Lykien für Fortgeschrittene – von Antiphellos zu Phellos

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Lykien? Noch nie gehört? Vielleicht besser so, denn dann wäre es hier unerträglich voll. Keine Geheimtipps mehr – möglicherweise ein Vorsatz für das frische Jahr 2022 (ich habe: strikte Nachrichten-Diät, No zu Experten). Lykien für Fortgeschrittene ist wandern auf Ruinen ohne Plan und (fast) ohne Wege. Was am Ende zufolge haben wird, dass dieses archäologische Ziel auf meiner To-do-Liste länger bleibt.

Und hier sind wir nun, 2. Januar 2022, unterwegs in Lykien auf einer Neujahrswanderung. Für einige, die unseren Blog verfolgen, stellen sich nun wahrscheinlich Fragen nach Lykien und Lykiern – Was, wo und wer ist das? Das heutige Lykien ist ein Landstrich zwischen Antalya im Osten und Fethiye im Westen. Wer in Lykien geht, fährt oder wandern, bewegt sich buchstäblich auf den Ruinen eines Volkes, das das große Kunststück vollbrachte und ihre Integrität als „Lykier“ über einen sehr langen Zeitraum von grob gesagt 15. Jh. vor bis zum 12. Jh. oder 15. Jh. nach Chr. bewahrte und das trotz zahlreicher Usurpatoren. Hier kamen vorbei Phönizier, Perser, Hellenen, Ptolemäer, Römer und dann noch die Osmanen und Turkmenen … man kämpfte, man siegte, man unterlag, man absorbierte – und am Ende blieb Lykien immer irgendwie den Lykiern vorbehalten. Das änderte sich eigentlich erst mit den Kriegen im 19. und 20. Jh. Die moderne Kulturschicht ist dagegen dünn und mit ihrer stereotypen Architektur und einer Menge an beinahe Müll oder schon Müll letztendlich sehr kurzlebig und unattraktiv. Trotz massiver Zerstörung sind für mich die lykischen Hinterlassenschaften mitunter das Spannendste, was ich in die zum Teil noch ursprüngliche Natur eingebettet gesehen habe.

Die letzten Lykier sind genetisch vielleicht noch in so manchem Türken in der lykischen Gebirgslandschaft zu finden. Oder sie sind zusammen mit den vertriebenen – offiziell heißt das „umgesiedelten“ – Griechen vom Festland der heutigen Türkei verschwunden. Sie haben uns eine überaus reiche, leider häufig genug nebulöse Vergangenheit im Stein hinterlassen. Augenscheinlich waren es Menschen, die eine ausgeprägte Vorliebe für das Leben mit dem Tod hatten: Sarkophage, Pfeilergräber, Hausgräber, Felsgräber und Tumuli begleiten ihre Niederlassungen in einer solchen Fülle und erstaunlicher Nähe zu den Wohnstätten, zum Theater oder der Agora (öffentlicher Versammlungsort), dass man sogar als Katholik darüber nur staunen kann. Die große Liebe der Lykier galt offenbar einem Leben, in dem der Verstorbene einen schönen, in Stein gehauenen Ort zugewiesen bekam. So lebte man Tür an Tür mit den Toten und der Ewigkeit vor Augen…

