Durch eine Friedhof zu schlendern, ist nicht nur etwas für Teenager, Romantiker oder Fans des Morbiden. Es kann durchaus ein Einstieg in die Geschichte der Stadt oder sogar die Geschichte des Landes liefern. Tatsächlich bedarf es nur der richtigen Fragen und ein wenig Recherche, um die große Geschichte hinter der kleinen, hinter all der Namen auf den Grabtafeln zu entdecken. Gleichwohl kann man endlich auch etwas Ruhe tanken, denn diese innerstädtischen Orte sind vielleicht die einzigen übriggeblieben Inseln der Ruhe innerhalb der (südamerikanischen) Großstädte.
I. Cementerio Central
[Location: Av. Gonzalo Ramírez 1302; im Stadtteil Barrio Sur]
Beginnen wir mit dem ältesten Friedhof der Hauptstadt, dem Cementerio Central, der nicht nur der älteste von Montevideo, sondern der bedeutendste Friedhof von Uruguay ist. November 1835 eingeweiht, gibt er vielen nationalen Persönlichkeiten die letzte Ruhestätte. Seit 1975 steht er auf der Liste des Monumento Histórico Nacional. Nun, wir durften leider nur hineinlugen, denn Hunde scheinen hier die Totenruhe zu stören. Da die unmittelbare Umgebung des Friedhofs keine angenehmen Wartemöglichkeiten bietet, mussten wir uns mit dieser kleinen Impression begnügen.
Gleich an erster Stelle erwähnenswertes Bonmot ist der tote deutsche ‘Häretiker’, der Geschichte schrieb, als er im Jahr 1838 den Friedhofsbetrieb blockierte und ein neues Gesetz provozierte. Doch dazu im nächsten Kapitel mehr.
Wie wichtig dieser Friedhof dem Cabildo (Stadtverwaltung) ist, kann man an der mehrseitigen Broschüre ersehen, die an gut sortierten Infostellen ausliegt. Ein Besuch ist sicherlich empfehlenswert. Interessierte an der Geschichte und Kunstgeschichte des Landes finden auf dem Friedhof sowohl die wichtigsten historischen Persönlichkeiten beerdigt, als auch einige Skulpturen wichtiger uruguayischer Bildhauer wie José Belloni (Realismus) und José Luis Zorrilla de San Martín (“barocker Modernismus”) – beide mit europäischen Wurzeln und Aufenthalten in Europa großgeworden. De San Martín studierte um 1914 beispielsweise in München.
Entsprechend der Vorliebe einiger Einwanderer für italienische Architektur und bildende Kunst in der Anfangszeit der Republik (s. den Blogbeitrag Architektur Montevideos) wurde die imposante Eingangshalle des Friedhofs von dem italienischen Bildhauer Bernardo Poncini gestaltet. Besonderer ‘Beleibtheit’ erfreute sich der damals neue Friedhof während des Bürgerkrieges, des “Großen Krieges” von 1838-1852, und vor allem ab 1858, so dass er tatsächlich eine historische Fundgrube aus der Zeit der Etablierung des Staates darstellt. Wegen der begründeten Angst vor Epidemien und der von den Toten gleicherweise ausgehenden Ansteckungsgefahr, sowie der Verunreinigung des Bodens hat man den Friedhof damals weit vor der Stadt errichtet. Doch bereits am Ende des 19. Jh.s war er von innerstädtischen Gebäuden umringt, denn die Stadt entwickelte sich um die Jahrhundertwende des 20.Jh.s rasant.
INFO und Anregung: Der Cementerio ist gut als eine Erweiterung der Architektur-Tour entlang der Av. 18. de Julio, so wie ich sie vorgeschlagen habe (s. den oben Link) zu machen. Man muss dringend die unüblichen Öffnungszeiten aller Friedhöfe beachten. 10:00 bis 16:00 (Winter 2016/17), die nachfolgenden beiden Friedhöfe bis 17:00. Plan: siehe Foto am Ende des Artikels.
Die Hauptallee heute gesehen vom Haupteingang.
