Pattarumadom Ayurveda Clinic: Ein indisches Refugium am Fluss Manjally

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Ayurveda ja, Spa nein. Ich bin in Kerala, dem südlichsten Bundesstaat Indiens, einer Hochburg des Kommunismus und der jahrtausendealten Ayurveda-Heilkunst. Hier möchte ich ein authentisches Ayurveda-Hospital aufsuchen, keine chice Spa-Einrichtung, die mittlerweile fast überall auf der Welt zu finden ist.

Ein „echtes“ Ayurveda-Hospital in Cochin (Kochi) und Umgebung zu finden, ist überhaupt nicht schwer. Gefühlt tausende von Einrichtungen bieten hier ihre Dienste an. Auch das renommierte Kottakkal, von dem ich im vorhergehenden Beitrag berichtet habe, hat einige eigene große Hospitäler. Doch die meisten liegen inmitten der weitläufigen (in Indien nie endend wollenden) Urbanität der Städte. Ich möchte aber endlich etwas von keralesischem Land sehen! Darüber hinaus haben wir auch noch ein kleines, kompaktes ‚Handicap‘, das Nico heißt und unser Bordhund ist. Hunde sind nirgends besonders gern gesehene Gäste, was ein seltsames Licht auf uns Menschen wirft und uns zuweilen verzweifeln lässt. Ich nehme mir schon lange vor, einen Beitrag zum Thema „Segeln und Reisen mit Hund“ zu schreiben. Vielleicht wird daraus sogar ein ganzes Buch über den treusten Begleiter des Menschen.

Pattarumadom ist nicht nur nicht einfach zum Aussprechen, sondern auch zu finden. Es geht durch kleine Gassen und weiter auf Staubpisten ohne Namen. Überall sitzen Frauen, Kinder und Männer auf den Veranden vor ihren Häusern und schauen uns neugierig an, während erstaunlich viele Hunde, hier leider alle angekettet, unsere Durchfahrt akustisch begleiten.


 Alungalkadavu Road, Mekkadu P.O,
 683 589 Nedumbassery, Kerala
 Tel. +91 94473 26265
WhatsApp +91 94473 26275
www.facebook.com/Ayurveda-Healing-at-Pattarumadom-103951044957650
dr@pattarumadom.com
www.pattarumadom.com
Folge dem roten Pin. Das Pattarumadom hat beinahe eine Insellage, was sein großes Glück ist. Vor Ort glaubt man, die Welt sei noch ganz in Ordnung. Die teils kultivierte Natur umgibt uns vollständig, nur die christlichen Kirchenglocken und die hinduistischen Gesänge zeugen von der Existenz anderer Kommunen in der Nähe. Ein Blick auf Google-Map belehrt uns eines Besseren. Auch hier auf dem Land ist Indien vollgepackt mit Mensch und Haus. Man erkennt aber auch die gewaltigen Ausmaße des naturbelassenen Flusses Manjally, seine vielverzweigten Arme und seine „Augen“, die lagunenartigen Ausbuchtungen. Ich liebe diese gewaltigen Flüsse.

Tempel der Heilung: Pattarumadom Clinic

Pattarumadom Ayurveda Clinic ist ein ganz kleines Hospital, eine „Nursery“, wie es in Kerala heißt. Das heißt eigentlich soviel wie „Schule“ oder „Heim“, aber ich übersetzte es in diesem Kontext mit „Pflegestätte“. Es liegt circa 35 Kilometer nördlich von unserer Bolgatty Marina in Cochin und ist nur 5 Kilometer vom Flughafen entfernt. Pattarumadom Clinic ist sicherlich das einzige Ayurveda-Hospital in ganz Indien, das Hunde aufnimmt! Zwar gingen einige erklärende eMails samt Hundefotos hin und her, aber letztendlich hat der leitende Doktor und Besitzer des Etablissement, Dr. Shaji Varghese, seine Erlaubnis gegeben: Wir dürfen Nico mitbringen! Wie sich später herausstellen wird, haben sowohl seine Frau als auch er und mehr noch, die gesamte Belegschaft, Angst vor Hunden. Dementsprechend haben wir versucht, dieser Angst entgegenzuwirken. Auch wenn Nico nicht alle Herzen erobern konnte, so weckte er auf jeden Fall viel Neugierde und auch einiges an Belustigungen, was schon eine halbe Miete zum Erfolg bedeutet. Sofern uns das sehr dichte Kurprogramm erlaubte, unternahmen wir drei Spaziergänge durch das Dorf und waren schon bald wie ein bunter Hund bekannt.

Die Inder haben wir als sehr (sehr) neugierige und (sehr) offenherzige Menschen kennengelernt, die sofort alles wissen möchten, das schließt sowohl Persönliches als auch Fragen zur Hunderasse mit ein. Auf dem Dorf war das genauso wie in Munar, Ernakulam, Bolgatty oder Cochin.

Wer Einfachheit inmitten einer grandiosen Flusslandschaft sucht, der ist im authentischen Pattarumadom Ayurveda Clinic bestens aufgehoben. Wir haben es nicht bereut, uns in die kenntnisreichen Hände des engagierten Doktors Shaji Varghese und seiner liebenswerten Gattin Shiji begeben zu haben. Die in dem Hospital arbeitenden jungen Frauen und Männer (zwei für männliche Patienten), haben wir als schüchtern, wohl aber als sehr zuvorkommend erfahren. Die Anlage ist innen wie außen einfach, jedoch sehr sauber.

Eigentlich ist die Ayurveda-Klinik ist auf rheumatische und andere Gelenkerkrankungen sowie allerlei Rückenprobleme spezialisiert. Ich habe bisher keine Crux damit, dafür aber eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Ob und wenn ja inwieweit Doktor Shaji mir helfen könnte, wurde per eMail vorab besprochen, was sinnvoll ist, damit man nicht mit falschen Erwartungen im Gepäck anreist.

Ayurveda ist eine holistische Naturheilmethode, der es in gewissem Sinne schnuppe ist, wie man in der westlichen Medizin die Erkrankung nennt. Beurteilt wird zunächst, welche Doshas aus dem Gleichgewicht geraten sind, und was man dagegen tun kann (siehe meinen vorhergehenden Blogbeitrag).

