Von Mindelo nach Santo Antão – eine Reise (nicht nur) mit dem Aluger

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“Santo Antão – die Grandiose” betitel Peter Schaller in seinem Buch “Entdeckung für Andersreisende: die Kapverdischen Inseln” das Kapitel, das der Insel im äußersten Nordwesten des Archipels gewidmet ist. Um es gleich vorweg zu nehmen: Er hat damit absolut recht! Keine der bisher von uns besuchten Inseln kann sich mit Santo Antão messen – vielleicht auf eine bestimmte Art und Weise nur La Palma, das sei nur nebenbei bemerkt.

Santo Antão ist die Insel der Superlative: die grünste, die einzigartigste, die ganz besondere unter den anderen durchaus auch interessanten Inseln. Sie ist als die Wanderinsel bekannt. Holländer, Deutsche und vor allem Franzosen wandern die steilen, mal tropisch-grünen, mal staubroten Hänge der hohen Berge und Ribeiras (Täler) auf und ab und übernachten zumeist in den kleinen Pensionen oder den von Einheimischen vermieteten Privatzimmern. Doch auch an Hotels mangelt es in den größeren Ortschaften nicht. Bedauerlicherweise (dazu später mehr) sprießen auch auf dieser entlegenen Insel die Appartementhäuser aus dem Boden und warten auf europäische Kundschaft, deren die einfachen Zimmer an Komfort nicht genügen.

Der Nordosten ist grün und bisweilen muten seine Ribeiras tropisch an – der Südwesten hingegen karg, staubig, felsig und sandig. So wundert es nicht, dass die meisten Inselbewohner sich in den ertragreichen Regionen im Norden und Osten niedergelassen haben. Hier sind die Dörfer zahlreich und Kleinstädte wie die weitverzweigte Ortschaft Vila das Pombas oder Ponta do Sol, die Hauptstadt der Insel Porto Novo oder Ribera Grande zu finden. Mal etwas wohlhabender, mal ganz arm sind die Ansiedlung fast alle sehr liebevoll gestaltet, überraschend sauber (überraschend nach der Erfahrung der vermüllten spanischen Orte und der Kanaren), auch wenn es nicht immer für die Fassadenfarbe gereicht hat. Ruhig und entspannt geht es in den Orten zu. Manchmal schreien übermütige Kinder, selten tun das die Halbwüchsigen, Musik ist nur dezent zu hören und die Ausnahmen am Wochenende bestätigen diese lärmfremde Regel. Portugiesische Melancholia? Nicht ausgeschlossen. Auf jeden Fall gottlobender Zustand.

Was für ein Unterschied zu den in vielerlei Hinsicht kaputt gemachten spanischen Kanaren, mit all ihrer lauten Tristes, den zahlreichen modernen Touristenzentren und Einheimischen nicht minder tristen Ortschafen, Schnellstraßen und zerstörter Umwelt. Und was für ein Glück für Menschen wie uns, noch solche Inseln wie Santo Antão für uns entdecken zu dürfen. Ich habe nicht mehr daran geglaubt.

Marcel und Nico sind bedauerlicherweise nicht bei dieser Tour dabei. Nico muss sich von seiner schlimmen Krankheit Ehrlichiose (die auch tödlich verlaufen kann, und von Zecken übertragen wird) kurieren und Marcel hat jetzt die Arbeit des Krankenpflegers übernommen. Mit von der Partie sind dagegen Iris und Robert von der SY Marie-Luise, die mit uns im Ankerfeld von Mindelo liegt. Und da Robert nur eine Tagestour unternimmt, während wir beiden Frauen uns drei Tage Wanderurlaub gönnen, wollen wir mit Jerry – unserem Fahrer von der gebuchten Pension “Casa das Ilhias” – einen Preis für eine kleine Rundtour auf alten Hochgebirgsstraßen aushandeln. (Zu der Erfahrung im ‘Aushandeln’ weiter unten.)