Wer Antiphellos sagt, muss auch Phellos sagen

Erneut laufen wir Kaş an. Grund dafür ist zunächst ein Sturm, der vor der Küste seine Kreise dreht und uns mehr Regen beschert als der Monsun in Kerala (Indien). Wenn es nicht gerade Bindfäden regnet, ist Kaş eine wunderbare kleine Stadt an der lykischen Küste direkt gegenüber der griechischen Insel Kastellórizo (Megisti), die in der Antike lykisch war. Ein stimmungsvoller Hafen gespickt mit traditionellen Gulets, jenen großen buntbemalten Booten aus Holz, die als Ausflugsboote im Sommer die Buchten unsicher machen, trägt neben der schönen Altstadt mit verwinkelten kopfsteingepflasterten Gassen und alten Steinhäusern mit ihren Holzveranden und ebensolchen Balkonen zu einem gelungenen Stadtbild bei. Viele reizvolle Restaurants und Bars sowie eines der schönsten antiken Theater (hellenistischer Art), das ich kenne, machen Kaş zu unserem Lieblingsort. Insbesondere im Winter. Denn das, was noch schön und unverbaut ist, das zieht auch sehr viele Touristen aus dem In- und Ausland an. So viele, dass Kaş im Sommer zu einer Art Vorhölle mutiert.
Kaş geht nicht als Unterkapitel, für Kaş braucht es viel Raum, auch zum Schwärmen. Kaş ist das antike Antiphellos, ohne das man Phellos – unsere Zieladresse für heute – nicht verstehen würde. Antiphellos verhielt sich zu Phellos wie Bremerhaven zu Bremen. Phellos, ein Horst auf circa 860 m. ü. M., war eine wohlhabende, wenn nicht gar reiche Stadt der Lykier, die offenbar immer gerne im steilen Gelände lebten. Diese Polis mit dazugehörigen Ländereien erreichte während der kaiserlichen Zeit (römische Usurpation) die größte Ausdehnung im Zentrallykien und war ein bekannter Münzprägeort. Zu Handelszwecken und als Umschlagplatz wurde bereits in der hellenistischen Zeit (griechische Einflussnahme um 300 v. Chr.) das Antiphellos, die „Unterstadt“ zunächst als Hafen angelegt.
Während das Antiphellos nach und nach zum blühenden Ort wurde, entwickelte sich die Mutterstadt zu einer unattraktiven Bergstadt mit Wehrcharakter. Wie alle lykischen Städte an Berghängen wurde sie irgendwann in der Kaiserzeit oder spätestens im Osmanischen Reich gänzlich aufgegeben. Heutzutage ist Phellos sogar von den Archäologen vergessen und im Gelände kaum mehr zu finden. Spätestens an dieser Stelle hört die Analogie zu Bremerhaven, unserem „Heimathafen“, auf, das leider weit davon entfernt ist, ein Antiphellos zu werden.

Auch ein Plan hilft nicht weiter

Es war von Anfang an klar, dies wird kein archäologischer Spaziergang auf gut ausgebauten Lehrpfaden sein, sondern ein Suchspiel im wilden Gelände – eben für Fortgeschrittene. Tatsächlich ist Phellos dank tschechischer Map-App gut zu verorten und nicht schwierig zu Fuß zu finden. Dank der enormen Bauwut, die man in Lykien allenthalben sieht, fahren wir an überdimensionierten autobahnartigen Straßen durch teilweise uralte Dorflandschaften und staunen über die Schönheit. Weit und breit keine hässlichen Gewächshäuser, die jede Naturschönheit unter Plastikfolie begraben, kein verbauter Boden. Wir atmen auf.

Die Straße schraubt sich immer höher und höher. Wir tauchen ein in lichte Pinienwälder und tauchen wieder auf an einer Schneise, die zwar hässlich in die Natur eingreift, wahrscheinlich aber zum Schutz vor Waldbränden und somit zum Schutz jener Natur entstanden ist. Wir passieren zwei aufgelassene Feuerspähposten und folgen der Feuerschneise. Der Weg bietet wunderbare Ausblicke auf verschneit-eisige Taurusberge, ist aber ansonsten ein langweiligerer Forstweg. Der Rückweg sollte unbedingt anders verlaufen, entscheide ich spontan auf dieser kalten Waldstraße. Hier oben ist es gefühlte 10 Grad kälter als noch vor 30 Minuten am Meer, das als glitzernde Fläche circa 700 tiefer unter uns liegt. Wir laufen uns schnell warm, denn es geht immer weiter nach oben, auch dann noch, als wir denken, höher gehe es nicht mehr.

