Gambia reloaded – aus aktuellem politischen Anlaß

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Reisender, habe keine Angst…

Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen in Europa, insbesondere Segler und Reisende,  die mit dem Gedanken spielen, einen Abstecher nach Westafrika zu machen, über die problematische Entwicklung in Gambia gehört bzw. gelesen haben.

Yahya Jammeh ist nach 22 langen Jahren Regierungszeit vom Volk abgewählt worden. Mit “eiserner Hand” soll er regiert haben, Korruption nicht geahndet, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit unterdrückt, sich am Staat privat bereichert. Was er dem kleinsten Staat Afrikas beschert hat, war – das ist meine subjektive Sicht der Sache – eine gewisse Stabilität und Ruhe, so dass sich Tourismus und eine Handelswirtschaft (keine Weltwirtschaft aber immerhin eine Wirtschaft zwischen den Nachbarländern) entwickelt hat.

Obwohl er zunächst das Wahlergebnis  – und damit seine Abwahl – anerkannt hat, weigerte er sich dann doch, zu gehen. Der offiziell gewählte aber zunächst noch nicht vereidigte Präsident Adama Barrow fand seinen Amtssessel also weiterhin besetzt und floh nach Senegal (Nachbarland). Irgendwann reagierten dann die Verbündeten des gemeinsamen Westafrikanischen Wirtschaftsverbundes, “Ecowas”, vor allem Nigeria und Senegal, und drohten mit einem Einmarsch. 7000 Soldaten standen (so die Berichte) an den Grenzen zu Gambia, das selbst zwischen 800 und 1000 Soldaten hat… Damit setzte die Flüchtlingswelle an und mit ihr wurden auch all die Touristen, die wahrscheinlich in ihren Hotelanlagen am Meer sowieso kaum etwas von den Problemen mitbekommen haben, ausgeflogen. Mit dem Konflikt, in den sich vier weitere Staaten engagierten, stieg aber das Interesse der internationalen Presse an diesem Staat an, denn nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht.

Anlaß genug einen schnellen Blick auf das Land zu werfen. Überrascht es in dem aktuellen europäischen Politklima, dass vor allem eines über Gambia zu berichten gab: Die Gambier stellen, so die deutschsprachige Presse, das größte Auswandererkontingent unter den Afrikanern! Das war mir absolut neu. Wie kann ein so winziger Staat von 1,7 Millionen Einwohnern so viele Menschen zum Auswandern bringen, ohne selbst zu entvölkern? Wir haben selbst unter den Gambiern viele „Halb-Auswanderer“ kennen gelernt, das sind jene, die vor allem in die Schweiz (oder Deutschland) als Wirtschaftsflüchtlinge geflohen sind und dort – wir wunderten uns und wunderten – eine „weiße Frau“ geheiratet haben. Tatsächlich. Alle, mit denen wir gesprochen haben, verbrachten ein gutes halbes Jahr in der Schweiz/Deutschland und den Rest in ihrer Heimat. Mal mit Ehefrau, mal ohne (die erste Frau wurde schließlich nicht selten in Gambia zurückgelassen). Uns erschien es so als ob alle Beteiligten damit ziemlich zufrieden wenn nicht gar glücklich waren.

Wir haben häufig mit Männern – da diese selbst das Gespräch aktiv suchten – über das Auswandern nach Europa und vor allem das Heiraten dort gesprochen. Heiraten ist für einen gambischen Mann offenbar ein ziemlich gutes Thema, das man mit einer weißen Touristin (ich) ohne Umschweife anfängt. Eine Frau in Europa zu heiraten ist für einen auswanderungswilligen Mann quasi das höhste Gebot. Und wir waren sehr überrascht, dass fast alle damit Erfolg hatten. Überrascht, weil zwar die gambischen Frauen schön, und nicht selten sehr schön sind, hingegen die Männer mich (als Frau) nicht überzeugten.

Unserer netter schweiz-gambischer Restaurantbesitzer in der Lamin Lodge (leider das Geschäft bereits aufgegeben) berichtete uns, dass seine schweizer Ehefrau nicht gerne nach Gambia kommt. Er bedauerte und akzeptierte es auf die lockere Art, die die Gambier an sich haben, und erklärte, seine Frau sei ziemlich dick und da sei es ihr viel zu heiß im Land. Sie bliebe lieber mit den Kindern in der Schweiz.

Die ehemaligen Auswanderer auf Heimaturlaub mit denen wir gesprochen haben, bestätigten, wie schwer es für sie war (oder ist), in Deutschland oder in der Schweiz zu leben. Und zeigten sich sehr bereit, jene jungen Männer, die nach Europa auswandern wollen, darüber aufzuklären. Wir haben sogar einem jungen Mann – der selbstverständlich uns nicht glauben wollte oder konnte, dass Deutschland keinesfalls ein Paradies sei (zumal wenn man schwarz, des Deutschen nicht mächtig und ohne Arbeit ist) -, den Kontakt zu unserem Schweiz-Gambier gegeben. Sie haben angeblich miteinander gesprochen!

Auffällig an der Gesellschaft in Gambia war für uns die Arbeitsverteilung: die Frauen machen hier offenbar alles, die Männer hocken besonders gerne herum, einige gehen in die Moschee, andere versuchen sich als lokale Touristenführer (eine andere Art nicht viel zu machen), einige andere dealen (oder rauchen Gras ohne die Kraft zum Dealen zu haben). Drogenbesitz wird übrigens mit Gefängnis (hiesigem!) geahndet. Für Segler gibt es die wunderbare „Einrichtung“ des Boat-Boys. Das sind zumeist junge Männer, die mit dem Einbaumkanus an die Jachten längsseits kommen und alles mögliche an Diensten anbieten. Gegen ein kleines (oder gerne auch größeres) Entgelt besorgen sie einem alles, was man so zum Leben braucht. Freischiff. Herausragend. Dies vermisse ich seitdem sehr.

Erstaunlich wie fröhlich die Frauen in Gambia sind und wie offen (wenn auch nicht soo offen wie die hiesigen Männer) sie uns Fremden gegenüber bleiben. Dabei werden Mädchen in Gambia auf brutalste Weise beschnitten, so dass psychologisch kaum richtig auslotbaren seelische Narben das Wesen der Frauen verändern müssten. Selbstverständlich ist das Beschneiden der weiblichen Genitalien in einen dunklen Mantel der Verschwiegenheit gewickelt, ohne Narkose und unter großen Ängsten und Verstörung zumeist von alten Frauen vorgenommen. Es war tatsächlich ein Lichtblick als der ex-Präsident Jammeh öffentlich das Beschneiden der weiblichen Genitalien gegeißelt hat.

Neue, jedoch kaum besonders tiefgehende Berichterstattungen über die Geschichte des Landes als britische Kolonie, seine Entwicklung bis heute und eben jene Auswandererzahlen folgten in der deutschsprachigen Presse. Sehr auffällig liegt der Schwerpunkt der Berichterstattung auf den (angeblichen oder tatsächlichen) hohen Zahlen an Auswanderern, wobei versäumt wird über ihre zum Teil wenigstens erfolgreichen Quoten durchs Heiraten zu berichten. Gibt man heute in Google das Stichwort „Gambia“ ein, so ist die erste Seite zu 90 Prozent mit Berichten über die hohe Zahl an Flüchtlingen, die Gambia schon immer zu stellen schien, ausgefüllt. Als ich das Stichwort 2016 eingab, war davon so gut wie gar keine Rede. Der Blick der deutschen Presse deckt sich nur in wenigen Punkten mit jener Realität, mit der wir in Gambia konfrontiert wurden. Zum Beispiel begegneten wir vor allem einer stark ausgebauten und aufstrebenden Tourismusbranche, zumindest an der Atlantikküste. Für uns überraschend viele Touristen aus Schweden, Großbritannien, den Niederlanden!

Viele der aktuellen Berichte scheinen schnell zusammengeschriebene kurze Texte ohne tiefgehende Erörterungen, weder über die heutigen noch über die historischen Menschen und das Land, zu sein. Sicher, das Thema “Gambia” war unter dem drohenden Krieg/Bürgerkrieg im Westen Afrikas für kurze Zeit “in” gewesen. Einige Journalisten (ich weiß nicht mehr wo und wer) behaupteten sogar, dass Gambia ein “unnatürlicher” Staat ist, der eigentlich nur aus dem Fluß bestehe, womit sie implizierten, dass es in eines der Nachbarstaaten aufgehen sollte oder könnte. Herausragende Idee eines Europäers, der vielleicht noch nie vor Ort war. