Nach Wochen permanent dichten (Passat- und Regen-) Wolken – sowie den Versprechungen der Meteorologen: “morgen wird es besser” – haben wir beschlossen, in den Süden zu fahren.
Unserer Autovermieter ist René, der TransOcean-Stützpunktleiter. Der Mietvorgang unkompliziert: Auto nach Gebrauch an der Marina abstellen, Geld und Schlüssel an dem vereinbarten Ort hinterlegen – fertig. Um das Auto brauchten wir uns keine übertriebenen Sorgen zu machen, es ist noch ein Modell mit Kassettendeck und Fensterkurbel, aber es fuhr und brachte uns sicher an das Ziel:
Der Süden Gran Canarias, das ist vor allem eine ehemals wunderschöne Gegend um Maspalomas. Eine riesige (ehemals wandernde) Düne, ein Leuchtturm, eine Landschaft zwischen Sahara und Meeresrauschen. Jetzt durch riesige Hotelanlagen, Einkaufsparadiese, Holiday Worlds, Aquaparks und diverse Golfresorts auf das Minimum eingeschränkt, – von ‘wandern’ kann keine Rede mehr sein – und trotzdem ein ‘Naturschutzgebiet’. Eine einzige immer wieder modifizierte Aufnahme von dieser Dünenlandschaft verspricht Natur pur und das trotz tausender Touristen und ihres vielfältigen Verbrauchs. Man muss es schon sehr wollen, um das glauben zu können. Diese Tortur der Landschaft zieht sich noch einige Kilometer nach Südwesten, bis die Autobahn in Puerto de Mogán ein Ende hat. Ich muss mich immer wieder ermahnen, dieses grauenhafte Ausmaß an Zerstörung von Natur und Kultur nicht zu bedauern – wenn es den Menschen nicht gefallen würde, so gäbe es diese Anlagen, die Hochhäuser und diesen Müll nicht. Auch die meisten Segler, mit denen ich gesprochen habe, finden das alles ganz ok. Zu segeln macht aus einem Menschen keinen besseren Menschen.
Nimmt man die Ausfahrt Richtung Mogán, so findet man sich sehr schnell in einer überwältigenden Canyonlandschaft wieder, die zwar nicht unbewohnt, aber doch dünn besiedelt ist. Der Ort Soria war die Ausgangsstation für unsere kleine Wandertour. Vor ab das Gute: die Straßen sind nicht durch EU-Finanzierung sinnlos erweitert worden und so muss man zwar vorsichtiger fahren, dafür aber sind ihre Ausmaße der Landschaft angepasst, so dass sie die weniger störend ausfallen. Das ist schon mal positiv.
Soria ist ein Aussteiger-Weiler. Deutsche und schwedische Hippies sollen hier ‘ausgestiegen’ sein. Ob das stimmt? Viele deutsche (oder Österreicher) gab es hingegen als Fahrradfahrer in voller Montur, was mich an Mallorca denken ließ, und auch die Landschaft erinnerte mich seltsamerweise an die Mittelmeerinsel. Allerdings, der großgewachsene Blonde, die Bedienung, in der Bar “Fernando” ist kein Guanche (wie ich gerne geglaubt hätte), sondern tatsächlich ein Deutscher. Er spricht perfekt den kanarischen Slang und Deutsch. Vielleicht dann doch ein Nachkomme der Hippies.
Besonders hippiehaft sieht Soria allerdings nicht aus: Die besagte Bar, eine Bäckerei in der Straßenkurve, aus der unglaublich schwarzer und stinkender Qualm aufstieg (was hat man da wohl verbrannt?), ein paar verstreute Häuser entlang der Straße und die dazugehörigen Terrassenanlagen. Viel Altbestand war nicht zu sehen. Palmen sind zwar in überraschender Menge und Qualität (so buschige und gutgewachsene habe ich noch nirgends auf den Kanaren gesehen) da, aber die “palmengesäumte Dorfstraße”, wie sie unserer Wanderführer versprach, gibt es nicht – es ist eine ganz normale Durchgangsstraße. Dörfer hier sind allerdings auch nicht mit den europäischen zu vergleichen. Hier sucht man fast vergeblich nach (Bauern-) Häusern mit Vorgärten, die sich zur Straße hin öffnen. Auch gibt es selten eine Kirche oder zentral angelegte Plätze. Aber Soria kann auf einen sehr markanten Stausee blicken, den Embalse de Soria! Bereits im März ist er beinahe ausgetrocknet… ob das normal ist? Der Stausee ist mit einem Fassungsvermögen von 32 Millionen Kubikmetern die größte Talsperre der Kanaren. Wer hätte das gedacht.
