Wir sitzen beim Frühstück in einer Bäckerei, trinken Kaffee und blicken auf den Atlantischen Ozean. Gerade haben wir unsere Morgenpraxis hinter uns gebracht. Eineinhalb Stunden Bewegung, Atmung, Konzentration. Nach der Frühstückspause erwarten uns zwei Stunden Theorie und Praktikum und nach dem Lunch erneut eine Stunde Praxis: Konzentration, Atmung – Meditation in Bewegung.
Ashtanga Yoga ist ein Transformationsprozess durch die Synchronisation der Atmung mit der Bewegung. Die Konzentration wird durch die Fokussierung des Blicks gebündelt, die Energie durch die Anspannung des Körpers gehalten.
Wenn ich die tägliche morgendliche Praxis beendet habe, merke ich: Nicht ich mache Yoga, sondern der Yoga macht etwas mit mir. Die Stärke des Körpers ist nur die Spitze des Eisberges, das was man zuerst bemerkt, und häufig das, was einen zum Yoga führt. Das weiß ich nur allzu gut, zumal ich in keinem klassischen Ashtanga Yoga Studio mit meiner Praxis begonnen habe und keinerlei spirituelle Ambitionen mich trieben. Recht schnell merkte ich, dass meine Hüfte schräg stand, eine Schulter herunterhing, ein Fuß ausgedreht, der andere platt war, dass der Atem flach und die Körpermitte weich waren.
Das trifft zwar zum Teil immer noch zu, doch der Transformationsprozess zeigt Wirkung und – er wird bewusst. Das Yoga Teacher Training hebt die Wahrnehmung von dem, was ich mache auf eine weitere, reflektorische Ebene. Es ist wie in der Rhetorik. Ich sehe auf der Bühne einen Redner in der actio. Die Rhetorik ist in der Lage zu beeinflussen, doch sie ist auch eine Jahrtausend alte Kulturtechnik, deren Regelwerk zu erlernen allen offen steht. Kenne ich die Regeln, weiß ich wie sie funktioniert. Dann weiß ich, dass vor der der actio die inventio steht, die dispositio, die elucutio, die memoria. Die actio ist nur die Spitze des Eisberges. Die Rhetorik zeigt in einem völlig anderen Kontext, in einer anderen Kultur, wie eng Körper(haltung) und Bewusstsein miteinander verknüpft sind.
Auch der Yoga ist eine Jahrtausend alte Kulturtechnik, deren Regelwerk wir erlernen können. Und wenn der Yoga beginnt, uns zu verändern, beginnen wir unsere Umwelt zu verändern. Getreu nach dem so oft bemühten Satz von Watzlawick: Wir können nicht nicht kommunizieren. Der Yoga öffnet Türen.
Unser Training geht heute in die zweite Woche. Der Körper hat sich langsam auf die tägliche Praxis eingestellt. Nur mein linkes Knie ist noch nicht wirklich glücklich damit. Die Hüfte lässt sich mit dem Knie nicht öffnen und so muss ich auf meinen Körper hören und übermäßigen Ehrgeiz zügeln, die Funktion über die Form stellen. Die Ästhetik spiel keine Rolle. Auch das lernt man: Gleichmut, Genügsamkeit, Geduld und Ausdauer.
Und ohne dass wir Paulo Coelho lesen müssen finden wir eine Menge kleiner Weisheiten. In der Bäckerei steht hinter uns an der Wand in großen, freundlichen Lettern LIEBE, WAS DU TUST ODER LASS ES.