aus und um den Barranco (so viel Rechercheglück habe ich sonst selten): http://www.oder-havel.de/blog/

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Teil Drei

Heiß und heißer wurde unserer Weg, der sich zwar sehr gemächlich aber ohne Schatten nach oben schraubte und schließlich in Benchijigua auf ca, 580 Höhenmetern vorläufig endete. Hier muss es früher (und das nicht vor allzu langer Zeit) schöne Eukalyptus-Haine gegeben haben! Jetzt zeugen nur stumme schwarze Brandopfer von der ehemaligen Naturpracht dieser oberen Bergregion. Auch vereinzelte Feigen- und Mandelbäume lassen erahnen, dass Herr “Marco Polo” noch 2006 recht hatte.

Ich las, dass der gleichnamige Barranco, den wir gerade durchgewandert haben, als Naturschutzgebiet deklariert wurde. Das ist so nicht richtig. Eine winzig kleine Zone hat man oberhalb von Benchijigua als Naturschutz ausgegeben. Vor Brandzerstörung hat es leider nicht bewahrt. Dieser Ort ist wegen der bizarren Felsformationen und seiner Lage zu Füßen des Roque de Agando sicherlich etwas ganz besonderes. Mich wundert es, dass in dieser ungewöhnlich geformten und vor ca. 10 Jahren auch noch so wasserreichen Gegend sich keine Zeugnisse der Altkanarier erhalten haben. Keine Kultplätze, keine Höhlensiedlungen, keine Speicher etc. Ich finde das sehr ungewöhnlich, denn die gesamte Gegend verlangt geradezu nach kultischer Anbetung. Augen auf – vielleicht lässt sich etwas finden.

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Wir picknickten nicht wie vorgehabt an der Ermita de San Juan, die in der brütend heißen Sonne lag, sondern vor einer Art “Sozialgebäude”, etwas zwischen Schule, Gemeindehaus und Wohnheim für Landarbeiter (in Deutschland wäre es Flüchtlingslager geworden). Dieses relativ neue Gebäude war bereits verfallen und eine unerlaubte ‘Besichtigung’ der mehr oder weniger offenen Räumlichkeiten brachte eine Art Gemeinschaftswaschraum oder Küche (?) und einen großen Elchkopf zutage. Vor dem Gebäude konnte man noch eine ‘profanisierte’ Quelle anzapfen: Wasser aus dem Metallrohr, das im alten Wasserkanal schlecht verborgen lag.

Der Standort der Kirche machte mir Hoffnungen auf mögliche Relikte der altkanarischen Kultur. Ganz offensichtlich gibt es in der auffälligen Gesteinsformation oberhalb der modern aussehenden Kapelle noch Wohnhöhlen. Doch fühlte ich mich nicht in der Lage, diese Krakselei auf mich zu nehmen. Interessante ‘Menhier-artige’ Aufbauten auf dem Plateau vor der Kirche haben sich als wahrscheinliche Wetterstation oder sonst was anderes, modernes entpuppt, das wie eine Kreuzung zwischen Kamin und Taubenschlag aussah (s. Foto). Dass die örtliche Situation vor möglicherweise noch wenigen Jahren anders ausschaute, davon zeugen natursteinausgelegte Stellen im Plateau. Vielleicht ein Tagoror, später zum Kirchvorplatz oder Dreschplatz umgestaltet?

Sogar der touristisch-dünne Marco Polo bezeichnet den Ort als das “traditionsreiche Bergdorf” der Insel, ohne jedoch weiter darauf einzugehen. Und Herr Fleck berichtet in seinem Buch von 1990:

“Streusiedlung mit alten Backöfen und Dreschplätzen. Diese Gemarkung sollte durchwandern, der in Landschaftsform und Art Außergewöhnliches sucht. Da sind die gewaltigen Vulkanschlote Roque Agando, Trachyt- und Basaltsäulen, Ojila und Zarcita. In ihrem Umkreis, […], wieder dichter Nadelwald, blumenumsäumte Pisten hin zum großartigen Lorbeer-, Pinien- und Eukalyptusbäumen. […] Das ist erlebenswert.” (S. 48)

Nur zwanzig Jahre später: Wo ist der dichte Nadelwald, wo die blumengesäumten Pisten, wo die anderen Bäume geblieben? Nun ja, die einen offensichtlich in den letzen Jahren noch schnell gerodet, die Piste verbreitert und asphaltiert und die anderen Bäume vor ein paar Jahren verbrannt.

