Stadtspazieränge durch Mindelo

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Auf historischen Spuren durch Mindelo ohne einen (kundigen) Führer. Das kann nur bedeuten, offenen Auges sich treiben lassen. Etwas zu sehen, was im Begriff ist, zu verschwinden. Nicht alles ist geschichtsträchtig, jedoch alles, was hier langsam zerbröckelt oder bereits abgerissen wird, machte das ursprüngliche und das heißt das koloniale und nachkoloniale Mindelo aus. Ein anderes historisches Mindelo gibt es nicht. Was verschwindet, das sind architektonische Zeitzeugen jener Ära, in der die englischen Händler alles in der Hand hatten, was Geld brachte. Von diesem Geld wanderte durchaus einiges in die Hände der Kapverdianer, einiges andere wurde investiert in Krankenhäuser, Universität, Schulen, Straßenbau, Kultur. Alle repräsentative Bauten und Plätze des 19. Jh.s – sofern erhalten – gehen auf diese englische Vorherrschaft in Mindelo zurück. So ist die “englische Zeit” das einzige Goldene Zeitalter der Stadt, nichts davor und nur wenig danach. Wenig ist aus dieser Zeit heute geblieben. Für einen Europäer schwer vorstellbar, aber eines der ältesten (überlieferten) Gebäude der Stadt ist das abrissreife ehemalige englische Konsulat, von dem ich bereits berichtete, und das traurig auf die neue Marina und Fishing Club hinunterschaut.

Zweite Phase der Investitionen und des regen Ausbaus der Stadt fällt in die 1920er und 30er Jahre. In Lissabon kommt es zu einem Militärputsch, António de Oliveira Salazar wird Finanzminister und 1932 Premierminister. Ihm steht damit nichts mehr im Wege, um ein diktatorisches Regime in Portugal und den Kolonien zu errichten. Wer nicht mehr so ganz genau weiß, was es mit den Diktatoren unserer Urlaubsländer (Portugal, Spanien) auf sich hatte, wie lange sie problemlos in Europa regieren konnten, woher bspw. der Begriff der “Nelkenrevolution” kommt, aber auch woher Spanier ihr ungebrochenes Obrigkeitsdünkel haben, der/die kann über entsprechende Einträge in Wikipedia die Erinnerung auffrischen – und vielleicht beim Lesen ins Staunen geraten.

Salazar investierte in seine Kolonien, sollten sie doch wieder Geld einbringen, und machte sie für einige wieder attraktiv.  Er versäumte dabei nicht, überall portugiesische (in dem Fall seine eigenen) Duftmarken der Diktatur zu setzen. Keiner solle daran Zweifel haben, dass Kapverden und insbesondere Mindelo portugiesisch und ‘salazarhörig’ sind. Zu diesen Zeichen gehört in Mindelo der hässliche Torre de Belém, ein Nachbau des gleichnamigen Renaissance-Torres von Lissabon, mit dem der kapverdische nur den Namen gemeinsam hat, nicht jedoch die Gestaltung.

In die 1920er Jahre fällt auch der Ausbau der Nordstadt um die heutige Praça Nova. Hier entsteht das Nobelviertel der Stadt mit großzügigen Villen, einem imposanten Kino, ersten Hotels, der Musikschule und einigem mehr. Die heutigen heruntergekommenen Villen und das fast schon abgerissene Kino sind traurige Zeugen einer glorreichen Stadtgeschichte. Dennoch ist das Viertel um die Praça Nova nach wie vor ein sehenswerter Bezirk, in dem so einiges architektonisch Interessante noch zu finden ist.

Die Zeit der Kohlebunker, der englischen Handelsbeziehungen und des Geldes, spiegelt sich bis heute in den Gebäuden wider, die die Straße um das große Hafenbecken ausmachen. Der vielbeschworene Flair der ehemalig verruchtesten Stadt der Welt kann mit etwas Phantasie erspürt werden. Am besten funktioniert diese Reise in die Vergangenheit am späten Nachmittag, wenn der ewige Passatwind nachlässt (Glücksache) und die Abendsonne über dem “Berg der Gesichter” scheint. Sie taucht das Hafenviertel in ein mildes Licht, das offenbar auch den Lärm der Straße dämpfen kann. Jetzt ist die beste Zeit für Fotos und etwas Wehmut über die Vergänglichkeit der Schönheit.