Glückliche Patienten mit den netten Gastgebern, dem Ayurvedaarzt Dr. Shaji Varghese und seiner Ehefrau Shiji. Über uns thront der Gründer dieses Ayurveda-Etablissements, Sri KV Ittyachan Vaidyan, der mit kritischem Blick das Treiben seiner Nachfolger überwacht.
Die hübsche, aber schüchterne Hauptbelegschaft: Links die Grand-Dame der Truppe, die für die Küche, den Gemüsegarten und die Versorgung der Gäste zuständig ist. Sie ist eine alleinerziehende Mutter und sehr stolz darauf, dass sie ihrem Sohn ein Studium ermöglichen kann. Das bedeutet in Indien viel Entbehrungen für eine Frau.
Die drei jungen Damen, die sich um die Säule drücken, sind für die Anwendungen der weiblichen Patienten zuständig. Sie alle schlafen in einem großen Raum in der ersten Etage des Hauses. Freizeit haben sie eigentlich nicht und auch keinen Privatraum. Was sich für uns Westler schockierend anhört, ist in Indien nicht nur normal, sondern auch kein Drama. Inder habe es gerne, eng miteinander zu agieren. Da werden sogar extra Betten oder Matratzen nebeneinander gelegt und auf das eigene Zimmer verzichtet, weil man lieber bei dem Bruder oder der Schwester, Freundin etc. näher dran sein möchte (selbst erlebt!).
Der Seitenflügel mit den besten Zimmern (li.). Einfach aber sehr nett.
Das Haus ist aus den 1960er Jahren, dennoch in einem typischen indischen Stil gebaut, wenn auch nicht so aufwändig wie die alten (leider selten gewordenen) indischen Häuser. Inder mögen große, säulengetragene Veranden im Eingangsbereich und schattige Umgänge. Fast jedes Haus hat eine große, manchmal überdachte Dachterrasse, die seltsamerweise so gut wie nie ansprechend ausgebaut ist. So wird auch hier sehr viel luftiger Raum ungenutzt gelassen.
Freundliche Abendstimmung mit weihnachtlicher Beleuchtung. Wir bewohnten das Zimmer hinter der ersten Säule rechts.
Der Eingangsbereich. Im Hintergrund sieht man den Gemüsegarten und die Einfahrt. Rechts beginnen die Flussauen (nicht im Bild). Ein kleiner Streifen mit Palmen und anderen Bäumen dient uns zum kurzen Spaziergang mit Nico während der Mittagshitze.
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Marcel in traditioneller keraleser Bekleidung. Das um die Hüften drapierte Tuch – immer in Weiß mit farbigen Streifen – heißt Dhoti. Als Hemd trägt er die sogenannte Kurta, hier in kurzer Version und traditionell in Handarbeit und in Blockdruck bedruckt.
Dieser Grünstreifen liegt etwas erhöht über den Flussauen, die sich unmittelbar an die Pattarumadom Clinic anschließen. Normalerweise weiden hier jene großen indischen Ziegen, die Nico wahnsinnig anziehend finden. Die Zuneigung ist einseitig, denn Nico macht um sie einen großen Bogen. Schade, kein Foto vorhanden.
Direkt hinter der Palme beginnen die Flussauen. Halb Weideland, halb Lagune. Hier weiden gerne schwarze Wasserbüffel, die auf meinen Fotos manchmal als schwarze undefinierte Punkte auftauchen. Am Horizont steht eine gewaltige, aber nicht zu Ende gebaute Brücke. Gott sei Dank. Hinter den Bäumen schon das nächste Dorf.
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Kleine Spaziergänge durch das Dorf

Wir haben einige Male kleine Spaziergänge durch das Dorf gemacht. Doch um ehrlich zu sein, waren wir nach all den Anwendungen häufig zu müde, oder der nächste Termin war zu knapp gesetzt, oder es war zu heiß. Ausreden gab es also viele, um einfach auf der Veranda des eigenen Zimmers zu bleiben und den Geräuschen der Natur und den hinduistischen Gesängen zuzuhören.

Dorf ist hier nicht Dorf, wie wir es aus Europa her kennen. Strenggenommen gibt es in Deutschland auch keine „echten“ Dörfer mehr, wie ich sie noch aus meiner Kindheit her kenne. In Indien, zumindest hier in Kerala, bestehen sie aus engen Staubpisten, an denen sich nahtlos Häuser inmitten einer Grünfläche – Garten, Brachland, selten Feld – aneinanderreihen. Geschäfte gibt es nur an der Hauptstraße, während das eigentliche Dorf sich weitläufig in der Landschaft verteilt. An der Hauptstraße sehen wir viele Schilder, die auf „Hotels“ hinweisen. Ich wundere mich darüber immer wieder, bis ich schließlich hinter das Geheimnis komme: Hotels heißen in Kerala kleine Gaststätten, die Frühstück und ein minimalistisches Mittagessen anbieten. Warum sie so heißen, habe ich nicht in Erfahrung bringen können.

Im Dorf gibt es den Wohnhäuser, die so auch in Ernakulam stehen könnten, kleine oder größere Anbauflächen, Kokospalmen und kleine Gemüsegärten. Große Felder, in Reih und Glied bepflanzte Areale wie bei uns in Europa, haben wir nirgends gesehen. Ziegen, Kühe und Büffeln grasen meist angebunden zwischen den Palmen. Es ist still hier und das alleine ist eine Wohltat für die Seele. Keine Autos, kein Gehupe – regelmäßig hört man Glockengeläut und Gesang aus den benachbarten Kirchen, Tempeln und den seltenen Moscheen. Den Muezzin haben wir nie gehört.

An der Hausfassade zur Schaue getragen: neben den von den Hausbewohnern ausgeübten Berufen gerne auch die Religionszugehörigkeit. In Kerala, dem Bundesstaat mit den meisten Christen, sind die Inder stolz, katholisch zu sein. Ihre Präsenz spiegelt sich nicht in nackten Prozentzahlen wider, vielmehr visuell in den sichtbaren Symbolen und den zahlreichen Kirchen, die hier immer blendend weiß sind.
Diese Plantage im Dorf sieht aufgegeben aus. Es handelt sich um Kautschukbäume, doch die Schalen sind leer oder der Latex (die weiße Milch des Baums) eingetrocknet. Vielleicht ist jetzt keine Saison für Gummi?
Die Brücke über den Manjally. Um auf die mächtige, allerdings sehr niedrig über dem Fluss hängende Brücke zu kommen, muss man eine steile und wackelige Stahltreppe nehmen. Der Brückenbau ist ganz offensichtlich aufgegeben worden. Der Brückenbaustopp freut vermutlich nicht die Anwohner, doch all jene, die die Natur lieben. Unvorstellbar, wenn über diesen stillen Fluss die tonnenschweren LKWs, Hunderte von Mopeds und Autos donnern würden. Immerhin bietet die nicht fertiggestellte Brücke einen sehr schönen Ausblick über die Flusslandschaft. Allen umliegenden Dörfern und vor allem der Natur wünschen wir, dass diese dreispurig angelegte Brücke nie fertiggestellt wird.

Man kann hier Stunden verweilen, während die Sonne langsam über dem Fluss untergeht. Wir müssen uns beeilen und den Rückweg eintreten, bevor unsere Gastgeber anfangen, sich Sorgen zu machen.

Die jüngste Geschichte: hoffentlich mit Happy End

Wir möchten in Dr. Shajis Klinik die Zeit zwischen den Jahren 2019 und 2020 verbringen, doch diese Idee hatten offenbar viele, die nun die besten Zimmer des kleinen Ayurvedahauses besetzen. Für uns bleibt nur ein sauberes, aber balkonloses Zimmer in der ersten Etage frei. Überhaupt zeugt das gesamte Haus von großer Schlichtheit und leider nicht dem schönsten Mobiliar, was uns jedoch hier weniger stört, denn die Zimmer sind sauber und werden täglich geputzt. Jeden zweiten oder dritten Tag wird die Bettwäsche gewechselt. Ein Kaftan für die Damen liegt jeden Tag bereit.

Später erzählt Dr. Shaji uns die jüngste Geschichte der Pattarumadom Ayurveda Clinic. Noch vor kurzem stand die Klinik vor der Schließung, doch Dr. Shaji gibt nicht so schnell auf. Etwas bedauernd und etwas belustigt behauptet er, die günstigste Ayurveda-Klinik von ganz Indien zu führen. Möglich ist es, obwohl ich mir in Indien eigentlich (fast) alles vorstellen kann. Dr. Shaji kann von der Klinikeinnahmen allein nicht leben und daher hat er einen zweiten Beruf. Er lebt nicht weit von der Klinik entfernt und betreibt dort eine Fischfarm. Er betreut diese selbst. Vor nicht allzu langer Zeit hat er die Führung des Pattarumadom Ayurveda Clinic einem, wie er selbst sagt, erfahrenen Manager überlassen und war nur in der Funktion des Chefarztes in der Klinik anzutreffen gewesen. Stolz berichtet er davon, dass zu diesem Zeitpunkt mehr als 20 Angestellte und eine zusätzliche Ayurveda-Ärztin sich rund um die Uhr um die Patienten kümmerten. Doch eines Tages hat Dr. Shaji einen Hinweis eines treuen Patienten bekommen: Irgendetwas im Pattarumadom läuft nicht mit rechten Dingen ab. Einst darauf aufmerksam geworden, musste Dr. Shaji feststellen, dass der Manager ihn seit Jahren finanziell betrogen hat. Und nicht nur das, er hatte bereits begonnen, die Patienten für eine von ihm selbst aufgebaute Ayurveda-Klinik abzuwerben. Gleichzeitig begann der Manager, das Pattarumadom herunterzuwirtschaften und den Arzt in Misskredit zu bringen.

Zwar konnte Dr. Shaji diese katastrophale Entwicklung stoppen, aber der finanzielle Schaden war bereits groß. Nach einer Rücksprache mit einem Polizeistellenleiter wurde von einem Gerichtsverfahren und Anklage Abstand genommen. Die Gründe für diese Entscheidung sind vielfältig, sie alle werfen kein besonders gutes Licht auf die indische Justiz, die dem Kläger keine guten Aussichten auf Erfolg bescheinigt.

Das zweite Unglück ereilt das Pattarumadom im August 2018. Heftige und langanhaltende Regenfälle, die man zu den stärksten seit den 1920er Jahren zählt, haben Kerala in eine Katastrophe gestürzt. Dort, wo die Menschen zu nah an den großen Flüssen lebten, kam es schnell zu verheerenden Überschwemmungen. Doch die eigentliche Katastrophe passierte erst, als man die größten der 60 Staudämme, die sich auch noch in Keralas Bergen befinden und – noch schlimmer – von privaten Unternehmen gemanagt werden, von einer Stunde auf die nächste beinahe simultan öffnete. Die Verantwortlichen warteten so lange, bis die Stauseen randvoll waren, in der Hoffnung, es wird nicht am Ende doch nicht so schlimm werden. Dann packte sie die Angst und sie ließen die Dämme öffnen. Man hoffte dann, das Wasser werde sich „irgendwie“ verteilen und schnell ins Meer abfließen. Bei dieser Entscheidung wurden keine Experten zurate gezogen, die diese Hoffnung gedämpft hätten. Das Meer hatte durch die anhaltenden Regenfälle selbst einen hohen Wasserstand erreicht, so dass die herabfließenden Wassermassen keine erhoffte Aufnahme fanden, sondern an der Küste zurückgestaut wurden. Mit tödlichen Folgen für die Küstenorte.

Die Pattarumadom Clinic, obwohl weit genug vom Meer entfernt, bekam die Katastrophe des Rückstaus erwischt. Die rückgestauten Wassermassen kamen den angrenzenden Fluss zurückgeflossen und begruben die Klinik zwei Meter unter Wasser! Das Mobiliar, die Medikamente, die Behandlungsgerätschaften, die Computer, die Küche, der Gemüsegarten … alles stand nicht nur für Wochen unter Wasser, sondern lag anschließend unter faulenden Schlammassen begraben.

Es war für Dr. Shaji und seine Familie sehr schwer, sich aus diesen beiden aufeinanderfolgenden Schicksalsschlägen herauszuarbeiten. Die Belegschaft musste stark reduziert werden, was zu retten war, musste gerettet werden, denn es gab keine finanziellen Reserven für Neuanschaffungen. Dieser Hintergrund erklärt den teilweise provisorischen Charakter der Klinikräume und das nicht immer passende Mobiliar.

Während ich dies niederschreibe, erlebt Kerala und mit ihr ganz Indien und die gesamte Welt eine weitere Katastrophe: die Coronavirus-Krise. Ich hoffe inständig, dass die Pattarumadom Ayurveda Clinic nicht aufgibt und weiter für die Patienten da ist. Wir drei würden gerne wiederkommen!

Das erste Zimmer in der oberen Etage. Nico findet alles sehr gut. Wir vermissen jedoch mehr Fenster.
Das größere Zimmer, das wir später beziehen, ist nicht nur geräumiger, sondern hat vor allem eine Terrasse mit einem grandiosen Ausblick.
Die Schlichtheit ist allgegenwärtig – zu Ayurvedaphilosophie passend.
Ein Hologrammbild: Eine Erinnerung an die frühen1980er Jahre und in Deutschland vielleicht nur noch in türkischen Geschäften zu finden.
Hätten wir mehr freie Zeit, so würden wir stundenlang auf unserer kleinen Terrasse verbringen, die einen faszinierenden Ausblick auf die Flussauen bietet. Doch eine Ayurvedakur ist kein Spaß, sondern viel Arbeit mit eng getakteten Behandlungsterminen.

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Die Heilung in der Schönheit der Natur

Für jede Einfachheit der Inneneinrichtung entschädigt die Landschaft, die mich sofort in ihren Bann zieht. Bis ein Bagger die Schönheit der Natur unterbricht.

Täglich absolvierten wir einen kleinen Spaziergang mit Nico. Mittags ist es zu heiß, um mehr als die unmittelbare Nachbarschaft zu erkunden. Wir passieren das Tor, den noch nicht ganz wiederhergestellten Gemüsegarten, schlendern ein paar Dorfpisten entlang, sagen hier und da Guten Tag oder gehen direkt zu dem kleinen Palmenhain direkt an den Flussauen und erreichen auf dem Rückweg direkt unsere Terrasse. Das ergibt 5-Minuten-Youtube.

Plötzlich erscheint ein Bagger am Horizont und arbeitet sich allmählich durch eine der Wasseradern hindurch bis fast zu uns vor. Ein Verbindungsarm wird nachgebaggert, was uns leider 24 Stunden Lärm beschert und die vielen hier lebenden Vögel zeitweise vertreibt.
Der Bagger inmitten der Flusslandschaft – nicht nur wir beäugen das Ungetüm. Ein 3-Minuten-Youtube Video ist dabei herausgekommen.
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Ayurveda unter christlichen Symbolen

Nach einer ausführlichen Diagnose und Besprechung von über einer Stunde schlägt unser Ayurveda-Arzt eine Behandlungsmethode vor und betont, dass für die Heilung – vor allem bei mir – kaum zwei Wochen ausreichen. Viel wird er in dieser Zeit nicht an den aus dem Lot geratenen Doshas (eigentlich „Problemzonen“, häufiger als „Lebensenergien“ übersetzt, was nicht ganz richtig ist) ausrichten können. Aber er wird sich bemühen. Mit anderen Worten: Wir werden mehr Anwendungen in kürzeren Abständen bekommen als die anderen Patienten, die hier länger bleiben. (Habe über Ayurveda einen kleinen Blog verfasst.)

Minimum sind – und ich kann das nachdrücklich unterstreichen – drei Wochen für alle, die eine ernsthafte Ayurvedakur anstreben und nicht bloß so etwas wie Spa sich gönnen wollen. Nachdem wir uns 30+ Jahre falsch ernährt und selbst schlecht behandelt haben, lässt sich keine Erkrankung auf Natur-ganzheitlichem Wege mit Fingerschnippen und paar Kräuterpillen wieder einrenken. Das leuchtet zwar jedem ein, aber dennoch: Man will seine Gesundheit jetzt und sofort wieder zurück haben. Bei der Genesung stehen uns auch die westlichen Medizingrundsätze im Weg. Seit Kindesbeinen an sind wir an die Versprechen der westlichen Medizin gewöhnt, die eine schnelle Linderung oder gar eine Blitzheilung versprechen, wenn man die richtigen Medikamente täglich einnimmt. Daraus entsteht eine Erwartungshaltung, die mitunter bei der Heilung von Krebs- oder Autoimmunkrankheiten das Scheitern vorprogrammiert.

Bei mir diagnostiziert Dr. Shaji eine schwere Überfunktion von Pitta und Vata, meinen Haupt-Doshas. Marcel hingegen hat nur eine leichte Dissonanz in den Tridoshas Vata, Pitta und Kapha und wird eher wegen Hauterkrankungen und Entzündungen behandelt. Mir prophezeit der Doktor jedoch einen schwierigen Heilungsprozess, der einen wesentlich längeren Aufenthalt erforderlich macht. Das glaube ich sofort, denn meine Autoimmunerkrankung bekommt auch die westliche Schulmedizin schwer oder gar nicht in den Griff. Interessanterweise greifen in Europa immer mehr Ärzte beziehungsweise verzweifelte Patientinnen auf alte Naturheilverfahren zurück, die vor allem auf Verdauung und damit auf die Gesundheit des Darms abzielen, so wie die ayurvedische Medizin es seit Jahrtausenden tut. Bei den Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen hat Ayurveda meiner Ansicht nach noch viel Potenzial, das dringend ausgebaut werden müsste.

Weder Lord Dhanvantari noch Vishnu oder Ganesha empfangen den Patienten in Pattarumadom, sondern eine gut in Szene gesetzte Madonna mit dem Jesuskind.
Rechts und links des Hausaltars befinden sich die Eingänge zu den Behandlungsräumen.
Ein kleiner Einblick in die religiösen, hier katholischen, Gepflogenheiten in der direkten Nachbarschaft zu unserer Klinik. Nico wuselt zwischen den erstaunten Dorfbewohnern. Man beachte die traditionelle, jahrhundert alte Bekleidung der Männer, die aus weißem Dhoti besteht. Dabei handelt es sich um mehrlagige Stoffbahnen, die nach einem bestimmten System um die Hüften geschlagen werden. Typisch für die Keraleser ist das Lüpfen der Dhoti-Umschläge – aber wehe, wenn die Frauen etwas Bein zeigen! Junge Frauen und junge Männer empfinden wir häufig als schüchtern, doch die jungen Trommler können in diesem Fall nicht einfach vor uns weglaufen. 2-Minuten-Youtube.
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Behandlung nach Ayurveda: Wie läuft das ab?

Drei Behandlungsräume, getrennt nach Geschlechtern, erwarten uns in der Pattarumadom Clinic. Die ayurvedischen Anwendungsmöglichkeiten sind so vielfältig, dass ich es aufgegeben habe, mir einen Überblick darüber verschaffen zu wollen. Sie hier dazustellen, würde den Rahmen vollkommen sprengen. Daher präsentiere ich im Folgenden nur eine kleine Zusammenfassung dessen, was wir in Pattarumadom als Anwendungen bekamen.

Eine der wichtigsten Pfeilern der Ayurveda-Heilkunst ist die sogenannte Panchakarma, eine komplexe Zusammenstellung von Behandlungen, die den ganzen Körper erfassen und Umwelt- und Körpergifte ausleiten sollen: Reinigung, Verjüngung, Heilung. Die Anwendungen werden individuell von dem Ayurveda-Arzt zusammengestellt und variiert dementsprechend. Die klassischen Anwendungen, die wir in den ersten drei Schritten verabreicht bekamen, sind: 1) tägliche Massage mit warmen Ölen (Abhyanga), 2) Kräuterdampftherapie (Swedana), 3) Lymphatische Massage, 4) Kräutereinlaufbehandlung (Basti) und 5) Nasenölverabreichung (Nasya). Übrigens, eine vereinfachte Panchakarma kann man selbst zu Hause durchführen. Dazu gehört vor allem die Selbstmassage, Kräuterverabreichungen als Tee, Dampftherapie (fürs Gesicht) und Nasya, die Nasenanwendung.

  • Morgens: Aufstehen mit Chai, zunächst ohne Milch, dafür aber gezuckert mit Jaggery, dem Palmenzucker, oder aus Zuckerrohr. Aufgestanden wird um 6:00 Uhr. Das geht bei mir gar nicht und ich erwirke eine Gnadenfrist bis 7:00 Uhr.
  • Vor dem Frühstück: Einnahme von Kräuterpillen und einer widerlich bitteren Tinktur, die sofort mit viel Wasser nachgespült werden muss.
  • Zwischen Frühstück und Mittagessen, das um 12:00 begangen wird, gibt es eine Anwendung. Dafür zieht man sich in einem separaten (Wasch-) Raum vollständig aus und bekommt einen Lendenschurz aus Papier und Stoff umgebunden. Ein paar Treppchen führen auf die erhöhte Massageliege, dem Droni, wo die man sich zunächst auf den Rücken legt. Es folgt eine ausführliche Ganzkörpermassage mit Sesamöl. Massiert wird nach Geschlechtern, ich von zwei Frauen, Marcel von zwei Männern, und zwar synchron von beiden Seiten gleichzeitig.
  • Ich liege auf dem Rücken auf dem Droni, es ist schummrig dunkel, die alte Klimaanlage summt vernehmlich, der Raum kühlt dennoch kaum ab. Eine kleine Funzel brennt vor dem Hausaltärchen. Ich liebe den warmen Duft des Sesamöls, die routinierten Bewegungen der festen Frauenhände, die mich auf beiden Seiten gleichzeitig massieren. Die jungen Frauen unterhalten sich manchmal über mich hinweg … und ich schlafe ein. Das Prozedere beginnt immer mit der Massage der Schultern, setzt sich fort über die Arme bis hin zu den Fingern, die einzeln „ausgezogen“ werden. Gelenke werden rund massiert, Muskeln lang gestrichen. Das Öl ist warm und je nach Anwendungsart auch mit Kräutern und anderen Tinkturen versetzt. Manchmal bekommen wir auch eine spezielle Massage mit heißen Stempeln, die ich sehr liebe.
  • Am eindrücklichsten fand ich die Anwendung am Tag unserer Ankunft, wo wir nach einer besonders ausgiebigen Massage (auch des Kopfes) mit Litern von warmen Wasser immer wieder abgespült wurden. Es war eine entgiftende und klärende Prozedur als Vorbereitung für alles andere, was noch folgen sollte. Neben verschiedenen Massagetechniken mit unterschiedlichen Tinkturen, Ölen oder Stempeln gibt es auch spezielle Ölbehandlungen der Augen, des Kopfes oder der Nase. Solche speziellen Ölgüsse haben wir nicht verabreicht bekommen, dafür aber steckte man uns eines Tages in eine Art Unterschrank, einer Mini-Dampfsauna, die ich nur unter Aufbringung von sehr viel Disziplin circa 2 Minuten ausgehalten habe.
  • Nach dem Mittagessen dürfen wir uns ausruhen. Das ist während der ersten Tage bitternotwendig, denn wir sind nach den Anwendungen sehr müde.
  • Zwischen 15:00 und 16:00 Uhr gibt es wie früher in Deutschland etwas Süßes und Chai, den indischen Gewürztee mit Milch. Ich bin zwar nicht so sehr ein „Süßzahn“, aber die selbstgemachten Süßspeisen, die auf den Zimmern gereicht werden, haben keine lange Überlebenszeit.
  • Danach folgt die zweite Massageeinheit des Tages, ergänzt durch weitere Kräuterpillen und Tinkturen. Nach jeder Massage wird uns auf die Kopfkrone (Scheitel) eine Paste einmassiert, die nach Ghee richt. Ich stelle mir vor, dass dieses Ritual im Ursprung religiöse Wurzeln hat.
  • Anschließend gönnt man uns eine kurze Erholungseinheit, während Dr. Shaji zusammen mit seiner Frau die tägliche Visite – die zweite des Tages – von Tür zu Tür macht. Und schon ist es 18:00 Uhr und es wird zum Abendessen im Speiseraum geläutet. Wir lernen schnell, dass man nicht lange trödeln soll, denn die Speisen sind manchmal eng berechnet und das besonders Leckere kann schnell weg sein. Hungrig geht aber keiner aufs Zimmer zurück.
  • Yoga ist während der Anwendungszeit kontraproduktiv. Stattdessen soll man meditieren.

Wir sind die ersten zwei Tage lang vollkommen groggy, müde und etwas flau im Magen. Die täglichen Visiten des Arztes nutze ich, um das flaue Gefühl zur Sprache zu bringen. Dr. Shaji ist nicht beunruhigt, denn er sieht darin die Folgen des Entgiftungsprozesses und der allgemeinen Umstellung. Er prophezeit das Verschwinden der Symptome spätestens am vierten Tag. Was auch tatsächlich geschieht.

