Ribeira Grande oder Die Alte Stadt am Meer

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Cidade Velha, ein schlichter Name, der scheinbar nur über das Alter eine ungefähre Auskunft gibt. Cidade Velha – die alte Stadt. Etwas majestätisches liegt darin. Begegnet man ihr von der Seeseite, dann besticht sie zunächst durch ihre Lage. Am Ende einer doppelseitigen, leicht bewaldeten, grünen Ribeira inmitten von rötlicher Erde liegt diese Stadt. Wild sieht die Gegend aus, denkt man sich die mittlerweile stark angewachsenen Trabantensiedlungen weg (Santiago ist die dichtbesiedelteste Insel des Archipels).

Aber wo ist die Stadt? Man sieht einen Haufen an kleinen Behausungen, rechts und links eingezwängt von Neubausiedlungen, Apartmenthäusern, fertiggestellten und unfertigen Betonvillen und sogar ein großes Bungalowdorf mit zig identischen Häusern fehlt mittlerweile nicht. Bei genauem hinsehen entdeckt man auch ein flach am rechten Bergplateau liegendes Fort, geradezu angepasst an die braune Erde. Ein großes Gerippe aus dem selben rotbraunen Erdton hebt sich am darunterliegenden Hang hervor. Eine Straße windet sich den Hang hinunter, große Laster, amerikanische oder koreanische Vans der Neureichen donnern scheinbar mitten in das alte Zentrum hinein, das sich dort befinden muss, wo die beiden Ribeiras am Meeresufer zusammentreffen. Der Ort liegt nur circa 10 km von Praia, der Hauptstadt von Kapverden, entfernt, was ihr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bald zum Verhängnis wird.

Ankern vor der Stadt ist nicht zu jedem Wetter ratsam, denn die Bucht ist kaum mehr als eine zweifache Einbuchtung in der Küstenlinie der Insel, zudem mit vielen Unterwasserfelsen, Inselchen und Felsspitzen gespickt. Wir entscheiden uns für die linke, nördliche Einbuchtung, weiter weg von dem täglichen Treiben der Fischer und Kinder. Tatsächlich konnten wir dort einigermaßen gut schlafen, da an diesem Tag auch Wind und Welle eingeschlafen sind. Der Grundschwell, dieser mächtige Atem des Atlantiks, erreichte uns in langen gleichmäßigen Zügen. Leider mussten wir wegen einer Unwettervorhersage – ein kleiner Sturm mit 42kn – in die geschütztere (vermeintlich) Bucht vor der Hauptstadt Praia verholen. Vielleicht war das nicht notwendig. Schade war es für uns allemal.

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Eine Schar von Kindern und Halbstarken begrüßt uns am winzigen schwarzsandigen Strand, der kaum Raum lässt für die traditionellen Holzboote der Fischer, gleichzeitig aber auch als Tummelplatz für alle dient. Das ist die einzige Anlandestelle und bei hohem Schwell sicherlich eine nasse Angelegenheit. Am Abend kommen scheinbar alle Kinder und Jugendliche des Ortes zum Baden hierher. Fast alle wollten dann unser Dinghi bewachen, um sich auf diese Weise etwas zu verdienen. Eine Bewachung schien uns überhaupt nicht notwendig, doch die Hartnäckigkeit einiger Menschen hier kennt keine Grenzen.

Ein alter kopfsteingepflasterter Weg, fast schon eine breitere Straße, verläuft direkt am steil aufgespülten Steinufer des zweiten Uferabschnitts. Daraus hat sich eine kleine Promenade entwickelt, gesäumt von einigen wenigen (aber ausreichenden) Kneipen, Cafés und Restaurants, die sehr unterschiedlich frequentiert wurden. Schwaches Wifi gibt es überall, denn es ist nach portugiesischem Muster umsonst hier. Wir wählen das Restaurant aus, in dem die meisten Einheimischen sitzen. Von der Einrichtung her ist es das hässlichste, das Essen kommt nach laaanger Wartezeit, ist einfach zubereitet und schmeckt sehr gut – endlich, das Fleisch schmeckt nach Fleisch und nicht nach einer sehnigen Sohle wie sonst in Mindelo üblich!

Alte niedrige Häuser, kaum mehr als lange Steinhütten, bilden die erste Reihe der Bebauung direkt an der Promenade, dahinter liegt der zentrale Platz des Ortes, überraschend weiträumig mit ein- und zweistöckigen Häusern, die als einzige etwas wohlhabend-städtisches vermitteln können. Ein paar moderne Häßlichkeiten mischen sich darunter. Die milde Sonne des Nachmittags taucht die Umgebung in ein besonderes Licht. Alles ist still, wie in Bernstein gegossen. Bei genauem Hinsehen entdeckt man überall ruinöse Mauerreste, alte Steingemäuer, die auf wesentlich ältere Bauten hinwiesen – abgetragen, verwittert und fast schon verschwunden.

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Bildersuchspiel: Wo ist Nico?

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Verschwunden ist auch fast überall das schöne, zu Mustern gelegte Kopfsteinpflaster, für das ich eine Art Passion entwickelt habe. Hier wurde es ursprünglich aus den Strandsteinen von nebenan gemacht. Die meisten Straßen sind geteert und bereits kaputt.