Segler auf der Fähre “Inter Ilhias”

Für Segler, die auf eigenem Kiel die Insel besuchen wollen, bieten sich nur wenige Möglichkeiten zur Anlandung an, und auch diese sind selten so sicher, dass man das Schiff vor Anker alleine lassen kann, um bspw. eine Wandertour zu unternehmen. Das hat weniger mit möglichen unerwünschten Gästen zu tun, die das Schiff in Abwesenheit des Eigners ausnehmen, vielmehr mit dem mitunter sehr starken Schwell, der jede theoretisch noch so sicher erscheinende Bucht der Insel gefährlich macht. Eine solche Bucht wäre die vor Tarrafal im Südwesten der Insel. Schlimme Geschichten von Seglern, die nach erfolgreicher Anlandung mit dem Dingi, zurück jedoch nur schwimmend ihr Schiff erreichten, oder von den auf die Küste getriebenen Jachten, deren Anker bei plötzlich wechselnden Starkwinden nicht mehr gehalten hat (etc.), sind zahlreich. Diese Bucht wollen wir uns in ein paar Tagen anschauen, so dass wir hierzu später berichten werden.

Zwei Häfen verzeichnet die Insel: den im Norden der Insel gelegenen kleinen Fischerhafen Ponta do Sol und den großen Hafen Porto Novo im Südosten der Insel, wo auch Fähren anlegen. Der sogenannte Hafen von Ponta do Sol besteht nur aus einer winzigen alten – wenn auch sehr schönen – Kaimauer, die die Brecher des Atlantiks von der zur Stadt hin gelegenen Naturbucht notdürftig abhalten kann (s. Abb. weiter unten). Auf der anderen Seite brechen sich die Wellen an den vielen verstreuten Riffen, die die Einfahrt zu dem Hafenbecken flankieren. Die Durchfahrt ist allein schon nichts für schwache Nerven und eine normale Jacht hat auch in dem winzigen Hafenbereich nichts zu suchen (außer sie will stranden).

Und auch der eigentliche Fährhafen hat bezüglich der Schiffssicherheit keinen guten Ruf, auch wenn vereinzelte Segler immer wieder die Information weitergeben, hier könne man mehr oder weniger gut ankern und das Schiff auch gut (mehr oder weniger) alleine vor Anker lassen. Dass aber etwas Wahres an den mahnenden Stimmen sein muss, beweist das Anlegemanöver der Fähre, mit der wir von Mindelo nach Porto Novo auf Santo Antão gefahren sind.

Nebenbei bemerkt ist die “Inter Ilhias” eine schöne alte Fähre aus den 1960er Jahren, die in Emden gebaut wurde und auch dort jahrzehntelang ihren Dienst zwischen den Inseln absolvierte, bis sie dann das kalte Nordseegewässer gegen das warme Blau des Atlantiks austauschte. (Einige Beschriftungen sind noch auf Niederländisch). Sie braucht – genauso wie die “Armas”, die seit Wochen ihre Fahrten eingestellt hat, und in der chinesischen Werft von Mindelo liegt – bei normalem unfreundlichen Wetter in der Kanaldüse ca. 60 Minuten für die Überfahrt. Und sie legt überaus pünktlich ab! Allerdings kann das Anlegen in Porto Novo um einiges länger dauern als angenommen.