Historische Fotos von ca. 1870/71. Alle Aufnahmen sind © des Centro de Fotografia de Montevideo (CdF), einer sehr guten und interessante Einrichtung mit hervorragender Internetpräsentation (leider nur auf Spanisch), in diesem externen Link zu finden. Eine andere Internetseite, die zu empfehlen ist, stellt das „Montevideo Antiguo“ dar (u.a. mit einer Interaktiven Karte).
Calle Yaguarón auf der Höhe der Calle Canelones. Im Hintergrund sieht man den ummauerten Friedhof Cementerio Central im Barrio Sur.
Plaza Alfredo Zitarrosa. Nicht mehr vorhanden (nun Straßen und Gebäude). Im Hintergrund: Eingangshalle des Cementerio Central. (Avenida Gonzalo Ramírez, Eingang zu den Straßen Carlos S. Viana und Domingo Petrarca). Stadtteil Barrio Sur.
II. Cementerio Británico
[Location: Avenida Gral Rivera, Barrio Buceo, Oberhalb der Marina]
Stellen wir also die richtigen Fragen: Warum gibt es einen Cementerio Británico in Montevideo?
Es begann mit der britischen Invasion von 1807, die an dem Ort ausgetragen wurde, wo heute die Avenida Central verläuft. Die Schlacht von Cordón fand statt zwischen britischen und spanischen Verbänden. Einige Engländer starben, die anderen behielten die Oberhand über das Land. Die gefallen Soldaten beerdigte man dort, wo sie fielen. Dieses Land bekam der portugiesische Padre Don Manuel Salinas während der portugiesischen Okkupation des Landes geschenkt, verkaufte es aber 1825 an einen britischen Bürger, Mr. John Hall, der wiederum 1828 es an den britischen Konsul von Montevideo, Mr. Thomas Hood, weiterverkaufte, der wiederum im Namen der britischen Regierung handelte. Und so wurde der Cementerio de los Ingleses offiziell ein Friedhof der Briten. Er lag ungefähr an der Stelle des heutigen Museo de Historia del Arte (Ejido 1326) bzw. des Areals, auf dem das neuzeitliche Rathaus, Intendencia de Montevideo, an der Av. 18 de Julio steht.
Cementerio de los Ingleses. Grundstück bei dem historischen Friedhof, Foto von 1884. Ecke der Straßen Calle Ejido und Calle Soriano. Heute vielbefahrene Avenida 18 de Julio.
Nun, zunächst ist zu sagen, dass der “Britische Friedhof” gar nicht so britisch ist, denn es hat keine Restriktion bezüglich der Religion oder Nationalität. Was soviel heißt, dass jeder und jede dort die letzte Ruhe finden kann. Theoretisch. Warum dem so ist, hat selbstverständlich auch hier einen historischen Grund, und dieser beginnt interessanterweise mit einem deutschen Toten.
1835 starb ein deutscher Bürger von Uruguay mit dem hispanisierten Namen Enrique Jacobsen in San Jose. Doch in seinem Wohnort wollte man ihm nicht begraben, denn er war – wie es hieß – “ein Häretiker” und “Freimaurer”. So brachte man sein Leichnam nach Montevideo, doch auch dort wollte man ihn zunächst nicht in der geweihten katholischen Erde bestatten. Was sollte man aber mit der Leiche machen? Man entschied, den Deutschen doch noch auf dem Cementerio Central – dem heutigen ältesten Friedhof der Stadt (s. oben) – zu beerdigen. Mit der Konsequenz, dass der Bischof von Montevideo bestimmte, solange dieser Häretiker auf seinem Friedhof läge, wird es dort kein katholisches Begräbnis stattfinden! Das war der Moment, an dem die Regierung einschritt und ein Gesetz erließ, demnach alle Friedhöfe des Landes unter die Legislative der Polizeipräfektur fallen. Und schließlich bestimmte diese, in Abstimmung mit der britischen Verwaltung, dass auf dem “Friedhof der Engländer”, nicht nur Briten, sondern alle Protestanten anderer Nationalitäten wie überhaupt alle Andersgläubige bestattet werden sollten.
Bereits am Eingang begrüßte uns die prominent ins Szene gesetzte Büste der Queen von 1902 (ein Jahr nach dem Tod der Monarchin) – “The Empire of India” und “Victoria, Queen and Mother of her People”, wie uns das graue Granit des Obelisks belehrt –, umgeben von hohen Rosenhecken und Schildern, auf denen die Verbote von Vasen und Süßwasser sowie andere Regelungen zum Blumengesteck bekannt gemacht werden. Ich wundere mich zunächst darüber, doch dann Erinnere ich mich daran, dass es sich hierbei wahrscheinlich um Maßnahmen zur Vermeidung von Mückenbrutplätzen handelt. Das hat zufolge, dass es auf den Gräbern keine frischen Blumen mehr gibt. Natürlich verändern solche Regelungen nicht nur das Brutplatzverhalten der Mücken (die schon etwas anderes finden werden), sondern vor allem das Erscheinungsbild eines Friedhofs, zumindest aber das eines Grabes, und vielleicht noch gravierender: sie verändern das kulturelle Verhalten der Friedhofsgänger und der Gläubigen.
Unter dem Baum eine schlichte graue Tafel mit schwacher Gravur, Baum und Tafel 1942 gepflanzt: “Grown from seed and planted in proud and loving memory of Derek Anson Wood R.A.F. 14-8-20 . 22-3-42”.
Nico und Marcel müssen wieder draußen bleiben – dieses Mal auf einer netten Bank im Friedhof Británico.
Der heutige Cementerio Británico ist ein neuer Friedhof der Briten, nachdem der erste Cementerio de los Ingleses in der Zeit um die Gelbfieberepidemie 1879 per Gesetz geschlossen wurde. Da die britische Gemeinde schon mit der Schließung rechnete, hatte man rechtzeitig vorgesorgt und ein neues Grundstück neben dem bereits bestehenden großen Friedhof Buceo (s. unten) aufgekauft. Wie der Zufall es will, galt das erste Begräbnis dem Deutschen Nicolas Laukant am 9 April 1885. Alle Gebäude, die heute noch auf dem Friedhof zu sehen sind, stammen noch aus dem Gründungsjahr 1885. Das gleiche gilt für die Gartenanlage und die Wege. Zwischen den Jahren 1887 und 1888 wurden schließlich die Gräber des alten Cementerio restlos vernichtet und die Leichen auf dem neuen Friedhof neu beigesetzt.
Auffällig am Britischen Friedhof sind die vielen sogenannten Keltischen Kreuze und Gedenktexte an ermordete Engländer, Iren oder Schotten. Was war los in Montevideo, fragte ich mich. Die Antwort darauf findet ihren Ursprung in den Unabhängigkeitsbestrebungen des Landes, einerseits von Argentinien bzw. von Spanien und andererseits von Portugal. Im 19. Jh. war Großbritannien sehr daran gelegen, in Uruguay einen Staat mitzugründen, der die wirtschaftliche Macht der Argentinier und der Portugiesen bzw. der Brasilianer auf dem Weltmarkt abschwächte. Eine Pufferzone sollte Uruguay werden, in der Großbritannien wiederum ihre Geschäfte installieren könnte, was den Briten in der Tat eine Zeitlang gelungen ist. Sie investierten nicht nur in die Unabhängigkeitsbestrebungen des Landes, sondern unterstützten den sogenannten Großen Krieg, der nach der Unabhängigkeit von Spanien folgte und eine komplizierte interne Angelegenheit (Bürgerkrieg) war.
1851 unterstützte die britische Marine die Blockade der argentinischen Häfen, womit der “Große Krieg” (Bürgerkrieg) zwischen den Großgrundbesitzern in Uruguay, der Regierung in Montevideo und dem Gouverneur von Buenos Aires, Juan Manuel de Rosas, zu Gunsten der Partei der Colorados – eines Bündnisses der in Montevideo dominierten Partei, die eine Zentralgewalt von Montevideo aus durchsetzen und die Macht der Großgrundbesitzer reduzieren wollte.