Doch wir fühlten uns auf anhieb wohl hier. Vielleicht lag es am Licht, an der Uhrzeit, an den nicht mehr vorhandenen Touristenbussen, vielleicht auch daran, dass uns hier zum ersten Mal auf den Kapverden ein historischer Ort umgab. Ein Ort, an dem die Vergangenheit noch gegenwärtig und nicht zur Unkenntlichkeit abgetragen und ausgemerzt wurde.

Ich las von einem Projekt, an dem portugiesische Archäologen und Architekten beteiligt waren, die die vielen ruinösen Gebäude kartographierten, um sie für spätere Maßnahmen der Rekonstruktion zu retten. Auch die spanische Regierung investierte in konservatorische Maßnahmen und ließ das Fort, das den Namen des spanischen Königs Filipe trägt (der damals Spanien und Portugal in Personalunion regierte), restaurieren. Bemerkenswert, so heißt es, war die Beteiligung der Bevölkerung an diesen Projekten. Nicht nur wegen des damit verbundenen Gelderwerbs, sondern weil sie sich mit der historischen Rekonstruktion und Restaurierung identifizierten! Ob man sie heutzutage immer noch dazu animieren könnte? Der Ort verfällt zusehends und wird von den modernen Bauten verschluckt.

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Jede Insel, ja, jedes Dorf scheint auf den Kapverden ihre zum Teil sehr guten Wandmaler zu haben.

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Wege jenseits der Straße.

 

Geschichte voller Schreie

Cidade Velha hieß ursprünglich Ribeira Grande. Die Anwohner hielten die spätere Umbenennung ihrer Stadt für eine Herabsetzung, so dass sie seit 2005 in den aktuellen Karten wieder den alten Namen trägt. Ribeira Grande de Santiago. Kein Anschluss an die Geschichte, aber doch ein Zeichen für ihre Akzeptanz, für so etwas wie Stolz darauf, die erste, die älteste und die einzige – das ist allerdings nur unsere Meinung – auratische Stadt auf Kapverden zu sein.

Wie immer beginnt die Geschichte der Inseln mit einer Segelpartie, die von irgendwo weit her ins Ungewisse unternommen und von der Idee eines sagenhaften Reichtums getragen wurde.

1456 segelt der Venezianer Aloisio Cadamosto im Auftrag des portugiesischen Prinzen Heinrich des Seefahrers entlang der afrikanischen Westküste. Er berichtet von dem überaus grünen und fruchtbaren “Capouerde”, dem Kap von Senegal (bei Dakar), und den ihm vorgelagerten Inseln, die unbewohnt (oder doch bewohnt? Sein Bericht darin nicht ganz klar) bei denen es sich sehr wahrscheinlich um einige des Kapverdischen Archipels handelt. Allerdings hat er seine Entdeckungsfahrten erst 1463, also nach den folgenden Ereignissen, für uns aufgeschrieben, so dass man nicht genau weiß, ob er dabei nicht ein wenig geschwindelt hat.

1461 auf jeden Fall segelt eine kleine Expeditionsflotte von Portugal entlang der afrikanischen Küste. Ihr Auftraggeber: wieder der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer. Die Kapitäne: der Italiener António da (oder de) Noli und Diego Gomes. Ihr Ziel: die Ost- und Südinseln für Portugal in Besitz zu nehmen und Möglichkeiten des Handels bzw. der Landeinnahme südlich der Sahara auszuloten. Die Flotte kommt am Cabo Verde, dem grünen Kap Senegals, vorbei und wird durch die dort vorherrschenden Stark- bzw. Passatwinde abgetrieben und entdeckt – oder wiederentdeckt? – die Insel, die heute Santiago (Sant Iago, Yago, San’ Tiago oder in deutschen Sprachen auch Sankt Jakob) heißt. Sie ankern in einer Bucht, die sie Ribeira Grande nennen, nach dem großen Canyon oder tiefen Tal, das die Bucht markiert. Dort lässt einer der Kapitäne einen Haufen von Seeleuten zurück und die Flottille segelt weiter nach Süden, die afrikanische Küste entlang.

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Als sie auf dem Rückweg Ribeira Grande wieder anlaufen, finden sie die Zurückgelassenen wohlauf und unbehelligt vor. So entsteht die erste Siedlung auf dem für Portugal entdeckten Archipel, das genauso wie das afrikanische Kap gegenüber Cabo Verde genannt wird. Den Süden Santiagos bekommt da Noli 1462 als Lehen zugesprochen (und vererbt es an seine Tochter weiter), das er als Gouverneur geldeinbringend regiert. Den Norden bekommt hingegen Gomes als Lehen, das sich jedoch unter seiner Regie nur schlecht entwickelt. Wahrscheinlich ist jetzt der historische Moment als das Gerücht gestreut wird, Gomes sei der eigentliche Entdecker der Insel, nur sei ihm da Noli auf dem Heimweg davon gesegelt und habe sich vor dem König mit der Entdeckung gebrüstet. Einige der Nationalisten unter Salazar werten dieses Gerücht zu einer Wahrheit auf und lassen den verschmähten Entdecker der Insel rehabilitieren. Vielleicht auch zurecht, wer weiß. Sein großes Denkmal blickt auf die große Bucht von Praia herunter, als Entdecker der Insel.