Wehmut, darüber dass neue Republiken, die sich von der Vorherrschaft der ehemaligen Kolonialherren befreiten, grundsätzlich das Kind mit dem Bade wegschütten und kein Interesse am Erhalt ihrer historischen Bauten und damit ihrer frühsten Kulturprägung haben. Dies ist nicht nur bloß schade, sondern zerstört das Bewußtsein seiner eigenen Wurzeln und geschichtlicher Herkunft. Ganz zu schweigen von der Hoffnung, die den Namen “Tourismus” trägt. Denn Touristen werden sich kaum für eine Stadt interessieren, die außer einem kleinen Strand und einigen Kneipen bloß moderne Hochhausarchitektur zu bieten hat. Aber wahrscheinlich irre ich mich in der Einschätzung dessen, was die Mehrheit als Sehenswert empfindet.

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Beginnen wir den Stadtspaziergang an der heutigen Hafenpromenade

Das ist die Av. Amilcar Cabral, benannt nach dem Helden der Befreiung der Kapverden von der portugiesischen Kolonialherrschaft. Kein Dorf ohne eine Cabral-Straße. Cabral war gebürtig ein Guineaner aus Westafrika und kam mit seinen Eltern in den 1930er Jahren nach Kapverden. Für die Kapverdianer wie für die Afrikaner waren die Jahrzehnte der Salazar-Ära zwischen 1940-1970 die schlimmsten der modernen Inselgeschichte. Als Cabral in Mindelo aufwuchs, dort das Gymnasium besuchte und später in der Studienzeit hier die Ferien verbrachte, war politisch motivierte Gewalt und solche, die aus Ungerechtigkeit und Hungersnot entsteht, in Mindelo an der Tagesordnung. Unterdrückung, Dürre, Hunger bestimmten das Leben auf den Kapverden. Salazar ließ parallel zu den Hungersnöten und Aufständen der Einheimischen immer mehr portugiesische Soldaten auf dem Archipel und insbesondere in Mindelo, oberhalb des Hafens, stationieren, um diesen strategisch wichtigen Posten abzusichern und die Soldaten im Falle des Falles aktionsfähig zu machen.

Nur ein paar Daten, um die Probleme zu beleuchten, die schließlich dazu führten, dass die verhasste portugiesische Vorherrschaft 1975 abgeschafft wurde:
1940 setzt eine große Dürreperiode (Jahre, in denen es nicht Regnete, gingen dem voraus) ein. Sie kostete mehr als 20 000 Menschen das Leben. 1942 bis 1948 verhungerten auf den Kapverden weitere 30000 Menschen. Zugleich schnallten die Lebenshaltungskosten in die Höhe, wenngleich die Menschen immer weniger Arbeit fanden. Emigrationswellen und Aufstände setzten ein. In den 1950er Jahren zogen sich immer mehr Engländer aus den Geschäften zurück und verließen Mindelo für immer.

Cabral ging 1945 nach  Lissabon, wo er Agrarwirtschaft studierte, schloss sich dort afrikanischen Studentengruppen an, die politisch engagiert waren. Die Ferien verbrachte er in Mindelo, wo er die unter den Kapverdianern sehr beliebte Radioreden hielt. Er informierte die Bevölkerung über ihr eigenes Land, machte sie darauf stolz, gleichzeitig klärte er über landwirtschaftlich-ökologische und geologische Probleme auf. Dieses Informationspaket wurde den portugiesischen Machthabern zu heikel und Cabrals Reden verboten. Als fertiger Agraringenieur ging er 1952 nach Guinea-Bissau, wo er die Afrikaner auf ihre eigene Kultur und die (land-) wirtschaftlichen Möglichkeiten aufmerksam machte. Die Verantwortlichen verbannten ihn nach Angola. Dort gründete er die “Afrikanische Partei zur Unabhängigkeit von Guinea und Kap Verde”, kurz PAIGC genannt. In den 1960er Jahren ging die Partei dazu über, einen Guerillakrieg gegen portugiesische Obrigkeit zu führen. Unterstützung kam von China und der UdSSR, die Hoffnung hegten, dort kommunistische Regime entstehen zu lassen. Was tatsächlich in gewissem Grade geschah, denn die erste unabhängige Regierung auf Kapverden kann man durchaus als sozialistisch bezeichnen. Auch heute bekommt bspw. Praia, die Hauptstadt der Kapverden, einiges an Unterstützung durch die chinesische Regierung.

