Ayurveda ja, Spa nein. Ich bin in Kerala, dem südlichsten Bundesstaat Indiens, einer Hochburg des Kommunismus und der jahrtausendealten Ayurveda-Heilkunst. Hier möchte ich ein authentisches Ayurveda-Hospital aufsuchen, keine chice Spa-Einrichtung, die mittlerweile fast überall auf der Welt zu finden ist.
Ein „echtes“ Ayurveda-Hospital in Cochin (Kochi) und Umgebung zu finden, ist überhaupt nicht schwer. Gefühlt tausende von Einrichtungen bieten hier ihre Dienste an. Auch das renommierte Kottakkal, von dem ich im vorhergehenden Beitrag berichtet habe, hat einige eigene große Hospitäler. Doch die meisten liegen inmitten der weitläufigen (in Indien nie endend wollenden) Urbanität der Städte. Ich möchte aber endlich etwas von keralesischem Land sehen! Darüber hinaus haben wir auch noch ein kleines, kompaktes ‚Handicap‘, das Nico heißt und unser Bordhund ist. Hunde sind nirgends besonders gern gesehene Gäste, was ein seltsames Licht auf uns Menschen wirft und uns zuweilen verzweifeln lässt. Ich nehme mir schon lange vor, einen Beitrag zum Thema „Segeln und Reisen mit Hund“ zu schreiben. Vielleicht wird daraus sogar ein ganzes Buch über den treusten Begleiter des Menschen.
Tempel der Heilung: Pattarumadom Clinic
Pattarumadom Ayurveda Clinic ist ein ganz kleines Hospital, eine „Nursery“, wie es in Kerala heißt. Das heißt eigentlich soviel wie „Schule“ oder „Heim“, aber ich übersetzte es in diesem Kontext mit „Pflegestätte“. Es liegt circa 35 Kilometer nördlich von unserer Bolgatty Marina in Cochin und ist nur 5 Kilometer vom Flughafen entfernt. Pattarumadom Clinic ist sicherlich das einzige Ayurveda-Hospital in ganz Indien, das Hunde aufnimmt! Zwar gingen einige erklärende eMails samt Hundefotos hin und her, aber letztendlich hat der leitende Doktor und Besitzer des Etablissement, Dr. Shaji Varghese, seine Erlaubnis gegeben: Wir dürfen Nico mitbringen! Wie sich später herausstellen wird, haben sowohl seine Frau als auch er und mehr noch, die gesamte Belegschaft, Angst vor Hunden. Dementsprechend haben wir versucht, dieser Angst entgegenzuwirken. Auch wenn Nico nicht alle Herzen erobern konnte, so weckte er auf jeden Fall viel Neugierde und auch einiges an Belustigungen, was schon eine halbe Miete zum Erfolg bedeutet. Sofern uns das sehr dichte Kurprogramm erlaubte, unternahmen wir drei Spaziergänge durch das Dorf und waren schon bald wie ein bunter Hund bekannt.
Die Inder haben wir als sehr (sehr) neugierige und (sehr) offenherzige Menschen kennengelernt, die sofort alles wissen möchten, das schließt sowohl Persönliches als auch Fragen zur Hunderasse mit ein. Auf dem Dorf war das genauso wie in Munar, Ernakulam, Bolgatty oder Cochin.
Wer Einfachheit inmitten einer grandiosen Flusslandschaft sucht, der ist im authentischen Pattarumadom Ayurveda Clinic bestens aufgehoben. Wir haben es nicht bereut, uns in die kenntnisreichen Hände des engagierten Doktors Shaji Varghese und seiner liebenswerten Gattin Shiji begeben zu haben. Die in dem Hospital arbeitenden jungen Frauen und Männer (zwei für männliche Patienten), haben wir als schüchtern, wohl aber als sehr zuvorkommend erfahren. Die Anlage ist innen wie außen einfach, jedoch sehr sauber.
Eigentlich ist die Ayurveda-Klinik ist auf rheumatische und andere Gelenkerkrankungen sowie allerlei Rückenprobleme spezialisiert. Ich habe bisher keine Crux damit, dafür aber eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Ob und wenn ja inwieweit Doktor Shaji mir helfen könnte, wurde per eMail vorab besprochen, was sinnvoll ist, damit man nicht mit falschen Erwartungen im Gepäck anreist.
