Antiphellos – Kaş, wo ist deine Geschichte?

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Die Türken sprechen eine blumige, fantasiereiche Sprache, in der vieles umschrieben und nicht bloß beim Namen genannt wird. Nehmen wir bspw. Kaş, eine alte lykische Küstenstadt gegenüber der Insel Kastellórizo. Sie heißt übersetzt „Augenbraue“. Dieser Bogen spannt sich entlang hoch aufragender, steil zum Meer abfallender Felswände und dem azurblauen Meer. Als „Augapfel“ dient dem Ort die vorgelagerte große Insel, die wie Kaş selbst viele Namen trägt: Kastellórizo, Castellorizo und offiziell Μεγίστη, Megísti. Aber die Türken sagen Meis oder Kızılhisar, „Rote Burg“, dazu.


Wir fläzen uns auf einer der Liegen in der coolen Location „Leymona Bar & Beach“, in der einen Hand eine Virgin Mary und in der anderen Kastellórizon. Vor uns liegen das Meer und die große Bucht von Kaş, das schon den großen Ästhetikern, den Lykiern, im 3. oder 4. Jh. v. Chr. als eine atemberaubende Kulisse für ihre Felsgräber, ihre Tempel und Theater, diente. Damals hieß die Stadt Antiphellos. Auch wenn man nicht mehr viel von der antiken Stadt weiß, das eine ist sicher: Reich und bedeutsam war Antiphellos. Hier wurde reger Seehandel getrieben, wahrscheinlich vorwiegend mit Holz als Exportgut, vielleicht auch mit Grundnahrungsmitteln wie Weizen oder mit tierischen Produkten, vielleicht mit Purpur, vielleicht mit Sardellen (so wie in der Nachbarschaft). Eine Vielzahl von hier geprägten Münzen verweist deutlich auf eine wirtschaftlich und politisch bedeutsame Stellung, die Antiphellos tatsächlich innerhalb des mächtigen Lykischen Bundes innehatte, das im benachbarten Patara seinen Sitz hatte. Bis in die späte byzantinische Zeit – in etwa bis ins 15. Jh. hinein – war Antiphellos eine lykisch-griechische Stadt mit wenigen osmanischen Einflüssen. Man kann davon ausgehen, dass sie ab dem 6. oder 7. Jh. vollständig christianisiert wurde. Aus den Baumeistern der weltschönsten Grabanlagen wurden Christen des byzantinischen Reichs, dessen Hauptstadt Konstantinopel (das heutige Istanbul) war.

Antiphellos liegt am Fuß einer Gebirgskette mit ihren circa 500 Meter hohen Küstenausläufern. Zu Kaş gehört auch eine von Ost nach West verlaufende Landzunge, die auf ihrer Nordseite eine langgestreckte Bucht bildet, die Buçak Limani (früher Vathy) heißt. Man nimmt an, dass Bucak Limani wegen ihrer Tiefe, die noch in der unmittelbaren Landnähe bis zu 10 Metern beträgt, für damalige (und heutige) Segelschiffe nicht gut nutzbar war. Weswegen man davon ausgeht, dass der Haupthafen Antiphellos an der gleichen Stelle war wie der heutige alte Gulet-Hafen vor den Füssen der Altstadt. Wie alte Fotos zeigen, war dieser Hafen bis in die 1970er Jahre durch ein natürliches Riff (im Westen) und spärliche künstliche Aufschüttungen eine Art Naturhafen, der kleinen Schiffen Schutz bot.

Eines der schönsten Theater im griechischen Stil. Der schlichte 2/3-Kreis öffnet sich zu einer grandiosen Sicht auf die Insel Kastellórizo und die Meerenge zwischen der bergigen Landzunge und Insel. Das Theater ist vor einigen Jahren mit gutem Gefühl für das Alte und Neue renoviert und rekonstruiert worden. Auf die Theateraufbauten vor der Bühne hat man (erfreulicherweise) verzichtet. Der Bau lebt wesentlich von seiner ursprünglichen Einbettung in die Natur, die durch Hotels und andere Bautätigkeiten (noch) nicht zerstört wurde. Grandios sind hier die Sonnenuntergänge, die von vielen mit einem Gläschen Bier oder anderen Getränken gefeiert werden. Vormittags heißt es Bühne frei für Yoga.
Die lange, Halbinsel Çukurbağ Peninsula, die eine natürliche Verlängerung von Kaş Stadt ist, sieht aus wie eine kurze Perlenkette, die aus drei separierten Hügeln besteht. Eigentlich ist die Halbinsel Naturschutzgebiet. Eigentlich. Doch uneigentlich ist ihr letzter Hügel bereits unter reger Bautätigkeit, unter Ferienappartementhäusern und Hotels, vollständig verschwunden. Ende der Bautätigkeit ist nicht abzusehen. Alles für uns – alles für die Touristen, die das so schön finden und in Euros oder Dollars entlohnen.