Schummerig sind sie alle, die sehr einfach eingerichteten Behandlungsräume. Nur die Nilavilakku, das traditionelle Öllämpchen und der Gaskocher, der für die Erwärmung der Öle und Massagestempel benutzt wird, geben etwas Licht ab. Die jungen Frauen, die mit kräftigen und sicheren Händen die verschiedenen Massagen vornehmen, kennen die Griffe wie im Schlaf.
In jedem Behandlungsraum gibt es eine Art Altar mit Glücks- und Segenssprüchen, mit Dhanvantari, der Schutzgottheit des Ayurvedas, oder, wie in unserem Fall, mit Jesus Christus und anderen christlichen Symbolen. Davor steht in Kerala unentbehrliche Öllämpchen, die Nilavilakku, die Gheelampe des Hindus. Die ersten Christengemeinden haben diese Lampen für sich adaptiert und einige besondere Formen entwickelt. Sehr große Nilavilakkus stehen im Eingangsbereichen der Wohnhäuser, Tempel und Kirchen und sind in Kerala allgegenwärtig.
Schlicht und ohne Schnörkel steht hier der traditionelle Behandlungstisch, der sogenannte Droni, der der menschlichen Körperform nachempfunden und den Behandlungsmethoden angepasst ist.
Es heißt, ein Droni ist das wichtigste Werkzeug der ayurvedischen Behandlung. Der Droni sollte per Hand und aus einem einzigen Stück Holz, am besten aus einem heilungswirksamen wie bspw. dem Neem-Baum, angefertigt sein. Ferner heißt es, ein guter Droni muss langlebig sein und bei guter Pflege Hunderte von Jahren halten. Das Öl und die Kräuter, die während der Behandlungen tagtäglich angewendet werden und zwangsläufig mit dem Holztisch in Berührungen kommen, sollen in die Oberfläche eindringen und den Tisch imprägnieren. Auf dieses Weise wird der Droni selbst in den Heilungsprozess eingehen. Unser Droni ist wahrscheinlich aus unbehandeltem Wanga-Holz. Für uns war er gut zwei Wochen lang zwei bis dreimal am Tag für jeweils 40 Minuten unser Ruhebett.
Diese kompakt zusammengeschnürten Päckchen heißen Kizhi, was in Malayalam – der Sprache in Kerala – „Umschlag“ bedeutet. Bereits die heiligen Schriften, die Veden, beschreiben eine Vielzahl von Anwendungen, unter anderem die „Pinda Sweda“: Dazu gehören heiße medizinische Öle und Flüssigkeiten sowie einige Kizhis. Ein Kizhi ist ein Baumwollsäckchen, das nach alten und speziell entwickelten Rezepten sehr dicht mit Kräutern gefüllt wird, so dass er fast steinhart ist. Er wird während der Behandlung immer wieder in warmes (Kräuter-) Öl getunkt und wie ein Stempel auf die Problemzonen oder auf den ganzen Körper gepresst. Bei der Behandlung mit Kizhi wirken Druck, Wärme, Öle und Kräuter zusammen. Sie verbessern die Durchblutung und sollen die Ausleitung von Giftstoffen unterstützen, Stauungen, aber auch Schmerzen und Gelenksteifheit auflösen. Sowohl die Zusammensetzung als auch die Technik der Massage kann je nach Erkrankung unterschiedlich ausfallen. Die Pinda-Sweda-Massage gehört definitiv zu meinen liebsten Anwendungen im Ayurveda.

Ayurvedas größte Medizin: das Essen

Die täglich frisch zubereiteten Speisen sind das A und O der holistischen Ayurveda-Heilmethode. Es liegt auf der Hand, dass hierbei nur Gemüse und Obst ohne Pestizide- oder Herbizidanwendung, ohne lange Transportwege und daher ohne Konservierungsstoffe und Wachse verarbeitet werden. Dieses Optimum war bis vor nicht allzu langer Zeit in Indien noch gang und gäbe. Manchenorts auf dem ‚Land‘ ist es immer noch so.

Die Ayurveda-Küche basiert auf rein vegetarischen Speisen – nicht vegan, denn Eier, Butterschmalze und andere Milchprodukte spielen eine große Rolle in der Ayurvedakochtradition. Auch Fleischkonsum wird nicht per se verurteilt. Manchmal werden Fisch und andere Meerestiere oder sogar Rind- oder Lammfleisch empfohlen (oder geduldet), doch dies geschieht nur in Ausnahmekontexten wie beispielsweise zu Weihnachten bei den Christen, wenn traditionell Fleisch, vor allem Schwein!, auf dem Weihnachtsmenü steht. Bei extremer Auszehrung des Patienten werden Fisch- und Fleischspeisen zubereitet.

Wir brauchen kein Fleisch, auch wenn wir keine bekennenden Vegetarier sind. Und Fisch esse ich aus ökologisch-ethischen Gründen schon langen nur als sporadische Delikatesse. Uns schmeckt die indische, vegetarische Küche sehr gut. Die Vielfalt ist groß, denn die Inder sind zum hohen Prozentsatz Hindus und damit Vegetarier aus religiöser Überzeugung. Proteinlieferanten sind ihnen vor allem Hunderte Sorten von Hülsenfrüchten, aus denen sie entsprechend früh eine vielseitige vegetarische Küche entwickelt haben. In unserem Bundesstaat Kerala, wo der höchste Fleischkonsum in ganz Indien verzeichnet wird, ermahnen sogar Ernährungsberater in Zeitungsartikeln zur Mäßigung. Dieses ungewöhnliche Verhalten der Keraleser liegt sicherlich an der frühchristlichen – die indischen Christen berufen sich auf ihre Christianisierung durch Paulus! – Einflüssen, die später durch portugiesische, holländische und schließlich englische Essgewohnheiten ergänzt wurden. Außerdem sind die Keraleser zu den wohlhabenden Indern, und auch das lässt den Fleischkonsum ansteigen.

