Ostern in Ribeira

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Wir haben schon viele Ostertage – Semana Santa – in unterschiedlichen Ländern auf unserer Strecke durch das Mittelmeer und den Nordatlantik gefeiert. Das schönste Fest war in Griechenland, das interessanteste in Kroatien und das frugalste in Brasilien. Bei purem Ei, Brot, Kaffee, Maracuja und sonst nada,

Nur zwei Tage nach unserer Atlantiküberquerung überraschte uns Karfreitag gefolgt von Ostersonntag. Wir waren innerlich nicht darauf vorbereitet. Noch ganz unter den ersten Eindrücken des Kontinents, den Anmeldungen bei den Behörden, der Nachwehen der Überfahrt. Wir verpaßten die Karfreitagprozession, die in der Oberstadt von Salvador stattgefunden haben soll, weil Nico nicht in die öffentlichen Verkehrsmitteln mitfahren durfte und wir mussten umkehren.

Wir haben vergessen, entsprechend einzukaufen, so gab es nur ein Osterfrühstück, das einer Diät gleichkam. Und da die Baianer offenbar keine traditionelle Speise für Ostern haben, gab auch für uns nichts besonderes, Carne do Sol und Fisch gebraten. Beides gut, beides in einem Strandkiosk auf der Halbinsel Itapagipe.

Die Halbinsel hat eine sakrale Attraktion, nämlich den wichtigsten Wallfahrtsort von Bahia. Wir pilgerten am Ostersonntag dorthin in der Hoffnung, es könnte uns für die vermaledeite Aktion in Salvador am Karfreitag entschädigen.

Die große Igreja do Bonfim von 1754 steht von weitem schon sichtbar auf einem Hügel. Imposant wirkt sie mit ihren vergoldeten Turmdächern, inmitten des Gewusels aus kleinen Häusern. Es verwundert, dass Ernst Jünger, der damals die noch kursierende Tram bestieg – “wie ihr Schild auswies, nach ‘Roma’ fuhr” -, um aus der stickigen Luft der Großstadt rauszukommen, diese Kirche nicht erwähnt, die damals sicherlich noch solitärer aus dem kleinen Häusermeer hervorschaute. Noch verwunderlicher ist dies vor dem Hintergrund, dass er in der Tram Mönche kennenlernte, die ihn zu sich “nach Hause”, in die Klausel auf der Halbinsel einluden. Es waren zwei Benediktinermönche, die ihn aufforderten, mit ihnen baden zu gehen. Denn ihr Mutterkloster Sao Bento besitzt in “Roma” am Strand eine Eremitage “Monte Serrate” genannt, wo nur Messe gelesen wird. Ansonsten fahren die Patres und Fratres nachmittags hin, um ein Bad dort zu nehmen.

Fast alle Mönche waren Schwaben: “Mein Führer, Don Alfonso Zehnle, zeigte mir zunächst die kleine Kapelle, mit einer barocken Statuette der Madonna als der Patronin darin,.Dann führte er mich in den oberen Stock, und zwar in einen langen, weißen Saal, mit einer Reihe von Stühlen als einziger Einrichtung. […] Wir begannen, die Augen auf das Meer und die herrliche Bucht mit ihren Palmen gerichtet, ein Gespräch über die Orden, das Verhältnis von Kirche und Staat und die Ereignisse in Spanien. Ich machte während dieser Unterhaltung die Beobachtung, daß ich in Gesellschaft von Menschen war, die zu sitzen verstanden; richtig zu sitzen ist eine Kunst, die innere Ruhe zur Voraussetzung hat.”

Danach ging es ins Bad: “Das Wasser war ungemein angenehm. Ich ließ mir genau den Küstenstreifen zeigen, an dem ich verweilen durfte, denn die Strömung hatte die Gewalt eines Mühlbaches. Auch muß man der großen Fische wegen vorsichtig sein.”