Die Liebe zu Kaş kam im Winter (und ging im Sommer)

Als wir das erste Mal die Gassen des im Kern noch kleinen Ortes betraten, war in der Südtürkei Winter angebrochen. Die Stadt gehörte uns – und den Einheimischen. Es heißt, hier leben gut 7.000 gemeldete Personen, doch diese Zahl ist sicherlich in relativ kurzer Zeit auf das Doppelte angewachsen, wenn man all die Ausländer mit ihren permanenten Aufenthaltsstatus dazu rechnet. Sie wird noch einmal um ein Vielfaches in den Sommermonaten getoppt.

Winter und Frühjahr – das sind die besten Jahreszeiten, um Kaş zu genießen. Die lange, durch mehrere Hügel aufgegliederte Halbinsel Çukurbağ, die einen inneren, über zwei Kilometer langen, engen Fjord bildet, leuchtet dann im satten Grün. Auf schönen Trampelpfaden entdeckt man auf dem ersten, schon von der Urbanität für sich teilweise eingenommen Hügel so manche wunderschöne Ecke mit verträumten Sarkophagen der Lykier. Ein dichter Blumenteppich umfängt sie. Das in die dem Meer zugewandten Flanke eingebaute Theater aus hellenistischer Zeit ist ein auratischer Ort, an dem zu jeder Tageszeit dem müden Stadtwanderer wohltuende Entspannung beschert wird.

Übrigens – Häufig als Amphitheater bezeichnet und eigentlich immer falsch: Das im griechisch-antiken Stil gebaute Gebäude im Freien, das szenischen und akustischen Aufführungen dient, heißt „Theater“. Es besteht aus einem annähernd im Halbkreis, noch öfter im 2/3-Kreis, in einen Hang eingebauten Zuschauerraum mit Sitzreihen aus Stein (dem Theatron) und einer schlichten zuunterst liegenden Bühne, die Orchestra heißt. Die rückwärtigen Aufbauten, die Skené (daher unsere Szene), die den Schauspielern zum Umkleiden oder auch als Hintergrund für die szenischen Darstellungen diente, sind häufig nicht erhalten oder wurden nach ihrer Zerstörung selten aufgebaut. Diese Struktur des Theaters hat einen starken Bezug zu Natur und verändert sich zu geschlossenen oder halb geschlossenen Räumen erst während der römischen Antike. Diese runden oder ovalen Bauten, die sich in einigen Elementen (bspw. Rangreihen) an das griechische Theater anlehnen und häufig überdacht waren, heißen „Amphitheater“, vereinzelt auch Circus und später Kolosseum. Sie dienen ausschließlich den Schaukämpfen, den Gladiatorenkämpfen und Tierhetze. Also allem, was das Volksherz zur Zerstreuung bedarf, ohne viel nachdenken zu müssen.

Ja, im Winter ist Kaş geradezu ein idyllischer Ort. Doch die Anzahl der Juweliere, Boutiquen, Reiseagenturen, Tauchschulen, und vor allem Bars und Restaurants machen auf die schockierende Sommerrealität aufmerksam. Tatsächlich hat Kaş ein erschreckendes Gesicht, das sich in Massen von Touristen zeigt. Alles, was schön ist, zieht unweigerlich Menschen in Massen an. Damit beginnt ein Teufelskreis, der der Schönheit den Garaus macht. Kaş hat noch eine Altstadt, an der sich nicht so bald etwas ändern wird, doch die unmittelbare Umgebung von Kaş geht fraglos diesen zerstörerischen Weg. So zum Beispiel die eigentlich unter Naturschutz stehende Halbinsel, die die Natur, ihre Schönheit und ihre grüne Lunge – die wir alle bei der auf uns zugerollten Klimakatastrophe mehr denn je brauchen – gegen Ferienhäuser und Hotels eintauscht. Das gefällt „uns“ und nicht selten hören wir von Seglern, „Ach, schau mal, wie schön!“, womit die neue Bebauung von Kaş gemeint ist. Der Bauboom macht vor gar nichts halt, weder von den majestätisch aufragenden Steilhängen, die die Küsten säumen, noch vom Naturschutz und schon gar nicht vor antiken Relikten, die klammheimlich abgetragen oder zerstört werden. Doch wer jetzt traurig oder entrüstet ist, der sollte sich gut überlegen, ob er nicht ein Mitverursacher ist. Sind nicht die hübschen nagelneuen Appartmenthäuser oder die Hotelanlage mitten in der Natur so schön, dass wir darin gerne Urlaub machen wollen?

Meine Misanthropie macht es mir unmöglich, diese katastrophale Entwicklung inmitten der Schönheit eines uralten Ortes zu „übersehen“. Ungeachtet dessen ist Kaş sicherlich einer der schönsten Küstenorte, ich behaupte: des Mittelmeers, die ich kenne!

Kaş hat drei Jahreszeiten: Die stille winterliche, die geschäftige und bunte des Frühjahrs und die mörderische des Hochsommers, die mit abnehmenden Stärken bis Oktober andauert. Kaş ist auch die Basis für Tauchbegeisterte und jene, die „meine“ verwunschene Welt der Kekova-Buchten zu Tausenden von Gulets (traditionelle türkische Holzboote) überrennen. Über 50 Tauchspotts bieten die Tauchbasen in Kaş an! Darunter einige sehr interessante mit Fundstücken aus der reichen lykischen Vergangenheit, teils mit modernen Schiffs- und Flugzeugwracks wie bspw. der „Douglas DC-3“, einem Transportflieger des türkischen Militärs, oder dem untergegangenen Baumwollfrachter. Spannend für Taucher sind auch die modernen Unterwasserskulpturen von Kemal Tufan. Voller Verwunderung mussten wir feststellen, dass die lykische Küste östlich von Kaş, insbesondere aber die Kekova-Bucht, fürs Schnorcheln und Tauchen offiziell tabu ist – außer man hat eine entsprechende Genehmigung!