Jemand lugt brav hinter dem Stuhl hervor … Nico darf manchmal mit in den sehr schlichten Speiseraum.
Danke Pattarumadom, Danke an Dr. Shaji, Danke an die Belegschaft!
Auch in dieser Hinsicht ist Pattarumadom Clinic einmalig, denn wo sonst dürfen Hunde in eine Klinik und dann auch noch in den Speiseraum mit? Sogar dann, wenn die Hälfte der Belegschaft vor Hunden Angst hat. Ayurveda-Philosophie zollt jedem Lebewesen Respekt. Ohne Ausnahme. Moderne Gesellschaft jedoch tendiert dazu, alle Lebewesen, insbesondere jene, die uns emotional und kulturhistorisch am nächsten stehen, als potenzielle Gefahren für Gesundheit und Hygiene aus dem Leben zu verbannen. Tatsächlich aber sind Tiere für unser Leben in jeder Hinsicht wichtig, sie sind kein überflüssiges Ding.
Der Speiseraum. Wir haben irgendwann die unpraktischen runden Glastische zusammengelegt. So sitzen wir nun mit der netten französischen Gruppe zusammen und plaudern auf Englisch (!) und Deutsch (!!). Die Dame neben Marcel ist eine pensionierte Lehrerin für Deutsch (bitte um Entschuldigung, habe den Namen vergessen) und war mit wechselnden Gruppen schon mehrfach hier.
Frühstück. Kann man es noch einfacher haben? Mit Bananen verhält es sich ähnlich wie mit Gurken oder Tomaten: Wer sie nur aus Holland oder sonstigen Gewächshäusern her kennt, der wird sich nicht vorstellen können, wie köstlich eine ursprüngliche und eben so winzige Frucht schmecken kann.
Frühstück. Sieht langweilig aus? Tatsächlich schmeckt es besser, als die Optik es vermuten lässt. Allerdings gehört das in Kerala so beliebte Puttu – das ist die weiße Rolle rechts auf dem Teller – nicht gerade zu meinen Lieblingsspeisen. Für mich zu trocken und neigt daher, mir im Hals steckenzubleiben. Nico liebt sie genauso wie es die Keraleser tun.
Mittagessen: Reis, Curry, Gemüsebeilage und ein indisches Brot. Mehr braucht man nicht.
Reis ist nicht gleich Reis und Curry nicht gleich Curry. Auch wenn vieles für uns ähnlich bis gleich aussieht, werden im Mund überraschend viele und häufig genug auch andere Geschmacksknospen zum Erblühen gebracht. Der puffige Talar rechts ist ein sehr beliebtes Beilagenbrot in Kerala. Er heißt Poori und wird aus Weizenmehl gemacht und anschließend kurz frittiert.
Es gibt auch sehr trockene Speisen, die dann nicht als „Curry“ bezeichnet werden (was eigentlich „Soße“ bedeutet), sondern Chutney oder Pickels. Manchmal gibt es sie einfach so zum Reis, manchmal sind sie zusätzliche Begleiter eines Currys.
In Südindien ist Kokos die Königin der Speisen, zusammen mit den saisonalen, unreifen Mangos. Wer das nicht kennt, sollte eine unreife Mango unbedingt im Salat geraspelt oder gebraten ausprobieren! Geraspelt oder fein in Scheibchen geschnitten, als Kokosmilch oder als Mehl – Kokos geht immer. Auf diese Weise haben Parasiten es schwer, im Darm zu überleben.
Hier sehen wir a) links endlich Obst, was leider selten war, b) ein echtes, da flüssiges Curry mit Lady Fingers (Okras), c) ein Linsen-Chutney und d) die allseits beliebten Chapati-Fladenbrote. Obst hat uns gefehlt. Obst ist rar, wenn es nicht mehr nebenan angebaut wird, sondern aus anderen Gegenden Indiens, Asiens oder Australiens importiert wird. Wird es aber doch „nebenan“ angebaut, dann richtet sich die Auswahl nach Saison.

Ayurveda-Silvester 2020

Silvester in einer Ayurveda-Klinik auf dem Land zu verbringen, war von Anfang an unsere Idee. Wir hofften damit, dem Geballere mit Knallfröschen und Feuerwerk zu entkommen. Die dörfliche Lage von Pattarumadom war laut Satellit-Bilder auch diesbezüglich vielversprechend. Was für ein Irrtum!

Zwar verlief die Silvesternacht ruhig im familiären Kreis der Angestellten und des Arztpaares – ich stieß mit den Angestellten auf der Dachterrasse mit Cidre an -, doch die 24 Stunden, die danach folgten, bestanden aus permanentem Geknalle und Feuerwerk. Ich übertreibe kein bisschen! Die folgende Nacht verbrachten Marcel und ich abwechselnd im Badezimmer mit Nico auf dem Arm, denn das dunkle Bad war der einzige einigermaßen erträglich Ort für den ängstlichen Hund. Der folgende Tag war nicht anders: Immer wieder hörten wir Explosionen, Gesänge, Knallfrösche, Gehupe … Die Lärmbelastung war für Nico enorm und der Grund lag an Kirchfesten, die sich just zu Neujahr mehrten. Mit sehr viel Aufwand feierten die lokalen Kirchengemeinden ihre Namenspatronen. Die Feste gingen über Wochen weiter, wozu in Indien viel Lärm dazu gehört.

Ich bis davon überzeugt, dass dieses 24 Stunden andauerndes Stresserlebnis bei Nico zum Ausbruch einer schweren Krankheit führte. Wir bangten beinahe zwei Monate lang um sein Leben. Doch das ist eine andere Geschichte …

Wir hoffen, dass noch alles gut wird. Das Jahr hat ohne Frage negatives Potenzial: Nicos Erkrankung im Januar und Februar, gefolgt von dem Ausbruch der Pandemie und der Panik, die die Medien schürten, dem weltweit ersten Lockdown dieser Größenordnung in Indien sowie der politischen und ökonomischen Desaster, die die ganze Welt ins Straucheln brachten. Im Namen der Gesundheit wurden (und werden) Gesetze erlassen, die für die Demokratie und damit für uns Schlimmes für die Zukunft befürchten lasse. Auch wenn das Virus, das den abgekürzten Namen „Covid-19“ bekam, durch eine Impfung bekämpft werden kann oder könnte, wird die Angst vor Mutationen sicherlich unsere Politiker dazu bringen, einmal erlassene Gesetze weiterhin „in petto“ zu halten. „Alles wird gut“ ist unser Mantra für 2020.
Die jungen Frauen haben viel Spaß an Silvester. Währenddessen muss Marcel mit Nico auf dem Zimmer bleiben, denn dieser hat wahnsinnige Angst vor Knallern jeder Art.
Unser Doc in Aktion.
Am nächsten Tag lernten wir eine keralesische Tradition kennen: den speziellen „Sylvesterkuchen“. Angeschnitten wird er, auch dies der Tradition gemäß, von dem ältesten Familienmitglied, in unserem Fall der „Patientenfamilie“.
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Fazit nach zu kurzen 2 Wochen: unbedingt hin!

Die Ayurveda-Klinik Pattarumadom trägt den Namen einer alten Familie, die seit über hundert Jahren kontinuierlich Ayurveda-Ärzte hervorgebracht und ihre medizinischen Kenntnisse von einer auf die nächste Generation weitergereicht hat. Vaidyavachaspathi Dr. KI Varghese DAM, der Gründer dieses Hospitals, war ein geachteter Ayurveda-Mediziner, der durch den Zuspruch vieler Patienten in seinem Vorhaben, eine eigene Ayurveda-Klinik aufzubauen, bestärkt wurde.

Offiziell gegründet wurde die Pattarumadom Clinic and Ayurveda Nursery im Jahr 1961 und spezialisierte sich schon früh auf rheumatische Erkrankungen. Der heutige Leiter und Ayurveda-Arzt des Pattarumadom ist Dr. Shaji Varghese BAMS (Bachelor of Ayurveda Medical and Surgery), der Sohn des Gründers, der als wir noch zu Gast in der Klinik waren, aus dem Hintergrund beratend mitwirkte (er verstarb im August 2020). Dr. Shaji repräsentiert die fünfte Generation und ist der siebte ayurvedische Arzt in der Familie.