Obwohl Jünger den ganzen Tag in Gesellschaft der Mönche Franziskaner-, Jesuiten- und Benediktinerklöster und deren Kirchen in Salvador aufsuchte, verliert er kein Wort über die große Pilgerkirche unweit seiner Badestelle. Seine kleine Kirche existiert weiterhin, sehr pittoresk liegt sie am Strand unterhalb der schönsten Festung Bahias, so sagt man,  dem Forte de Monte Serrat (1587), nach dem sie vielleicht auch benannt wurde. Es ist die einschiffige Kirche, die heute offiziell Igreja Nossa Senhora de Monte Serrat heißt und aus dem 17. Jh. ist. Durchaus also alt für die brasilianischen (Zeit-) Verhältnisse ist.

Unserer zweiter literarischer Begleiter hat hingegen so einiges in einem kleinen Kapitel zu der Wallfahrtskirche zusammengetragen, zumal er das Glück hatte, zu dem Fest des Bonfim vor Ort zu sein. Das Fest findet Mitte Januar statt und heißt Lavagem do Bonfim. Man könnte sagen, es ist ein großer Waschtag für die Kirche, begleitet von einer Prozession und einem ausgiebigen Fest mit Speis, Trank und Tanz. Die Igreja do Bonfim, gebaut 1754, hat nicht nur eine Treppe, die ein mal im Jahr zum Tag des Heiligen Bonfim (ein Heiliger vom “Guten-Ende”, den man vergeblich unter den offiziellen Heiligen und ihren Feiertagen sucht) geschrubbt wird, sondern auch tausende und abertausende von bunten Bändern, die man sich um das Handgelenk bindet, drei mal Knotet und mit jedem Knoten etwas Wünscht. Löst sich das Band irgendwann von alleine auf, dann gehen diese drei Wünsche in Erfüllung. Diese Bänder, Fitinhas genannt, tragen die Aufschrift “Lembrança do Senhor do Bonfim da Bahia” (Angedenken des Herren Bon(m)fin von Bahia). Sie werden überall in Salvador verkauft, ehemals verschenkt, und natürlich am Ostersonntag direkt vor der Kirchtreppe verkaufsoffensiv angeboten. Marcel hat für uns einen guten Preis ausgehandelt. Unsere Bänder haben wir an das Gitter, an die Türen der Kirche und an den Mast der Chulugi gebunden. Der Unmenge dort flatternder Bändchen nach zu urteilen, lösen sich die Knoten oder das Material nur sehr langsam auf…

Stefan Zweig weiß zu berichten:

“Die Kirche des Bomfim [sic] war ursprünglich eine Negerkirche. Und anscheinend hatte einmal ein Priester der Gemeinde aufgetragen, es gehöre sich doch, am Tage vor dem Fest des Heiligen die Kirche gründlich zu reinigen und den Fußboden mit Wasser zu scheuern. Die schwarzen Christen nahmen den Auftrag gerne an; welch eine gute Gelegenheit für die ehrlich frommen Gemüter, dem Heiligen ihre Liebe und Ehrfurcht zu erweisen! Sie wollten sie natürlich besonders gut fegen und scheuern, jeder war an dem bestimmten Tage zur Stelle um der Ehre teilhaftig zu sein, dem guten Vater Bomfim sein Haus schön sauber zu fegen. Mit diesem durchaus frommen Bemühen begann es. […] Sie rieben und fegten um die Wette, als wollten sie ihre eigenen Sünden abwaschen, Hunderte, Tausende drängten sich von nah und fern hinzu, immer mehr von Jahr zu Jahr. Und mit einem Mal war aus dem frommen Brauch ein Volksfest geworden, ein so stürmisches, ekstatisches, die die Geistlichkeit Anstoß daran nahm und es abstellte. Aber der Wille des Volkes nach einem Fest hat sich das lavagem do senhor do Bomfim wieder erzwungen.”

Ganz Salvador machte sich auf dem Weg mit der Prozession, um in zwei oder mehr Stunden endlich an der Kirche in Ribeira anzukommen. Böllerschüsse kündigen vor der Kirche den dort Wartenden die nahe Ankunft des Zuges mit den Wasserkrügen und sonstigen Utensilien für die rituelle Waschung an.

“Bei jedem Böllerschuß ein neuer Aufschrei ‘viva o Senhor do Bomfim’, ein neues Klatschen und Tosen und immer heftiger und heftiger: ich muß gestehen, daß etwas von dieser gestauten Ungeduld, von dieser geballten Leidenschaft der Masse in mich überging. […] Endlich kam der ersehnte Augenblick.” Und Zweig beschreibt in wunderbarer Weise wie die Menschen sich mit Besen und Schrubbern in Ekstase schrien und putzten. “Und zwischendurch tobten die tollen Teufel und rieben und schrubbten und fegten, als sollte ihnen das Blut unter den Nägeln vorspringen – etwas so ungeheuer Hinreißendes und Ansteckendes war in diesem religiös-lustvollen Fegen, daß ich nicht sicher war, ob ich nicht selbst, wenn ich mich inmitten der Exaltieren befunden hätte, einen solchen Besen an mich gerissen hätte. Es war eigentlich die erste Massentollheit, die ich gesehen.”

Wie sollte es anders sein, hier in der Bucht der Allerheiligen, als dass auch in diesem Ritus das Katholische mit dem Afrikanischen sich zu einem neuen Bund verband. Candomblé überall. Und so beschließt auch Zweig seinen Bericht: “Aber das ist das Geheimnis von Bahia, daß hier noch von den Ahnen her sich das Religiöse mit dem Lusthaften im Blute geheimnisvoll verbindet […]; nicht zufällig ist ja Bahia die Stadt der Candomblé und jener Macumba, in der alte blutige afrikanische Riten sich mit einem Fanatismus für das Katholisch auf sonderbare Weise verbinden.”

[Zitate nachzulesen in Zweigs Buch “Brasilien” auf Seiten 268 bis 273.]

Uns war am Ostersonntag kein auch nur annähernd so spannender Ritus vergönnt. Die Ostermesse wurde offenbar traditionell für Taufen genutzt. Ein netter Brauch, aber vollkommen unexzessiv. Sogar die Babys schrien nicht.

Die Kirche sowie die daran anschließende Kapelle mit den Votivgaben, die bereits seit dem 18. Jh. hier aufgehängt werden, wurde vor relativ kurzer Zeit ‘aufgeräumt’, was nichts anderes heißt, als dass man die alten Votive weggeworfen hat, und die neueren umsortiert und zu Themengruppen gebunden hat. Damit erreichte man eine Ordnung, die zwar auf den brasilianischen Straßen wünschenswert wäre, aber im sakral-rituellen Kontext sich seltsam puristisch ausmacht. Der Ritus der Wunscherfüllung ist offensichtlich nicht nur an die bunten Bänder gebunden, sondern wird vollführt mit einer rituellen Berührung und Küssen der Kirchentür sowie Gebeten davor, was sich offenbar nur im seitlichen (rechten) Eingang vollzieht. Davon berichtet zwar keine unserer Quellen, doch haben wir es selbst während der Messe beobachten können.

 

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Osterspeise puristisch. Heidnische Symbole neu mit christlichen kombiniert. Ganz im Sinne des Candomblés.

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Ribeira vom Wasser aus gesehen.

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Igreja do Bonfim und ihre besondere Treppe.

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Hier ersteht Marcel unsere Wunschbänder. Im Hintergrund – traditionell gekleidet – die ‘PriesterIn’ des Candomblés. Wir ließen uns für 20 Reaies segnen und beweihräuchern unter Angabe unserer Vornamen. Die Zukunft muss gut sein, denn einige Wochen später fischten wir auch noch eine Candomblé-Puppe aus dem Fluß, doch dazu später mehr an einer anderen Stelle.

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Alte – nun schön ordentlich aufgehängte – Votivgaben.

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Neue Ordnung.

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