Der alte Stadthafen von Kaş im Winter.
Unter den schützenden Blicken von Kemal Atatürk ist der alte Hauptplatz von Kaş Treffpunkt für alle zwei- und vierbeinige Müßiggänger und eine weiterhin schöne Location. Saisonal finden hier Konzerte und politische Veranstaltungen statt. Fliegende Händler verkaufen gefüllte Muscheln und die Eisbuden, Cafés und Restaurants (wenn auch nicht die besten von Kaş) haben sommerliche Hochkonjunktur.

Die alte Hauptstraße, die vom Platz mit beachtlicher Steigung nach oben in die „Oberstadt“ führt, leuchtet in prächtigen Farben. Jedes alte griechische Haus – mit türkischen Verzierungen an den Holzbalkonen und Erkern – ist mittlerweile ein Geschäft mit durchaus geschmackvollen Gegenständen, von Schmuck über Leckerbissen bis zu den berühmten türkischen Baumwolltextilien und den als Souvenir begehrten gestreiften oder karierten Bade- oder Hamamtüchern. Hier bekommt man alles in hoher Qualität, was seinen Preis hat. Seit Sommer 2022 gehört Kaş leider zu den teuersten Städten der Türkei. Die Preise sind nur in wenigen Monaten auf das 300fache und mehr gestiegen. Unvorstellbar aber war, insbesondere in der Gastronomie. Doch solange die Touristen zahlen, solange ist es den Verkäufern und Gastronomen egal, dass sich ihre Landsleute all das nicht leisten können.

Teppichhändler dürfen im alten Stadtbild nicht fehlen. Die Waren sind hervorragend und so manches Mal würde ich gerne den halben Laden leerkaufen. Die prächtigen Muster, die lebendigen Farben, die alten Symbole und so manches Mal auch eine interessante Geschichte, die sich hinter den Teppichen verbirgt, machen einen Aufenthalt in einem Teppichladen zu einer Märchenstunde – vorausgesetzt, der Händler versteht sein Handwerk und hat auch Spaß an Geschichtenerzählen. Doch welcher Teppichhändler hat das nicht!

Noch sind viele Restaurants geschlossen oder öffnen unregelmäßig. Das ist gut so, denn sonst wäre die Auswahl zu quälend …

Die Schönheit der Gassen von Kaş

Kaş ist Partnerstadt von Brühl bei Bonn, wo ich zu meiner Studienzeit (in Bonn) gerne spazieren ging. Mit dem Zug war man in paar Minuten inmitten der barocken Sommerresidenz des Kölner Erzbischofs Clemens August, während man in seiner Winterresidenz in Bonn studierte. Obwohl Kaş kein bisschen wie das barocke Brühl ist, finde ich diese Partnerschaft sehr passend. Vielleicht liegt es an der entspannten Stimmung beider Orte. Vielleicht aber auch daran, dass Brühl für mich immer eine Art „schönes Wochenende im Sommer“ war und dieses Gefühl des Entspanntseins habe ich auch während eines Spaziergangs durch das frühlingshafte Kaş.

Zweifelsohne profitiert die Küstenstadt von seinen alten Häusern, die im griechischen Stil gebaut sind. Im Grunde handelt es sich dabei um simple Kubuse, die aber so gut proportioniert und in harmonische Verhältnis von Tür, Fester und Balkon gesetzt sind, dass sich beim Betrachten ein beruhigendes Gefühl einstellt, der so typisch für ästhetische Ausgewogenheit ist. Angesichts solch schlichter Harmonie stelle ich mir erneut die Frage, wann dieses sichere Gefühl den innerstädtischen Architekten abhandengekommen ist? Und wann war das uns egal geworden?

Vor ihrer Zerstörung wurde und wird die Altstadt durch die zahlreichen Restaurants gerettet, die sich beinahe in jedem alten Haus eingenistet haben. Liebe zum Detail, schöne Ausstattung, witzige Einfälle machen sie trotzt ihrer Masse zu einem genussvollen Erlebnis – nicht immer 100prozentig für den Gaumen, aber immer fürs Auge. In diesem Jahr (2022) hat sich Kaş zu einer unglaublichen Preissteigerung im Gastronomiesektor aufgeschwungen. Als Entschuldigungen gelten die extreme Liraabwertung und der Krieg in der Ukraine. Ob Fleisch, Fisch oder Gemüse – die Speisen haben sich bis zu 300 % im Preisniveau innerhalb weniger Monate hochgeschraubt, was kaum an den beiden genannten Gründen liegen kann, zumal die Türkei fast selbstversorgend und sicherlich nur in geringem Maße von den Lieferungen aus der Ukraine abhängig ist (anders als Deutschland, das das eigene Agrarland längst zum Bauland umdeklariert hat). In Kaş, das im Sommer von russischen Urlaubern, Ukrainern, Engländern und einigen Deutschen überrannt wird, kann man mittlerweile Fantasiepreise setzen, denn sie werden von den Touristen bezahlt. Das ist schön für die Händler und Gastronomen, jedoch katastrophal für die türkische Bevölkerung. Orte wie Kaş verkommen zu reinen „Nobel-Enklaven“ für einige Reiche und viele Ausländer, denen die Stadtentwicklung selbst vollkommen egal ist. Also, Augen auf auch beim Genießen.