Da die gesamte Führungsriga der Partei aus in Lissabon studierten Afrikanern bzw. Kapverdianern bestand, der kämpfende Soldat hingegen ausnahmslos aus Guinea-Bissau stammte, ergab sich aus dieser Bildungsdiskrepanz ein großes Streitpotenzial innerhalb der Partei. Möglicherweise scheiterte Cabral an einem der internen Probleme, als er 1973 in Conakry ermordet wurde. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt. So erlebte er weder 1974 die Nelkenrevolution in Portugal noch die Unabhängigkeitserklärung der Kapverdianer von 1975.

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In ihrer klassisch-zeitlosen Form eine sehr schöne Halle. Innen bereits verfallen, wird dieses Bauwerk nicht mehr lange bestehen. Im übrigen haben wir es hier mit den Prototypen der sakralen (Kirchen-) Architektur zu tun. Unschwer ist das Grundprinzip der sogenannten Basilika zu erkennen, die aus einem erhöhten Mittelschiff und zwei niedriger ansetzenden Seitenschiffen besteht. Dabei haben alle Bauelemente jeweils eigenes Dach (bei gleicher Dachhöhe oder einem gemeinsamen Dach spricht man von einer “Pseudobasilika”). Die Ursprünge dieser Hallen, die sowohl als Speicher als auch Versammlungsräume dienen konnten, liegen in der römischen Antike.

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Direkt vor dem heutigen Fishing-Club steht eine Säule, die mich fälschlicherweise an die Eroberungssäulen der Portugiesen erinnerte. Bei genauem Hinsehen entpuppt sie sich als ein Denkmal, das (angeblich) jene Stelle markiert, wo 1922 zwei Piloten mit ihre Maschine zwischenlandeten auf ihrem ersten Flug über den Atlantik nach Südamerika. Ihre Namen: Gago Coutinho und Sacadura Cabral. Ihr Flugboot war die “Lusitânia”.

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Vor dem langen Steg, der zu der modernen (2007 eröffneten) Marina führt und den ehemaligen historischen Zollkai ersetzt, erstreckt sich das noch erhaltene alte Mindelo. Es heißt Armazéns de Ingleses und verweist im Namen auf seine ehemalige Funktion und Besitzverhältnisse, denn armazéns bedeutet auf Portugiesisch “Handelshäuser”, die den Engländern gehörten. Um genauer zu sein, waren es Engländer und Schotten, die im 19. und 20. Jh. ihre Warenhäuser und Verkaufsläden entlang des Hafenbeckens bauten und die Stadt von diesen Kontoren aus auf ihre Weise beherrschten.

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Stattliche Häuser der Kolonialzeit mit den typischen schmiedeeisernen filigranen Balkonen in der Belle Etage. Der “Rosa Palast” im Hintergrund am Ende der Straße wurde von den Engländern als Konzerthaus gebaut. Neuerdings hat man sich dieser interessanten Kolonialbauten von offizieller Stelle wieder besonnen und einigen wenigstens ihre Fassade renoviert. Es ist offenbar den Stadtherren zu Ohren gekommen, dass viele Touristen “altes Kolonialzeug” dem modernen Einerlei, das sie zuhause gleicherweise haben, vorziehen.

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Britische/schottische Geschäftshäuser reihen sich der Uferstraße entlang. Verwahrlost, aufgegeben, zugebrettert – wie in der ganzen Stadt, so auch hier spiegelt sich in dem Zustand der historisch interessanten Häuser die Einstellung der Kapverdianer zu ihrer Kolonialgeschichte und gleichzeitig auch ihr modern-kapitalistisches Desinteresse an alten Bauten wider. Dass eine Stadt einen ästhetischen Genus bieten kann, der sich entschieden auf das Wohlbefinden der Bewohner auswirkt, ist vielen Städteplanern rund um den Globus nicht bekannt.