Der kleine, nur von einer recht kurzen Kaimauer geschützte Hafenbereich – im Grunde eine große offene Bucht – wirkte vom zweiten Deck der Fähre aus besehen sehr ruhig. Betrachtete man aber die im ‘Hafenbecken’ vor Anker liegenden Boote längere Zeit, so wurde einem schnell klar, dass hier ein nicht zu unterschätzender Grundschwell in die Bucht einfiel. Wie schwer der Schwell ‘unterirdisch’ die Bucht umspülte, zeigte sich unmittelbar beim Anlegen der Fähre an die Kaimauer: Schon waren alle Festmacherleinen ausgebracht, das große schwere Schiff angedockt und seine Heckklappe als Rampe für die Lastautos bereits ausgefahren, da sah der aufmerksame Passagier wie das Schiff sich gute zehn Meter hin und her bewegte, so als ob es schon wieder ablegen wollte. Dann hörte man ein seltsames Geräusch, gefolgt von der ruckartigen Bewegung der Köpfe, die nun alle nach unten zum Kai schauten. Was ist passiert? Die Festmachertaue sind gerissen! Dieser Vorgang des Hin und Her, des Geräuschs der reißenden Taue und des Bangens wiederholte sich mindestens drei Mal. Wir wurden darüber hinaus Zeuge, wie ungeschützt die Hafenarbeiter mit der offenbar nicht ungewöhnlichen Situation umgingen, nur wenige trugen einen Schutzhelm und keiner von ihnen Handschuhe, geschweige denn Arbeitshosen oder entsprechende Schuhe.

Die Empfehlung, das eigene Schiff in Mindelos Marina oder im dortigen Ankerfeld zu lassen und mit den Fähren nach Santo Antão zu fahren, ist in Anbetracht dieser kleinen Erfahrung am Kai von Porto Novo bei gutem Wetter zu beherzigen. Zwar kann man meiner Meinung nach die eigene Jacht für einen kurzen Stadtausflug in Porto Novo vor Anker lassen, sicherlich aber nur beim absolut ruhigen, stabilen Wetter (oder mit einem bezahlten Aufpasser). Und dabei viel viel Kette nicht vergessen.

Wir waren jedenfalls froh, dass wir im leichten Galopp die Gangway hinter uns gelassen haben. Moderne Wartehallenarchitektur auf zwei Etagen, mit viel Glas und Beton und Rolltreppen (eine von vier funktionierte) empfing uns, bewacht wie ein Hochsicherheitstrakt. Draußen, wo wir uns nach unserem Fahrer Jerry umschauen wollten, empfing uns ein Begrüßungskomitee aller – so schien es mir – auf der Insel vorhandenen Alugers (private Kleinbusunternehmen/’Sammeltaxis’) und ihrer Fahrer. Jeder wollte oder sollte einen Fahrgast ergattern, um ihn an die gewünschte Destination zu bringen.

Es gibt zwar feste Preise für bestimmte Strecken, aber im Grunde muss ein weißer Tourist alles neu aushandeln oder sich bereit erklären, jede genannte (auch Phantasiepreise) Summe zu zahlen. Für uns bedeutete das im Konkreten: Eine Rundreise auf der neuen Küstenstraße hin und auf der alten Höhenstraße zurück, mit kurzen Aufenthalten in den größeren Orten auf der Route sollte für vier Personen 60 Euro kosten. Soweit so gut. Doch wir fuhren mit verschiedener Besatzung, mal mit acht, mal mit sechs, mal mit zehn, jedoch niemals mit den vereinbarten vier Personen zu verschiedenen Destinationen. Alle zahlten unterschiedliche Beträge an den Fahrer, einige zahlten nichts (beispielsweise die Einheimischen) und nur wir mussten den ausgemachten Preis quasi für alle zahlen. Es war – kurz gesagt – ärgerlich. Ich werde hoffentlich irgendwann mich mit diesem, wie er hier genannt wird, “schwarzen Rassismus”, der uns auf verschiedene Weisen auf Kapverden begegnet, besser umgehen können. Empfehlung: gut den Preis aushandeln und jede weitere Person, die zusteigen möchte, darauf aufmerksam machen, dass sie sich an dem ausgehandelten Preis beteiligen soll. Am besten von ihr den Obolus selbst einfordern und einstecken.

Fazit: Für uns entpuppte sich die spontane Autotour im nachhinein als schlecht durchgeführt, von einigen Missverständnissen und längeren Aufenthalten begleitet, so dass die Zeit für Besichtigungen, Restaurantaufenthalte und letztendlich unsere geplante Einstiegswandertour von der Cova do Paúl nach Ribeira do Paúl immer knapper wurde. Das sollte sich später rächen… Zunächst aber haben wir einen kleinen Einblick bekommen in die Landschaft und die Ortschaften der Nordostküste, was auf jeden Fall sehr lohnend und sehenswert ist.