Ayurveda ist eine holistische Naturheilmethode, der es in gewissem Sinne schnuppe ist, wie man in der westlichen Medizin die Erkrankung nennt. Beurteilt wird zunächst, welche Doshas aus dem Gleichgewicht geraten sind, und was man dagegen tun kann (siehe meinen vorhergehenden Blogbeitrag).
Kleine Spaziergänge durch das Dorf
Wir haben einige Male kleine Spaziergänge durch das Dorf gemacht. Doch um ehrlich zu sein, waren wir nach all den Anwendungen häufig zu müde, oder der nächste Termin war zu knapp gesetzt, oder es war zu heiß. Ausreden gab es also viele, um einfach auf der Veranda des eigenen Zimmers zu bleiben und den Geräuschen der Natur und den hinduistischen Gesängen zuzuhören.
Dorf ist hier nicht Dorf, wie wir es aus Europa her kennen. Strenggenommen gibt es in Deutschland auch keine „echten“ Dörfer mehr, wie ich sie noch aus meiner Kindheit her kenne. In Indien, zumindest hier in Kerala, bestehen sie aus engen Staubpisten, an denen sich nahtlos Häuser inmitten einer Grünfläche – Garten, Brachland, selten Feld – aneinanderreihen. Geschäfte gibt es nur an der Hauptstraße, während das eigentliche Dorf sich weitläufig in der Landschaft verteilt. An der Hauptstraße sehen wir viele Schilder, die auf „Hotels“ hinweisen. Ich wundere mich darüber immer wieder, bis ich schließlich hinter das Geheimnis komme: Hotels heißen in Kerala kleine Gaststätten, die Frühstück und ein minimalistisches Mittagessen anbieten. Warum sie so heißen, habe ich nicht in Erfahrung bringen können.
Im Dorf gibt es den Wohnhäuser, die so auch in Ernakulam stehen könnten, kleine oder größere Anbauflächen, Kokospalmen und kleine Gemüsegärten. Große Felder, in Reih und Glied bepflanzte Areale wie bei uns in Europa, haben wir nirgends gesehen. Ziegen, Kühe und Büffeln grasen meist angebunden zwischen den Palmen. Es ist still hier und das alleine ist eine Wohltat für die Seele. Keine Autos, kein Gehupe – regelmäßig hört man Glockengeläut und Gesang aus den benachbarten Kirchen, Tempeln und den seltenen Moscheen. Den Muezzin haben wir nie gehört.
Die jüngste Geschichte: hoffentlich mit Happy End
Wir möchten in Dr. Shajis Klinik die Zeit zwischen den Jahren 2019 und 2020 verbringen, doch diese Idee hatten offenbar viele, die nun die besten Zimmer des kleinen Ayurvedahauses besetzen. Für uns bleibt nur ein sauberes, aber balkonloses Zimmer in der ersten Etage frei. Überhaupt zeugt das gesamte Haus von großer Schlichtheit und leider nicht dem schönsten Mobiliar, was uns jedoch hier weniger stört, denn die Zimmer sind sauber und werden täglich geputzt. Jeden zweiten oder dritten Tag wird die Bettwäsche gewechselt. Ein Kaftan für die Damen liegt jeden Tag bereit.