Kaş ist immer noch ein Juwel zur Füssen einer majestätischen Bergkulisse an der sagenhaften lykischen Küste. Ein bedrohtes Juwel in bedrohter Natur. Unaufhörlich fräsen sich Bagger die steilen Berghänge und sanfte Hügel hoch und bauen und bauen und bauen immer mehr Häuser für immer mehr Menschen. Es scheint so, als ob auf dem Mensch ein Fluch biblischer Dimension läge. Wenn ich über die Entwicklung unglücklich bin und schimpfe, so doch auch, weil Kaş den Weg so vieler zerstörter Juwele nicht verdient hat, aber offenen Auges dorthin steuert.

Auf den Spuren von Antiphellos

Die Lykier hatten eine besondere Eigenheit entwickelt. Sie bestand darin, Ortspaare zu bilden. Einer zumeist größeren und bedeutenderen Stadt in den Bergen gesellte sich eine neuere, zunächst kleinere Siedlung an der Küste. Wie Phellos und Antiphellos. Wie Oberstadt und Unterstadt. Am Rhein kennen wir das auch.

Während die alte Stadt im Landesinneren stagnierte und schließlich verlassen wurde, entwickelte sich der als Handelshafen am Meer gegründete Ort zu einer der wichtigen Küstenstädte in der römischen Periode Lykiens. In der byzantinischen Zeit wurde Antiphellos Bistum, was Kaş theoretisch bis heute noch ist, jedoch gänzlich ohne christliche Bevölkerung (diese wurde 1923 „ausgetauscht“).
Den Namen Antiphellos für das heutige Kaş kennen wir seit dem 4. Jh. v. Ch. Er taucht auf einem Epitaph in Kaş auf, dessen Inskription in zwei Sprachen – Lykisch und Griechisch – verfasst wurde. Gleichzeitig bezeugen auch andere lykische Inschriften die Existenz von Antiphellos an der Stelle des heutigen Kaş.

In ihrer Gründungszeit hieß die Stadt lykisch Habesos oder Habesa. Ihre damalige Bedeutung macht nicht nur der Umstand klar, dass sie Münzprägeort (verschiedene Arten von Münzen sind belegt), sondern dass sie Mitglied im Lykischen Bund und damit stimmberechtigt in dem fortschrittlichsten politischen Gremium war. Wussten Sie, dass der Lykische Bund bei der Gründung des US-amerikanischen Staats zum politisch-demokratischen Vorbild genommen wurde? Der Lykische Bund gilt als die erste – vor Griechenland – politische Demokratie (was nicht heißt, dass alle die gleichen Rechte hatten).

Reich muss Habesa aka Antiphellos gewesen sein. Und das bedeutet, dass wir eine entsprechende Selbstdarstellung in Stein zu erwarten hätten, was auch eine reiche Nekropole einschließen würde. Umso überraschender ist es, dass wir im heutigen Kaş vergleichsweise wenig an ebensolcher Hinterlassenschaft finden. Sogar die Archäologen sind sich nicht sicher, wo genau die Stadt lag. Sicher ist hingegen, dass die Nekropole sich weit über den Hügel, auf dem das antike Theater liegt, ausdehnte. Vereinzelte Funde zerstörter Sarkophage sind hier und da entlang der Zufahrtsstraßen nach Kaş, am Ende der Bucht im fjordartigen Einschnitt zwischen dem Festland und der Halbinsel zu finden und natürlich auch an den Abhängen des ersten, dem Zentrum am nächsten liegenden Hügels. Wo sind aber jene Hunderte Gräber aus der großen Nekropole abgeblieben? Müssen wir davon ausgehen, dass sie alle zerstört wurden, oder dass die wohlhabende Bevölkerung sich woanders bestatten ließ? Beispielsweise weiterhin in der einstigen Hauptstadt Phellos?

Einige Reste der alten Hafen- und Stadtmauerbebauung findet der aufmerksame Sucher entlang der Straße, die am antiken Theater stadteinwärts führt. Sarkophagreste bereichern auch so manche Bar oder Restaurant am Stadthafen. Und in den Hügeln oberhalb der Altstadt blicken leere Felsgräber auf das moderne Treiben herab – so wie sie vermutlich es schon vor Tausenden von Jahren taten. Ansonsten hat sich nichts aus der reichen Vergangenheit von Antiphellos im modernen Kaş erhalten. Fast noch erstaunlicher ist es, dass auch die byzantinische Periode, zumal Antiphellos Bischofssitz war, ausradiert wurde. Abgesehen von einigen kaputten Kapitellen vor dem Kaş Kaymakamlığı (Bezirksgouvernement oberhalb der Altstadt), wo einige andere Reststücke verschiedener Epochen – auch der Osmanischen – ein trauriges Dasein fristen. Was Kaş versäumt hat – anders als bspw. Fethyie -, ist die Gründung eines Museums für all das, was dem modernen Kaş weichen musste und heimlich noch immer muss.