Auf dem Weg zu unserer Pension “Casa das Ilhias” im berühmten Tal Paúl passierten wir so einige Sehenswürdigkeiten, die man auch erwandern kann, wenn man einen längeren Aufenthalt auf der Insel plant. Den alten Leuchtturm, einige üppig grüne Ribeiras, den ehemaligen Hafen (von dem nichts zu sehen war) Vila das Pombas, Ribeira Grande, Ponta do Sol und nicht zuletzt die alte Passstraße, die uns alle begeisterte – diese sollte man fest in das eigene Besichtigungsprogramm aufnehmen.

Jerry (wie alle anderen Fahrer der Alugers auch) wußte ganz genau, was Touristen fotografieren wollen, und hielt auch aus eigener Initiative heraus einige Male an der aussichtsreichen Straße an, damit wir bewundernde Ahs und Ohs begleitet von viel Knipserei vorbringen konnten.

Ankunft im Porto Novo – der Hauptstadt von Santo Antão

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Ansichten von der Nordostküste

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Vila das Pombas – oder einfach Paúl

Der erste von unserem Aluger angefahrene Ort liegt am Ende der Ribeira do Paúl und heißt offiziell Vila das Pombas, auch wenn er offenbar von vielen einfach nach der Ribeira genannt wird und dann Paúl heißt. Verständigungsprobleme und Verwirrung bei den unaufgeklärten Touristen sind bei solchen Mehrfachbenennungen vorprogrammiert.

Unser Aluger fuhr zügig an dem Hauptort am Meer vorbei, um nach links in die Ribeira einzubiegen. Hier gewann er in mal sanften, mal steilen Anstiegen auf einer schönen alten kopfsteingepflasterten Straße stätig an Höhe – und hielt schließlich an einem verrosteten Container an. Wir sollten uns nicht weiter beunruhigen, so Jerry, unser Fahrer, denn hier wollten wir nur kurz auf die Mädchen warten, die das Gepäck schon mal in die Pension bringen werden. Aus diesem kurzen Aufenthalt wurden einige ganz lange Zigarettenpausen. Schließlich kamen die Mädchen, die ohne viel Aufhebens sich die zum Teil sperrigen und schweren Gepäckstücke auf den Kopf hievten und damit die gut 20 Minuten steilen Aufstieg zu der Pension “Casa das Ilhas” bewerkstelligten.

Unsere Pensionswirtin erklärte uns später, dass diese jungen Frauen im Tragen von Lasten auf dem Kopf seit Kindesbeinen auf geübt sind. Sie beschäftigt nur diejenigen, von denen sie weiß, dass sie in dieser Kunst des Tragens entsprechend geübt sind und keine Verletzungsgefahr besteht. Bei ihr können sie manchmal in der Hierarchie der Bediensteten aufsteigen und ein Pensionsmädchen werden.

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Ribeira Grande – die Stadt am Ende eines Tals

Der Name ist Programm, denn die Stadt liegt praktisch im Flußbett der großen und breiten Ribeira, die nicht so schön ist, wie die von Paúl, nicht zuletzt weil eine Straße das Tal schneidet. Das Flußbett ist trocken, staubig und graubraun, dennoch kommt im regenstarken Monaten das Wasser von den Bergen hier herunter und fließt dann gewissermaßen durch die Neubausiedlungen des Städtchens, die in der Mündung steht, hindurch. Trockener Schlamm, Steine und Unrat gepaart mit einer großen Straßenkreuzung bzw. einem Rondell und Tankstelle, machen den Ort auf den ersten Blick nicht besonders sehenswert. Hier wird zu viel und zu schnell gebaut, wenn das Geld ausgeht, bleiben die halbfertigen Häuser “so wie sie sind” stehen, halb Ruine, halb Wohnblock aus Beton und Zement. Für den Anstrich reicht es nicht, und so wird Ribeira Grande von diesen Betonwucherungen bestimmt.