Später erzählt Dr. Shaji uns die jüngste Geschichte der Pattarumadom Ayurveda Clinic. Noch vor kurzem stand die Klinik vor der Schließung, doch Dr. Shaji gibt nicht so schnell auf. Etwas bedauernd und etwas belustigt behauptet er, die günstigste Ayurveda-Klinik von ganz Indien zu führen. Möglich ist es, obwohl ich mir in Indien eigentlich (fast) alles vorstellen kann. Dr. Shaji kann von der Klinikeinnahmen allein nicht leben und daher hat er einen zweiten Beruf. Er lebt nicht weit von der Klinik entfernt und betreibt dort eine Fischfarm. Er betreut diese selbst. Vor nicht allzu langer Zeit hat er die Führung des Pattarumadom Ayurveda Clinic einem, wie er selbst sagt, erfahrenen Manager überlassen und war nur in der Funktion des Chefarztes in der Klinik anzutreffen gewesen. Stolz berichtet er davon, dass zu diesem Zeitpunkt mehr als 20 Angestellte und eine zusätzliche Ayurveda-Ärztin sich rund um die Uhr um die Patienten kümmerten. Doch eines Tages hat Dr. Shaji einen Hinweis eines treuen Patienten bekommen: Irgendetwas im Pattarumadom läuft nicht mit rechten Dingen ab. Einst darauf aufmerksam geworden, musste Dr. Shaji feststellen, dass der Manager ihn seit Jahren finanziell betrogen hat. Und nicht nur das, er hatte bereits begonnen, die Patienten für eine von ihm selbst aufgebaute Ayurveda-Klinik abzuwerben. Gleichzeitig begann der Manager, das Pattarumadom herunterzuwirtschaften und den Arzt in Misskredit zu bringen.
Zwar konnte Dr. Shaji diese katastrophale Entwicklung stoppen, aber der finanzielle Schaden war bereits groß. Nach einer Rücksprache mit einem Polizeistellenleiter wurde von einem Gerichtsverfahren und Anklage Abstand genommen. Die Gründe für diese Entscheidung sind vielfältig, sie alle werfen kein besonders gutes Licht auf die indische Justiz, die dem Kläger keine guten Aussichten auf Erfolg bescheinigt.
Das zweite Unglück ereilt das Pattarumadom im August 2018. Heftige und langanhaltende Regenfälle, die man zu den stärksten seit den 1920er Jahren zählt, haben Kerala in eine Katastrophe gestürzt. Dort, wo die Menschen zu nah an den großen Flüssen lebten, kam es schnell zu verheerenden Überschwemmungen. Doch die eigentliche Katastrophe passierte erst, als man die größten der 60 Staudämme, die sich auch noch in Keralas Bergen befinden und – noch schlimmer – von privaten Unternehmen gemanagt werden, von einer Stunde auf die nächste beinahe simultan öffnete. Die Verantwortlichen warteten so lange, bis die Stauseen randvoll waren, in der Hoffnung, es wird nicht am Ende doch nicht so schlimm werden. Dann packte sie die Angst und sie ließen die Dämme öffnen. Man hoffte dann, das Wasser werde sich „irgendwie“ verteilen und schnell ins Meer abfließen. Bei dieser Entscheidung wurden keine Experten zurate gezogen, die diese Hoffnung gedämpft hätten. Das Meer hatte durch die anhaltenden Regenfälle selbst einen hohen Wasserstand erreicht, so dass die herabfließenden Wassermassen keine erhoffte Aufnahme fanden, sondern an der Küste zurückgestaut wurden. Mit tödlichen Folgen für die Küstenorte.
Die Pattarumadom Clinic, obwohl weit genug vom Meer entfernt, bekam die Katastrophe des Rückstaus erwischt. Die rückgestauten Wassermassen kamen den angrenzenden Fluss zurückgeflossen und begruben die Klinik zwei Meter unter Wasser! Das Mobiliar, die Medikamente, die Behandlungsgerätschaften, die Computer, die Küche, der Gemüsegarten … alles stand nicht nur für Wochen unter Wasser, sondern lag anschließend unter faulenden Schlammassen begraben.
Es war für Dr. Shaji und seine Familie sehr schwer, sich aus diesen beiden aufeinanderfolgenden Schicksalsschlägen herauszuarbeiten. Die Belegschaft musste stark reduziert werden, was zu retten war, musste gerettet werden, denn es gab keine finanziellen Reserven für Neuanschaffungen. Dieser Hintergrund erklärt den teilweise provisorischen Charakter der Klinikräume und das nicht immer passende Mobiliar.
Während ich dies niederschreibe, erlebt Kerala und mit ihr ganz Indien und die gesamte Welt eine weitere Katastrophe: die Coronavirus-Krise. Ich hoffe inständig, dass die Pattarumadom Ayurveda Clinic nicht aufgibt und weiter für die Patienten da ist. Wir drei würden gerne wiederkommen!