Wir befinden uns etwas unterhalb von 1000 m.ü.M. und es ist sehr sehr warm. Aus dem Nordosten der Insel kommend sind wir nur an Temperaturen von 18 Grad und Regen gewöhnt (das zu dem “ewigen Frühling” der Kanaren), dementsprechend sind wir bereits verschwitzt, als wir das Auto verlassen. Keiner von uns hat entsprechende Wanderbeckleidung mit, nur warme Hosen, Sweatshirts und Regenjacken, und noch einmal ‘was Dickes’ für alle Fälle… Und nun? Wir quetschen den Rest aus kleinen Proben Sonnencreme Faktor 50 heraus, die ich im Kosmetikbeutel zufällig dabei hatte, und setzen uns erst einmal in das einzige Café der Gegend – um uns auf die Wanderung um die Bergmassive Morro de Pinarete und Moro de Gonzalo einzustimmen.
Die Wanderung ist in den Wanderführern “blau” gekennzeichnet, was soviel bedeutet wie “kinderleicht”, und das ist nach den Wochen der Wanderabstinenz genau das richtige für den Anfang. Versprochen sind uns 10km auf Pisten und Wanderwegen, was sich für mich langweilig anhört, aber beschlossen ist beschlossen. Wir gehen los, die Wanderung wird mit ca. 4 Stunden reiner Gehzeit angegeben – ich nehme es vorweg: wir haben uns selbst unterboten und lagen zeitlich gut über diesen 4 Stunden als wir bei Sonnenuntergang wieder am Auto ankamen.
Die Piste ist ein Wort, das normalerweise nichts anderes bedeutet als unbefestigter Fahrweg für Autos und Fußgänger, mit anderen Worten für richtige Wanderer sehr unattraktiv, weil hier tatsächlich viele ihre Autos nicht schonen, die diese Pisten wie normale Straßen nutzen. Doch diese Piste entpuppt sich als ein kaum für Autos zu befahrener Weg, steinig, felsig, schmal und damit viel wanderfreundlicher und spannender als ein Forstweg! Das ist schon die zweite positive Überraschung. Überraschend ist auch (Nr. 3), dass wir alleine wandern. Weit und breit kein Mensch und auch die vereinzelten Siedlungen sind weiter weg und scheinen beinahe unbewohnt. Das liegt sicherlich mitunter an der Sonne (es ist wirklich warm und absolut schattenlos). Die Landschaft wirkt in der flirrenden Hitze ausgedorrt, dabei haben wir Frühling. Es blüht überall, wenn man genauer hinschaut, dennoch dominiert hier braune Farbe.
Wie ich später lese, bezeichnet man diese Gegend als die “typische Trockenlandschaft des Südens” – jetzt wird mir einiges klar.
Allerding lese ich nachträglich auch von den Horden an Jeeps, die die erwähnten Touristenorte auf der Suche nach Zerstreuung verlassen und diese kleinen Straßen und Wege unsicher – und sicherlich sehr unattraktiv – machen. Schade, und ich dachte, hier sei es anders als woanders. Man nennt es Jeepsafaris, warum eigentlich? Weil man nicht aus dem Auto steigt und mit diesem überall hinfahren kann, auch dorthin, wo es keine Straßen gibt? Zweifelhaftes Vergnügen für diejenigen, die dem Lärm und Gestank (nicht nur der Autos) entgegen wollen. So steht auf der Internetseite von www.kanaren-virtuell folgendes salopp formuliert, aber zwischen den Zeilen kann man durchaus etwas anderes herauslesen: “Das Soria-Tal wird auch oft von den diversen Jeep-Safaris frequentiert. Quer zur Fahrtrichtung sitzen dort die Touristen zusammengepfercht auf der Ladefläche der Jeeps und lassen sich durch die Gegend schaukeln.” Das dazugehörige Foto füllt das Zwischen-den-Zeilen aus:
Auch erfahre ich nachträglich, dass die Stausees normalerweise nicht so trocken sind, wie derjenige von Soria. Es heißt zwar, die Touristenzentren würden ihren exorbitanten Wasserverbrauch durch Meerwassergewinnung aufarbeiten, doch dies scheint nicht ganz zuzutreffen. Auch das Wasser aus den Stausees fließt in unterschiedliche ‘Haushalte’.
Und noch eine Zusatzinformation: Die Staumauer soll bedrohliche Risse aufweisen. Zumindest war das 2011 der Fall. Offenbar ist die Mauer noch nicht geplatzt, denn sonst hätte ein Flutwelle den Süden überrollt. Heißt es nicht, man sollte selbstgemachte Katastrophen als Chancen sehen. Bspw. um die Bau- und Umweltsünden neu zu überdenken. Für interessierte nachzulesen unter: http://www.comprendes-grancanaria.de/news. Wir wanderten aber hoch über dem Stausee, für eine Flutwelle unerreichbar.