Ab 1870 engagierten sich vor allem englische Unternehmen in der Entwicklung des Landes. Das britische Kapital band den neuentstehenden Wirtschaftsraum am Río de la Plata an die europäische (britische) Märkte. Investitionen und Darlehen flossen in das Land, vor allem aber in die Industrialisierung, in die Wasser-, Strom- und Gasversorgung von und in Montevideo. So war der britische Kapitalstrom vor allem auf die Hauptstadt konzentriert.
Auf dem Land herrschte die sogenannte Blanco–Partei, in der vor allem die argentinientreuen Großgrundbesitzer die Politik bestimmten und in dem “Großen Krieg” gegen die Partei der städtischen Colorados kämpften. Immer wieder kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen auf dem Land, das eine dominante Stellung innerhalb der Wirtschaft Uruguays inne hatte, nämlich als Fleisch-, Leder- und Wollelieferant (alles Hauptexportgüter des jungen Staates).
Erst 1904 gelang es der Regierung in Montevideo die letzten bewaffneten Widerstände der Blanco-Partei niederzuwerfen. Doch es sollte nicht für immer sein… Aus dieser historischen Verwicklung der Briten in Uruguay, speziell aber in Montevideo, erklärt sich der britische Friedhof und die zahlreichen unnatürlichen Todesfälle. Die Geschichte der Briten in Uruguay (und Argentinien) geht aber über das 19. Jh. hinaus und mündet im Zweiten Weltkrieg.
Gewußt, dass vor den Toren der Stadt die erste Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs stattfand? Daran beteiligt waren drei Schiffe englischer bzw. neuseeländischer Herkunft und die berühmtgewordene Admiral Graf Spee, ein schwerer Kreuzer der deutschen Wehrmacht unter dem Kommando von Kapitän zur See Hans Langsdorff, der bereits kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor die Küsten Südamerikas geschickt wurde, um hier die Handelsschiffe der Alleierten, vor allem die der Engländer, zu überfallen – oder wie es in der feineren Sprache der Marine heißt: zu kapern.
Das tat die Graf Spee auch tüchtig und hatte am Ende eine Bilanz von 9 britischen Handelsschiffen in drei Monaten – ohne einen einzigen Toten. Doch in der Schlacht von Río de la Plata wurde sie nicht nur schwer angeschlagen, sondern hatte auch 36 Tote sowie 60 Verwundete zu beklagen. Daraufhin brach Langsdorff das Manöver ab und lief Montevideo an, um hier die notwendigen Reparaturen vorzunehmen. Die eigentlich neutrale Uruguay war jedoch zu sehr britenfreundlich und ließ dem Panzerkreuzer nur 72 Stunden Zeit: zu wenig für die Reparaturen und genug für die gegnerischen Seekräfte, die sich in der Zwischenzeit hätten formieren können. Langsdorff entschied – in Absprache mit der Wehrmacht in Deutschland – das Schiff zu sprengen. Damit rettete er der restlichen Besatzung von ca.1000 Mann das Leben. Am 17. Dezember 1939 um 18:15 Uhr lief die Graf Spree aus dem Hafen von Montevideo aus und wurde im flachen Wasser gesprengt, tausende Schaulustige begleiteten die Aktion. Die meisten Männer haben heimlich am Tag zuvor das Schiff verlassen. Nach der Sprengung übersetzte die Mannschaft und ihr Kapitän nach Buenos Aires. Die meisten der Matrosen ließen sich in Argentinien nieder, wo sie bis 1946 oder bis zu ihrem Tod blieben (Kolonie bei Cordoba). Hans Langsdorff nahm sich aber wenige Tage später im Hotelzimmer das Leben. Er wurde auf dem Deutschen Friedhof von Buenos Aires unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Engländer, die er so zuvorkommend als Gefangene auf seinem Schiff behandelte, begraben.