Beschaulich ist dieser Ort jedoch an der alten Hauptstraße und den Seitensträßchen, in denen sicherlich das eine oder andere noch zu entdecken wäre. Die Geschäftsstraße hat – wie sich für eine ‘Großstadt’ gehört – allerlei zu bieten, meistens jedoch sehr normale China-(Billig-)Ware.

Zwei üppig begrünte Praças durchbrechen den Verlauf der Straße und machen deutlich, was an modernen Stadtwucherungen so häufig fehlt: ein gewachsenes auf das Wohlergehen der Bewohner ausgerichtetes Zentrum, in dem nicht ausschließlich der Kommerz dominiert, sondern der geruhsamen Kommunikation zentraler Raum gegeben wird. Und natürlich darf die Kirche nicht fehlen. Die von Ribeira Grande ist für die hiesigen Inselverhältnisse besonders groß ausgefallen. Die Igreja Nossa Senhora do Rosário – Rosenkranzkirche – wurde Mitte des 18. Jh.s vom Bischof Pedro Valente in Auftrag gegeben. Von Anfang an plante er sie überdimensioniert, denn sie sollte zur Kathedrale von ganz Kapverden werden. 1774 starb der Bischof und mit ihm auch sein Projekt, denn der Bischofsitz wurde anschließend nach Sao Nicolau verlegt. Die Kathedrale, die keine wurde, verfiel daraufhin und wurde 1884 im reduzierten Ausmaße fertiggestellt. Von der einstigen Großidee zeugt im Inneren der Kirche der monumentale Altar in barocker Ausformulierung. Wer näher herantritt, erlebt eine Überraschung, die ich an dieser Stelle verrate – wer das nicht will, soll bitte die nächsten Zeilen überspringen und gleich zu den Fotos übergehen:

Ist der zentrale Bogen des Altars, in dessen Mitte das Kreuz mit der figuralen Darstellung des Gekreuzigten hängt, noch dreidimensional aus Stein gehauen (oder wahrscheinlich aus Gips geformt), so sind die Volten der Außeneinfassung ‘nur’ gemalt. Es ist wie ich finde eine sehr gekonnte illusionistische Malerei, ein sogenanntes trompe l’oeil, einer kapverdischen Kathedrale würdig, wenn auch zur Zeit im schlechten Erhaltungszustand. Angesichts des kabverdianischen Lecks an kunsthistorisch interessanten Kunstwerken ist diese Malerei schon sehenswert.

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Ponta do Sol – weiter geht es nicht

Die Straße endet in einer ins Meer vorgeschobenen Landzunge, auf der der kleine Ort Ponta do Sol thront. Auch hier ist der Name Programm, denn auf der “Ponta” scheint die Sonne den ganzen Tag lang bis sie vor der Nase der Anwohner untergeht. Durch einige große Bauten, palastartige Villen, breite Straßen und großzügige Plätze wirkt der Ort trotz seiner abblätternden Farben und kaputten Fassaden wohlhabend, auch wenn diese Zeit schon länger zurückliegen mag.