Der berühmte Löwen-Sarkophag des Poeten-Königs

Die schönste Straße von Kaş führt zum schönsten Sarkophag Lykiens. Das erscheint uns logisch. Nicht nur die Tourismusbranche ist sich darüber einig, dass der auf einem mehrstufigen Aufbau thronende Sarkophag zu den schönsten gehört, die in den ehemals lykischen Städten heutzutage noch zu finden sind. Dementsprechend wird er prominent ins Bild gesetzt. Dazu passt die überaus pittoreske kleine Straße, die nur von Zwei- und Vierbeinern begangen werden darf. Zwar ist sie ganz und gar dem Konsum anheimgefallen, doch dieser hat die Häuser von dem Verfall gerettet. Hübsch zurechtgemacht und stilecht erhalten reihen sich hier ehemals griechische Hausfassaden mit hübschen Holzbalkonen und mehrflügeligen Holztüren aneinander. Heutzutage beherbergen sie schöne Boutiquen und noch schönere Juweliere, die sehr geschmackvolle Arbeiten anbieten. Sicher, das alles ist sehr touristisch, doch die hoch angesetzten Preise erlauben auch die entsprechende Qualität und ästhetische Auswahl.

Ich vermisse das normale Leben, das immer mehr aus der Altstadt verdrängt wird und sich in eben jene von mir so angeprangerten ungebremsten Erweiterungen der modernen Bauten hinein ausdehnt. Doch heutzutage muss man froh sein, wenn die Architektur der Kernstädte noch erhalten bleibt. Und Kaş ist dafür ein hervorragendes Beispiel, das trotz des überbordenden Angebots an Bars, Restaurants und Shops seinen Charakter ganz und gar erhalten hat, wovon die kleine steil ansteigende Gasse bestes Beispiel ist.

Ob das sogenannte Königs- oder Löwensarkophag schon zu lykischer Zeit inmitten der innerstädtischen Bebauung stand und somit ein Teil des täglichen Lebens war, ist nicht geklärt. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ihm schon damals die Lebenden so auf die Pelle rückten, so weiß man andererseits von den Lykiern, dass sie gar keine Berührungsängste mit dem Tod und den Toten hatten. Und reichte der Platz nicht aus, so hat man eben in der Sarkophag-Nähe gebaut. Prominete Bürger ließen sich sowieso ihre Grabstätten am liebsten in der Nähe der Agora (Hauptplatz, Marktplatz, politischer Ort im antiken Griechenland) aufstellen. Schließlich ist die lykische Kultur nicht zuletzt durch ihre Unmenge an Grabstätten berühmt, die auf einen besonderen Totenkult hinweisen, der sich offenkundig „mitten im Leben“ abspielte.

Der Löwensarkophag steht am Kopfende der Gasse und schaut uns zu, wie wir uns abmühen, auf dem winterlich nassen Pflaster der steilen Gasse nicht auszurutschen. Seinen Namen trägt der Sarkophag nach seinen seitlichen Hebebossen, die als liegende Löwen ausgearbeitet sind. Diese Bosse hatten zuallererst eine technische Aufgabe zu erfüllen und dienten als Haltepunkte, um den tonnenschweren Deckel auf den Grabkasten zu heben. Sie sind allen lykischen Sarkophagen eigen, doch sehr selten sind sie so prachtvoll zum Ornament umfunktioniert worden wie hier.

Das Erhabene dieses schlanken Sarkophages fällt sogar dann auf, wenn man sich mit diesem Grabtypus nicht besonders auskennt. Tatsächlich haben die zahlreichen lykischen Sarkophage, die uns fast auf Schritt und Tritt in ganz Lykien begegnen, nur selten so einen aufwendigen Aufbau. Auf einem zweistufigen Sockel ruht ein schön profilierter und mit klassischen Friesen betonter Grabkörper, der wie ein hoher Sockel für den eigentlichen Sarkophag wirkt. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen sogenannten Hyposorion, um einen ausgehöhlten Sockel, der als Grablage für die Verwandten des Sarkophagbesitzers oder auch für die Lieblingshausangestellten bzw. Sklaven diente. Der darauf stehende eigentliche Sarkophagcorpus war die eigentliche Grabstätte des Hausherren und seiner Ehefrau.

Aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Sarkophags ging man lange Zeit davon aus, dass hier ein „König“ beigesetzt wurde. Daher sein zweiter gebräuchlicher Name: „King’s Tomb“, Königsgrab. Der deutsche Inschriftenkenner und Sprachforscher, Diether Schürr, der in Kaş seine zweite Heimat fand, hat akribisch die Inschriften studiert, die in Versform in sogenannter Lykisch-A Schrift verfasst sind, und konnte nachweisen, dass hier offenbar ein Dichter die Nymphen von Phellos, den Wettergott und „andere Gottheiten“ ehrt und zu seinen „Musen“ macht. Erwähnung findet auch seine Ehefrau, die gleicherweise in Verbindung zu weiblichen Gottheiten gesetzt wird. Sie beide zeigen sich uns im Frontgiebel des Spitzbogendeckels: Sie sitzend und er als älterer Mann stehend.

