Die erste Begegnung mit Argentinien, das ist für uns Buenos Aires geworden. Geplant war das nicht. Eigentlich wollten wir es etwas langsam angehen und uns zunächst der Renovierung des Schiffs in einer uns empfohlenen Marina im Flußdelta widmen. Doch, die Wasserstände im Rio de la Plata waren so niedrig, dass wir nicht weiter kamen. Und kein Mensch weiß es zu sagen, wann das Wasser wieder steigt. Am besten, so heißt es, wartet man auf den Südwind. Der presst dann das Wasser in die Mündung wieder rein…
Und so ist es dann Buenos Aires geworden, wo man zu jeder Zeit den Hafen oder die Marina anlaufen kann. Buenos Aires, oder wie die Bewohner selbst sagen: Bs. As., das ist für uns zunächst der altehrwürdige Yacht Club Argentino, dessen wie ein Leuchtturm gestaltetes Haupthaus uns schon von weitem begrüßt. Das Becken der Marina liegt direkt links vom Haupteingang aus gesehen, nur mit einem gelben Schwimmponton von dem großen Manövrierbecken für Tanker und die gefährliche Fähre nach Montevideo und Colonia getrennt. Warum “gefährlich”? Dazu komme ich später.
Die Marina ist heute umgeben von einem modernen Geschäftszentrum, das aus einer Hochhausskyline besteht. Gleichzeitig grenzt der Yacht Club an das letzte naturbelassene Stück ehemaliger Flußlandschaft, so wie es hier sicherlich noch im 19. Jh. aussah. Dieser kleine Rest ist zum Naturschutzgebiet erklärt worden, auch wenn man nicht zu viel Schutz erwarten sollte. Vielmehr sieht dieses beliebte Wochenendausflugsziel wie eine große verwilderte Parkanlage. Der Eingang wird bewacht, man darf flanieren und Fahrradfahren bis ca. 18:00 Uhr. Danach wird abgeschlossen. Angeboten werden Mietfahrräder, hingegen sind Hunde “wegen Naturschutz” wieder einmal verboten. Si claro, wir sind im spanisch kolonialisierten Teil der Erde. Diese Nachbarschaft wissen wir dennoch an heißen Sommertagen zu schätzen.
Wir wundern uns ein wenig, warum es hier so leer ist. Der Grund könnte an der Fähre liegen, die dieses Marinabecken täglich mehrfach passiert. Es könnte aber auch daran liegen, dass der Club noch zwei weitere im Grünen liegende Dependancen hat. Oder auch am Preis…
Panik und Tränen in der Nacht
Unmittelbar vor der Grünanlage zieht sich eine lange Straße hin – nun ja, in Bs. As sind alle Straßen lang – , die gesäumt ist von Fressbuden jeder Art. Ab 18:00 Uhr und ganz besonders an sonnigen Wochenenden flanieren hier hunderte von Portenos (Bewohner von Bs. As.). Aber auch um die Mittagszeit findet man hier erstaunlich viel Klientel. Das hat seinen guten Grund, denn das Essen ist einfach, typisch, sehr erschwinglich und gar nicht mal so schlecht. Mit ein wenig Suche und Probierlust findet man sogar sehr gutes Essen darunter, nur eines muss man unbedingt mögen: Fleisch! Anschluss an freundliche Portenos ist hier fast garantiert – vor allem, wenn man mit einem Hund unterwegs ist. Allerdings, jede dieser Fressbuden hat ‘ihren’ Hund, der auf Almosen wartet. So ein Revierhund ist nicht immer Nicos Sache.
Diese lange Straße zwischen Naturlandschaft und Schnellstraßen direkt vor den Toren des Yacht Clubs ist der Ort unserer ersten und beinahe tragischen Begegnung mit Bs. As. Doch der Reihe nach.