Um die historische Verwirrung vollständig zu machen, sei noch ein anderer genannt, der die nördlichen Insel des Archipels – welche genau? – entdeckt haben soll: Diego Afonso 1461. Ach ja, beinahe hätte ich den möglichen Ersten im Reigen der Entdecker vergessen: der Portugiese António Fernandes soll 1445 die Inseln gesichtet und umfahren haben. Viele italienisch-portugiesische Geburtsväter.

Sehr wahrscheinlich sind die ersten “Entdecker” der Insel aber mutige Fischer aus Senegal oder Gambia gewesen, die sich heute auf ihren offenen großen Holzpirogen wie früher sicherlich auch weit ins offene Meer vor ihren Küsten hinauswagen.

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Die Besiedlung der fruchtbaren, mit viel Wasser gesegneten Insel mit portugiesischen Siedlern geht schleppend voran. Die Siedler sind nicht zahlreich und sie können die Insel nur schlecht bzw. zu langsam kultivieren. Mit anderen Worten: der Gewinn ist zu gering. So lässt da Noli bereits 1466 Sklaven aus Westafrika bringen, die den Siedlern zur Hand gehen sollten. Die ‘Exportländer’ sind Gambia, Guinea und Bissau – alle drei sind jene westafrikanischen Gebiete, die die Portugiesen zu kolonialisieren versuchten mit unterschiedlichem Erfolg. Bald schon sind es die Sklaven, die diese und andere Inseln des besetzten Archipels besiedeln und in harter Arbeit die erhofften Erträge für die Kolonialherren und Siedler einbringen. Ribeira Grande bekommt von der portugiesischen Krone ab 1466 das Exklusivrecht für den Sklavenhandel mit Afrika und Brasilien verliehen und wird damit reich. Mit ihr Portugal, das Steuern aus diesem Handel kassiert. So wird Ribeira Grande die portugiesische Stadt mit den zweithöchsten Steuerabgaben (nach Lissabon).

Schiffe, die nach Westafrika fahren, sowie diejenigen die nach Südamerika aufbrechen, bunkern Wasser und Vorräte auf der strategisch überaus günstig gelegenen Insel im Hafen von Ribeira Grande, die alles Notwendige vor der Haustür hat: Fischgründe, Obst, Gemüse, Wasser, Fleisch und Eier. Und – natürlich – das Hauptexportgut: die Sklaven.

Als 1498 Brasilien, das ‘neuentdeckte’ Land, per päpstliches Dekret an die Portugiesen fällt, dort aber die Indios nicht lukrativ versklavt werden können (weil sie in der Sklaverei zu schnell sterben und für harte Arbeit ‘zu schwach’ sind) – das ist ein anderes furchtbares Kapitel in der Gesichte des Kolonialismus – blüht der Handel mit den versklavten Menschen aus Schwarzafrika erst richtig auf.

1533 erhält die Siedlung Stadtrechte (Bezeichnung als cidade, Stadt), 1550 besteht sie bereits aus über 500 Häusern! Zu diesem Zeitpunkt ist Ribeira Grande und damit Santiago die Drehscheibe des Sklavenhandels zwischen Afrika, Europa und Brasilien. Hier ist der Ort, an dem die Kolonialzeit eingeläutet wird.

Die Vorstellung, die manch einer von uns hat, da streifen brutale portugiesische Horden von Soldateska durch den Busch und die (damals noch vorhandenen) Wälder, Sümpfe oder Steppe auf der Suche nach Menschen, die sie verschleppen könnten, ist falsch. Portugiesen sind in diesem Menschenunglück vor allem Händler geblieben, sie kaufen ein, geben Aufträge, verhandeln, verkaufen mit Profit. Die ‘Fänger’ und Verkäufer sind – wenn auch nicht ausschließlich – die Landsleute der Schwarzafrikaner. Die Sklaven werden vor allem in Guinea-Bissau und Sierra Leone von westafrikanischen Königen und Stammesfürsten geliefert, bezahlt wird in “panos”, der üblichen Sklavenhalterwährung, das sind damals in Westafrika sehr begehrte gewebte Stoffe gewesen, die die Damen der afrikanischen Häuptlinge offenbar überaus gerne trugen. Ironischerweise kam die Webkunst dieser schmalen Streifen, die ihren Ursprung in Westafrika (bis heute noch in Guinea-Bissau gefertigt) hat, mit den versklavten Menschen nach Kapverden. Die Großgrundbesitzer ließen die Sklaven diese Stoffe aus Baumwolle weben, was sie so gut machten, dass ihre Panos in Westafrika begehrt und als Währung im Sklavenhandel eingesetzt wurden. Diese Panos sind heute als sehr teure Souvenirs fast überall auf Kapverden erhältlich. Ich frage mich, ob die Touristen um die Geschichte der Webstoffe wissen.