In der Ferne, doch viel näher als das Foto es glauben macht, die schneebedeckten Berge des Taurus. Das Tal ist mit einem Wolkendeckel verschlossen.

Den Blick darf man nicht zu intensiv in die Ferne schweifen lassen, denn die Markierung des Weges nach Phellos ist ein zufälliges Ding, das mal als roter Punkt den Eingang in den Ziegenpfad markiert, mal als blauer Pfeil oder rote Linie leitet. Und häufig genug auch vollkommen fehlt. Meistens dann, wenn man sich daran gewöhnt und verlässt und vor allem, wenn man es dringend braucht. Stellenweise kreuzt auch der gut ausgebaute, weiß-rot markierte Lykien Weg, der Likya Yolu, der das Gelände von Phellos tangiert.

Traurige Riesen am Wegesrand. Abgehobene Riesendeckel und zerstörte Korpusse rechts und links des Ziegenpfades. Ich frage mich immer wieder, was motiviert Menschen, schönes oder auch nur unbekanntes zu zerstören. Vielleicht war das auch ein Erdbeben. Es fällt mir schwer, das zu glauben.

Wir stolpern durch das Gestrüpp und Niederwald als wir plötzlich und unerwartet auf eine hochoffizielle Tafel stoßen. Lageplan und Legende informieren uns darüber, dass wir uns nun vor den Toren von Phellos befinden. Wir schauen uns um. Zwischen dem dichten Bewuchs (und das, obwohl wir Winter haben) leuchten hier und dort weiß-graue, von Menschenhand behauene Steine, die nun bemoost und von Sträuchern durchbrochen, kaum auszumachen und noch weniger zu erreichen sind.
Der Plan führt uns die Ausdehnung der Stadt vor Augen, die von einer Süd- und Nordbefestigungsmauer umringt und von zwei oder drei Nekropolen und etlichen Felsgräbern flankiert war. Intra muros eine Akropolis, eine Agora, ein kleines Theater, ein Heroon … Wir finden erstaunlicherweise keine Kirche eingezeichnet, dabei sollen, so meine Informationsquellen, die Byzantiner („Ostkirche“ oder die Gegenkandidaten zum römischen Papsttum) Phellos zu einem Wehr- und Spähstadt ausgebaut haben und das ging sicherlich nicht ohne wenigstens einer Kirche. Leider versäumt der Plan, uns unseren Standort anzugeben. Wir raten und folgen den Steinen, die wir als Stadtmauerreste zu identifizieren glauben.

Mimikry der Steine

Für den Phellos-Ausflug ist es am besten, wenn das Auge bereits an antiken Ausgrabungsstätten inmitten von übergriffiger Natur geübt ist. Und auch dann ist es schwierig genug, Spuren der Stadt im Gelände zu finden. Erschwerend kommt das Gestrüpp hinzu, die Fußfesseln, die Dorne und die biegsamen Äste, die immer ins Gesicht nachfedern. Erst später erfahren wir, was wir alles in der Ruinenstadt nicht gefunden haben. So bleibt Phellos weiterhin auf meiner To-do-Liste und der zweite Anlauf ist vorprogrammiert.

Von Vorn nach Hinten, vom Ast über zu der Plinthe (‚Unterbau‘, Standplatte), dann weiter nach oben rechts zum Korpus eines Sarkophags und nach links zu dem dazugehörigen ausgehebelten Deckel, der nun auf dem Rücken liegend an eine steinerne Badewanne erinnert.