Tatsächlich war Ponta do Sol bis 1960er Jahre die Hauptstadt der Insel, bis sie von Porto Novo abgelöst wurde. Den Wohlstand verdankte die Stadt in der Kolonialära dem fruchtbaren Nordosten und seinen landwirtschaftlichen Produkten, die in Europa zu Luxusgütern zählten: insbesondere Kaffee und Bananen, Zuckerrohr bzw. Rum, der hier Grogue heißt. Dazu kam noch Leder. Bis 1935 war Ponta do Sol sogar das administrative Zentrum der Barlovento-Inseln (der dem Passatwind zugewandten Inseln des Archipels), bis Mindelo diese Aufgabe übernahm. Die aus Marokko geflüchteten jüdischen Kaufleute übernahmen den Exporthandel und führten die Stadt zu ihrer temporären Handelsblüte – bis Europa billigere Einkaufsquellen aufmachte und wie im Fall von Ponta do Sol der Kaffeepreis auf dem Weltmarkt zusammenbrach. Den jüdischen Kaufleuten verdanken bisher alle der von uns bereisten Inseln ihre hohen Verdienste und Wohlstand. Ihre schönen im Kolonialstil erbauten Villen, Fabriken, Kapellen (einige sind zum Katholizismus übergetreten) und Friedhöfe sind heutzutage vernachlässigte traurige Ruinen. Was sehr bedauerlich ist, denn sie würden in jeder Stadt zu einer Sehenswürdigkeit werden. Ich las, dass eine dieser jüdischen Villen mit Luxemburger Entwicklungshilfe aufgebaut wird – wir haben nichts davon bemerkt. Auch die Ortschaft auf halber Strecken zwischen Ribeira Grande und Vila das Pombas weist auf das jüdische Leben auf der Insel hin, sie heißt nämlich Synagoga, auch wenn ein solcher Bau dort nicht mehr erhalten ist (dafür aber eine ehemalige Leprastation).

Einer der prächtigeren Bauten des Ortes ist, genauer: war, das Palácio Rochteau-Sierra, eine einst vom üppigen Garten umgebene Villa, die 1880 von der Familie Rochteau-Sierra erbaut worden sein sollte. Später soll sie dem Präsidenten von Kapverden als Wohnsitz gedient haben, wenn er denn sich auf Santo Antão aufhielt, und war für Normalsterbliche nicht zu besichtigen. Diese Informationen verbreitet der DuMont-Reiseführer zu den Kapverdischen Inseln der Autoren Susanne Lipps und Oliver Breda. Doch stimmt das denn auch? Eine Familie mit dem Zusatznamen „Sierra“ läßt sich nicht passend zu dem Ort eruieren, wohl aber ein Mann mit Namen Rocheteau (mit „e“ in der Mitte), der um 1850/51 nach Kapverden aus Le Havre einwandert, dabei ein eigenes Schiff vollbeaden mit Baumaterial, Hausrat und Klavier mit sich führt. War  möglicherweise dieser Franzose, Charels Guillaume Rocheteau (geb. 1821), der das fragliche „Paláco“ erbaute? Andererseits weiß man von ihm zu berichten, dass er eine Villa in der Rua de São Francisco in Ribeira Grande gebaut und bewohnt hat. In Ponta do Sol ist er hingegen als Schiffer oder Reeder und Besitzer von zwei Booten bekannt gewesen.

Das Haus, das die Autoren des Reiseführers als „Palácio“ bezeichnen, soll linker Hand an der Einfallsstraße nach Ponta do Sol liegen. Tatsächlich gibt es hier eine alte Villa, doch handelt sich dabei um eine Ruine inmitten eines ausgedorrten und de facto nicht vorhandenen Gartens. Diesen Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Beschreibung und Realität verdanke ich der Lektüre von Herrn Schau, einem interessierten Reisenden, der sich um Informationen zu diesem Haus bemühte, und so freundlich war, mich davon in Kenntnis zu setzen. So berichtete ihm die Nachbarin, die vis a vis der Ruine wohnt, dass sich weder Regierungsstellen noch sonst jemand um dieses einst wohl schöne Haus kümmern würden und das schon seit über 10 Jahren. Waghalsige können das Haus vorsichtig betreten, allerdings nur um festzustellen, dass das Innere nichts sehenswertes oder gar Luxuriöses (mehr) vorzuweisen hat. Es ist offenbar im Gespräch, dieses Ruine und ihren ruinierten Garten in eine Art Center oder Forschungsstätte für endemische Pflanzen umzugestalten. Das weißt ein Hotelier aus der Nachbarschaft zu berichten.