Die Sklaverei ist für die afrikanischen Könige kein Novum gewesen, schließlich hielten sie selbst Sklaven, Menschen anderer Stammeszugehörigkeit, Kriegsbeute oder auch Menschen aus ihrem eigenen Volk. Einige unter ihnen verfügten über entsprechende ‘Exporterfahrungen’, denn sie betrieben den Menschenhandel schon länger, bspw. mit den Arabern, die bis dahin das Monopol auf Sklavenhandel hielten. Neu ist hingegen die unglaubliche Menge an verschleppten und verkauften Menschen. Ganze Dörfer in Westafrika wurden entvölkert. Neu sind dementsprechend auch die grauenhaften Transporte und Verwahrungen dieser versklavten Menschen, denn die Wege waren noch nie so lang und beschwerlich, die Gier nach Gewinnen noch nie so hoch gewesen. Damit steigt gleicherweise die Unmenschlichkeit der an diesem Handel Beteiligten.

Ribeira Grande wird zu der wichtigsten Drehscheibe in diesem Handel. Hier werden die geraubten Menschen von den Schiffen aus Afrika an Land gebracht. Hier ist ihre Zwischenstation. Auf dem großen Platz, der gar nicht so groß ausschaut, werden sie zusammengetrieben. Hier findet sowohl der Handel als auch die Bestrafung oder auch ihre Tötung statt. Aufsässige, Aufwiegler, wieder Eingefangene werden in Erdlöcher, oben mit Gittern verschlossen, geworfen und sind der Sonne, Feuchtigkeit, Ungeziefer, eigenen Fäkalien ausgesetzt. Das ist das hiesige Gefängnis. Die anderen bleiben zusammengepfercht, bekommen wohl das Nötigste, Wasser und etwas Nahrung vielleicht. Sterben sollen sie schließlich nicht zu schnell, sie kosten und bringen gutes Geld.

Nach portugiesischen – aber auch englischen, französischen, amerikanischen – Gesetz haben sie den Rang von Haustieren. Sie können gequält, missbraucht, verkauft, getötet werden, ohne dass ihre Besitzer strafrechtlich verfolgt werden würden.

Portugal verkauft ‘ihre’ Sklaven vor allem nach Brasilien, das enormen Bedarf danach hat. Auch Europa – Lissabon vor allem – kauft ein. Die Engländer kaufen für Nordamerika, das bald auch einen großen Hunger nach Sklavenmenschen haben wird. Franzosen und Holländer als die letzten im Handelsbund, machen unterschiedliche Absatzmärkte auf, vor allem aber in der Karibik.

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Eine hübsche zierliche Säule, der Pelourinho, steht heute etwas abseits des zentralen Platzes von Ribeira Grande. Dezente, geschmackvolle Ornamentierung lässt sie filigran und kostbar wirken. Eine proportional passende Weltkugel mit Bändern umfasst und mit einem Kreuz bekrönt – die Armillarsphäre als Symbol für portugiesische Entdeckungsfahrten und gleichzeitig das Insignium von König Manuel I. – beschließt die Säule gen Himmel. Die Säule ist in Portugal aus Marmor im manuelinischen Stil, benannt nach dem König Manuel I. (1495-1521), gefertigt worden und anlässlich der Ernennung von Ribeira Grande zur Stadt aufgestellt worden. Es verwundert, dass diese zierliche Renaissancesäule von 1533 der Pranger ist, der jede portugiesische Stadt zierte und Ort der höheren, das heißt der königlichen und örtlichen Justiz war. Gewöhnliche Kriminelle, hier auf Santiago aber vor allem die ‘aufsässigen’ versklavten Menschen wurden daran gemartert oder der Unmut der (freien) Bevölkerung ausgeliefert. Dieser Pranger diente gleichwohl auch als Verkaufsstelle und Darbietungsort der zum Verkauf ausgestellten Menschen.

Der Pelourinho wurde im 19. Jh. – da hat die Stadt jedoch ihre Bedeutung bereits eingebüßt – demoliert. Während der Salazar-Diktatur hat ihn die Kolonialregierung zur Restaurierung nach Portugal geschickt und wieder vollständig aufgestellt. Es verwundert nicht, dass er als Symbol der verhassten Kolonialzeit nach dem Erlangen der Unabhängigkeit in den 1970er Jahren von der Bevölkerung teilweise wieder zerstört wurde. In den 2005er Jahren hat man sie im Zuge der Bestrebungen, die Stadt als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen, erneut restauriert und als Teil der kapverdischen Geschichte akzeptiert.

War diese kleine, enge Stadt von den Schreien, Stöhnen und dem Leid der versklavten, ausgepeitschten, angeketteten Menschen ausgefüllt? Oder war ihnen die Klage verwehrt und die Stadt von dem Schweigen zum Bersten gefüllt gewesen? Konnte man hier normal leben? Offenbar ja, denn der Ort wurde zur Hauptstadt, zum Verwaltungszentrum, zum Bistum. Man kann sich das alles inmitten dieses kleinen Ortes nicht vorstellen – die Enge der Stadt und des Platzes, wo heute die Senegalesen ihr Nippes, Taschen, Geschnitztes etc. den Touristen anbieten, die schöne Säule als Zentrum der blutigen Unterdrückung und des Sadismus, drum herum die Häuser der Wohlhabenden, der Verwaltung, einige Schritte davon entfernt die Behausungen der Händler, etwas Abseits die Kirche, darüber das später gebaute Fort.

