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Wir haben seit dem Lockdown in Indien eine neue Aufgabe. Es begann schon etwas früher mit vier Welpen und ihrer Mama, aber im Lockdown wurden wir regelrecht zu einer Taskforce für Hunde. Wir konnten einfach nicht mitansehen, wie die auf Knochen und Fell abgemagerten Hunde auf dem Gelände des Bolgatty Palace Hotels ihrem Schicksal überlassen wurden.
Madam, don’t do it!
Als ob das Leben dieser Geschöpfe nicht schon schlimm genug wäre, verscheucht das Personal des Bolgatty Palace Hotels die Hunde mit Steinen, Stöcken und Feuerwerkskörpern, damit sie nicht zum Betteln in die Nähe der Anlage kommen. Immer wieder heißt es, das sei die Order des Managements. Dabei sind die Hunde hier geboren, leben auf diese Weise schon seit Jahren hier, und werden freiwillig auf keinen Fall diesen Ort verlassen. Auch nicht verlassen können, denn sie wissen sehr wohl: Jenseits des Tores beherrschen andere Hunde ein anderes Territorium. Um das zu begreifen, braucht es ein wenig Kenntnis in das Verhalten von Hunden. Was es sonst noch bedarf, ist ein Mitgefühl und die Einsicht, dass die Hunde in einem von Menschen gemachten Elend leben.
Wie häufig hörte ich von einem unserer guten Guards „Madam, these dogs are very dangerous! Don’t go there, don’t give them to eat! They are angry and bad!“ – „No, definitely not! Look, how nice and lovely and greatful they are!“ – „Yes, but only with you!“
Ja, da hat der Wachmann wahrscheinlich recht. Zu uns sind sie nett, weil sie von uns weder vertrieben noch mit Steinen beworfen werden. Weil wir die Schönheit in diesen armen Geschöpfen sehen und auch ihre Unschuld. Denn, wer hat sie zu dem gemacht, was sie sind? In meinen Augen sind sie schön. Am schönsten ist für mich, ihre unbändige Freude, wenn sie uns schon von weitem erblicken. Dabei geht es häufig genug nicht (nur) um das Fressen. Ein freundliches Wort und die menschliche Nähe sind für sie unbezahlbare Belohnungen. Einige wollen so gerne angefasst werden, dass sie sich mittlerweile schon immer näher an uns herantrauen und unsere Hände beschnuppern. Keine Angst, sie beißen nicht, man muss sich aber ihr Vertrauen erarbeiten, nicht schreien und nicht quieken, nicht den Arm erheben und fuchteln, sondern sich ruhig und besonnen verhalten. Die Hunde zu nichts zwingen und es erlauben, dass man berochen wird. Für uns sind diese Verhaltensregeln wohlbekannt und selbstverständlich.
Ich liebe diese „indische Rasse“ der weißen oder hell-beigen, langbeinigen Hunde. Die Abneigung einiger oder vielleicht sogar vieler Inder gegenüber Hunden kann ich nicht verstehen. Ich vermute, das wird früh in den Familien eingeübt, indem man fälschlicherweise die Hunde als eine Gefahr darstellt.
Anders als bei Muslimen gilt der Hund im Hinduismus nicht explizit als „unrein“ an sich. Ganz im Gegenteil begleitete nicht ein solcher Hund (shvan) Lord Bhairava und wurde zu seinem Vehikel (vahana)?
Hunde und Ausländer – geteilte Haft im Lockdown
Wir hatten (und haben) viel Empathie mit den Hunden. Während des Lockdowns waren wir Ausländer genauso wenig gern gesehen wie sie. Von Medien unterstützt hieß es schnell in der Bevölkerung, es seien die (weißen) Ausländer, die das Virus ins Land brächten – ähnlich wie Hunde angebliche Krankheitsträger sind. Ich sehe da eine kleine Parallele, denn einst waren die Ausländer gern gesehene Gäste, die Wohlstand (Geld) mit sich brachten. Und auch Hunde waren vor Jahrhunderten und Jahrtausenden begehrte Begleiter des Menschen. Sie halfen bei der Nahrungsbeschaffung, sie beschützten Haus und Hof und folgten treu dem Menschen in all seinen Unternehmungen.