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Am späten Nachmittag, an einem Sonntag, ist die beste Zeit, um die Stadt zu erkunden. Die milde Sonne des Abends ist gnädig zu all den traurigen Ruinen, ruinösen Kopfsteinpflastern mit den schönen Fischmustern und verrosteten Balkonen. Man beachte die Gaubendächer und ihre Dachfenster – mustergültige Ausprägungen des europäisch-englischen Geschmacks. Darüber hinaus auch ein Zeichen tüchtiger Kaufmannsideale, die jede Art von Verschwendung, eben auch der Raumverschwendung, ablehnt.

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Vis a vis der Strand der Fischer, wo sie immer noch mit ihren traditionellen, bunt bemalten Holzbooten anlanden, um in die benachbarte, neue und funktionale Fischhalle in Plastiktüten ihren Fang zu tragen. Oder einfach am Kiosk, der unmittelbar neben dem grauen Nachbau des berühmten Torre de Belém steht, unter den wenigen alten Bäumen der Stadt Brettspiele zu spielen, ein Schläfchen zu halten oder auch mal Trödelzeug anzubieten. Hier lungern nicht nur Fischer herum, sondern auch die ärmsten der Armen (was nicht selten zusammenfällt).

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Das Zentrum und das, was man “Altstadt” nennt

Es ist ein dichtes, relativ großes Viertel, das im Norden vom Palácio Presidencial – dem ”Rosa Palas” –, der Rua do Côco im Osten und der Praça Estrela im Süden begrenzt wird. In der Mitte liegt die Igreja Nossa Senhora da Luz und der Mercado Municipal. Es wundert mich, zu lesen, dass der Bezirk um die Kirche bis zum 19. Jh. noch ein kleines Dorf mit dem Namen “Nossa Senhora da Luz” war, das um eine kleine Kapelle der Ortspatronin, jener Senhora da Luz (Maria Lichtmess), gegründet wurde. Verwunderlich ist für mich daran, dass am Ende des 18. Jh.s, nur zwei Straßen weiter und damit kaum mehr als drei Minuten von dieser Kirche entfernt, die Stadt Mindelo bereits voll entfaltet lag. In ihrem Zentrum ein ‘trotziges Dorf’? Wohl kaum.

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Der DuMont-Reiseführer beschreibt den großen gleichnamigen Platz vor der Kirche als beliebten Treff von Familien, die Mittags einen Happen gemeinschaftlich zu sich nehmen. Tatsache ist, dass hier arme Leute in der Nähe der Kirche rumlungern – gut möglich, dass sie auch hier gemeinschaftlich essen –, um von vorbeigehenden Touristen, Kirchgängern oder auch einfach wohlmeinenden Passanten etwas zu erbetteln. Betteln ist keine Selbstverständlichkeit für die Armen auf Kapverden.Ganz im Gegenteil, ist betteln eine beschämende Tätigkeit, der kaum ein Erwachsener nachgeht. Es sind vor allem Kinder und manchmal alte Frauen, die das Gewerbe ausüben. Kinder werden zu Bettlern, wenn Aida-Kreuzfahrer unterwegs sind.

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Der Mercado Municipal ist eine städtische Markthalle. Hier werden Obst, Gemüse, Selbstgemachtes, Fleisch und Getrocknetes verkauft. In der ersten Etage und auch an den Seiten des Erdgeschosses gibt es kleine Geschäfte, die einen Schuster, Souvenirläden, Spezialitäten aus Kapverden und so etwas wie ein ‘Reformhaus’ mit Pillen, Vitaminen, Haarmittel und Kräutern beherbergen. Die obere Etage wirkt dennoch verwaist, nachdem die Händler weggezogen sind. Am Treppenaufgang befindet sich ein Fries von 1994 (aus Portugal importiert), das eine Straßenszene darstellt, so wie man sie sich prototypisch auf Kapverden vorstellt: Frauen mit Körben auf dem Kopf, ihre Waren so den Passanten anbietend.

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Am Kirchplatz befindet sich nicht nur das Rathaus der Stadt, sondern das traditionsreiche, älteste Kaufhaus der Stadt (modernisiert). Die sogenannte “Casa Benfica” ist ein Bau, den ich auf die 1940-50er Jahre schätze. Nicht uninteressant, wie ich finde, doch leider geschlossen. Nur im Erdgeschoss hat einer der vielen “Chinos” (von Chinesen geführten Geschäfte) Einzug gehalten und bietet das übliche hässliche Plastik-Einerlei an. Diese interessante “Casa” wäre es wert, erhalten und in ihrem ursprünglichen Sinne genützt zu werden. Sie geht auf mehrere Handelsgesellschaften zurück, die gegründet wurden, um den Handel von typisch kapverdischen Produkten mit Portugal zu organisieren. Freilich, diese Gesellschaft war eine Initiative aus der Salazar-Zeit, dennoch, sie war nicht schlecht.