Man kann sich auch nur schwer vorstellen, dass diese mit Unterwasserfelsen gespickte Doppelbucht für ca. 300 Jahre zu den wichtigsten Häfen auf der Europa-Südamerika-Route zählte. Eine Bucht ohne Schutz. Taucher erzählen, dass dort unten in der Bucht so einige Schätzchen an alten Wracks liegen, in deren Frachträumen so einiges zu entdecken gäbe… Vielleicht.

Gehandelt wurde nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Nahrungsmitteln, Stoffen, Wasser. Die Schiffe, die die menschliche Fracht fuhren, brauchten es ganz dringend. Kamen sie aus Amerika zurück, so brachten sie neue Pflanzen, Samen, Stoffe, vielleicht auch noch anderes, jene sogenannten Kuriositäten aus der Neuen Welt mit. Wo sind sie geblieben? Mit den Portugiesen nach Europa abtransportiert?

Ribeira Grande war eine Drehscheibe im weit größeren Maße, denn hier machten auch Schiffe halt, die aus Indien oder anderen afrikanischen Regionen kamen. Santiago hatte bereits im 16. Jh. die Kokospalme aus Indien bekommen, die es dann weitergab nach Brasilien. Mais und Maniok bekam Kapverden wiederum von Brasilien und gab es an Westafrika weiter. Tiere wie Kühe, Ziegen, Pferde, Schafe aber auch Reis und Zuckerrohr wurden von Kapverden nach Brasilien eingeführt.

Alle großen Entdecker des 15. und 16. Jh.s machten ihre Reisen von oder über Kapverden. Ein portugiesischer Historiker veranlasste es zu dem Ausspruch, Kapverden habe eine mediterrane Landbestellung, eine afrikanische Ernährung und amerikanische Pflanzen.

Angesichts der einmaligen historischen Bedeutung des Ortes für Amerika, Europa, Afrika, und vor allem für das nationale Selbstbewusstsein der Kapverdianer selbst fordert der kapverdische Diplomat und Privathistoriker Daniel A. Pereira: eine grundlegende Restaurierung der vorhandene Substanz, einen Aufbau der bereits vernachlässigten und zerstörten Gebäude und Stadtstrukturen, sowie Rücknahme bzw. Rückbau der die Stadt verschandelnden modernen Bauten. Auf diese Weise soll der einmalige Charakter des Ortes erhalten bzw. wieder aufgebaut werden. Angesichts der wuchernden Neubauten und Feriendörfer rund um die Stadt und der vernachlässigten Altsubstanzen kann man annehmen, dass sein Ruf ungehört verhallt ist. Die Sorge um die Identität und Historizität der Kapverden teilen die Kapverdianer nicht oder nicht auf diese Weise.

Ribeira Grande und die Umgebung, später dann die anderen Inseln, die zum Teil nur sehr zögerlich besiedelt wurden, erfüllten noch eine andere Aufgabe, nämlich die des Laboratoriums. Getestet wurden vor allem die mitgebrachten exotischen Pflanzen. Bananen, Apfelsinen, Kartoffel, Mangos, Zuckerrohr, Kaffee etc. Was hier gedeihen konnte, machte Furore als Luxusgüter in Europa.

Ribeira Grande: die Stadt als Zuchtstation von exotischen Pflanzen, als grausamer Umschlagsplatz für Menschenhandel im bisher noch nie dagewesenen Stil, die erste europäische Stadt südlich der Sahara, die älteste Stadt des Archipels, der erste Bischofssitz von Westafrika. Sie war bis zum 17. Jh. die zweitreichste Stadt der portugiesischen Landes und musste die höchsten Abgaben an das Mutterland leisten.

UNESCO und die Rua de Banana

Überquert man die mittlerweile staubtrockene Ribeira, die gleichzeitig als Querstraße dient, so findet man sich unmittelbar mit dem ältesten Teil des Ortes konfrontiert: zwei schmale gepflasterte Straßen parallel zum Flussbett, kleine Hutzelhäuser mit Bananenpflanzen davor, vom üppigen Grün umfangen. Interessant, pittoresk, verfallen und zugleich irgendwie unpassend modernisiert durch die überdimensionierten Vans, die, auf Glanz poliert, die schmale Straßen versperren.

Die UNESCO hat 2009 entschieden, dass dieser Teil der Ortschaft von kultureller Bedeutung für die Menschheit ist. Doch findet auch die kapverdische Regierung sie gleichermaßen schützenswert? Tatsächlich befindet sich das meiste in einem erbärmlichen Zustand. Verfallene Häuser, kaputte Strohdächer, ruinöse Kirche, unrestaurierte Kopfsteinpflaster, einstürzende Mauern. Nur einige Häuser (die mit den Vans davor) scheinen auf eine Weise modernisiert worden zu sein, bei der ich bezweifle, dass die UNESCO damit einverstanden wäre. Doch hier scheint es niemanden, nicht mal die UNESCO selbst, zu interessieren.

Was uns – und sicherlich viele andere Besucher auch – verblüfft, sind die sehr bescheidenen Ausmaße der Gebäude. Hat man gedacht, hier wären die Quartiere der Sklaven, so liegt man darin gänzlich falsch. Solche Behausungen gehörten der Mittel- oder gar der oberen Schicht, den Aufsehern und Händlern. Die geraubten und entrechteten Menschen hausten unter dem Himmeldach oder in Verschlägen, von denen nichts übriggeblieben ist.