Zunächst sind wir mit unserem nicht immer einfach verlaufenden Hafenmanöver dieses Mal sehr zufrieden. Gut eingeparkt, angemeldet, die Anlage im hinteren Marinabecken ist simpel aber gut, vom Trubel der Stadt etwas zurückgesetzt, fast wie ein Refugium en miniature. Wir werden das tatsächlich in den kommenden sehr heißen Tagen in Bs. As. zu schätzen wissen. Auf unserer Seite des Clubs gibt es eine einfache Bar, von deren Terrasse man einen hübschen Blick über die Anlage und die Hafeneinfahrt hat. So entscheiden wir am frühen Abend, dort für einen kleinen Snack und Bier einzukehren. Nico soll dieses Mal an Bord bleiben. Da wir sehr weit vom Steg und zudem auch noch mit dem Bug nach vorne liegen – ich kann ohne Marcels Hilfe gar nicht herunterkommen –, lassen wir Nico frei an Deck herumlaufen. Eine bisher bewährte Methode, um ihn ruhiger zu halten, denn dann hält er Ausschau und ist beschäftigt.
Wir machen uns einen netten Abend in der Bar, und irgendwann schlage ich vor, Nico von seiner Wache abzulösen und zu einem ersten Spaziergang in der Großstadt mitbringen. Ich staune, als ich sehe, dass Marcel ohne Hund zurückkommt. Nico war nicht mehr an Bord, meint Marcel, und ich kann es erst glauben, nachdem ich selbst das Boot inspizierte. Tatsächlich, der Hund ist weg und wir haben mittlerweile dunkle Nacht in einer Stadt, in der sich keiner von uns dreien auskennt.
Panik!
Gleich vor dem Tor zu der Marina beginnt die große, schnelle und laute Welt. Die Millionenstadt Buenos Aires mit ihren vielspurigen Straßen, lärmenden Menschen und viel anderen Geräuschen. Einem nach uns suchenden Hund, der immer panischer wird, rechne ich nicht viele Chancen aus. Oder vielleicht ist er ins Wasser gefallen? Hat sich beim Sprung hinunter schwer verletzt, liegt irgendwo unter dem Schwimmsteg eingeklemmt, oder gar ertrunken?
Immerhin haben wir von einem selbsternannten Parkplatzwächter erfahren, dass Nico tatsächlich aus der Marina herausgelaufen ist, die ersten beiden Straßen überquert hat, und auf einem breiten parkähnlichen Mittelstreifen gelandet ist. Ich übernahm die Suche in diesem Freizeit- und Erholungsstreifen, der eingeklemmt zwischen zwei Schnellstraßen liegt. Marcel kümmerte sich um die Gegend um die Marina.
Ich schreie mir die Seele aus der Kehle bis ich am Ende der Straße ganz heiser bin. Ich laufe bis ich das Gefühl habe, nicht mehr in Bs. As. zu sein. Natürlich werde ich bestaunt, einige mögen mich für eine Verrückte halten. Schließlich kehre ich nach ca. fünf Kilometern mit den schlimmsten Befürchtungen um. Ein schwules Pärchen spricht mich an, ob ich denn einen Hund suchen würde? Ich schöpfe Hoffnungen. Aber sie wollen nur nett sein und bedauern mich sehr. Ein anderes Paar hat mehr Informationen, sie haben einen Hund mit einem weißen Halsband gesehen, den hätte ein Mann auf den Arm genommen und ist in die Richtung gegangen, die in die Marina führt. Wir verständigen uns mehr schlecht als recht mit ein paar Brocken Spanisch, Englisch und mit vielen Gesten. Ich schöpfe erneut Hoffnung und laufe zum Boot. Von weitem sehe ich Nico und Marcel. Ich schimpfe nicht. Wir sind alle glücklich und ich muß dieses Mal vor Glück weinen.
Nico hat zwar Schrammen, aber die sind nur Hautabschürfungen, und er humpelt etwas. Und er hat sich den Freigang auf dem Deck verscherzt, denn wir haben kein Vertrauen mehr in ihn. Wissen allerdings nun, dass er vor dem großen Sprung in die Tiefe leider keine Angst hat.
Am nächsten Tag sieht alles entspannter aus. Nur die Stadt, sie bleibt eine typisch südamerikanische Megapolis. Viel viel Verkehr und dieser ist für uns ohrenbetäubend. Hier muss man geboren sein, oder taub, oder unter Drogen, um das ganz gelassen zu nehmen. Der Eindruck ändert sich erst, als wir aus dem Zentrum herausfinden.
Der Club der Segler ,“Yacht Club Argentino”
Nobel war es hier nicht immer. Gegründet wurde der Club am 2. Juli 1883. Zu dem Zeitpunkt und noch lange danach, gab es bloß ein von einer Mole eingefaßtes großes Becken (das ist das heutige Vor- und Manövrierbecken), in dem die Yachten ankerten. Gleichzeitig handelte es sich dabei um den regulären Eingang zu den inneren Hafenbecken, dem Fähranleger und Puerto Madero.