Hinweise auf den ersten Rocheteau auf Kapverden verdanke ich wiederum dem Internet und einer Nachfahrin des französischen Einwanderers, Lucy Bonucci, die erfreulicherweise über ihre Familie einen Blogartikel verfasst hat. Es bleibt zu hoffen, dass der DuMont-Verlag die nächste Ausgabe des Reiseführers revidiert. Und bei der Gelegenheit auch die Namen der Familie richtig schreibt, denn zwar gibt es keine „Sierra“ in Ponta do Sol, doch eine Familie Serra, die mit dem Rocheteaus verbandelt ist. Daher ist anzunehmen, dass das ruinöse Haus ehemals José Coelho Pereira Serra, einem aus Portugal eingewanderten Plantagenbesitzer (Kaffee und Zuckerrohr) und Unternehmer gehörte, der es möglicherweise an seine Tochter Alice da Silva Serra und spätere Ehefrau von Virgílio Rocheteau vererbte. Sie hatten einen Sohn, Armindo Octávio Serra Rocheteau, der Stadtrat von Ribeira Grande und in der Legislativverwaltung tätig war, wo er mindestens eine Legislaturperiode die Inseln politisch in der portugiesischen Hauptstadt vertrat. Er verstarb 1995 und war vielleicht der Bewohner der fraglichen Villa. Ein anderer infrage kommender Bewohner bzw. Erbe des Hauses ist João Coelho Pereira Serra, das zweite Kind des José Coelho Pereira Serra, der allerdings bereits 1960 verstarb. Einen Hinweis auf seine Wohnstatt in der fraglichen Villa liefert möglicherweise der Name, den der Know-How-Reiseführer dem ruinösen Haus vergibt: „Casa do João“. Andererseits, wer heißt in Portugal (und ehemaligen Kolonien) nicht João… ?


Hinter der Palme das vermeintliche Palácio der Familie (jetzt aber richtig geschrieben) Serra Rocheteau [Foto: Sissi’s B&B ]

Die große Praça Municipal mit der nicht minder großen weißen Pfarrkirche und den überdimensionierte Betonbänken soll der Mittelpunkt des Ortes sein. Doch hatte ich den Eindruck, dass es dem nicht mehr so ist. Vieles wirkte verlassen und aufgegeben, Neubauten mit Appartements zum Mieten zerstören den Eindruck eines über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsenen Ortskerns, denn sie fügten sich in keinster Weise in das ursprüngliche Bauniveau ein. Mir schien es, als ob der lebendige Mittelpunkt des Ortes sich zum Fischerhafen hin verlagerte, wo ein paar einladende Bars dem Besucher ins Auge fallen.

Man kann sich das heutzutage kaum vorstellen, aber der Wohlstand des Ortes kam erst mit diesem Hafen auf. Diese gefährliche Badewanne, die heute nur von traditionellen Holzfischerbooten angelaufen wird, war ein Hafen, an dem große Lasten verladen wurden… Jetzt ist es nur eine quirlige Verladestation für Fisch mit den auf den Kapverden üblichen Markttischen für das Ausnehmen und den Verkauf. Ponta do Sol ist heute die Nummer zwo unter den Anlaufstellen des Wandertourismus. Sie verfügt über die meisten kleinen, mitunter ältesten Hotels und Pensionen der Insel, Bars sowie (angeblich) sehr gute Restaurants. Ähnlich gefährlich wie der Hafen ist der nur einen Steinwurf davon entfernte Flughafen. Seine Landebahn wurde an der Spitze der Landzunge gebaut. Die Flugzeuge haben hier so viel Landebahn wie auf einem Flugzeugträger inmitten der Wellen des Atlantiks – das heißt: sehr sehr wenig. Darüber hinaus handelt es sich hier um eine windige Ecke, die das Landemanöver gefährlich macht. Nachdem einige beinahe-Unglücke geschehen sind, hat man den Flughafen gesperrt. So ist Santo Antão nur mit der Fähre erreichbar. Die Flugbahn dient zum Promenieren, Joggen, Skateboardfahren – sie wird durchaus gut angenommen.