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Die ausgetrocknete Ribeira trennt den Sklavenmarkt (rechts) von der Rua de Banana (links). Über diese Stelle donnern im übrigen auch die Autos, die zu den Neubausiedlungen und Feriendörfern wollen.

 

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Die älteste europäische Stadt in den “Tropen”.

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Im weiteren Verlauf des Weges ist nichts mehr in Stand gehalten. Versagt hier die UNESCO oder versagt hier das historisch Bewusstsein der Kapverdianer?

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Das Schweinchen war sehr interessiert. Für Nico offenbar eine Begegnung der dritten Art.

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Das Schweinchen war fast ein ausgewachsenes Schwein in seiner natürlichen Größe, sicherlich nicht genmanipuliert und überzüchtet wie unsere bedauerlichen sog. Nutztiere.

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Mit einem solchen Führer ist man auf dem richtigen Weg.

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Bevor wir in die Kirche Nossa Senhora do Rosário (Unseren Lieben Frau vom Rosenkranz) eintreten: Angesichts des prominent ausgestellten Grabmals im Hof der Kirche fällt mir die Geschichte dieses Padres Nicolau Gomes Ferreira ein, der 47 Kinder mit diversen Frauen (Sklavinnen) gehabt haben soll. Das ferne Rom hat es entweder nie erfahren,oder sich nicht drum geschert. Dabei verbot die katholische Kirche Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen. So hat der gute Mann als Priester gleich gegen mehrere Gesetze verstoßen.

Der Kirchhof verfügt noch über einige andere Gräber vom Anfang des 17. Jh.s. Die jüngsten sind aus den 1930er Jahren. Wohl vieles davon ist zerstört worden, einiges ist zweckentfremdet in der Außentreppe der Kirche verbaut worden.

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Die Kirche mit den Wasserflecken an den Wänden, den Löchern im Dach, den provisorisch verlegten Kabeln, den Postern, die nicht halten, dem kaputten Fußboden – das ist der älteste noch erhaltene Sakralbau jenseits der Sahara. Verbürgt ist die Steinlegung von 1495. Als wehrhafte Kirche gebaut, hat sie mehr Mauern als Fenster, was ihr nicht nur Schutz geben sollte, sondern jetzt für angenehme Kühle sorgt. Sie ist im manuelinisch-gotischen Stil erbaut, manchmal auch als “Atlantische Gotik” bezeichnet, was einen fast mythischen Klang hat.

Als Ribeira Grande 1533 zum Bischofsitz ernannt wurde, war sie die Bischofskirche für Kapverden und die afrikanische Westküste. 1693 verlor sie diese Würde an ihre große Schwester, die Kathedrale , die jetzt eine imposante Ruine ist.

Aus ihrer besten Zeit als Bischofskirche in einer Hauptstadt ist ihr offenbar nichts oder wenig erhalten geblieben. Beachtenswert sind die Marmorgrabplatten, die in den Betonboden eingelassen wurden, und die Taufkapelle. Die älteste Grabplatte ist auf 1543 datiert. Adelswappen und sogar die Bischofsmütze sind auf einigen der Platten deutlich auszumachen. Beachtenswert ist auch der enorme Unterschied im Bodenniveau. Da die Kirche im 17. Jh. einige Umbauten erfuhr, unter anderem die schönen handbemalten Azulejos (Wandfliesen) in Blau, Gelb und Weiß, kann man gut erkennen, seit wann das Bodenniveau angewachsen ist.

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Rotbraune, in Mustern angeordnete Lehmsteine. Der wesentlich tiefer liegende schöne Boden und ein Teil der Fliesen verschwinden unter modernen Aufschotterungen.

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Auch für die Treppen zum Hochaltar hat man Grabsteine verwendet.

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Ein Kleinod für Kapverden ist die Taufkapelle mit den in der Ochsenblutfarbe getünchten Wänden und dem groben, wenn auch einer gewissen Anmut nicht entbehrenden Netzrippengewölbe. Dass hier offenbar die gesamte heilige Großfamilie Wohnung bezogen hat, macht die Kapelle noch sympathischer.

Das Taufbecken aus Marmor, den bischöflichen Insignien nach zu urteilen, wäre erst nach 1533 entstanden. Doch vielleicht ist das Becken älter als seine Zeichen, vielleicht wurden darin die Sklaven getauft, bevor sie weiterverkauft wurden. Denn jeder christianisierte, heißt getaufte Mohr war um einiges teurer im Verkaufspreis, er oder sie war dann ein besserer Sklave.

Im Übrigen durften auch die getauften Sklaven die Kathedrale nicht betreten. Ihre Taufen fanden außerhalb der Kirchen statt.

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Interessanterweise entdeckt man in den Schlusssteinen das Insignum der Christusritter, eines in Portugal beheimateten Ordens, der aus dem 1312 vom Papst zerschlagenen und verbotenen Templerorden hervorgegangen ist und unter dem Schutz der portugiesischen Könige stand. Der Orden war bei den Entdeckungsfahrten des 15. Jh.s mitbeteiligt und für die erste Besiedlung von Santiago und der Vulkaninsel Fogo verantwortlich.

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Sowohl der Marmor als auch die Fliesen wurden aus Portugal importiert.