Im Buschwerk verborgen leuchtet ein heller Klotz – der Sarkophagkubus – inmitten bemooster Steinreste.
Hier läge man in ewiger Ruhe. Behütet von Sträuchern, bedroht von Wurzeln. Doch war die heutige Abgeschiedenheit nicht das einstige Ansinnen der Lykier, die ihre Toten gerne mitten im Leben hatten, und so manches Mal sogar mitten im Ort.
Wie schreiende Münder starren uns die tiefschwarzen Löcher, die Grabräuber in die Sarkophage gehauen haben. Nichts hat geholfen, weder die Steinmasse, noch die drohenden Formeln, die die Seiten der Sarkophage beschriften. Wir werden nie erfahren, was die Toten ins Jenseits begleitete, denn die Grabbeigaben, die Gewänder oder der Schmuck sind für immer verloren.
Riesig sind die Deckel einiger Sarkophage, die sich nun nah am Waldboden in Mimikry üben. Der dazugehörige Korpus im Boden versunken oder zerstört. Hier gibt es viel wiederzuentdecken, soviel von der bedrohlichen Natur zu befreien. Doch es fehlt an Willen, Interesse und Geld.

Eureka! Vehinda und die Wiederentdeckung der Briten

Wir schlagen uns durch bis nach ganz oben auf 750 m. ü. M. Jetzt sind wir auf der Höhe des Bergkamms angekommen, auf dem Phellos sich 700 Meter in Länge und 200 Meter in Breite entfaltet hat. Das ist eigentlich nicht viel, aber viel Platz ist hier auch nicht. Gegründet wurde die Stadt irgendwann vor dem 7. Jh. v. Chr. von den Lykiern, die ihre Stadt Vehinda nannten. Das wissen wir von dem antiken Geographen Hekataios aus Milet, der die Gegend 6. Jh. v. Chr. bereiste. Seit dem 4. Jh. v. Chr. arbeitet Vehinda/Phellos an ihrer politischen und ökonomischen Bedeutung, die sie tatsächlich ausbauen und für lange Zeit festigen kann. Sie ist Dynastensitz (regionale Fürsten/Stadtfürsten), hält politische (und familiäre) Beziehungen zu den mächtigsten Städten der Zeit wie Xantos und Limyra, wo sie sogenannte Bouleuten in die Stadtversammlung entsendet, und ist stimmberechtigt in dem mächtigen Lykischen Bund.

Ihre strategische Lage, die uns auf unserer Wanderung als grandiose Berg- und Tallandschaft begeisterte, und ihr gut ausgebauter Verbindungs- und Handelshafen Antiphellos (Kaş) macht die Stadt zum Magneten für Menschen aus angrenzenden Ortschaften, die hier oder in Antiphellos ihr Glück suchen. Erst die Unruhen im Landesinneren, der persische Druck und die Schwächung des Lykischen Verbundes ändern das Gesicht von Phellos. Zunächst gibt die alte Vehinda ihre Attraktivität an Antiphellos ab. Dann wird Vehinda/Phellos zurückgebaut und zu einem Beobachtungsposten oder Burg mit kleineren militärischen Anlagen ausgebaut. Dafür muss einiges an uralter Bausubstanz zerstört werden, so dass sich auch die Kernstadt ändert. Gleichzeitig passiert etwas Spannendes.

Während die Stadtbewohner nach und nach vom Bergrücken absteigen und sich in Antiphellos niederlassen, bleibt Phellos ein beliebter Bestattungsort für wohlhabende Bürger, für Adelige und ihre Dynasten. Mindestens drei Nekropolen mit mehr als 160 Grabanlagen, darunter die schlanken Sarkophage, einige freistehende Hausgräber, Felsgräber, Felsfassadengräber, Pfeilersarkophage, Grabtumuli und einige mischarchitektonische Begräbnisstätten von zum Teil einmaliger Qualität säumen und durchziehen die Stadt auf dem Felsrücken und vor den Stadttoren. Die Vielfalt der Begräbnisarchitektur und ihre Jahrhunderte andauernde Kontinuität – bis in die kaiserliche Zeit wurden vereinzelt neue Grabanlagen gebaut, danach können wir nur von Pflege und Kult sprechen – sind einmalig für das bisher bekannte Lykien. Der lykische Bestattungsstil bleibt über die verschiedenen Herrschaftsphasen lange erhalten. Erst die Byzantiner und die Christianisierung des Volkes setzte dem, wenn kein kategorisches, so doch ein schleichendes Ende.

