Chau, Ilhas dos Açores!

Veröffentlicht in: Madeira, Portugal, Segelroute | 1

Das war’s – adeus, chau, bye-bye Açores, der Traum von ca. einem Jahr, viel Lektüre und Planung und Wanderungsträumen… wehleidig blicken wir zurück, bzw. leicht nach Steuerbord, während wir gen Süden abfallen. Also in eine ganz andere Richtung als geplant.

Zunächst hatten wir einen sehr schönen Start von Sagres aus. Gleich nach dem Cabo São Vicent kam uns eine dichte Nebelbank entgegen, von der wir gefangen genommen worden sind. Stille, fühlbares Weiß oder weiße Blindheit, das gerade noch vorhandene Land schien bloß eine Fata Morgana gewesen zu sein. Nach circa 30 Minuten entließ uns der sogenannte Kaltnebel und gab die Sicht frei auf das, das uns den Sinn des Wortes “Blauwasser-Segeln” eröffnete. Denn das atlantische Meer ist wirklich tief blau und vermittelt gleichzeitig den Eindruck kristalliner Durchsichtigkeit. Wir hatten (wie so häufig) kaum Wind und segelten so vor uns hin, dem Sonnenuntergang entgegen, denn tatsächlich war unserer Zielpunkt ganz im Westen, dort wo die Sonne untergeht.

Was es heißt, auf dem Atlantik zu segeln, wurde uns auch recht schnell klar, als wir die mächtige Dünnung sahen, die zunächst in längeren Perioden heranrollte und (noch) träge runde Wellenrollen bewegte. Das Meer atmete in langen gemächlichen Zügen, auf denen unsere Chulugi auf und ab getragen wurde. Uns schien die Sonne, die Dünnung ruhig und die Windsee (d.h. Wellen, die der Wind verursacht) kaum vorhanden – das sind die besten Vorbedingungen für Delphinsichtungen, wie wir es aus Erfahrung wissen.

Und, tatsächlich, sie kamen! In einer größeren Schule von bestimmt über 20 Stück. Müttern mit ganz kleinen Kälbern aber auch größere Exemplare. Mir schienen sie im Vergleich zu denen, die wir in der Adria sahen, eher klein. Als sie uns sahen (oder hörten), änderten sie abrupt ihren Kurs, um uns ein wenig zu bestaunen. So legten sich einige der Delfine auf die Seite, um uns besser sehen zu können. Ich klopfte gegen die Außenbordwand in der Hoffnung, sie würden es als ein Kommunikationsversuch verstehen.

Vielleicht wollten sie uns auch vor dem herannahen Sturm warnen, genauso wie die zwei Sturmvögel, die uns aus ganz naher Distanz (ich hatte Angst, dass sie in den Windgenerator hineinfliegen) eine Zeitlang begleiteten.

Nach einiger Zeit war es den Delphinen zu langweilig und wahrscheinlich auch viel zu langsam. Sie drehten ab und gingen auf ihren alten Kurs. Nur Nico, der anfänglich ängstlich auf sie reagierte, blickte noch stundenlang aufs Meer hinaus, in der Hoffnung, sie kämen zurück. Jede zweite spitze Welle wurde als vermeintliche Delphinfluke identifiziert. Seitdem dürfen wir nicht mehr “Delphine” in seiner Gegenwart sagen, wenn wir nicht wollen, dass er aufs Deck stürzt und alles absucht, sondern wie in einer Geheimsprache von “Meeressäugern” sprechen.

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Ich weiß nicht genau, um welche Delphine es sich hierbei handelt, aber ich glaube, wir haben Schlankdelphine/Fleckendelphine oder Zügeldelphine (die mit den anderen verwechselt werden können) gesichtet. Sie sollen jedenfalls im Alter gefleckt sein, treten in großen Schulen auf, sind nicht soo groß und all das würde passen.

Für Interessierte (auf einer Internetseite, die ich nicht mehr finde. Wissenschaftlichkeit lässt mit den steigenden Seemailen auf dem Tacho nach):

“Die Tiere werden bis 2,3 m lang bei einem Gewicht von 140 kg. Die Pigmentierung variiert mit dem Alter. Die Jungen sind eher hell und beginnen, sich mit der Geschlechtsreife mit Flecken zu bedecken. Der Körperbau des ausgewachsenen Tieres ist robust und spindelförmig, der Rücken ist dunkler als die Bauchseite. Jeder Kiefer trägt 30 bis 42 konische Zahnpaare. Dieser Delfin ernährt sich von Hochseefischen: Hering, Anschovis, verabscheut aber auch Cephaloden nicht. Jeder Delfin besitzt seine persönliche sogenannte „Pfeifton-Unterschrift“. Er sendet Klicktöne bis 150 kHz aus, die für die Nahrungssuche als Echo-Ortungssystem genutzt werden, und Pfeiftöne von 6,6 bis 13,3 kHz, die der Kommunikation dienen.