Die Landschaft in ihrer großartigen Dimension jener schroffen Felsen und Barrancos blieb dennoch erhalten. Übrigens, das was ich hier als Berge (Roque) und Felsformationen bezeichne, sind in Wahrheit – so wie Herr Fleck sie auch korrekt benennt – erstarrtes Vulkangestein, das vor Millionen von Jahren aktive Vulkanschlote ausfüllte. Die Vulkanflanken sind erodiert und damit zumindest für Nichtkenner der geologischen Materie unkenntlich geworden, aber das harte Gestein der Schlote ist stehengeblieben. Das scheint mir auf La Gomera einmalig zu sein.

Von Benchijigua läßt sich jedoch auch noch etwas anderes berichten und wir konnten es mit unseren eigenen Augen bestaunen: Die EU hat hier ausnahmsweise Geld für Kultur ausgegeben! Das müsste eigentlich mit einer ordentlichen Tafel (oder auch zwei oder drei) gewürdigt werden, aber wir fanden nichts dergleichen. Und viel Geld war es wohl auch nicht, oder es ist in den tiefen Taschen der Großgrundbesitzer und kommunalen Politiker versickert. Die EU ließ das verlassene Dorf nach umweltgerechten, modernen Maßstäben renovieren. Es sollte eine Art Vorzeigedorf mit Modellcharakter werden. Vielleicht auch als Anregung für andere Dörfer, die verlassen werden, weil die jüngeren Leute keine Landwirtschaft betreiben wollen. Einem weniger aufmerksamen Wanderer würde wohl nichts ungewöhnliches am heutigen Erscheinungsbild des Dorfes auffallen. Die anderen aber entdecken folgendes:

Vier top restaurierte altkanarische Casas Rurales mit kleinen Vorgärten, Trockensteinmauern, Terrassen, Veranden, proper Blumenbepflanzung, etc. und – unglaublich aber wahr – Straßenlaternen mit Solarzellen. Und da die Piste nun nicht gerade lang ist, stehen die Laternen in ungewöhnlicher Dichte beieinander. Um mehr Häuser vor dem Verfall zu retten, die Terrassenfelder aufzubauen und die Wasserleitung zu ‘renaturalisieren’ (in offenen Trogen wie auf Madeira laufen zu lassen), dafür reichte das EU-Kulturgeld offenbar nicht. Schade. Das wäre eine sinnvolle Investition in die Zukunft einer verlorengehenden Kultur gewesen.

Aber wie die unglaublich positiv denkende Iris richtigerweise anmerkte: Man sollte froh sein, dass man nun vier schöne alte Häuser in guter Restaurierungsarbeit vor sich hat, statt Ruinen wie überall. Wie wahr…

P.S.

Eine Nachrecherche hat folgendes ergeben:

“Das Dorf, am Fuße des Roque de Agando, liegt auf einer Höhe von etwa 600 m und zählt zu den ersten Siedlungen der Insel. Es wurde – mithilfe von EU-Geldern – in eine Modellsiedlung umgewandelt. Diese ist jedoch inzwischen wieder verfallen und nahezu verlassen. Dennoch befinden sich im Ort einige Unterbringungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel einige von Fred Olsen im altkanarischen Stil restaurierte Fincas. Das Unternehmen benannte zusätzlich eine seiner Fähren, das Schnellboot Benchijigua Express, nach dem kleinen Ort. Für Urlauber, die einen sehr geruhsamen Urlaub genießen und ausgedehnte Wanderungen unternehmen wollen, kann die Buchung einer Unterkunft in Benchijigua genau das richtige sein.”

Und schon wieder Fred Olsen – er ist DER Großgrundbesitzer der Insel. Alles, was zu Geld gemacht werden kann, macht er. Und wenn es sich nicht rentiert, dann wird es wieder abgestoßen. Er kaufte in den 1960er und 1980er Jahren die Wasserreservoire und Quellen auf, um damit riesige Tomaten- und Bananenplantagen zu bewässern (beides gehört nicht auf die Insel, weil es zu viel Wasser verbraucht). Als beides nicht mehr so gut in Europa verkauft werden konnten, hat er die Plantagen aufgegeben, und oberhalb von Playa de Santiago ein Touristendorf aufgebaut, mit Golf, Swimmingpools, eigenen Restaurants etc. Wahrscheinlich mit dem Wasser, das anderen fehlt. Das ‘Dorf’ liegt übrigens am Ende der Schlucht.