Die Heilung in der Schönheit der Natur
Für jede Einfachheit der Inneneinrichtung entschädigt die Landschaft, die mich sofort in ihren Bann zieht. Bis ein Bagger die Schönheit der Natur unterbricht.
Ayurveda unter christlichen Symbolen
Nach einer ausführlichen Diagnose und Besprechung von über einer Stunde schlägt unser Ayurveda-Arzt eine Behandlungsmethode vor und betont, dass für die Heilung – vor allem bei mir – kaum zwei Wochen ausreichen. Viel wird er in dieser Zeit nicht an den aus dem Lot geratenen Doshas (eigentlich „Problemzonen“, häufiger als „Lebensenergien“ übersetzt, was nicht ganz richtig ist) ausrichten können. Aber er wird sich bemühen. Mit anderen Worten: Wir werden mehr Anwendungen in kürzeren Abständen bekommen als die anderen Patienten, die hier länger bleiben. (Habe über Ayurveda einen kleinen Blog verfasst.)
Minimum sind – und ich kann das nachdrücklich unterstreichen – drei Wochen für alle, die eine ernsthafte Ayurvedakur anstreben und nicht bloß so etwas wie Spa sich gönnen wollen. Nachdem wir uns 30+ Jahre falsch ernährt und selbst schlecht behandelt haben, lässt sich keine Erkrankung auf Natur-ganzheitlichem Wege mit Fingerschnippen und paar Kräuterpillen wieder einrenken. Das leuchtet zwar jedem ein, aber dennoch: Man will seine Gesundheit jetzt und sofort wieder zurück haben. Bei der Genesung stehen uns auch die westlichen Medizingrundsätze im Weg. Seit Kindesbeinen an sind wir an die Versprechen der westlichen Medizin gewöhnt, die eine schnelle Linderung oder gar eine Blitzheilung versprechen, wenn man die richtigen Medikamente täglich einnimmt. Daraus entsteht eine Erwartungshaltung, die mitunter bei der Heilung von Krebs- oder Autoimmunkrankheiten das Scheitern vorprogrammiert.
Bei mir diagnostiziert Dr. Shaji eine schwere Überfunktion von Pitta und Vata, meinen Haupt-Doshas. Marcel hingegen hat nur eine leichte Dissonanz in den Tridoshas Vata, Pitta und Kapha und wird eher wegen Hauterkrankungen und Entzündungen behandelt. Mir prophezeit der Doktor jedoch einen schwierigen Heilungsprozess, der einen wesentlich längeren Aufenthalt erforderlich macht. Das glaube ich sofort, denn meine Autoimmunerkrankung bekommt auch die westliche Schulmedizin schwer oder gar nicht in den Griff. Interessanterweise greifen in Europa immer mehr Ärzte beziehungsweise verzweifelte Patientinnen auf alte Naturheilverfahren zurück, die vor allem auf Verdauung und damit auf die Gesundheit des Darms abzielen, so wie die ayurvedische Medizin es seit Jahrtausenden tut. Bei den Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen hat Ayurveda meiner Ansicht nach noch viel Potenzial, das dringend ausgebaut werden müsste.
Behandlung nach Ayurveda: Wie läuft das ab?
Drei Behandlungsräume, getrennt nach Geschlechtern, erwarten uns in der Pattarumadom Clinic. Die ayurvedischen Anwendungsmöglichkeiten sind so vielfältig, dass ich es aufgegeben habe, mir einen Überblick darüber verschaffen zu wollen. Sie hier dazustellen, würde den Rahmen vollkommen sprengen. Daher präsentiere ich im Folgenden nur eine kleine Zusammenfassung dessen, was wir in Pattarumadom als Anwendungen bekamen.