Praça Estrela

Diese große Platz begrenzt nicht nur die Altstadt gen Süden, sondern hat auch eine Verbindung zum Hafen und der sich dort befinden Fischhalle. So schließt sich der erste Kreis meiner Stadtspaziergänge.

Inmitten des wie eine Bühne erhöhten Platzes steht in die Tiefe eingelassen ein Pavillon, den sich mehrere Schnellküchen teilen. Bereits am Vormittag wird dort Cachupa und eintopfähnliche Suppen angeboten. Jede Garküche hat scheinbar nicht nur seine Klientel, sondern ist auch in Hunde-Reviere aufgeteilt. Auf dem erhöhten Platz drum herum verkaufen Afrikaner ihre Produkte, etwas Souvenir, viel Bekleidung und Trödel, vor allem aber Gemüse und Obst aus Afrika. Dieses Geschäft besorgen Frauen – Afrika light auch hier.

Auf der anderen Seite des weitläufigen Platzes ein anderes Konzept: Feste kleine Buden, gekachelte Fassaden und ‘Straßen’ sowie auch hier ein Pavillon in der Mitte erwecken den Eindruck einer Stadt en miniature. Hier verkaufen gleicherweise afrikanische Händler alles nur Erdenkliche, was man braucht und meistens nicht braucht. ‘Fliegende Schuster’ sind hier genauso zu finden wie Näher mit robusten Nähmaschinen im Freien. Erbaut ist diese ‘Händlerstadt’ 2000 von der Partnerstadt Porto aus Portugal.

Um die persönliche Sicherheit braucht man sich, meiner Ansicht nach, keine übertriebenen Sorgen zu machen. Zeit aber sollte man sich nehmen, die Atmosphäre des gesamten Platzes auf sich wirken lassen und die Azulejos, die handgemalten blau-weißen Fliesenbilder, angucken, die alte Ansichten von Mindelo zeigen. Als Vorlage dienten den Malern alte Postkarten von Mindelo.

Ein weiterer Markt, etwas versteckt an der meerseitigen Ecke, ist ein einfach überdachter Platz, der für viele Segler von Hauptinteresse ist. Hier verkaufen Frauen Gemüse und Obst, manchmal auch sehr frische Kräuter wie Basilikum, Thymian oder Majoran. Beliebt scheint auch eine improvisierte sehr günstige ‘Küche’ zu sein, die einfachste Suppenspeisen bietet, und durch die lange Schlange der Hungrigen auffällt.

Die an den Markt angrenzende breite Straße ist in ihrer Hässlichkeit schonwieder interessant und bietet ein paar ‘Entdeckungen’ für Lebensmittelshoppende. Beispielsweise einen portugiesischen Importeur, der u.a. günstig Stockfisch anbietet, oder einen portugiesischen ‘Feinschmeckerladen’, bei dem man Gemüse, Alkoholika, Selbsteingelegtes und Selbsteingemachtes von der Insel Santo Antao oder auch Kräuter und Teemischungen bekommt. Und schließlich auch eine Einrichtung, die Segler lieben: Ein Waschsalon mit tatsächlich heißem Wasser, Trocknern, die trocknen, und bezahlbar noch dazu.

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Alte Handelshäuser der Altstadt begrenzen die Praça Estrela gen Norden. Einige beherbergen im Erdgeschoss immer noch kleine Geschäfte und Bars. In der Nebenstraße stößt man unverhofft auf Importeure von Weinen in Schläuchen zu sehr günstigen Preisen und guter (meistens) Qualität  – eine Mischung, die Segler gleicherweise lieben.

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Verblüffend an dieser Anlage finde ich ihr Entstehungsjahr 2000. Und das nicht wegen dem schlechten Erhaltungszustand nach 15 Jahren, sondern wegen der atypischen Formensprache. Ohne zu zögern, hätte ich die kleine Marktstadt in die 1970er oder 1960er Jahre datiert.