Wo ist die antike Stadt geblieben?

Sicherlich liegt die antike Stadt irgendwo unter der heutigen begraben – oder besser gesagt: abgetragen. Aber wo? Wie konnte so eine reiche Stadt wie Antiphellos nur so gründlich verschwinden? In der römischen Zeit Lykiens war Antiphellos sogar die wichtigste Hafenstadt des Reiches. Ihren Wohlstand verdankt sie dem Handel auf dem Wasserwege. Besondere Hölzer und offenbar auch Schwämme gehörten dazu. Und jetzt? Paar abgebrochene Sarkophage, paar verbaute Quadersteine, ein Pseudotempel in Resten, Spuren von Felsräumen am Hafen und im Fjord gegenüber der neuen Setur-Marina, eine kleine Burganlage oder vielleicht eher ein Spähturm auf einem der Hügel der Halbinsel, ein paar Felsgräber, eine beachtliche Zisterne und natürlich das zum Teil neu aufgebaute Theater zeugen von der Existenz Antiphellos. Mehr ist nicht zu finden. Und man fragt sich zu Recht, wo ist all der innerstädtische Prunk geblieben? Vor allem, wo die byzantinische Stadt hin ist? Von dem 6. bis 12. Jh. nichts übrig? Nur ein paar abgebrochene große Kapitelle aus dieser Periode schmücken halbherzig ein offizielles Gebäude oberhalb des Hafens.

Man geht davon aus, dass die Stadt sich ehemals zwischen dem westlichen Hügel mit dem Theater und dem östlichen, nun verbauten Hügel links oberhalb des Stadthafens lag, also dort, wo der Löwensarkophag steht. Doch just hier ist nichts mehr zu sehen.

In der Oberstadt zeugen nur vereinzelt erhaltene Sarkophage davon, dass hier das besiedelte Gebiet möglicherweise endete. Auch die zum Stadthafen herabfallende Hänge sind immer noch voll von Relikten aus der Sepulkralarchiektur der Lykier. Zum Teil stark zerstört und abgetragen, muss man beinahe eine detektivische Suche starten. Und plötzlich in einem Restaurant oder auf dem Weg zur Toilette steht man vor einem zerstörten Grabkorpus.

Auch die Berghänge, die die Stadt im Osten begrenzen, haben einige wenige Felsgräber behalten, die, wenn auch vollständig zerstört, interessante Inschriften haben.

Mehrfachbelegung. In der Hauptkammer hatten zwei bis maximal drei Körper auf niedrigen Steinbänken Platz. In der Giebeletage fanden die nahen Verwandten oder besonders beliebte Diener oder Sklaven ihre Ruhestätte. Wie seltsam, dass die Grabräuber nicht irgendwann den ausgeklügelten, aber auch nicht so schwierigen Schließmechanismus begriffen haben. Statt die dicken Steintüren zu zerschmettern, konnte man mehr oder minder einfach eine der zwei Türen wegschieben, während eine Türseite immer eine Fake-Seite war.

Viele Sarkophagreste sind noch auf dem Wochenmarktgelände zu sehen. Wie das Gerippe gestrandeter Wale oder Körper von Walrossen liegen sie im Staub und Müll hinter den Autos. Nicht mehr lange und auch sie werden verschwinden, denn hier entsteht eine neue Siedlung. Auf diesem Gelände, das durch eine breite Straße vom Theater-Hügel getrennt ist, vermuten Wissenschaftler eine große Nekropole der Lykier, die ehemals die Begräbnisstätte des Hügels fortsetzte. Interessanterweise gibt es hier auch einen muslimischen Friedhof.

In einer hübschen Mauer verbaute Sarkophagdeckel. Spannendes Ergebnis, doch sinnlose Zerstörung. Übrigens, das benachbarte Restaurant & Bar & Pension ist sehr nett!
Gut versteckt. Zwischen zwei Häusern eingeklemmt. Man darf davon ausgehen, dass einige andere den Häusern weichen mussten.

Die Akropolis, die keine ist

Eine große Nekropole erstreckte sich rund um den westlichen Stadthügel, bevor die Halbinsel beginnt. Während das Theater gen Süden schaut, sind die meisten noch heute zu findene Sarkophage im Norden und Nordwesten des Hügels. Doch viele kleinere Hinweise und verstreute Spuren lassen darauf schließen, dass die ursprüngliche Nekropole über den heutigen Hügel hinausging. Der Bau der Straße, die um den Hügel herum sowohl auf die Halbinsel als auch ins Zentrum führt, hat sicherlich mit zum Verschwinden der lykischen Bauten beigetragen. Einige kaputte Sarkophagdeckel liegen ohne ihre Pendants unten am Küstenabschnitt des Fjords, dort, wo wahrscheinlich eine Art Werft war. Unten am Wasser, aber auch am Hang oberhalb der Straße lassen sich zahlreiche minimale Spuren von Felsräumen finden, die auf eine rege Tätigkeit am Ende des Fjords zurückschließen lassen. So manches Mal weist eine in blanken Fels gehauene Treppe auf etwas hin, was jetzt nur eine Leerstelle ist.