Uns war es während des Lockdowns nicht erlaubt, auf die Straße zu gehen und einzukaufen. Wir bestellten via WhatsApp und Mithilfe der Angestellten vom Bolgatty Palace Hotel alles, was möglich war. Schnell stellte sich heraus, dass Hundefutter (oder auch Fleischabfälle) nicht dazu gehörte. Schnell wurde klar, dass die Regierung bei der Erlassung der Lockdown-Gesetze die Versorgung von Haustiere vollständig aus den Augen gelassen hat. Kann in der Eile einem Politiker schon mal passieren. Wer denkt schon dabei an die Tiere, nicht wahr?
Tiergeschäfte mussten geschlossen bleiben. Die Besitzer oder die Angestellten der Pet-Shops waren offenbar nicht tapfer genug, sich gegen diese Bestimmung hinwegzusetzen, oder fühlten sich für „ihre“ Tiere einfach nicht verantwortlich. Wir lasen in der Zeitung, dass Tiere in diesen Geschäften verhungerten und verdursteten, weil man sie sich in den Käfigen ihrem Schicksal überlassen hat.
Unsere gute Seele und Tuk-Tuk-Fahrer Nazar brachte uns, sofern er konnte, Hähnchenabfälle mit, das ich mit sehr viel Reis streckte und mit Haldi (Kurkuma) anreicherte. Zugegeben, Haldi wurde nur gegessen, als der Hunger groß war. Ansonsten rümpften die Hunde schon mal die Nasen darüber. In großen Töpfen wurde das dann in unserer kleinen Pantry unter Deck gekocht, so dass auch die Temperatur trotz unserer altersschwachen Klimaanlage auf 33° C stieg. Aber, was soll man machen, die Hunde mussten etwas essen, und wir hatten nur so wenig Fleisch für sie!
Mittlerweile versorgen wir die Hunde mit 12-Kilo-Futtersäcken via Zomato-App, was nicht billig aber sehr praktisch ist, denn nun ist das Raumklima unter Deck besser. Da der Lockdown in Indien schon länger aufgehoben ist, bekommen wir auch Fleischabfälle, die wir den Rackern direkt roh geben. Das ist für sie ein ‚mörderischer Spaß‘, bei dem WIR auf unsere Finger aufpassen müssen. Nicht, dass sie als Futter enden…
Füttern muss gelernt sein
Ich gebe zu, ich hatte es mir einfacher vorgestellt. Zunächst spazierte ich an den ungläubig dreinschauenden Wachleuten und dem Hotelpersonal mit meinem Reis-Fleisch-Haldi-Topf vorbei Richtung Golfplatz. Möglichst weit weg, damit der Manager des Hotels sich nicht darüber beschwert, denn Hunde sind strickt unerwünscht (weil böse und weil sowieso…).
Jeden Nachmittag seit der ersten Lockdown-Woche das gleiche Prozedere. Ich will gar nicht wissen, was die Inder sich angesichts des Topfes und meiner Wanderung zunächst so alles zusammenreimten. Irgendwann fragte mich dann doch einer der Wachleute. „What is it?“ „Reis, Haldi, Hundetrockenfutter oder Fleischabfälle. Für die dünnen Hunde.“ „Ah!!!“ Ich denke, danach wussten alle Bescheid.
Meistens sah ich die Hunde auf Loch 6 des verwaisten Golfplatzes apathisch liegen. Zunächst trauten sie ihren Augen und Ohren nicht, da pfiff jemand, damit sie kämen und etwas aßen! Jetzt erkennen sie mich schon von Weitem an der Statur oder am Geruch, spätestens aber am Pfiff. Sie kommen freudig jaulend angerannt, keine Spur mehr von Angst oder gar Aggressivität. Vor lauter Wedeln krümmen sich ihre mageren Körper wie gebogene Ruten. Ein Konzert an unterschiedlichen Lauten begleitet die Begrüßung. Einige von ihnen sind noch nach Monaten unserer Bekanntschaft schreckhaft und vorsichtig. Das ist eigentlich auch gut so. Uns ist klar, wie unsere Wachleute und das Hotelpersonal mit ihnen umgehen wird, wenn wir nicht mehr da sind. Wir machen uns keine Illusionen darüber.