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Ich bilde mir ein, zu wissen, von wo aus dieses Bild ‘aufgenommen’ wurde. Es ist ein kleiner Hügel am Rande der Hauptstadt. Man erreicht ihn, wenn man jener Straße vorbei am Palast und der Universität (beide in der Bildmitte bzw. links im Bildvordergrund sichtbar) folgt. Bemerkenswert bei dieser Ansicht ist sowohl das intakte Stadtbild voller unterschiedlicher, so zu sagen stattlich-städtischer Häuser (man beachte überall die Gaubendächer und Gaubenfenster!), als auch die Bezeichnung, die angeschnitten im oberen Bildrand auftaucht: “Cabeça do Washington” (Washington-Kopf), was sich auf den Berg gegenüber der Bucht bezieht. Ich berichtete davon in einem vorhergehenden Blogbeitrag.

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Viel Verkehr herrscht an der Kreuzung mehrerer Hauptstraßen mitten im Zentrum der Altstadt. Für den Palácio Presidencial und ihn umgebenden Villen ist die Ruhe längst vorbei. 1874 als Musikhalle gebaut, diente es später als Gouverneurspalast und wurde erst 1929 mit einem Obergeschoss aufgestockt. Heute wird es vom Präsidenten der Kapverden bei seinen Aufenthalten in der Stadt genutzt, außerdem dient es dem Inselgericht als (provisorischer?) Sitz. Der gepflegte Garten im Inneren des Palastes darf während der Bürozeiten betreten werden.

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Die Universität ist ein unmittelbar hinter dem Palast liegendes Gebäude aus der Kolonialzeit. Die relativ gut aussehende Fassade täuscht, das Gebäude befindet sich in einem maroden Zustand. Um den Palast und die Universität erstreckt sich ein Viertel, das ehemals sicherlich von wohlhabenden Bürgern bewohnt wurde. Davon zeugen heute vor allem verlassene Ruinen. Aber auch moderne Villen und nicht fertiggestellte Hochhäuser zeugen von bestehender Bautätigkeit.

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Ganz Neues und Koloniales eng beieinander und in verschiedenen Agregadszuständen. Es überrascht mich, immer wieder auf interessante Architektur zu treffen, wie hier knapp rechts im Bild zu sehen. Schwierig ist es in Mindelo, die Bauzeiten zu bestimmen, denn hier baut man bis heute noch in Anlehnung an die 1950er bis 60er Jahre mit einigen ‘Modernisierungen’. Häßlichkeiten der 1980er Jahren wie wir sie aus Deutschland kennen, gibt es hier kaum. Aber leider beherrscht zunehmend schlechte Hochhausarchitektur die zeitgenössische Stadtentwicklung, die bedauerlicherweise gänzlich uninspiriert ist – und meistens unvollendet im Rohzustand für Jahre verbleibt.

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Das ehemalige Hospital von Sao Vicente. Ein ehemals schönes Gebäude von 1899. Wie so vieles in Mindelo fällt auch seine Entstehung in die goldene Zeit der Stadt und ist den Engländern zu verdanken. Warum sich das Gebäude heute in diesem verwahrlosten Zustand befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. Privatisierung des Gesundheitswesens? Es gibt in Mindelo mittlerweile einige private Gesundheitszentren.

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Armut gibt es überall. Gebettelt wird jedoch nicht.

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Ribeira Bôte ist eine Wohngegend in der Nähe des Palastes und doch eine, die jenseits der Touristenpfade liegt. Siedlungen, deren Architektur an Arbeiterviertel aus Bremerhaven oder dem Ruhrpott der 1920-30er Jahre erinnert.

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Zwei Mädchen-Paare in einem für Mindelo typischen Mix aus Architektur und Straßenführung.

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Ich bin für die Architektur der 1950er Jahre zu begeistern. Die Leichtigkeit der Formen, die kleinen verschmitzt wirkenden Ideen. Lichtdurchflutet. Die architektonische Formensprache erinnert mich immer an japanisches Design.

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Praça Nova

Sie verdanken wir vor allem den reichen Stadtbürgern und der Stadterweiterung in den 1920er Jahren. Auch hier sind überall Zeichen der englischen Baudominanz zu erkennen. Villen mit Gaubendächern und gewisse Verspieltheit in der Fassadengestaltung mit Bögen und Schnörkeln sind untrügliche Zeichen für den damaligen englisch-europäischen Kolonialgeschmack.