Eine der wichtigsten Pfeilern der Ayurveda-Heilkunst ist die sogenannte Panchakarma, eine komplexe Zusammenstellung von Behandlungen, die den ganzen Körper erfassen und Umwelt- und Körpergifte ausleiten sollen: Reinigung, Verjüngung, Heilung. Die Anwendungen werden individuell von dem Ayurveda-Arzt zusammengestellt und variiert dementsprechend. Die klassischen Anwendungen, die wir in den ersten drei Schritten verabreicht bekamen, sind: 1) tägliche Massage mit warmen Ölen (Abhyanga), 2) Kräuterdampftherapie (Swedana), 3) Lymphatische Massage, 4) Kräutereinlaufbehandlung (Basti) und 5) Nasenölverabreichung (Nasya). Übrigens, eine vereinfachte Panchakarma kann man selbst zu Hause durchführen. Dazu gehört vor allem die Selbstmassage, Kräuterverabreichungen als Tee, Dampftherapie (fürs Gesicht) und Nasya, die Nasenanwendung.
- Morgens: Aufstehen mit Chai, zunächst ohne Milch, dafür aber gezuckert mit Jaggery, dem Palmenzucker, oder aus Zuckerrohr. Aufgestanden wird um 6:00 Uhr. Das geht bei mir gar nicht und ich erwirke eine Gnadenfrist bis 7:00 Uhr.
- Vor dem Frühstück: Einnahme von Kräuterpillen und einer widerlich bitteren Tinktur, die sofort mit viel Wasser nachgespült werden muss.
- Zwischen Frühstück und Mittagessen, das um 12:00 begangen wird, gibt es eine Anwendung. Dafür zieht man sich in einem separaten (Wasch-) Raum vollständig aus und bekommt einen Lendenschurz aus Papier und Stoff umgebunden. Ein paar Treppchen führen auf die erhöhte Massageliege, dem Droni, wo die man sich zunächst auf den Rücken legt. Es folgt eine ausführliche Ganzkörpermassage mit Sesamöl. Massiert wird nach Geschlechtern, ich von zwei Frauen, Marcel von zwei Männern, und zwar synchron von beiden Seiten gleichzeitig.
- Ich liege auf dem Rücken auf dem Droni, es ist schummrig dunkel, die alte Klimaanlage summt vernehmlich, der Raum kühlt dennoch kaum ab. Eine kleine Funzel brennt vor dem Hausaltärchen. Ich liebe den warmen Duft des Sesamöls, die routinierten Bewegungen der festen Frauenhände, die mich auf beiden Seiten gleichzeitig massieren. Die jungen Frauen unterhalten sich manchmal über mich hinweg … und ich schlafe ein. Das Prozedere beginnt immer mit der Massage der Schultern, setzt sich fort über die Arme bis hin zu den Fingern, die einzeln „ausgezogen“ werden. Gelenke werden rund massiert, Muskeln lang gestrichen. Das Öl ist warm und je nach Anwendungsart auch mit Kräutern und anderen Tinkturen versetzt. Manchmal bekommen wir auch eine spezielle Massage mit heißen Stempeln, die ich sehr liebe.
- Am eindrücklichsten fand ich die Anwendung am Tag unserer Ankunft, wo wir nach einer besonders ausgiebigen Massage (auch des Kopfes) mit Litern von warmen Wasser immer wieder abgespült wurden. Es war eine entgiftende und klärende Prozedur als Vorbereitung für alles andere, was noch folgen sollte. Neben verschiedenen Massagetechniken mit unterschiedlichen Tinkturen, Ölen oder Stempeln gibt es auch spezielle Ölbehandlungen der Augen, des Kopfes oder der Nase. Solche speziellen Ölgüsse haben wir nicht verabreicht bekommen, dafür aber steckte man uns eines Tages in eine Art Unterschrank, einer Mini-Dampfsauna, die ich nur unter Aufbringung von sehr viel Disziplin circa 2 Minuten ausgehalten habe.
- Nach dem Mittagessen dürfen wir uns ausruhen. Das ist während der ersten Tage bitternotwendig, denn wir sind nach den Anwendungen sehr müde.
- Zwischen 15:00 und 16:00 Uhr gibt es wie früher in Deutschland etwas Süßes und Chai, den indischen Gewürztee mit Milch. Ich bin zwar nicht so sehr ein „Süßzahn“, aber die selbstgemachten Süßspeisen, die auf den Zimmern gereicht werden, haben keine lange Überlebenszeit.