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Die Wendeltreppe in dem massiven Glockenturm ist eingestürzt. Hier arbeitet seit Jahrzehnten keiner mehr.

 

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“Die Straße unserer Geschichte” ist ein Weg, der scheinbar mitten in der Ruine einer Kirche seinen Anfang (oder Ende) nimmt. Es ist eine arme Gegend mit heruntergekommen Hütten, kaputten Straßen, streuenden Tieren und herumsitzenden Menschen. Alles – oder zumindest vieles – scheint sich hier auf der Straße abzuspielen. So betrachtet, erzählt die Straße tatsächlich auf ihre Weise von der Unterdrückung, der Armut, der Hoffnungslosigkeit, bis heute. Überraschend war für mich zu entdecken, dass beinahe das gesamte heute so dicht besiedelte Armenviertel gar nicht so alt ist, vielmehr erst frühestens in den 1980er Jahren entstanden sein muss.

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Die Größe der Ruine, die diese Gegend in auffälliger Weise dominiert, verweist auf die Bedeutung, die dieser Kirche als neuer Bischofsitz zukommen sollte. Der Baubeginn ist auf das Jahr 1556 zu datieren – eingeweiht und vollendet wurde sie erst 1693. Auch wenn die Ausmaße der Ruine im Verhältnis zu ihrer heutigen Umgebung gewaltig sind, so entsprach ihre Größe durchaus den damals üblichen Maßen für eine Kathedrale. Sie wurde im Mudejar-Stil errichtet, allerdings blieb die aufwendig geschnitzte Holzdecke, die so typisch für den Stil ist, nicht erhalten. Lehmmauerwerk und Trachytgestein für die Fundamente und Einfassungen sowie Schmuckelemente.

Die lange Bauzeit erklärt sich aus dem Desinteresse des Klerus an ihrem Bau. Manche Bischöfe ließen sich auf Kapverden gar nicht blicken, so dass die Diözese in der Zeit von 1646 bis 1672 sogar vakant war. Das – allerdings nicht nur das – führte zu einer moralischen Verwahrlosung des Klerus von Ribeira Grande. Geschäftemacherei – auch mit der Taufe der Sklaven – statt Seelsorge, regelrechte Hurerei statt Zölibat. Pedro Valente, der letzte Bischof, gab aufgrund dieser gravierenden Missstände im Verhalten des Klerus schließlich 1754 den Sitz in Ribeira Grande ganz auf. Er zog nach Santo Antao. Ein ungewöhnlicher Schritt, der das Ausmaß der Missstände vorstellbar macht.

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Aber es gab noch einen anderen Grund, der schließlich nicht nur zu der Zerstörung der Kathedrale, sondern zum Niedergang der gesamten Stadt führte. Man kann sich vielleicht schon denken, dass es um Pirateneinfälle geht. Nennenswert sind zwei Herren, von denen der erste uns fast so häufig begegnet wie Christoph Columbus, nämlich der geadelte Pirat im Namen Seiner Majestät, namentlich Francis Drake. Er überfiel die reiche Stadt gleich zwei Mal 1585 und 1592. Ganz gründlich vernichtet wurde sie von dem Franzosen Jacques Cassard 1712, auch er nur der lokalen Legende nach ein “Pirat”, vielmehr aber ein Marineoffizier im Auftrag der französischen Obrigkeit. Von dieser Zerstörung hat sie sich nie wieder erholt und verfiel immer mehr zu einer Kleinstadt.

Das königliche Fort, das auf der Anhöhe thront und die Antwort auf den Überfall von Drake von 1585 war, konnte die Stadt nicht beschützen, denn die angeblichen Piraten, die vielmehr reguläre französische Soldaten waren, landeten in Praia und eroberten Ribeira Grande vom Land aus.

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Sandsteinfarbene Brocken auf roter Erde. Traurig und erhaben zugleich. Die ehemalige Größe der Kathedrale von ca. 83 Metern Länge und ca. 40 Metern Breite wirkt noch gewaltiger, betrachtet man die winzigen Häuser in der unmittelbaren Umgebung. Überall liegen große Steinbrocken und Pfeilerreste herum, auch einige Straßen weiter haben wir mindestens die gleiche Menge an Relikten aus der Kathedrale aufgeschichtet am Straßenrand vorgefunden. Wahrscheinlich wurde die ruinöse Kathedrale als Baumateriallieferant benutzt. Vielleicht sogar im Straßenbau. In einigen Hausmauern lässt sich sicherlich ein Stück der Kathedrale finden. Darin mag etwas Tröstliches liegen, doch auch diese Häuser wird es bald nicht mehr geben.

Die Armut ist groß. Dreck und offene Kanalisation, in der dünne Schweinchen nach Essbarem oder Trinkbarem suchen, erinnerten mich an Pier Paolo Pasolinis Mittelalter-Trilogie. Zwei Straßen weiter entstehen Villen von Neureichen – auch das hätte ein Thema für Pasolini sein können.

Eine ältere Ansicht von Ribeira Grande vom Fort aus aufgenommen, die ich auf die 1970er Jahre schätze, zeigt wie wenig besiedelt dieser Teil der Stadt war. Sie macht aber auch deutlich, dass das, was für uns wie ein altes Armenviertel ausschaut, erst ein Slum neueren Datums ist.