Aber auch klare Linien der modernen 1920er und 30er Jahre finden sich an großen Bauinvestitionen wieder. Manufakturen hinter hohen Mauern entdeckt man erst auf dem zweiten Blick. Meistens verkommen die interessanten Bauten ungesehen dahinter. Manchmal hat die Stadt etwas Glück und ein solcher Gebäudekomplex wird von der Kapverdischen Telecom aufgekauft und nicht abgerissen.

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Das einzige Museum der Stadt – wenn nicht sogar von ganz Kapverden – das eine echte Sammlung beherbergt und darüber hinaus auch Sonderausstellungen veranstaltet (z.Z. zum Vinyl = der Schaltplatte).  Kleine Pavillons und ein Kiosk mit Jugendstilelementen schmücken die Ecken des begrünten Platzes. Eine bronzenen Plakette mit dem Konterfei von Cesária Évora ist auch hier angebracht. Ich habe bereits von unserer Suche nach originärer kapverdischer Musik an einer anderen Stelle im Blog berichtet. Wo heute das Museum ist, hat Évora in einem Musikstudio ihre erste Schalplatte aufgenommen. Und weil ich das im vorhergehenden Beitrag vergessen habe, zu erwähnen, so wird es nun nachgeholt: Das schliche Grab auf dem Zentralfriedhof vor den Toren der Stadt. Nichts weist darauf hin, dass hier die berühmte und verehrte Sängerin begraben liegt. Allein der weiße Marmor hebt sich ein wenig von den anderen ab. Es vor allem aber das offenbar spontan aus Steinchen gelegte Herz, das die Besucher rührt.

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Das Foto verdanke ich der Crew der SY Atanga, die zum Grab von Cesária Évora pilgerte.

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Ein altes schönes Gebäude beherbergt die Musikschule in der unmittelbaren Nähe des Platzes

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In der Mitte das Monumento Luis de Camoes – eine Büste des berühmtesten portugiesischen Dichters (1524 –1580) auf einem Sockel mit dem Kreuz des Ordens der Kreuzritter (Christusorden) thronend. Vor der Büste sein bekannter Epos “Os Luzuados” als steinernes Buch. In dem echten Buch beschrieb er in 10 Gesängen nach dem Vorbild von  Vergil die Fahrten des berühmteren Vasco da Gama und seine Suche nach dem Weg nach Indien (man erinnere sich, Columbus hat ihn nicht gefunden).

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“Eden Park” gibt es nicht mehr…

Eden Park, so der Name des Kinos. Hier der traurige Überrest davon. Kein Engländer, sondern ein Portugiese, der Buchhalter Casar Marques da Silva ließ das Kino 1923. Die Kolonialbehörden duldeten es, zu denen der Buchhalter offenbar gute Beziehungen pflegte. In der Zeit der portugiesischen Militärdiktatur, die die “Provinz Cabo Verde” mit besonders harten Militär- und Polizeimethoden verwaltete, war ein solches Kulturhaus keine Selbstverständlichkeit.

Das faschistische Kolonialsystem “Estado Novo” bestimmte darüber, was im Kulturleben Mindelos möglich und was nicht möglich war, was im “Eden Park” an Filmen zeigen werden durfte oder ungesehen blieb. Es wundert nicht, dass dabei vor allem Hollywoodproduktionen und das diktaturkonforme portugiesische Filme die Zensur passierten, waren beide (aus verschiedenen Gründen) politisch unbedenklich.  Ältere Bürger erinnern sich, dass das Kino in der Zeit der faschistischen Regierung und der berüchtigten Geheimpolizei “Pide Liess” für viel Kapverdianer eine Art Überlebensstrategie darstellte (so bspw. Senhor Ramos, der Lokalchronist und ehem. Apotheker).

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Heute gibt es das «Eden Park» nicht mehr. An seiner statt soll ein ambitioniertes, jedoch vollkommen uninspiriertes Hochhaus entstehen, dass die kleine hübsche Praca in ihren Proportionen sprengen und zerstören wird. Bleibt zu hoffen, dass den Investoren das Geld ausgeht.
https://pt-pt.facebook.com/cinema.edenpark

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Eine gute Idee war hingegen, die Tradition des alten Kinos so zu sagen fortzuführen und ein Freilicht-Meer-Kino in der flachen Bucht vor der Marina aufzubauen. Jeden Abend hat man dort kapverdische Filmproduktionen und Künslterfilme für umsonst sehen können. Bis ein Starkwind die Konstruktion für immer ‘abbaute’.