Spannend ist auch zu erfahren, dass eine in Antiphellos entdeckte Grabinschrift möglicherweise auf Phellos und ein altes lykisches Nymphen-Heiligtum hinweist. Eine Sprachdeutung, die Diether Schürr („Nymphen von Phellos“) vorlegt, legt nahe, dass Wasser-/Quellgöttinen von Phellos das Grab (in Antiphellos) beschützen und potenzielle Grabräuber bestrafen mögen.

In die byzantinische Zeit fällt die Verstärkung der militärischen Befestigungsanlagen als Folge der steigenden politischen Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Christianisierung erreicht das lykische Reich massiv zwischen dem 3. und 4. Jh. n. Chr., obwohl nicht klar ist, wieweit und wie lange sich das Altlykische noch in Nischen hält. Während überall Basiliken entstehen, zeigt Phellos laut Plan keine eindeutigen Bauten diesen Typus. Gleichwohl werden zwei, wenn auch kleine Kirchen und sogar zwei namentlich bekannte Bischöfe – Philippos und Lollianos – in der Zeit zwischen 353 und 375 genannt.

Ab dem Mittelalter (ca. 8. Jh. n. Chr.) ist Phellos nicht mehr bewohnt. Allein die militärischen Anlangen werden ausgebessert oder erweitert. Archäologen gehen davon aus, dass im 6., spätestens im 7. Jh. n. Chr. die Bevölkerung aus Phellos vollständig abgewandert ist und nur die Pflege der vorhandenen Sakralbauten und möglicherweise bestimmte Kulttage noch von Bedeutung für die Nachkommen waren.

Die folgenden Jahrhunderte lassen Macchia über den Ort wachsen. Ich stelle mir vor, wie Hirten die Stadtruinen als saisonale Unterkünfte für Vieh und sich selbst nutzten. Vielleicht finden sie hier und da noch nicht aufgebrochene Felsengräber oder Sarkophage und plündern diese. Auch die eingefallenen Ruinen geben in der Zeit noch etwas preis. Es kommen Bauern aus dem Tal und schleppen das eine oder andere brauchbare fort. Die Säulen, den Marmor, die Pfeiler, die behauenen Steine, die byzantinischen Ziegelsteine … Nicht zu vergessen die religiösen Eiferer, die alles zerstören, was als Bedrohung des eigenen Glaubens angesehen werden kann.

Phellos versinkt also im Gebüsch. Bis 1842 der entdeckungslustige Brite Thomas Abel Brimage Spratt – Naturforscher, Hydrograph, Meereskartograph, Geologe, Hobby-Archäologe, Menschenretter und zu diesem Zeitpunkt Lieutenant an Bord der HMS „Beacon“ der British Royal Navy – des Weges kommt und Phellos wiederentdeckt. Nun, eigentlich war es keine echte Wiederentdeckung, denn 1812 war bereits Sir William Gell, Archäologe und Zeichner,  hier. Offenbar konnte Spratt aber seine Phellos-Expedition besser vermarkten. Das Schiff Beacon, auf dem Spratt Gast war, ist im ‚Auftrag‘ der Briten im südöstlichen Mittelmeer unterwegs gewesen, um genau das zu tun: Lykische Schätze für das Commonwealth zu sichten. Ihm folgt 1844 der Forschungsreisende und Archäologe Sir Charles Fellows, der bereits paar Jahre zuvor Xanthos wiederentdeckte und mithilfe der „Beacon“ – und Lieutenant Spratt (mit dem er später ein Reisebuch über Lykien schreibt, in dem auch Phellos wiederentdeckt wird) – die dortigen bedeutenden Denkmäler nach England verschiffte. Doch das ist eine andere Geschichte, die von den zahlreichen britischen Diebstählen von Kulturgütern in Kleinasien und sonst wo im Nahen Osten handelt (auch Deutschland hat seine eigene Geschichte dazu geschrieben).