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Teil Vier

Nach einem ausgiebigen Picknick und einer kleinen Entspannung, wollten wir weiter nach Imada – und so brachen wir ahnungslos und etwas spät auf zu unserer vierten und letzten Etappe. Doch schon paar Meter weiter eine ungewöhnliche Entdeckung: Auf dem Gelände eines ruinösen Bauerhofes finden wir einen Ofen. Nun, an sich nichts besonderes, alle diese alten Casas hatten außerhalb des Haupthauses gemauerte bzw. geschichtete Öfen. Dieser ist aber auffällig anders. Sehr gut erhalten, mit einer in schönem roten Gestein eingefaßten Öffnung, oben war der Ofen mit einer sehr dicken Steinplatte mit zwei Einkerbungen lückenlos verschlossen, und an der Seite war ein Stein eingefügt mit einem akkurat ausgearbeiteten Loch darin, der offenbar als Abzug diente. Die auffällige Einfassung war im Architrav mit einem fein eingravierten Kreuz verziert. Aber das ungewöhnlichste entdeckte ich innen: eine (wie passend) rote Urne!

Da ich zu abergläubisch-katholisch bin, traute ich mich nicht, die zur Seite gekippte Urne aufzurichten bzw. herauszunehmen, um nachzusehen, ob sie tatsächlich voll war. Dazu wurde kurzerhand Robert überredet. Er hatte auch ein zur Urne passendes Hemd an. Gemeinsam stellten wir fest: das Gefäß ist wirklich eine Urne und sie ist randvoll. Womit auch immer, aber wahrscheinlich mit Asche. Der vermeintliche oder tatsächliche Ofen war innen sehr sauber und gepflegt. Größer konnte der Kontrast zu der verfallenen Hütte nebenan gar nicht sein. Wir stellten die Urne zurück und suchten nach paar Blümchen um die Geister zu besänftigen. Diese Aufgabe der ‘Grabverschönerung’ ließ sich nicht ohne weiteres erfüllen, da überall nur sonnenverbranntes Gestrüpp existierte. So mussten einigermaßen grüne Disteln ausreichen. Wir hofften dabei, dass wir uns keinen Fluch an den Hals holten (ich hoffte es jedenfalls) und malten uns mit viel Phantasie aus, wer da ‘beerdigt’ wurde… Schließlich hat es in dieser Gegend offensichtlich gebrannt… Wurde Feuer mit Absicht gelegt? Ist jemand dabei umgekommen? Uns vielen aber auch noch andere, weniger seriöse Ideen ein.

Was es mit diesem Haus und dem ‘Ofen’ auf sich hat, wir wissen es nicht – jeder Hinweis und weitere tiefergehende Recherche zum Ort sind willkommen!

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Nach dem Urnenfund ging (fast) alles schief. Zufall? Möglicher- aber nicht notwendigerweise.

Der anfänglich noch schöne Weg unmittelbar nach der Hausruine, der uns abwärts führte, entpuppte sich recht bald als ein sehr steiler Weg aufwärts – und ich sage es gleich, die wenigen nachfolgenden Fotos können das gar nicht vermitteln. Zwischenetappe, nämlich ein Sattel (Iris dachte, es wäre eine Brücke), ist rechts von den schroffen Bergformationen, die die Bergflanke links im Fotos (s.u.) abschließen.

Oben auf dem Sattel angekommen, war mir – spätestens da, aber eigentlich schon vorher – klar, hier komme ich ohne Hilfe keinen Zentimeter weiter. Denn hinter dem Sattel eröffnete sich uns ein grandioser Blick … nicht nur auf das gelobte (Ziel-)Land Imada mit der rettenden Bar und Bier (ganz zu schweigen von dem Auto, Marcel und Nico), sondern auch auf eine weitere Schlucht, die schier unüberbrückbar schien, und wo steilste Wände in die Tiefe von gefühlten 1000 Höhenmetern abfielen. Ich wurde auf dem Wanderweg kurz nach dem Sattel abgesetzt, während Iris und Robert – beide absolut schwindelfrei, die beneidenswerten Segler! – ausschwirrten, um den eigentlichen Wanderweg zu suchen, den wir klar und deutlich auf der Wanderkarte, nicht aber so ohne weiteres in der realen Landschaft ausmachen konnten. Ich versuchte, meinen Blick ausschließlich auf den vor mir liegenden Vulkanstaub zu heften, aber die Phantasie machte Ausflüge auf die steilen und ungesicherten Abhänge.