Der Atlantische Fleckendelfin ist sehr aktiv und ohne Zweifel das „Freundlichste“ der Meeressäuger, die wir beobachten. Es passiert, dass er stundenlang in der Bugwelle der Boote „spielt“, was ihn zu einer leichten Beute bei Fischern mit wenig Skrupel macht. Er ist nicht scheu und lässt durchaus Taucher in seine Nähe. Wir treffen ihn bei 45 % unserer Ausfahrten an, aber nur von Mitte Juli bis Dezember. Er lebt in Gruppen von 10 bis 50 Tieren, manchmal sind es auch viel mehr. Er kann mit dem Grossen Tümmler verwechselt werden, besonders die jungen Tiere ohne Flecken, jedoch ist er kleiner, sein Schnabel ist gestreckter und schmaler. Er schwimmt schneller als 18 Knoten, atmet 3 bis 4 mal pro Minute und taucht normalerweise ungefähr eine Minute.”

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Gefährdet ist der Fleckendelphin allein durch den Menschen. Besonders auf den Azoren wird er direkt befischt oder von Fischern als “Konkurrent” angesehen und einfach so getötet. Darüber hinaus verenden diese aber auch andere Delphine als sogenannter Beifang in den Treibnetzen der Fischer. Oder werden in Japan mindestens ein mal im Jahr in Buchten zusammengetrieben und abgeschlachtet. Besonders schöne Exemplare verkauft man an Delphinarien. Und schließlich ist auch noch die Umweltverschmutzung vor allem durch Plastik zu nennen, die eine besonders große Gefahr für alle Meeresbewohner (und Vögel) darstellt.

An dieser Stelle wie auch immer wieder von mir gefordert: Produziert und konsumiert weniger Plastik; keine Plastikverpackung, Tüten, Wohngegenstände, Plastikflaschen und unnützen Schnickschnack!

Nach diesem sehr schönen Tag des Blauwasser-Segelns kam ein Tiefdruckgebiet wie aus dem Bilderbuch. Ich las gerade das empfehlenswerte Buch “Wetter auf See” und just da bot mir die Realität ein wunderbare Möglichkeit, Theorie in Praxis umzusetzen:

Zunächst kommt, der eigentlichen Kaltfront vorgelagert, eine Warmfront. Warm an ihr ist die Temperatur wahrscheinlich nur im Vergleich mit der Kaltfront. Sie kündigt sich an durch hohe Schleierwolken (Cirrus und Cirrostratus) gefolgt von Altostratus und Nimbostratus-Wolken, dann kommt eine Phase des (semin-) warmen Regens und der starken Böen. Geht diese Warmfront vorbei, dann klart sich der Himmel auf, warme Luft und Stratus-Wolken breiten sich aus, man glaubt, es sei alles vorbei. Aber, das Barometer fällt… Sollte immer einem zu denken geben.

Ohne eigentlich Vorwarnzeit durch besondere Wolkenlagen kommt nun die Kaltfront angerauscht. Und wie der Name schon vermuten läßt: kalter Regen, kalte starke Böen, Wind zu Genüge. Barometer fällt auf den tiefsten Stand. Dann ist die Kaltfront durch. Aber noch nicht das ganze Desaster vorbei, denn nun kommen nach einer kurzen Aufklarung die von Seglern gefürchteten Gewitterfronten bzw. Wolken, deren Richtung sich schwer vorhersagen läßt.

Und so war es auch – so gesehen, schönes Anschauungsmaterial.

Das war, wie überhaupt das gesamte Wolkengeschehen auf dem Atlantik, sehr beeindruckend. Solche Wolken und so einen dichten Regen habe ich noch nie gesehen. Die Gewitterwolke haben wir Gott sei Dank umfahren können.

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Das harmlose Wolkengebilde im letzten Foto ist übrigens eine  solche gewaltige Gewitterwolke – ich las gerade das entsprechende Kapitel zum Gewitter auf See als wir sie querab hatten.

War das Tiefgebiet wie aus dem Bilderbuch durchgezogen, nahm das Barometer dennoch immer noch weiter ab und die “Tiefs” häuften sich. Der tägliche Blick auf die Grib-Files (Wetterkarten), die wir über Iridium zwei Mal am Tag bezogen, machte uns klar: das von mir beschriebene Tief war nicht der Rede wert, denn wir hatten nun mit einem Zyklon zu tun, der sich nördlich von den Azoren zusammenbraute und immer wieder in konzentrischen Bahnen rechtsdrehend in unsere Richtung bewegte. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch eine Hoffnung, dass eine Weiterfahrt nach Norden uns davon bewahrt, mit den schlimmsten Zentren oder Bahnen des Zyklons zusammenzutreffen. Dieses Ausweichmanöver stellte sich aber am nächsten Tag als eine Fehlkalkulation heraus, da der Zyklon sich zu einem ausgewachsenen Sturm mit 8 bis 9 Bf entwickelte. Meteo-France gab entsprechende “Gale and Storm”-Warnungen heraus.