Zunächst gab ich den Hunden alles auf einmal und hielt Abstand. Wie ich schon befürchtet hatte, gab es schnell Futterneid. Ich hatte keine soziale Gruppe vor mir, keine Wölfe, die sich selbst versorgen würden, sondern Hunde, die vom Mensch abhängig und im Stich gelassen worden sind. Hier wurde mit ausgehungerten Bäuchen gekämpft und Unterdrückte wurden noch mehr unterdrückt. Dieses Verhalten können sich die Hunde beim Menschen abgeschaut haben…
Ich lernte dazu und platzierte nächstes Mal mehrere Häufchen Futter in einigen Abstand voneinander. Zunächst ist auch dieses Prozedere mit nur mäßigem Erfolg gekrönt, denn nun denken die Hunde, jedes Häufchen sei etwas ganz besonderes und das des Nachbars sowieso das Beste. Ich gab nicht auf. Innerhalb von einigen Wochen zeichneten sich nach und nach deutliche Erfolge ab. Das Vertrauen der Hunde wuchs, und so traute auch ich mich, die im Rudel praktizierte Unterdrückung nicht mehr zu dulden.
Zugegeben, ich griff nur da ein, wo ich glaubte, nicht selbst den Kürzeren zu ziehen. Da musste anfänglich schon mal die Suppenkelle herhalten, um besonders aufdringliche Rüden und Chefinnen zu maßregeln. Mittlerweile reicht es meistens, wenn ich böse die Stimme erhebe. Tatsächlich begriffen sie mehr oder minder gut, dass die Futterkämpfe keine gute Sache sind. Das Futter ist für alle gleich und wird ihnen nicht entzogen.
Unsere „Wilden“ hautnah beobachten
Unser Rudel besteht aus einem Kern von drei Mädchen, zwei Halbwüchsigen und einem Rüden. Dazu kommen wechselweise noch weitere „Stammplatz-Rüden“ und zwei Mädchen, die mal da sind mal nicht. Mit der Zeit hat sich auch ein Leitrüde herausgebildet, doch seine Aufgabe ist nicht eindeutig. Vielleicht wird er nur von den Mädels geduldet. Über drei Monate lang konnte ich beobachten, wie die Hunde in der Gruppe miteinander interagieren. Spannend war das.
Zunächst waren die Damen untereinander recht brutal. Jetzt denken vielleicht einige, das sei nun nichts Besonderes. Eine erschreckend dünne Hündin – ich nenne sie „Whity“ – mit einer vernarbten und mit Bisswunden übersäten Schnauze ist mir besonders aufgefallen. Ein schönes Tier, das nur bisschen mehr Aufmerksamkeit, Zuneigung und Futter braucht, um seine Qualitäten zu entfalten. Sie leckte allen Hunden die Schnauze und machte sich trotz ihrer beachtlichen Größe ganz klein. Doch das half alles nichts, sobald Whity sich dem Futter näherte, schoss die Stärkste des Rudels, die „Chefin“, hervor und hat ihr brutal die Schnauze zugehalten und zum Boden gedrückt. Andere stimmten in das Mobbing ein und haben sie in die Hinterbeine gebissen. Nur die beiden Junghunde – „Goldi“ und „Blanco“- schauten sichtlich verstört zu. Whity ist so ein liebes Geschöpf, das ständig in unserer Nähe sein möchte und mittlerweile übermütig zum Spielen auffordert. Sie liebt Nico und umgarnt ihn ständig. (Ohne Erfolg.)