Nach einer gefühlter Ewigkeit kamen die Wanderboten mit der Nachricht zurück, dass ein Weg, den wir kurz zuvor an einer steilen Stelle passierten, und der über einen anderen Bergrücken nach El Cabezo zurückging, scheinbar einfacher sei, als der, den wir nach Imada suchten aber eben noch nicht fanden. Ich hatte die Wahl zwischen sitzen bleiben und herumzuheulen, oder mich zusammenzureißen und die Passage, die ich auf dem Hinweg nur mithilfe von Robert gerade so eben bewältigen konnte, noch einmal zu gehen. Und natürlich hoffte ich, dass der ‘entdeckte’ neue Wanderweg zurück nach El Cabezo nur streckenweise und wenigstens nicht vollständig schwindelerregend war. Doch ich ahnte nichts gutes, denn der Wanderweg hieß in meiner App Camino de Cabras, was soviel wie Ziegenpfad heißt. Und die Ziegen auf den Kanaren können beinahe fliegen…

Wir gingen los. Iris vorne weg, Robert, mich wie eine Blinde an der Hand führend, dahinter. Es dauerte Stunden um Stunden bei einem solchen Händchenhalten schmale und ausgesetzte Wanderpfade zu begehen. Ich habe Robert von Zeit zu Zeit sicherlich arg die Hand zerquetscht vor lauter Höhenangst. Neben uns taten sich immer wieder Abgründe auf, nur Zentimeter von unseren Wanderstiefeln entfernt (vor allem neben Roberts Füßen, der direkt am Abgrund gehen musste), der Weg war geröllig und rutschig, teilweise durch Wasser ausgespült und eigentlich, wenn man ehrlich ist, unbegehbar, denn es gab streckenweise nur ein paar Zentimeter zum Gehen zwischen der Felswand und dem Abgrund. Aber die Mitwanderer wahren Profis genug, um mich das nicht wissen zu lassen, obwohl ich sehr wohl das ganze Desaster selbst aus den Augenwinkeln (man sieht mehr als man denkt) sehen konnte. Irgendwann hatte ich angefangen zu quasseln, was eine Art Selbstablenkung war. Mit anderen Worten: eine rundum Vollbelastung für Robert. Als dann abgerissene Absperrbänder links und rechts des ’Weges’ flatterten, spätestens dann war uns klar, dieser Weg ist kein Wanderweg! Aber umzukehren ist manchmal schlimmer, als weiterzugehen.

Nach stundenlanger Angst, Händehaltens und Händedrückens dann endlich unten zu sehen: das gelbe Auto mit Marcel und Nico, der uns freudig ein stück weit entgegenlief (Nico, nicht Marcel, der immer noch Rückenprobleme hatte). Wiedersehen und Erleichterung. Wir haben es alle unversehrt geschafft!

Das Fazit: Fotos gibt es von dieser Strecke keine. Wir haben auf dem Sattel etwas gravierend falsch gemacht und unseren wahrscheinlich recht einfachen Wanderweg in das Bergdorf Imada verpasst. Wir alle haben es überlebt, auch wenn es für das Paarweisegehen an einigen Stellen es wirklich gefährlich wurde. Fest steht aber auch, dass ich ohne Robert und das positive Denken von Iris diese Tour ganz gewiss nicht überlebt hätte. Nie wieder wandern! (Bis zum nächsten Mal.) Ach ja, die Landschaft ist grandios.

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ENDE GUT – ALLES GUT!

 

P.S.

Seltsamerweise passierten wir auf dem letzten Wanderstück ein in den Fels eingearbeitetes Erkerchen bzw. einen Schrein (?). Im Grundprinzip ähnlich aufgebaut wie ‘unserer Ofen’, nur dass dieser hier definitiv kein Ofen war und keine Urne vorweisen konnte. Kreuze waren auch nirgends eingeritzt. Verschlossen war es ursprünglich jedoch mit einer Platte, die von oben in die rechts und links der Öffnung ausgearbeiteten Führungsfugen geschoben wurde. Innen drin war nichts mehr vorhanden, aber die Wände waren mit Steinen ausgekleidet bzw. stabilisiert. Wofür diese Vorrichtung ursprünglich gedacht war, wissen wir leider auch nicht. Weitere Informationen hierzu gleicherweise willkommen.

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