Grib von einem der Tage als wir Richtung Süden vor dem Sturm flüchteten:

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Danach war uns klar, dass wir die Azoren nicht erreichen werden, außer wir wollten gerne durch das zentrale Sturmfeld hindurch, um richtig was Dolles auf unserer ersten langen Überfahrt zu erleben. Was ich jedenfalls nicht wollte. Wir kehrten um, und fuhren so schnell wie wir es mit einem dreifach gerefften Großsegel (mehr reffen geht ja nicht) und der Fock gen Süden. Die Wellen – die Dünung – kamen zumeist von der Steuerbordseite, unterstützt von einigen, die lieber von vorn anrauschten, gegen uns an. Was zunächst ein unangenehmes Reinrucken und Krengen bei Wellenhöhe von ca. 2 Metern war, entwickelte sich über Nacht und dann in den folgenden Tagen zu einer Dünung mit Wellenspitzen von 4 Metern. Wir verschwanden immer wieder in den Wellentälern, was zwar bedrohlich wirkte, aber nicht so schlimm war, wie von einer solchen Welle von 3 bis 4 Metern von der Seite getroffen zu werden. Man muss sich das so vorstellen, als ob eine Abrissbirne auf einen hohlen Metallkörper einschlägt. Uns sprangen nicht nur die Gläser in den Schränken (es gab keinen Bruch) hin und her, sondern auch die Bücher in den Regalen auf und ab, was zusätzlich unangenehm zu der Geräuschkulisse der ‘Abrissbirne’ von außen beitrug.

Seltsamerweise wurde keiner von uns Seekrank, nur Nico fühlte sich unwohl, und uns tat es leid, dass seine erste Langfahrt so unschön ausfallen musste. Uns (aber vor allem Marcel) verging der Appetit nicht, was ich seltsam finde, zumal wir in den letzten Monaten durchaus bei milderen Seebedingungen mit der Seekrankheit zu tun hatten. Nico bekam in der schlimmsten Phase der Überfahrt, als die Vorausläufer des Sturms uns schließlich mit Windstärken von 30 kn aufwärts erreichten, Bachblüten “”Rescue-Tropfen”, die tatsächlich auch sehr gut wirkten. Ich hätte sie am liebsten selbst genommen.

Zu dieser Phase des Geschehens um uns herum gibt es keine Fotos. Wir waren zu sehr mit unserer Schwerkraft beschäftigt, um nicht ganz so arg durch die Gegend geschleudert zu werden. Irgendwann waren wir von dem Gerüttele und Geschleudere ziemlich mürbe und unausgeschlafen.

Schön waren in der Zeit nur die durchweg sehr bizarren Wolkenformationen.

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Dass Fotografieren eine Kunst ist und nicht einfach eine Sache der Voreinstellung im Automatikmodus, zeigt sich uns immer wieder, wenn wir das Meer und vor allem die Wellenberge fotografieren wollen. Es ist alles andere als einfach, zu vermitteln, was das Auge – ja, der ganze Körper – wahrnimmt. Ich möchte fast sagen: was das Auge empfindet.

Uns ist keine einzige Aufnahme gelungen, die die Höhe und das gewaltige “Atmen” der Wellenberge bzw. der Dünung auch nur annähernd wiedergegeben hätte. Die folgenden Aufnahmen sind aus der zu diesem Zeitpunkt auch schon recht durchnässten Kuchenbude heraus entstanden, und auch nur, weil unter diesen monsunartigen Wolken der Wind beinahe vollkommen abflaut, um dann im nächsten Minuten ordentlich an böiger Stärke zu gewinnen. Angesichts dieser Wolkenbrüche konnten wir nur staunend um uns blicken. Wir sahen nur das regengepeitschte Meer und waren in ein undurchdringliches Weiß gehüllt, das aber kein Nebel war, sondern der so dichtfallende Regen selbst.

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Es gab neben Erschöpfung auch schöne Momente während der nächsten Tage, von den Nächten gibt es leider nichts Gutes zu berichten:

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Am achten Tag unserer Irrfahrt von Osten (Sagres) nach Westen (Richtung Azoren), dann nach Norden (in der Hoffnung, auf die Azoren kreuzen zu können) und schließlich nach Süden auf der Flucht vor dem Zyklon, sahen wir dann die “picos” der Insel Porto Santo – Was für ein Name für uns und wahrscheinlich auch für viele vor uns hier schutzsuchende Schiffe.

So sind wir am neunten Tag nicht auf den Azoren, sondern auf der kleinen Schwesterinsel von Madeira gelandet. Zur großen Freude der gesamten Besatzung, aber vor allem von Nico, der noch um 2 Uhr nachts mit mir am Strand fetzen war.

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  1. Thomas & Tanja

    Gut, dass ihr die erste Etappe allen Widrigkeiten zum Trotz heil überstanden habt! Wir mögen uns gar nicht vorstellen, wie es in echt aussieht, wenn die Bilder weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Ab dem letzten Foto wären wir wieder dabei. Wellenberge brauchen wir eher weniger. Falls aus uns irgendwann noch einmal Segler werden sollten: Küstensegler. Höchstens! Eher Seesegler. Oder Weiher. Hauptsache, es schaukelt ein bisschen. Und NUR ein bisschen.
    Wir drücken fest die Daumen für besseres Wetter und schöneren Wind.
    Liebe Grüße
    Thomas & Tanja

    Lea schläft übrigens ähnlich wie Nico. Nur mit kürzerer Zunge.