- Danach folgt die zweite Massageeinheit des Tages, ergänzt durch weitere Kräuterpillen und Tinkturen. Nach jeder Massage wird uns auf die Kopfkrone (Scheitel) eine Paste einmassiert, die nach Ghee richt. Ich stelle mir vor, dass dieses Ritual im Ursprung religiöse Wurzeln hat.
- Anschließend gönnt man uns eine kurze Erholungseinheit, während Dr. Shaji zusammen mit seiner Frau die tägliche Visite – die zweite des Tages – von Tür zu Tür macht. Und schon ist es 18:00 Uhr und es wird zum Abendessen im Speiseraum geläutet. Wir lernen schnell, dass man nicht lange trödeln soll, denn die Speisen sind manchmal eng berechnet und das besonders Leckere kann schnell weg sein. Hungrig geht aber keiner aufs Zimmer zurück.
- Yoga ist während der Anwendungszeit kontraproduktiv. Stattdessen soll man meditieren.
Wir sind die ersten zwei Tage lang vollkommen groggy, müde und etwas flau im Magen. Die täglichen Visiten des Arztes nutze ich, um das flaue Gefühl zur Sprache zu bringen. Dr. Shaji ist nicht beunruhigt, denn er sieht darin die Folgen des Entgiftungsprozesses und der allgemeinen Umstellung. Er prophezeit das Verschwinden der Symptome spätestens am vierten Tag. Was auch tatsächlich geschieht.
Ayurvedas größte Medizin: das Essen
Die täglich frisch zubereiteten Speisen sind das A und O der holistischen Ayurveda-Heilmethode. Es liegt auf der Hand, dass hierbei nur Gemüse und Obst ohne Pestizide- oder Herbizidanwendung, ohne lange Transportwege und daher ohne Konservierungsstoffe und Wachse verarbeitet werden. Dieses Optimum war bis vor nicht allzu langer Zeit in Indien noch gang und gäbe. Manchenorts auf dem ‚Land‘ ist es immer noch so.
Die Ayurveda-Küche basiert auf rein vegetarischen Speisen – nicht vegan, denn Eier, Butterschmalze und andere Milchprodukte spielen eine große Rolle in der Ayurvedakochtradition. Auch Fleischkonsum wird nicht per se verurteilt. Manchmal werden Fisch und andere Meerestiere oder sogar Rind- oder Lammfleisch empfohlen (oder geduldet), doch dies geschieht nur in Ausnahmekontexten wie beispielsweise zu Weihnachten bei den Christen, wenn traditionell Fleisch, vor allem Schwein!, auf dem Weihnachtsmenü steht. Bei extremer Auszehrung des Patienten werden Fisch- und Fleischspeisen zubereitet.
Wir brauchen kein Fleisch, auch wenn wir keine bekennenden Vegetarier sind. Und Fisch esse ich aus ökologisch-ethischen Gründen schon langen nur als sporadische Delikatesse. Uns schmeckt die indische, vegetarische Küche sehr gut. Die Vielfalt ist groß, denn die Inder sind zum hohen Prozentsatz Hindus und damit Vegetarier aus religiöser Überzeugung. Proteinlieferanten sind ihnen vor allem Hunderte Sorten von Hülsenfrüchten, aus denen sie entsprechend früh eine vielseitige vegetarische Küche entwickelt haben. In unserem Bundesstaat Kerala, wo der höchste Fleischkonsum in ganz Indien verzeichnet wird, ermahnen sogar Ernährungsberater in Zeitungsartikeln zur Mäßigung. Dieses ungewöhnliche Verhalten der Keraleser liegt sicherlich an der frühchristlichen – die indischen Christen berufen sich auf ihre Christianisierung durch Paulus! – Einflüssen, die später durch portugiesische, holländische und schließlich englische Essgewohnheiten ergänzt wurden. Außerdem sind die Keraleser zu den wohlhabenden Indern, und auch das lässt den Fleischkonsum ansteigen.