Im Winter und Frühjahr erscheint mir der Theater-Hügel mit den versteckten Sarkophagenspuren, Felsgräbern und dem dorischen Mausoleum, vor allem aber wegen seiner Blumenpracht geradezu verzaubert. Eine verträumte, ja beinahe verwunschene Stimmung liegt über den viele sichtbaren und unsichtbaren Relikten der Lykier. Inmitten der Olivenhaine blühen wilde Pflanzen, Hühner gackern und streune herum, auch schon mal ein Hund lässt sich zwischen den Sarkophagen blicken und Kräuter verströmen würzige Aromen. Der Blick schweift über die Ausdehnungen der modernen Stadt, über die Altstadt, dann zum Fjord mit der Setur-Marina hin, und weiter zum Horizont, dort, wo die griechische Insel Kastellórizo liegt.

Der Fjord mit der Setur-Marina. Wir ankern aber auch gerne dahinter und haben das Gefühl, an der alten lykischen Werft zu liegen.
Im Winter, beim dramatischen Wetter, ist es fast am schönsten hier.
… Oder im Frühling.
Ein gewaltiger Brocken und trotz seiner monumentalen Blockhaftigkeit so harmonisch.

Wir steigen die Treppen hoch und entdecken ein Tempel-ähnliches Grabhaus, das als „Akdam Dor“, das „dorische Grab von Akdam“, bezeichnet und auf das 4. Jh. v. Chr. datiert wird. Das steinerne Grab ist aus einem einzigen ca. 5,5 mal 6,7 Meter messenden Felsblock herausgehauen und freistehen. Wahrscheinlich war es von einer von Säulen oder Pilastern getragenen Pergola oder einem Umgang umgeben, wovon an der Fassade große viereckige Aussparungen für eine Balkenkonstruktion zeugen. Anders als die typischen Grabhäuser der Lykier, die ihre Frontseite als Nachahmungen von Hausfassaden gestalteten, ist dieses Monument im klassisch-griechischen Stil, der hier als „dorisch“ identifiziert wird, mit einem schlanken Portikus ausgestattet und an den Ecken mit Pfeilern ornamentiert. Das Innere des gut erhaltenen Grabhauses befinden sich vier großzügig bemessene und übereinander liegende Kline (Betten) mit erhöhten Kopfteilen, die als Kissen zu interpretieren sind. Das „Akdam Dor“ ist eines der wenigen Grabhäuser in Lykien, das noch eine reiche steinerne Ausschmückung mit Friesen und Rosetten hat. 24 tanzende Frauen sind im obersten Fries unter der Decke auszumachen. Was Jahrtausende überstand, wurde irgendwann in unserer Zeit angezündet und infolge davon ist das Innere mit einer dicken Rußschicht bedeckt, weswegen man schon sehr genau hinschauen muss, um die Ornamentik zu sehen. Leider macht sich keiner die Mühe, das Monument zu restaurieren. Stattdessen buddeln Archäologen lieber am ehemaligen Krankenhaus im lykischen Hafenbereich (neben unserer Bar „Leymona“) und befördern nichts besonderes aus dem Erdreich.

Nun blickt der Akdam auf die wachsende Häuserflut.
Man muss schon genau hinschauen: Oben rechts tanzen die Frauen. Links ist die mit seitlichen Rosetten ausgeschmückte Kline zu sehen, die nun einem Wanderer oder Obdachlosen als hoffentlich nicht letzte Ruhestätte dient.

Lykier hatten offenbar keine Berührungsängste, in direkter Nachbarschaft mit ihren Toten zu leben. Ganz im Gegenteil, es scheint sogar so, als ob das Jenseitige mit dem Diesseitigen aufs Engste verwoben war. So stehen nicht nur in Myra – dort aber sehr prominent – das Theater (als Ort des Lebens und des Genusses) in direkter Nachbarschaft zu Grabhäusern, Felsgräbern und zu Sarkophagen. Auch das wunderschöne hellenistische Theater von Antiphellos hatte seine Toten als Zuschauer.

Und auch heute haben Camper gar keine Berührungsängste mitten in abgeschliffenen Sarkophagen ihre Zelte aufzuschlagen und sogar in der Sarkophagbasis ihre Mahlzeiten zuzubereiten. Mir gefällt das gut.
Übrigens, „Sarkophag“ meint auf Griechisch „Fleischfresser“. Was für ein schaurig-schönes Wort für die Steingräber, zumal wenn sie jetzt im Restaurant stehen.