Was die beiden Forschungsreisenden in Phellos und Antiphellos entdecken, ist zum Teil noch heute sichtbar. Nach ihnen wartete der Phellos-Hügel bis 2004, bis die Ludwig-Maximilians-Universität München und das DFG-finanzierte Projekt („Hafenstädte Lykiens“) des Instituts für „Alten Geschichte“ das Gebiet beackerte und neue Ansichten in das historische Dunkel brachte. Man kann sich streiten, ob solche Probebohrungen – ohne dass der Forterhalt der so ans Tageslicht geförderten Objekte gesichert ist – sinnvoll oder katastrophal sind. Dennoch, das vernachlässigte Phellos ist bis heute ein einmaliges Freilichtmuseum der lykischen Sepulturarchitektur und das trotz seines ungesicherten Zustands. Das Besondere versinkt im Desinteresse und Geldmangel. Nur unermüdliche Sprachforscher wandern immer wieder zu den Relikten, um hier so manche vom Verschwinden bedrohte Inschrift zu entziffern. (D. Schürr, „Zu den lykischen Inschriften von Phellos“, mit Fotos.)

Ans Licht gekämpft

Aus der dämmrigen, durch Lichtspotts durchsiebten Dickicht des Waldes und der Macchia kämpfen wir uns immer weiter nach oben auf die Höhe des Bergkamms, auf die Akropolis. Phellos zu Füßen liegt eine grandiose Landschaft, die sich im Laufe der Jahrtausende sicherlich stark verändert, deren Transformation aber erst seit gut 10 Jahren eine bedenkliche Fahrt aufgenommen hat. Auf den Vorboten – den gnadenlos ausgebauten Straßen – sind wir hierhergekommen. Unter uns wachsen bereits „Villen“ aus dem Boden. Noch ist es nicht so weit und wir sind froh darüber. Dichte Wälder muss es hier gegeben haben – Reste bezeugen es immer noch -, denn Phellos war eine Stadt, die mit begehrten Hölzern handelte.

Über den Wolken und alleine fühlen wir uns der Welt enthoben. Ziegen mit langem Winterfell, imposanten Hörnern und tief tönenden Glocken begegnen uns. Und Pilzsammler, die nach den großen herbstroten Edelreizkern zwischen den Steinen suchen, aber nicht fündig werden, begrüßen uns hier oben. Eine kleine Wandergruppe möchte etwas wissen, doch wir können sie nicht verstehen. Wir bleiben zurück, alleine mit der Vergangenheit, die unter unseren Füßen liegt, und schweigt. Ein idealer Ort, um zu verweilen.

Oben angekommen folgen wir der nördlichen Befestigungsmauer. Oder ist es doch ein Überrest der Agora? Der Burg? Eines Tempels? Der Blick schweift immer wieder ab entlang der grandiosen Berglandschaft.
Säulenstümpfe, Basenreste, Eingangspforten… Eine Kirche, eine Stoa, ein … Wir rätseln, was an dieser Stelle gestanden hatte.
Die Lykier legten ihre Städte gerne an wasser- und quellreichen Orten an. In den Ruinen sind sowohl viele Zisternen, Brunnen und natürliche Quellwasserbecken zu finden. Neben Schlangen sind sie die schlimmsten Gefahrenstellen. Archäologen und Historiker gehen davon aus, dass es in Phellos ein Nymphen-Heiligtum befand.

Säulenschächte in der Erde vergraben. Figurenpodeste mit griechischer Inschrift, umgefallen und nun Weghürden auf dem Likya Yolu. Von Tausende von Wanderschuhen getreten.