Dr. Shaji behandelt nicht nur Rheuma, sondern ist auch mit anderen chronischen Krankheiten erfahren, so dass er sich zutraute, meine chronisch angegriffene Schilddrüse und die dafür verantwortliche Autoimmunkrankheit „Hashimoto“ zu behandeln. Er war fair genug, mir im Vorfeld mitzuteilen, dass die Zeit unseres anvisierten Klinikaufenthalts zu knapp ist, um mich „richtig“ zu behandeln. Große Erfolgserlebnisse sollte ich daher nicht erwarten. Dr. Shaji ist kein Spezialist für Autoimmunkrankheit, allerdings folgt Ayurveda sowieso nicht den therapeutischen Ansätzen der westlichen Medizin, die „das Problem“ mit einem Scheinwerfer heraushebt und dementsprechend singulär angeht. Für einen Ayurveda-Mediziner ist nicht die Schilddrüse oder die Autoimmunerkrankung „das Problem“, sondern die Überreaktion des Körpers aufgrund eines Ungleichgewichts der Doshas. Diese wieder auszugleichen – wir könnten übersetzen: die Entzündungsproduktion stoppen -, ist das Anliegen der Ayurveda-Medizin. Mir leuchtet dieser Ansatz sehr ein, der immer mehr in die aufgeschlosseneren Teile der westlichen Medizin durchsickert. Sollte es ein weiteres Mal für uns in Kerala geben, ich werde sicherlich in meine Gesundheit investieren und im Pattarumadom dann vier Wochen buchen.

Die hauseigene Apotheke. Einige der Tinkturen sind nach eigenen Rezepten hergestellt. In Kerala gibt es Hunderte, wenn nicht gar Tausende Produktionsstätten, die sich auf Ayurvedaprodukte spezialisiert haben. Es ist gut, sich im Vorfeld zu informieren und zu wissen, dass einige ayurvedische Medizin blei-, quecksilber- oder arsenhaltig sind, da das alte Ayurveda bestimmte Beimengen davon als therapienotwendig ansieht. Andere Produkte wiederum können mit diesen Stoffen kontaminiert sein. Dieses Thema sollte man am besten vor der Behandlung oder Buchung der Klinik ansprechen. Seriöse Ärzte kennen ihre Bezugsfirmen gut und sollten wissen, wie diese arbeiten. Am Ende bleibt für den Patienten nur eins: das Vertrauen in den Arzt und seine Produkte. Die in der ‚Apotheke‘ der Pattarumadom Clinic aufgestellten Fläschchen sind mir mittlerweile gut bekannt. Sie gehören zu den bekanntesten und anerkanntesten Ayurvedafirmen in Kerala.

Ich will nicht verschweigen, dass die Schlichtheit der Anlage, der Zimmer, des Speiseraums und die Einfachheit der Behandlungsräume nicht jedermanns Sache wären. Vor allem dann nicht, wenn man aus dem Westen kommt und sich im Vorfeld sattgesehen hat an den chicen Hotelanlagen mit Ayurvedaanwendungen, die Ayurveda eher als Spa denn als Medizin anbieten. Wer sich Ayurveda in einer solchen schönen Anlage wünscht und dann noch in den Genuss von Freizeitaktivitäten kommen möchte, der sollte Pattarumadom Clinic und vergleichbare Etablissements meiden. Sonst ist die Enttäuschung vorprogrammiert, zumal Dr. Shaji Freizeitaktivitäten wie Ausflüge und sportliche Betätigungen während des Aufenthalts als kontraproduktiv ansieht.

Diejenigen, die Keralas Hinterland entdecken und gleichzeitig das ungeschminkte Ayurveda kennenlernen möchten, lege ich Pattarumadom Ayurveda Clinic wärmstens ans Herz. Wer an ernstzunehmenden oder/und chronischen Krankheiten leidet, der sollte mindestens drei Wochen einplanen. Eine Woche ist vollkommen überflüssig und erst ab zwei Wochen werden Ergebnisse sichtbar. Einige so wie ich werden dabei süchtig … Aber wie der Rheinländer sagt, jeder Jeck ist anders, daher gilt meine Empfehlung unter großem Vorbehalt.

Die gut zwei Wochen Ayurvedabehandlung in Pattarumadom haben, wie eigentlich schon gedacht, meine Autoimmunerkrankung nicht gestoppt. Gleichwohl bin ich nach meiner bisherigen Erfahrung davon überzeugt, dass vier Wochen bei Dr. Shaji eine deutliche Besserung und Stabilisierung meiner Problematik nach sich ziehen würden. Wie ich darauf komme? Ganz einfach, ohne dass ich zu sehr ins Private meiner Problemzonen eintauchen möchte, kann ich nur so viel verraten: Die Behandlung hat die natürliche Produktion meiner menopausal eingefrorenen Hormone so weit angekurbelt, dass ich auf Ersatzhormone aus der westlichen Schulmedizin verzichten konnte. Man muss sich jedoch deutlich vor Augen führen, dass Ayurveda bei vielen gesundheitlichen Problemen nur als „Daueranwendung“ helfen kann. Sie ist eben kein Pille, die man bei Bedarf einnehmen kann und dann ist „das Problem“ dauerhaft weg.

In der Ayurveda-Behandlung muss man bereit sein, Grundsätzliches in seiner Lebensweise zu ändern und nach der Ayurvedaphilosophie leben. Darin liegt der ganz große Haken für uns Westler, denn sobald wir die schützende Anlage einer Ayurveda-Klinik verlassen, verfallen wir wieder in unseren ungesunden Trott, denn wer von uns kann schon täglich nach Ayurveda kochen. Doch im Grunde sind das alles nur kleine oder große Ausreden.

Dr. Shaji: „Wir setzten Panchakarma [Reinigung von Umweltgiften und Ausschlakung von Stoffwechselabbauprodukten], Kerala-Spezialbehandlungen, Körpermassageverfahren und alternative Therapien fort. Heute spiegelt dieser Tempel der Heilung den guten Willen und die Glaubwürdigkeit der 100 Jahre alten Pattarumadom-Methode der Ayurvedabehandlung wider. Unser Ziel ist es, Krankheiten vorzubeugen und die Gesundheit wiederherzustellen. Wir stellen unsere jahrhundertealte Kenntnis der Erhaltung des Lebens in den Dienst.“

Ayur-Veda – das bedeutet: das Wissen vom Leben.