Ayurveda-Silvester 2020
Silvester in einer Ayurveda-Klinik auf dem Land zu verbringen, war von Anfang an unsere Idee. Wir hofften damit, dem Geballere mit Knallfröschen und Feuerwerk zu entkommen. Die dörfliche Lage von Pattarumadom war laut Satellit-Bilder auch diesbezüglich vielversprechend. Was für ein Irrtum!
Zwar verlief die Silvesternacht ruhig im familiären Kreis der Angestellten und des Arztpaares – ich stieß mit den Angestellten auf der Dachterrasse mit Cidre an -, doch die 24 Stunden, die danach folgten, bestanden aus permanentem Geknalle und Feuerwerk. Ich übertreibe kein bisschen! Die folgende Nacht verbrachten Marcel und ich abwechselnd im Badezimmer mit Nico auf dem Arm, denn das dunkle Bad war der einzige einigermaßen erträglich Ort für den ängstlichen Hund. Der folgende Tag war nicht anders: Immer wieder hörten wir Explosionen, Gesänge, Knallfrösche, Gehupe … Die Lärmbelastung war für Nico enorm und der Grund lag an Kirchfesten, die sich just zu Neujahr mehrten. Mit sehr viel Aufwand feierten die lokalen Kirchengemeinden ihre Namenspatronen. Die Feste gingen über Wochen weiter, wozu in Indien viel Lärm dazu gehört.
Ich bis davon überzeugt, dass dieses 24 Stunden andauerndes Stresserlebnis bei Nico zum Ausbruch einer schweren Krankheit führte. Wir bangten beinahe zwei Monate lang um sein Leben. Doch das ist eine andere Geschichte …
Fazit nach zu kurzen 2 Wochen: unbedingt hin!
Die Ayurveda-Klinik Pattarumadom trägt den Namen einer alten Familie, die seit über hundert Jahren kontinuierlich Ayurveda-Ärzte hervorgebracht und ihre medizinischen Kenntnisse von einer auf die nächste Generation weitergereicht hat. Vaidyavachaspathi Dr. KI Varghese DAM, der Gründer dieses Hospitals, war ein geachteter Ayurveda-Mediziner, der durch den Zuspruch vieler Patienten in seinem Vorhaben, eine eigene Ayurveda-Klinik aufzubauen, bestärkt wurde.
Offiziell gegründet wurde die Pattarumadom Clinic and Ayurveda Nursery im Jahr 1961 und spezialisierte sich schon früh auf rheumatische Erkrankungen. Der heutige Leiter und Ayurveda-Arzt des Pattarumadom ist Dr. Shaji Varghese BAMS (Bachelor of Ayurveda Medical and Surgery), der Sohn des Gründers, der als wir noch zu Gast in der Klinik waren, aus dem Hintergrund beratend mitwirkte (er verstarb im August 2020). Dr. Shaji repräsentiert die fünfte Generation und ist der siebte ayurvedische Arzt in der Familie.
Dr. Shaji behandelt nicht nur Rheuma, sondern ist auch mit anderen chronischen Krankheiten erfahren, so dass er sich zutraute, meine chronisch angegriffene Schilddrüse und die dafür verantwortliche Autoimmunkrankheit „Hashimoto“ zu behandeln. Er war fair genug, mir im Vorfeld mitzuteilen, dass die Zeit unseres anvisierten Klinikaufenthalts zu knapp ist, um mich „richtig“ zu behandeln. Große Erfolgserlebnisse sollte ich daher nicht erwarten. Dr. Shaji ist kein Spezialist für Autoimmunkrankheit, allerdings folgt Ayurveda sowieso nicht den therapeutischen Ansätzen der westlichen Medizin, die „das Problem“ mit einem Scheinwerfer heraushebt und dementsprechend singulär angeht. Für einen Ayurveda-Mediziner ist nicht die Schilddrüse oder die Autoimmunerkrankung „das Problem“, sondern die Überreaktion des Körpers aufgrund eines Ungleichgewichts der Doshas. Diese wieder auszugleichen – wir könnten übersetzen: die Entzündungsproduktion stoppen -, ist das Anliegen der Ayurveda-Medizin. Mir leuchtet dieser Ansatz sehr ein, der immer mehr in die aufgeschlosseneren Teile der westlichen Medizin durchsickert. Sollte es ein weiteres Mal für uns in Kerala geben, ich werde sicherlich in meine Gesundheit investieren und im Pattarumadom dann vier Wochen buchen.