Mächtig stolze Sarkophage auf zweifacher Erhöhung. Im Sockel und darunter hat man die weniger wichtigen Verwandten oder auch besonders wichtige Hausdiener – denn so mancher Diener steht einem näher als der Blutsverwandte – bestattet. Sie alle sind entleert und ausgeraubt. Als Gegengewicht zu der Missachtung der Totenruhe stehen all die bewundernden Blicke und abertausende Berührungen der Wanderer, die hier seit über 40 Jahren auf dem Lykien Weg vorbeiziehen.
Sehr viele von den über 160 Grabmälern von Phellos sind teils durch ein Erdbeben (wird immer gerne angenommen), teils durch Menschenhand stark oder vollständig zerstört. Die stolzen Veteranen, die bis heute überlebt haben, sind zwischen 3.000 bis 1.600 Jahre alt. Die Inschriften in den noch sichtbaren eingerahmten Feldern zu verwittert, um gelesen zu werden.

Hier stehen wir von einem singulären Schatz von Phellos, das ein genaues Hinsehen nötig macht. Obwohl großflächig sichtbar, gehört es zu den verborgenen Schätzen des Ortes, das auch ich beinahe übersehen hätte. Zu viel Aufmerksamkeit galt den halbrunden Aufbauten, die gleich im Anschluss an die Mauer gelegen ich als Apsiden einer kleinen Kirche zu identifizieren glaube. Die Nähe zu der langen Wand ließ mich das wunderbare Stierrelief übersehen. Maskiert hinter dunklen und hellen Flechten kann man links den langen gerade herunterhängenden Schwanz des Stiers erkennen. Und hat man das gesehen, so folgt das Auge nun mühelos dem wohlgerundeten Hinterteil und schlankem Bein, den Hoden, die zwischen Schenkel und Unterbauch zu sehen sind, und dem leicht gebogenen Rücke sowie der runden Flanke, die in den Brustkorb und Vorderbein überleitet. Der Kopf rechts fehlt oder ist kaum auszumachen.

An der Stiersflanke … vor 2.000 Jahren oder später entstand dieses Relief, das ich anfassen muss. Wie viele Lykier haben wie ich der Berührung nicht widerstehen können? Stand bei dem Stier ein Opferaltar oder ein Tempel? Vertrat der Steinstier das echte Opfertier?
Archäologen gehen davon aus, dass ein zweites Relief sich diesem anschloss und eine Opferungsszene darstellte.

Das Heroon auf einem ganz besonderen Platz

Ein Heroon [hero-on] ist ein prächtig ausgestattetes Grabmal eines Heroen, einer zumeist lokal verehrten Persönlichkeit wie beispielsweise eines Stadtgründers, eines Dynasten, eines Kriegers, oder eben einer anderen für den Ort oder die Menschen wichtigen Person. Das Grabmal steht singulär auf einer freien Fläche und sticht durch seine Bauweise heraus . Um das herausragend gestaltete Grabmal entwickelt sich eine Art Kultstätte und häufig bezeichnet man mit Heroon weniger das Grab als vielmehr die kultisch genutzte Gesamtanlage, in deren Zentrum das Grab des Heroen steht.

Das Heroon ist ein aus dem griechischen Kult übernommener Bau- bzw. Verehrungstypus, der bei den Römern besonders beliebt wurde. Die Lykier hatten ihre eigenen Grabtypen lange vor den griechischen Einflüssen und lange vor dem Heroon entwickelt. Sie adaptierten die Idee des Heroons, indem sie ihre älteren Prachtgrabmäler, wie bspw. die freistehenden Grabhäuser, auf besondere Freiflächen stellten und, sofern das heute noch nachvollziehbar ist, mit einem Opfer- oder Kultort verbanden. Diese Anlagen sind in Lykien zumeist erst in der Kaiserzeit (der römischen Herrschaft über Lykien) zu finden.