Ewig lockt das Zentrum: auf Entdeckungstouren durch die Gesichte(n)

Fast wären wir an zwei nicht sepulkralen Bauten von Antiphellos vorbeigegangen, die noch erhalten geblieben sind. Etwas zurückgesetzt, hinter blühenden Oleandersträuchern versteckt, fast in Mimikry mit der hellbraunen Erde verschmolzen, ein ruinöses Gebäude aus der lykischen Zeit. Eine offizielle Infotafel weist es als ein „Tempel“ aus, doch die Wissenschaftler haben so ihre Zweifel und halten es für ein öffentliches Verwaltungsgebäude, zumal es nah an den Kaianlagen der antiken Stadt lag (und liegt). Die Nähe zur Küste und den sich dort befindlichen Überresten (Stadtmauer, hafenähnliche Anlagen) spricht sogar für Lager- oder Zollgebäude.

Leider hat sich kein archäologisches Institut und auch nicht die Stadt selbst darum bemüht, Ausgrabungen auf diesem Terrain vorzunehmen, was meinem laienhaften Auge jedoch lohnenswert erscheint. Stattdessen dient das Gebiet um den „Tempel“ als ein melancholischer Aufbewahrungsort für zertrümmerte Sarkophagreste, die hier ihr unwürdiges Dasein fristen. Und nicht zuletzt als Hunde- und Katzentoilette, was ein großes Rätsel ist, das noch nicht gelüftet ist. Aber auch Nico zieht es immer wieder zum Gelände hin.

Dieses Lokal haben wir nie besetzt gesehen, was wenig wundert, denn es versteckt sich in einem uralten Gebäude im Schatten eines Innenhofs, das zu einem anderen Restaurant gehört. Es würde mich nicht wundern, wenn es in seinen Gemäuern lykische, römische und byzantinische Vergangenheit trägt. Und auch jetzt hinkt es der Zeit hinterher, indem es noch die Zeit der 1970er oder 1980er Jahre atmet.
Wer das Lokal entdeckt, wird vielleicht eine Treppe aus dem Augenwinkel wahrnehmen, die in das Fundament des Restaurants herabzuführen scheint. Und wer sich diese abzusteigen traut, wird in Antiphellos Vergangenheit zurückkatapultiert.

Wir haben es hier mit einer großen begehbaren Zisterne zu tun, die man sicherlich auch früher schon durch eine Treppe begehen konnte, um hier Wasser zu schöpfen. Kaum zu glauben, aber vor einigen Jahren waren hier noch einige Tische aufgestellt und man konnte hier speisen. Was für eine unglaubliche Kontinuität, wenn auch so anders in der Nutzung.

Das Wasser steht noch hüfthoch. Man hört es irgendwo glucksen. Es riecht frisch, nicht vermodert. Am Boden schwimmen Krebse zwischen den Scherben antiker Amphoren.

Die Eroberungskriege der Perser und mit ihnen die der turkstämmigen Seldjuken (Rum-Seldjuken) beendeten diese langandauernde Ära und veränderten die Entwicklung der lykischen Städte.
Für Antiphellos, das eine durch und durch griechisch dominierte Stadt war, bedeutete die Veränderung auf der großen politischen Bühne offenbar nur wenig. Antiphellos blieb christlich und mehrheitlich „lykisch-griechisch“, wenn ich das so ganz und gar unwissenschaftlich formulieren darf. Man kann sich Antiphellos ab dem 12. Jh. als eine zwar griechische und damit orthodoxe Stadt vorstellen, in der die Muslime in friedlicher Koexistenz neben der alteingesessenen byzantinischen Bevölkerung lebten. Die Politik, die die Menschen entzweite, kam viel später. Aber sie kam.

Heute eine Moschee, die längste Zeit aber eine orthodoxe Kirche, was man ihr noch sehr gut ansehen kann. Nicht nur die schönen Mosaike aus Flusssteinen, die Delfine darstellen, sprechen eine christliche Sprache, sondern auch der spezifische Baukörper, die ehemaligen Taufbecken und so manches architektonische Detail auch.

Die alte Moschee ist von 1932. 10 Jahre nach der Umsiedlung der griechischen Urbevölkerung. Mittlerweile wird die Moschee kernsaniert und renoviert. Man entschied sich dafür, sie unverputzt zu lassen (was sicherlich ursprünglich nicht so gedacht war, wie man auf dem historischen Foto ersehen kann). Pittoresker, nehme ich an.

Im Zuge des Türkisch-Griechischen Krieges wurden die Nachfahren der Lykier und der Byzantiner entsprechend dem Abkommen von 1923 nach Griechenland abgeschoben – sicherlich kaum freiwillig.

Ich stelle mir vor, dass so einige von ihnen von der Insel Kastellórizo hinüberschauen auf ihre uralte Heimat.

Kas, irgendwann nach 1932, denn das Minarett der Moschee steht bereits. Datum unbekannt. Internetfund.

2 Antworten

  1. Bruni Nix

    So jetzt versuche ich es nochmals: Unglaublich toll recherchiert!
    Als ich 14 war ist ein Klassenkamerad mit der Naturfreundejugend in n Kapadokien gewesen und viele Jahre später bin ich mit dem Ballon dort aufgestiegen!
    2021 war ich das letzte Mal in Istanbul – für mich die schönste Stadt der Welt und die Preise waren unglaublich niedrig!

    • Joanna

      Liebe Bruni, vielen Dank für Dein Lob und Deine Erinnerungen! Kappadokien haben wir immer noch nicht geschafft. Ich würde sowieso den Ballons nur vom Boden aus zuschauen können.