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Armut und dicke Autos.

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Durch das Armenviertel führt uns der Weg zu einer auf einer Anhöhe gelegenen Kapelle, fast schon eine kleine Kirche, die ich in keinem Reiseführer beschrieben gefunden habe. Doch plötzlich müssen wir einen schnellen Rückzug antreten, als in einer Gasse, so schmal, dass die Bewohner sie als Wohnraumerweiterung nutzen, mindestens 5 Hunde sich ineinander verbeißen, weil sie Nico angreifen wollten. Dafür entdecken wir am Wasser diese moderne Ruinen.

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Das “Marimar”, ein neues Gebäude, vielleicht aus den 1980er Jahren, ganz offensichtlich auf einem wesentlich älteren Platz erbaut, oder auf den ‘Bruchsteinen’ der Kathedrale entstanden. Das war eine gut angelegte und architektonisch interessante Anlage mit Bar und Séparées mit Blick auf das Meer und den Vulkan von Fogo. 

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Der Niedergang Ribeira Grandes beginnt bereits im 17. Jh. als Portugal nicht mehr das Monopol des Sklavenhandels mit Westafrika halten kann, und Ribeira Grande den offiziellen Sklavenmarkt schließt (1645). Illegal blüht das Geschäft weiter, verlagert sich aber zunehmend nach Praia, die schließlich 1769 zur neuen Hauptstadt wird. Indirekt verdienen die Herren von Santiago gut an dem Sklavenhandel, denn die Panos-Währung bleibt bestehen. So sind die englischen und französischen Sklavenhändler gezwungen, sich in Praia mit Panos einzudecken, um in Afrika damit geraubte Menschen einzukaufen.

60 Panos, die je aus sechs Stoffstreifen zusammengesetzt waren, kostete Ende des 17. Jh.s ein Sklave. Und im 18. Jh. verkauften die portugiesischen Händler circa 6 000 Panos pro Jahr an ausländische Sklaveneinkäufer.

1772 erklärte England, das bis dato im Sklavenhandel kräftig mitmischte, den Sklavenhandel für Unrecht, 1807 machte sie damit ernst und erließ das Gesetz gegen den Sklavenhandel auf englischem Boden. Selbstverständlich sträubte sich Portugal gegen solche freien Ideen. 1815 beugte es sich dem Druck und erließ auf dem Wiener Kongress das Verbot der portugiesischen Sklavenhaltung auf dem europäischen Kontinent. Als Sklaven auf Santiago 1835 gegen diese Ungerechtigkeit protestierten, schickte die portugiesische Krone eine Garde, die den Aufstand blutig niederschlug. Abraham Lincoln verbot die Sklaverei 1862 in Nordamerika. In den portugiesischen Kolonien wurde weiterhin versklavt bis 1878 (und wahrscheinlich darüber hinaus).

Es dauerte fast 100 Jahre bis die westafrikanische Sklaverei tatsächlich abgeschafft wurde. Sklaverei, das sei nur nebenbei bemerkt, existiert im großen Umfang bis heute. Namenhafte Menschenrechtsorganisationen sprechen sogar davon, dass noch nie so viele Menschen versklavt wurden wie heutzutage. Deutschland bspw. duldet (durch zu lasche Gesetzgebung und mindere strafrechtliche Verfolgung) die Zwangsprostitution, die auf Sklaverei beruht.

Auf Kapverden entstand unter der Hand jedoch eine andere Art von sklavischer Ausbeutung: Die ehemaligen Sklaven, die auf den Inseln schon lange das Land für ihre zum Teil abwesenden Herren bestellten, wurden nach und nach zu Kleinstpächtern und blieben auf diese Weise noch sehr lange – manche bis heute – von den Großgrundbesitzern in sklavenähnlicher Weise abhängig.

Nur ungefähre Schätzungen geben Auskunft über das Ausmaß des Menschenhandels, der über Ribeira Grande bzw. die portugiesischen Kolonien in Westafrika abgewickelt wurde, genaue Zahlen existieren nicht: Zwischen 1460 und 1878, dem offiziellen Ende der Sklaverei auf portugiesischen (Kolonial-) Boden, wurden, so schätzt man, zwischen 17, 25 und sogar 50 Millionen Afrikaner nach Amerika verschleppt. Ein Drittel starb bevor es den amerikanischen Boden erreichte.

Einige wenige Sklaven konnten in Ribeira Grande fliehen und versteckten sich in den Bergen und schwer erreichbaren Tälern der Insel. Aufgrund dieser Besonderheit, die zunächst eine erzwungenermaßen notwendige Isolation dieser Menschen bedeutete, entwickelte sich die heutige Mentalität der Inselbevölkerung, ihre relative Zurückhaltung Fremden gegenüber, ihre ausgeprägtere afrikanische Identität und Tradition, ihre separatistischen Gruppen, die bis noch vor einigen Jahren sich freiwillig in die Bergregionen zurückzogen und dort von dem Rest der Insel separierten.

Tatsächlich, Santiago ist die afrikanischste Insel des Archipels – und Ribeira Grande die interessanteste europäische Stadt in Westafrika, die leider in ihrer Bedeutung auch für die Kapverdianer von der Regierung nicht erkannt wird.

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