Besonders erwähnenswert finde ich in diesem Zusammenhang die deutsche Propaganda- und Lügenpresse zu den Vorkommnissen um die gefallenen deutschen Matrosen, was dazu führte, dass der deutsche Gesandte sich mit einem Telegramm vom 22. Dez. 1939 sich an das Auswärtige Amt in Berlin wandte (kurzer Auszug):
„Bitte dringend auf DNB (Deutsches Nachrichtenbüro) einzuwirken, unwahre Meldungen über übles Verhalten britischer Seeleute an Gräbern der Graf Spee-Männer zu stoppen und zu dementieren. Die Unwahrheit ist hier offenbar und schädigt lediglich Glaubwürdigkeit aller DNB-Meldungen, ohne zu nützen. Die Ritterlichkeit der aufgebrachten britischen Seeleute ist in der (süd-)amerikanischen Presse über United Press unter Würdigung des guten Verhaltens der Spee-Besatzung ihnen gegenüber hinreichend verbreitet […]” (in voller Länge auf Wikipedia). Einige der gefallenen deutschen Matrosen sind nämlich auf dem Cementerio Britanico in Montevideo beerdigt.
Eine andere interessante Geschichte betrifft die immer wieder versuchte Bergung der Graf Spee, die die uruguayische Regierung vornehmen ließ – gegen den Willen der Deutschen Regierung, die sich als rechtmäßige Besitzerin des Wracks sieht. Teile des Schiffes – der über 40 Tonnen Schwere Entfernungsmesser und Anker – wurden bereits 2004 gehoben, sie sind ausgestellt im unzugänglichen Bereich der Hafenanlagen, die Nur Fährpassagiere zu sehen bekommen. Heftige Diskussionen erzeugte die Bergung des Reichsadlers, der am Heck der Graf Spee befestigt war. Den 400 kg schweren, ca. zwei Meter großen und auf einem Eichenlaubkranz mit Hakenkreuz stehenden Bronzeadler hatte man 2006 geborgen. Die Bergung besorgte die private Firma Etchegaray, die den Adler an eine Neonazigruppe verkaufen wollte – gegen den Willen der uruguayischen Regierung, so hieß es in der Frankfurter Rundschau von 2006. Ein anonymer französischer Käufer wollte (angeblich) 3 Mill. US-Dollar hierfür zahlen. “Aus berechtigter Sorge vor neonazistischer Begeisterung verhinderten Uruguays Behörden die Auktion. Der Adler lagert unter Aufsicht der Marine und Ausschluss der Öffentlichkeit, viele Politiker und andere würden ihn dort am liebsten verstauben lassen.” (s. den Artikel in der Süddeutschen Zeitung).
So ist am Ende der Kreuzer Admiral Graf Spree selbst eine Art Friedhof geworden. Ihre Reste liegen immer noch vor dem Hafen von Montevideo und sind auf allen marinen Karten eingezeichnet.
Wer sich für die Geschichte der Graf Spee in Montevideo und die des Kapitäns interessiert, der kann sich weiter Informieren auf Wikipedia, oder auf einem der vielen Blogs im Internet (bspw. hier, mit Fotos).
Der in Montevideo geborgene Reichsadler [Foto: Infobae, mit historischen Fotografien].
Studiert man den obigen Ausschnitt aus dem Friedhofsplan, der anlässlich einer nächtlichen Friedhofsführung herausgegeben wurde, so wird schnell deutlich, dass der “Britische Friedhof” für sehr viele andere Nationalitäten ihre letzte Ruhestätte bereithielt. Zu den interessantesten Gräbern und Gräberfeldern gehören: der “Sailor’s Corner” (Nr. 17), die Gräber der Matrosen der Admiral Graf Spee (Nr. 31), weitere schön gestaltete Gräber der Deutschen, Franzosen und Armenier (Nr. 28), für Literaturinteressierte hervorzuheben ist die Nr. 9, das Doppelgrab der chilenischen Großeltern von Paula, der Tochter der Romanschriftstellerin Isabel Allende, die in dem autobiographischen Roman “Paula” die Familiengeschichte der sterbenden, im Koma liegenden Tochter erzählt. Schließlich, in der Nähe der deutschen Matrosengräber (Nr. 31) liegt Balder Olden begraben. Er war ein deutscher Jude, Schriftsteller und Journalist, der unter anderem für die “Kölnische Zeitung” als reisender Reporter von seinen Weltreisen berichtete. Im Zweiten Weltkrieg, nun auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, wurde er in einem französischen Konzentrationslager inhaftiert, von wo aus er flüchten konnte und sich zunächst nach Buenos Aires, später dann nach Montevideo absetzte. Im Exil half er Deutschexilanten und Juden. Im Jahr 1949 wählte er dort den Freitod. (Übrigens eine sehr interessante Person und Familie, durchaus empfehlenswert, die Informationen auf Wikipedia und anderen Internetseiten.)