Eine Landschaft wie in Schweden? Vielleicht ein wenig. Nur etwas wärmer.
Schärfte man die Augen beim Betrachten der Berghänge und Felsformationen, so entdeckte man immer wieder versteckte Wohnhöhlen, die offenbar bis heute genutzt werden. Ausgebaut als ganze Häuser oder verblieben als schlichte Ziegenstellen, eingestürzt und verlassen, oder ganz neu renoviert – sie alle sind stumme Zeugen der vorhispanischen Kultur der Insel, in der die Guanchen, die auf Gran Canaria “Canarios” hießen, bis ins 15. Jh. lebten, bis sie von den spanischen Usurpatoren durch Heeresgewalt und List geschlagen und versklavt wurden. Nur wenige konnten nach der Eroberung sich profitabel in die neue fremde Gesellschaft einbringen. Viele der Canarios begingen nach der Kapitulation kollektiven Selbstmord. Diese Wohnhöhlen auszumachen, ist eine kleine Herausforderung und spanneden Beschäftigung. Es ist immer wieder überraschend, wie viele es davon gibt und wie gut angepasst sie an die Landschaft sind.
Überraschend war auch ein kleiner, mit einer schönen alten Blumenvase (eine alte Weinflasche) geschmückter Rundtisch mit einer Marmorplate inmitten dieser grandiosen Landschaft. Während ich diese Erscheinung ausgiebig fotografierte, gesellte sich eine junge Frau zu uns, um zu erklären, dass die “Bar” (offenbar dieser Tisch) heute ausnahmsweise geschlossen ist. Zu wenig Wanderer wegen der Hitze… Normalerweise aber gäbe es hier selbstgemachten Käse (die Ziegen- und Schafsherden haben wir wenig später gesehen), Getränke und eigenen Honig. Diesen Honig wollten wir kaufen, allerdings wurde uns ein winziges Probiergläschen für märchenhafte 3 Euro angeboten. Der Handel kam nicht zustande. Die junge Frau kam übrigens aus der Tschechei, machte hier Ferien und war sehr kommunikativ.
Schön – und überraschend – waren die vielen kleinen Wassertümpel, in denen das Wasser noch klar war und das Grün drumherum sehr üppig. Hunderte von Fröschen quakten nach ihrer eigenen Melodie. Ich habe keinen einzigen Frosch zu Gesicht bekommen. Diese Tümpel sind jedoch nichts anderes als mickrige Überbleibsel eines sonst tosenden Wasserfalls. Dieser wurde uns in den Wintermonaten vom Wanderführer versprochen. Ich zweifelte daran, dass es ihn noch gibt. Aber die Recherche im Internet brachte dieses Beweisfoto – wir kennen diese Stelle. Da stand nämlich eine schöne weiße Ziege auf trockenen blankgeschliffenen Steinen:
Die Wandertour endete mit einem Abendessen in Puerto de Mogán am Meer. Es war bereits dunkel als wir dort ankamen, so dass es uns nicht möglich war, zu beurteilen, ob der Ort tatsächlich so voller Superlative ist, wie die Reiseführer und das Internet es darstellen.
Kanaren-virtuell.de schreibt: “Der am Meer gelegene Teil von Puerto de Mogan ist ein Beispiel dafür, wie man Tourismus und die damit verbundene Infrastruktur auch gestalten kann. Dem alten Ortskern vorgelagert wurden Ferienunterkünfte geschaffen, die durch ihre Anordnung und Architektur ein besonderes Flair hervorrufen.” Ein aufmerksamer Leser wird interpretieren können, dass es auch einen nicht gelungenen Teil von Puerto de Mogán gibt, nämlich einen, der in zweiter oder dritter Reihe zum Meer hin liegt.
Die gelungene Neubausiedlung nennt man auch “Klein-Venedig” wegen der vielen runden Brücken und überdachten Kanäle unter den Häusern. Wir sahen nur einen kleinen Ausschnitt bei schummriger Beleuchtung. Touristisch ohne Frage, doch eine Wohltat nach den unsäglichen Hochhäusern und Altbauvernichtung in der Hauptstadt. Dass es auch andereStadtteile von Puerto de Mogán gibt, daran zweifeln wir jedoch nicht.
Wir aßen in der “Bruderschaft der Fischer”, die hier ganz chic ist und dementsprechend höherpreisig, aber direkt an der Mole mit Blick auf den Jachthafen und “Klein-Venedig” gelegen. Es gab Tagesfisch und Pulpo.
Thorsten
Was soll ich sagen: Als ich heute morgen aus dem Fenster geschaut habe, hat es angefangen zu schneien. Die Eröffnung der Wandersession lässt hier in Österreich wohl noch etwas auf sich warten und ich ziehe mir lieber einen warmen Pulli an.