P. S. Für Fortgeschrittene -- Einige mögen sich fragen, wo der Unterschied zum Kenotaph wie bspw. dem prominenten Kenotaph des Gaius Caesar in Limyra (Finike) besteht. Das ist einfach zu beantworten: Das Heroon ist in den allermeisten Fällen ein echtes Grab mit dem dazugehörigen realen Corpus, währen ein Kenotaph ein leeres, an ein Grabmal oder an ein Mausoleum erinnerndes Denkmal für einen Heroen ist. Zudem bezieht sich das Heroon auf eine der Stätte verbundene Persönlichkeit, während ein Kenotaph einen möglicherweise längst verstorbenen und nur bedingt dem Ort verbunden Menschen ehren kann (bspw. einen römischen Kaiser).
Dort, wo die Mauer mit dem Stierrelief steht (re. im Foto), entfaltet sich eine ganz besondere Anlage mit mehreren prächtigen lykischen Gräbern vom Typus „freistehendes Hausgrab“. Die Fassade der sog. Hausgräber stilisiert die lykische Hausarchitektur. Besonders hervorzuheben sind die tragenden Dachbalken, die im Stein übersetzt als runde Wülste zum ornamentalen Moment werden. Der Eingangsbereich besteht aus zwei Türen oder Toreingängen, wovon die eine echte Tür in das Grabinnere, die andere hingegen eine Scheintür ist. Hier ist der Räuber nicht auf den Trick hereingefallen und hat die richtige Tür ausgehebelt.
In der Nische rechts neben dem aus dem Felsen herausgearbeiteten Hausgrab standen ehemals zwei Figuren, die wahrscheinlich die Stifter und Inhaber des Grabs darstellten. Die Steinhaufen davor gehören zu den Resten einer byzantinischen kleinen Kirche oder Kapelle, die viel später vor die Grabnische gesetzt wurde.
Das Heroon von Phellos. Was ehemals frei auf einem planierten und ordentlich aufgeräumten Plateau stand, ist jetzt ungewöhnlich schön in die Natur eingebettet. Es steht am äußersten Ende im Nordwesten der Stadt, dort wo Phellos aufhört und der Grat sich zum nächsten Berg hin verlängert. Dort, wo Platzmangel herrscht, ist eine solche Anlage Luxus. Wir wissen nicht, wem das Heroon von Phellos galt. Vermutlich einem Dynasten.
Es gibt Motive, die ich zu fotografieren nicht müde werde.
Das Heroon-Grab ist eine direkt aus dem Felsen vor Ort ausgearbeitete Kammer, besser gesagt eine stilisierte Hausnachbildung, so wie man sich die Unterkünfte der Lykier heutzutage vorstellt. Was hier Stein ist, soll für die Lebenden aus Holz gebaut gewesen sein. So die Theorie… Die vielen Steinruinen sprechen für mich eine andere Sprache und ich bin eher geneigt, eine Mischbauweise anzunehmen, zumal sowohl Holz als auch Stein keine Mangelware im damaligen Lykien war.

Landschaften, von Phellos aus gesehen

Am Limit leben: der Bub.
Brunnen, hier besonders schön eingefasst, Wasserauffangbecken, unterirdische und oberirdische Zisternen – auch Phellos ist oder war reich an natürlichen Wasserläufen, was offenbar eine entscheidende Rolle in der Wahl der lykischen Niederlassungen spielte. Ich habe mich des öfteren gefragt, ob diese zahlreichen Wasserzugänge auch eine Bedeutung im kultischen Sinne hatten. Offenbar spricht einiges dafür, dass Phellos ein Nymphen-Heiligtum war.
Spratt beschreibt diese Landschaften 1842 als kaum landwirtschaftlich genutzt, jedoch eindeutig sehr fruchtbar. Wasserlilien und andere natürliche Blumengewächse erfreuten sein Auge bei der Besteigung des Bergs. Auf dem Weg nach Phellos kamen ihm Karawanen von Frauen (unverschleiert) entgegen und Eseln, schwer beladen mit in den damals noch dichten Wäldern geschlagenem Holz, das in Antiphellos nach Kastellorizo verschifft wurde und dann weiter nach Alexandria ging.

Der nächste Weg und die nächste lykische Entdeckung sind uns schon am Horizont vorgezeichnet.
Hier ist schon einer, der bereit für nächste Entdeckungen ist.