Als Clubhaus dienten zunächst zwei Kutter, “Ariel” und „Nemo“ , die im Tigre-Fluß vor Anker lagen, später kam das eher einfache Haus „Dunskey“ dazu. Am Vorweihnachtstag, 23. Dezember 1915, war es dann soweit. Man weihte das neue, bis heute im Gebrauch stehende Clubhaus am Nord-Dock (Dársena Norte, Puerto Madero) ein. Ein Weihnachtsgeschenk also.
Edouard Stanislas Louis Le Monnier, ein aus Paris stammender Architekt, später renommierter Professor für Architektur in Brasilien, Uruguay und hauptsächlich Argentinien, zeichnete für die Architektur und Ausstattung verantwortlich. Planung und der baldige Bau wurde 1911 aufgenommen, doch es dauerte noch vier Jahre bis zur Eröffnung. Das Clubhaus entwarf Le Monnier im Stil des Art Nouveau, wobei er sich an der Wiener Secession orientierte.
Im Jahr 1930 erfolgten Erweiterungsbauten und schließlich die dringend notwendige Renovierung und Restaurierung von 1995. Heute steht das Haus unter dem Denkmalschutz im Rang eines “Monumento Histórico Nacional”.
Im Jahr 1924 (“Playa Grande”) in Mar del Plata, 1932 (“Hugo Virgilio Tedin”) in San Fernando und im Rio Paraná de las Palmas folgten dann weitere Clubniederlassungen. Stolz ist der Club auf seine berühmten Mitglieder, zwei Regattasegler: den Medaillenträger der Olympischen Spiele (2000, 2012) Juan De la Fuente und die Weltmeisterin María Paula Salerno.
Das neue Clubhaus kurz nach 1915. Auf dem Foto festgehalten der erste ursprüngliche Zustand des Gebäudes.Vieles davon ist bis heute beinahe unverändert so geblieben. Nur die Bäume sind nun an die hundert Jahre älter.
Der Eingangsbereich der Dársena Norte von Bs. As. zum Rio de la Plata hin gesehen. Er ist beinahe unverändert geblieben. Allein, viele der alten Gebäude wurden abgerissen und machten unansehnlichen Zementbauten und den Hochhäusern der 1990er Jahre Platz. Damals – wahrscheinlich in den 1930er Jahren – standen sich zwei interessante Häuser direkt am Eingang zum zweiten Innenbecken gegenüber: rechts das Clubhaus der Segler und links das prächtige Haus der Hydrographischen Gesellschaft. Heute leider abgerissen.
Dort, wo die Segelyachten ankern, hat man nicht nur die Marina mit Schwimmstegen und Bojen angelegt, sondern auch Land gewonnen. An der Stelle der damaligen Mole zieht sich nun ein hoher Wall oder Deich, dahinter liegt neues Land. Vor diesem ‘Deich’ liegen wir mit der SY Chulugi. Dahinter erstreckt sich, wo im Foto noch Wasserfläche des Rio de la Plata sich frei ausbreiten konnte, stehen jetzt Häuser des Clubs der Fischer und eine als Naturschutz ausgewiesene Grünanlage (s.u.).
Yachten schwojen frei im großen Hafenbecken vor dem alten Puerto Madero, das im zweiten Innenbecken den Dampfern vorbehalten war. Heutzutage legt dort die dreckschleudernde Schnellfähre nach Uruguay ab. Im Hintergrund wächst das Buenos Aires zu dem heran, was es heute ist. Aber wie vielschichtig und dynamisch wirkt das damalige Bs. As. aus! Aus dem Meer der Häuser springen nur einige wenige hoch hinaus. Gewachsene Dynamik statt der heutigen Phalanx an verspiegelten Hochhausfassaden.
Für mehr historische Fotos und Informationen (auf Spanisch) siehe hier: http://www.arcondebuenosaires.com.ar/yacht-club-.htm
Das heutige Clubareal mit seiner Bebauung besteht aus zwei Teilen: dem alten mondänen Haupthaus und dem weiter abgesetzten Gebäude der Segelschule, das zwar architektonisch uninspierierter Block ist, aber dafür mit einer lebendigen – und günstigen – Bar aufwarten kann und einen netten Blick über die unmittelbare Hafenszenerie bietet.
In dieser wunderbar stilvollen, im besten Sinne altmodischen Club-Marina durften wir eine ganze Woche umsonst liegen. Wir danken an dieser Stelle dem ahnungslosen Marinero, der uns am Wochenende zu unserem Platz geleitete und – hier kommt’s – uns veraltete Anmeldeformulare in die Hand drückte. Eine Woche Cortesia (freie Nutzung)?! Schnell ausgefüllt und unterschrieben wurden die Papiere mit der falschen Nutzungsangaben dann doch noch von den Offiziellen generös akzeptiert. Eigentlich beträgt die Cortesia mittlerweile nur noch zwei Tage, danach darf man hier und in den Dependancen des Yachtclubs ca. 42 Dollar pro Tag zahlen.
Wir legen direkt hinter dem Eingang an. Das wird uns, oder genauer: unserem Steg zum Verhängnis, denn schon am zweiten Tag erleben wir, wie die ungebremste Kraft einer Schnellfähre, die bereits im Vorbecken auf Vollgas drückt, sich auf das Innenleben der Marina auswirkt: Unserer Schwimmponton wird aus den Verankerungen an den Pollern gerissen, als die Wellenberge der Fährbeschleunigungen bei uns ankommen. Wie man auf dem Foto sehen kann, haben wir dann auch sogleich mehrere Festmacherleinen mit Ruckdämpfern gelegt. Das ist an dieser Stelle sehr ratsam! Besser noch, man verholt ins Beckeninnere und geht an eine Boje.
Beschweren bei den Offiziellen hilft zwar nicht, aber man sollte es dennoch nicht versäumen, schließlich ist der Preis pro Tag doch zu happig, um sich das eigene Boot durch die Rücksichtlosigkeit der Fährführer kaputt zu machen. Denn ungefährlich ist ein solches rüdes Verhalten überhaut nicht!
Wo es ehemals nur niedrige Handelshäuser und Werkhallen gab, wachsen jetzt Hochhauspilze aus dem Boden. Für die einen “schick”, für die anderen “die Pest”. Teuer ist das ehemalige Hafenviertel allemal geworden.
Die irre und gefährliche Fähre von der Bar aus gesehen. Gegen sie wirkt alles winzig. Ich muss an Venedig denken, das so bedroht ist von “Aidas” und Co.
Die Fähre kommt nicht nur in einem aberwitzigen Tempo an, sie kommt auch eingehüllt in die schlimmste Abgaswolke, die ich bisher gesehen – nein, eingeatmet – habe. Aber die Menschen freuen sich dennoch über diese Errungenschaft der Technik, denn nun brauchen sie nur eine halbe Stunde, um sich eine andere Großstadt oder das nette Städtchen Colonia in Uruguay anzuschauen. Dabei könnte man durchaus auch auf kleine, ursprüngliche Fähren umsteigen und für wesentlich weniger Geld ein echtes Fährerlebnis genießen. Die Fähre kostet nämlich an die 50,- Dollar. Nun, man bräuchte allerdings etwas mehr Gelassenheit und Zeit…
Ich bin begeistert vom Clubhaus! Das Herz einer Kunsthistorikerin schlägt schneller – und besser – angesichts soviel erhaltener Originalität und das trotz Umbauten und Renovierungsarbeiten, trotz der allgegenwärtigen Abrisse und vermeintlichen Modernisierungen. Das Gebäude wirkt wie aus den 1910er Jahren und auch die Einrichtung scheint dem Geschmack von 1930er Jahren zu entsprechen. Noble Holzintarsien, zurückgenommene Möbel, schlichte Eleganz in den Clubräumen und Restaurants. Im unteren Bereich der Bar klassisch-opulente Ledersofas und Lederstühle.
Im Nebengebäude dann gleicherweise originäre Umkleideräume und Duschen (mit Bidet) mit grünen Lederpolstermöbel aus der gleichen Ära im Vorraum. Ich bin sprachlos, habe all das für mich allein. Hier bleibe ich länger…
Das Nebengebäude, das mich irgendwie an Worpswede erinnert. Es beherbergt Büro (rechts unten) und die wunderbaren Duschen (oben).
Hier “schlägt” Rolex den Stundentakt.
Argentina, ahoi! Wir kommen.