Ich will nicht verschweigen, dass die Schlichtheit der Anlage, der Zimmer, des Speiseraums und die Einfachheit der Behandlungsräume nicht jedermanns Sache wären. Vor allem dann nicht, wenn man aus dem Westen kommt und sich im Vorfeld sattgesehen hat an den chicen Hotelanlagen mit Ayurvedaanwendungen, die Ayurveda eher als Spa denn als Medizin anbieten. Wer sich Ayurveda in einer solchen schönen Anlage wünscht und dann noch in den Genuss von Freizeitaktivitäten kommen möchte, der sollte Pattarumadom Clinic und vergleichbare Etablissements meiden. Sonst ist die Enttäuschung vorprogrammiert, zumal Dr. Shaji Freizeitaktivitäten wie Ausflüge und sportliche Betätigungen während des Aufenthalts als kontraproduktiv ansieht.
Diejenigen, die Keralas Hinterland entdecken und gleichzeitig das ungeschminkte Ayurveda kennenlernen möchten, lege ich Pattarumadom Ayurveda Clinic wärmstens ans Herz. Wer an ernstzunehmenden oder/und chronischen Krankheiten leidet, der sollte mindestens drei Wochen einplanen. Eine Woche ist vollkommen überflüssig und erst ab zwei Wochen werden Ergebnisse sichtbar. Einige so wie ich werden dabei süchtig … Aber wie der Rheinländer sagt, jeder Jeck ist anders, daher gilt meine Empfehlung unter großem Vorbehalt.
Die gut zwei Wochen Ayurvedabehandlung in Pattarumadom haben, wie eigentlich schon gedacht, meine Autoimmunerkrankung nicht gestoppt. Gleichwohl bin ich nach meiner bisherigen Erfahrung davon überzeugt, dass vier Wochen bei Dr. Shaji eine deutliche Besserung und Stabilisierung meiner Problematik nach sich ziehen würden. Wie ich darauf komme? Ganz einfach, ohne dass ich zu sehr ins Private meiner Problemzonen eintauchen möchte, kann ich nur so viel verraten: Die Behandlung hat die natürliche Produktion meiner menopausal eingefrorenen Hormone so weit angekurbelt, dass ich auf Ersatzhormone aus der westlichen Schulmedizin verzichten konnte. Man muss sich jedoch deutlich vor Augen führen, dass Ayurveda bei vielen gesundheitlichen Problemen nur als „Daueranwendung“ helfen kann. Sie ist eben kein Pille, die man bei Bedarf einnehmen kann und dann ist „das Problem“ dauerhaft weg.
In der Ayurveda-Behandlung muss man bereit sein, Grundsätzliches in seiner Lebensweise zu ändern und nach der Ayurvedaphilosophie leben. Darin liegt der ganz große Haken für uns Westler, denn sobald wir die schützende Anlage einer Ayurveda-Klinik verlassen, verfallen wir wieder in unseren ungesunden Trott, denn wer von uns kann schon täglich nach Ayurveda kochen. Doch im Grunde sind das alles nur kleine oder große Ausreden.
Dr. Shaji: „Wir setzten Panchakarma [Reinigung von Umweltgiften und Ausschlakung von Stoffwechselabbauprodukten], Kerala-Spezialbehandlungen, Körpermassageverfahren und alternative Therapien fort. Heute spiegelt dieser Tempel der Heilung den guten Willen und die Glaubwürdigkeit der 100 Jahre alten Pattarumadom-Methode der Ayurvedabehandlung wider. Unser Ziel ist es, Krankheiten vorzubeugen und die Gesundheit wiederherzustellen. Wir stellen unsere jahrhundertealte Kenntnis der Erhaltung des Lebens in den Dienst.“
Ayur-Veda – das bedeutet: das Wissen vom Leben.