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Auf der alten Höhenstraße

Meine Begeisterung hält bis heute nach unvermindert an – eine Begeisterung für die alten Straßen von Santo Antão. Sie sind noch zahlreich und ich hoffe, dass es lange so bleiben wird. Zwar entstehen immer mehr neue, geteerte, breite Straßen für breite teure Autos, die sich weniger gut in die Landschaft einfügen (Wege wie Autos gleichermaßen), aber vielleicht besinnt sich jemand, und greift wieder zurück auf die alte Bauweise, die hier viel länger hält als der empfindliche Teer bzw. Beton. Gefragt sind auch wir Touristen, die nicht müde werden sollten, gegenüber den Einheimischen – zum Beispiel den Aluger-Fahrern – diese Straßenkunst zu loben. Nur so kann ein Bewusstsein für die Schönheit einer so selbstverständlichen Sache erwachsen.

Meisterlich auf schwindelerregenden Höhen und schmalen Graten angelegt, schön regelmäßig gepflastert, manchmal sogar mit einem Muster versehen, mit einem herausragenden Sinn für schöne Aussichten mit bizarren Felsformationen gesegnet, die nicht zufällig stehengelassen wurden, sind diese Straßen nicht nur ein Wunderwerk des handwerklichen Könnens. Ich möchte behaupten, dass sie auch ein Naturdenkmal geworden sind, von den namenlosen Baumeistern in die Landschaft eingefügt und mit ihr verschmolzen.

Der meist bestaunte, grandiose Abschnitt dieser insgesamt um einiges längeren Straße liegt zwischen Ribeira Grande und dem Bauernhof “Corda” (Seil, Absperrung?). Es ist der sogenannte Delgadim, der an Dramatik und Theatralik nicht zu überbieten ist. Gebaut wurde die Straße in den 1950er Jahren in mühevoller Handarbeit. Tausend Meter tief gehen die Hänge rechts und links fast senkrecht an dem schmalen Berggrat hinunter, auf dem die Straße gebaut wurde. Die Fahrbahn wird von einer niedrigen Mauer eingefaßt, schroffe Felswände unter uns, grüne Hänge und weitere Ribeiras soweit das Auge blicken kann. Hier halten alle Alugers an, aber nicht alle Fahrgäste sind schwindelfrei… das ist nicht immer einfach einem gebürtigen Santo-Antãoer klar zu machen, der von Kindesbeinen an an steile Abhänge und schwindelerregende Wege, womöglich seine Schulwege, gewöhnt ist.

Auch wenn nicht allen Besucher die ästhetische Dimension dieser Straßen bewußt ist, so nehmen doch viele unbewußt die Besonderheit dieses Weges wahr. So ist diese alte Hochstraße, die lange Zeit die einzige war, heute eine touristische Attraktion geworden, für die die Gäste bereit sind ein Sammeltaxi zu manchmal hohen Preis zu nehmen. Ihr weiteres Bestehen garantiert nur unsere Begeisterung für die Ästhetik des Handwerklichen, die einen wesentlichen Reiz dieser Strecke ausmacht. Also, Wanderer und Tourist, geize nicht mit Lob für die unbekannten Meister der Straßengestaltung!

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Ein Ausflugslokal am Ende der Tour

Natürlich, ein Italiener am Ende der Welt. Pizza & Pasta gab es jedoch bei diesem “Aussteiger” nicht. Dafür selbstgemachtes Brot, grünen Salat puristisch dargebracht, rohe Fenchelknollen, dazu eine Ratatouillesoße, warme Chorizo-Wurst, weißen Ziegenkäse und – natürlich – Wein. Am besten war jedoch die Location selbst… An solchen Orten schmeckt alles besser – und Bekanntschaften werden zwar nicht fürs Leben aber doch eben schnell geschlossen. War dies der Bauernhof “Corda”? Ich kann mich nicht mehr erinnern, zu schnell mussten wir Frauen zu unserer Wandertour aufbrechen während die Herren auf der Höhenstraße weiterfahren dürfen, um in Porto Novo die letzte Fähre zu erreichen, die jeden Tag pünktlich um 17:00 nach Mindelo geht. Doch davon in einem anderen Beitrag mehr.

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