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Abends steht man mit anderen Schlange: unschlagbar günstig und überraschend gut.

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In dieser erweiterten Garage befindet sich der Tierarzt bzw. die Tierschutzorganisation SiMaBo, die vor allem aus Italien unterstützt wird. Hospitanten, Gasttierärzte und Medikamente kommen daher. Ein Jahresbeitrag von nur 10 Euro für jede Behandlung macht sie für fast alle hundebesitzenden Einheimischen attraktiv. Als Nico (unser Bordhund) schwer erkrankte, war der Tierarzt dort unsere erste Anlaufstation, doch wir haben keine so guten Erfahrungen gemacht. Unschlagbar günstig und immer sehr voll. Hauptanliegen der Organisation ist, das Hundeelend wenigstens etwas zu mindern, und der erste Schritt dahin ist Kastration von Rüden. Der Warteraum in der Garage ist immer voll, allerlei kranke Hunde aber auch Welpen mit gelähmten Beinen haben wir dort gesehen. Frauchen und Herrchen machten sich um sie sorgen, auch wenn einige so ausschauten als ob sie auch einen Arzt bräuchten. Denn die Kapverdianer haben Hunde durchaus sehr gern, auch wenn sie sie nicht immer so behandeln.

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Wir haben nie herausgefunden, was sich hinter dieser “Museumstür” verbirgt, denn wir haben sie noch nie geöffnet vorgefunden. Ob wir den Besitzer dieses “Museo” zufällig beim Gassigehen mit Nico kennenlernt haben, der einen deutschen Schäferhund begrüßen wollte und so wir auch mit dem Hundeführer ein Wort wechselten, und von ihm erfuhren, er habe ein Museum, bleibt gleicherweise ungeklärt.

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Hotelarchitektur – nicht mehr die Nummer Eins am Platz.

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Das große Areal mit dem kleinen Tor über dem die große Uhr thront, die ein wenig an europäische Bahnhofsuhren erinnert, gehört heutzutage der kapverdischen Telecom. Die als Palme getarnte Funkanlage wird uns auf Santiago wiederbegegnen. Nicht die schlechteste Erfindung einer Telecom, wie ich meine.

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Versteckte Schönheiten hinter Mauern… Auch sie aufgegeben.

Die vielbeschworene Kulturstadt Mindelo täte gut daran, für die Kultur mehr zu tun. Kulturhauptstadt, Musikhauptstadt, die europäischste Stadt des Archipels – so beschreiben die Reiseführer und Reisebüros unisono diese Stadt, in der wir am Ende zwei Monate verbrachten. Wie ein Mantra wird die kulturelle Besonderheit der bis ins 20. Jh. hinein bestehenden Kohleverladestation beschworen, bis auch die Touristen und damit unsere Community der Segler fest daran glauben. So sehen sie mehr Europäer, mehr hellhäutige Kreolen, mehr “Kultur” als woanders auf den Inseln des Archipels.

Dabei ist Mindelo ganz still und wie selbstverständlich dabei, ihre Kultur unwiederbringlich zu verlieren. Musik, Kunst, Architektur der Kolonialzeit (das heißt im Konkreten bis 1970er Jahre) , Bauten aus der glorreichsten Zeit der Stadt, von Engländern und Schotten errichtet, verschwinden unwiederbringlich, weil es kaum jemanden kümmert. Wo sind die vielen Bars, die Hafenspelunken, in denen die ureigene Rhythmus der Kapverden gespielt wird? Wo sind die vielen Kunstgalerien einheimischer Künstler? Was macht das Kreolische, was das Europäische der Stadt aus?

  1. Katja Hupatz

    Liebe Joanna, lieber Marcel, ich wünsche Euch guten Wind aus der richtigen Richtung!! Toll, was Ihr macht! Alles spannend, was Ihr schreibt und immer sensationelle Fotos! ich schaue gerade wieder fast täglich nach, wo Ihr seid. Best of luck for you! Liebe Grüße aus Köln, Katja