Trotz aller, auch unschöner Rituale und Verhaltensweisen, die die Gruppe untereinander praktiziert, bin ich der Meinung, dass sie letztendlich kein zusammengewachsenes Rudel sind. Worum die Hunde buhlen, ist in erster Linie die Zuneigung eines Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass fast alle Rudelmitglieder sich nur zu gerne uns anschließen wollen würden. Ich sehe ihre Zuneigung nicht bloß als eine Reaktion auf die Tatsache, dass ich ihre einzige Futterquelle bin. Bei vielen dieser Hunde steht mittlerweile das emotionale Bedürfnis im Vordergrund. Ein Bedürfnis nach körperlicher oder wenigstens nach stimmlicher Zuneigung und Nähe.
Mittlerweile sind die Hunde zutraulicher und gleichzeitig auch etwas entspannter untereinander geworden. Ich möchte fast sagen, sozialer. Sie versuchen uns in der Marina zu besuchen, um wahrscheinlich ein Teil der „Familie“ zu werden. Das ist nicht möglich und auch seitens des Managements nicht erlaubt. Marcel muss den bad guy mimen und sie vertreiben. Es ist aus verschiedenen Gründen besser für sie, den „heiligen“ Boden des Hotels zu meiden.
Nico ist der ganz große Liebling des Rudels – abgesehen natürlich von den Machos, die Nico gerne zeigen würden, wo hier der Hammer hängt. Von den Damen wird Nico jedoch ausnahmslos umgarnt und zum Spielen aufgefordert (vergebliche Lebensmühe). Die Vermutung liegt nahe, dass die Mädels auf diese Weise sich mit uns gut stellen und Eingang in unsere Familie finden wollen.
Eine fast täglich Prozession: Marcel, Joanna, Nico und sechs weitere Hunde, die keine Straßenhunde und Streuner sein wollen, sondern das, was sie genetisch auch sind: Haus- und Hofhunde. Vor allem aber Begleiter des Menschen. Leider geht das nicht und das tut manchmal in der Seele weh. Dann müssen wir uns umdrehen und den Hunden nicht in die Augen sehen.
Zuhause auf dem Steg: die Sailor-Hunde-Bande
Unsere Hilfe hat sich unter den Hunden herumgesprochen und eines Tages brachte uns eine Hündin vier kleine Welpen. Sie wollte sie unbedingt beschützen und wusste nicht wohin mit ihnen. Irgendwann hatten wir sie vor dem Marina House, später auf dem Steg unter einem umgedrehten Dinghi. Eines der kleinen Racker ist nachts ertrunken. Wir hörten seine Hilfeschreie leider nicht, aber ein Segler hat uns später davon berichtet… leider hat er ihn nicht gerettet.
Mit der gewachsenen Familie wuchsen auch die Sorgen: Marcel und Bryan von der benachbarten Yacht fuhren mit der kleinen Bande fünf Tage lang zum Tierarzt, um sie an den Tropf zu legen. Ohne unsere Intervention wären sie alle gestorben, denn sie hatten Staupe bekommen. Sie haben es überlebt! Nun sind alle drei groß, und wie wir finden, schön geworden. Geimpft, entwurmt, gegen Flöhe behandelt – und sie suchen dringend ein gutes Zuhause! Auch die Mama ist eine tolle Hündin, die sich lieb um ihren Nachwuchs kümmert, mit ihnen spielt und ein großes Herz für Menschen hat. Doch leider wird sie von den anderen Hunden sehr gemobbt. Sie ist vor kurzem mit klaffenden, tiefen Wunden an den Hinterbeinen zurückgekommen und hat seitdem große Angst vor den anderen Hunden. Was wird aus unserer kleinen Familie werden, wenn wir nicht mehr hier sind? Diese Frage betrübt uns sehr.
Daher möchte ich den nächsten Beitrag diesen drei Super-Rackern und ihrer Mama widmen und gleichzeitig für ihre Adoption werben. Wir werden einen Versuch mit den hiesigen Tierschutzvereinen unternehmen und hoffen, dass sie uns weiterhelfen können.
Bleiben Sie also bitte dran.
Hans
Der Lockdown ist auch eine Chance. Zumindest für die Hunde.
Herzlichst, ebenso Weltumsegler im Lockdown und ehemaliger Hundebesitzer. Hans / TUVALU