III. Cementerio Buceo
[Location: Avenida Gral Rivera 3934; neben dem Cementerio Británico; Barrio Buceo]
Cementerio Buceo ist ein sehr großer Friedhof im namensgebenden Stadtviertel, dem Barrio Buceo, und unweit des Yacht Club Uruguay gelegen. Seine Eröffnung fand am 20. März 1872 statt. Skurril an ihm ist seine besondere Art der Weitläufigkeit. Durchziehen den britischen Friedhof, der in unmittelbarer Nachbarschaft liegt, schmale Alleen mit Hecken und Rosen, so haben wir es bei Cementerio Buceo geradezu mit Autobahnen zu tun. Aber, hier darf der Hund mit, wir sind also zufrieden! Der schier endlose Stadtfriedhof hat Ausblick auf den Fluß, der hier die Breite eines Meeres hat, und erinnert mich damit an die unübertroffenen griechischen Friedhöfe, die die Frechheit haben, die möglichen “Hotel-Mit-Meerblick-Anlagen” besetzt zu halten.
In Eingangsnähe findet sich der alte Teil des Friedhofs mit großbürgerlichen Mausoleen, die von den zum Teil skurrilen Geschmäckern ihre Bewohner zeugen. Den übrigen Teil beherrschen vor allem Urnen… ich zögere auf der Suche nach einem passenden Wort… denn de facto handelt es sich hierbei um Hochhäuser, um ganze Urnen-Hoch-Wände. Eine feinere Urnengesellschaft hätte sogar den Blick frei auf das ‘Meer’, doch was für eine Verschwendung, die Urnenwände zeigen nach innen und damit weg vom Fluß.
Ein schier labyrinthisches Urnenfeld beherrscht den mittleren Teil des Friedhofs. Seinen Eingang markiert ein Schild und eine überraschenderweise nach unten führende Straße, wodurch ich zunächst an eine Einfahrt in Tiefgarage erinnert werde. Die schlichte Unvermeidbarkeit seiner Abwärtsbewegung läßt mich an Hades denken und so traue ich mich nicht an diesem heißen Tag voller langer dunkler Schatten diese Straße zu betreten. Statt dessen suche ich einen Nebeneingang, der weniger offiziell in das Zentrum führt.
Historische Aufnahme von ca. 1920. Der Haupteingang. Avenida General Rivera. Buceo. [Foto: http://cdf.montevideo.gub.uy/]
Der historische Eingangsbogen von Innen aus gesehen.
Je nach Geschmack, Geldbeutel und Sterbezeit sind in Analogie der Architektur aus der Stadt der Lebenden hier alle Stilrichtungen vertreten. Im obigen Foto das Gebäude oder Mausoleum der Asociación Española zu sehen, die sich im frühen 20. Jh. der Hilfe von spanischen Exilanten verschrieben hat; das daraus hervorgegangene Krankenhaus besteht in moderner Form weiterhin.
Hier geht es zum Hades. Die Straße verschwindet scheinbar abrupt in der Tiefe.
Der Hades – oder der untere Friedhof – vom oberhalbliegenden Standort aus gesehen: Die hier sichtbaren Mauern stellen die Rückwände der Urnenblocks dar. Die Urnensiedlung mit ihren hohen Wänden und schmucklosen Luken ist ob ihrer niederdrückenden Schlichtheit überwältigend trostlos.
Mehrzweck-Minigaragen: Moderne Tristes auch bei den Toten. Warum soll es ihnen besser ergehen.
Hier beginnt ein anderes “Condominio” der Toten, das mich an Griechenlands Toplage jener Friedhöfe mit Meerblick erinnert.
Karten zum Wiederfinden der Orte (Aufnahmen aus Google Map):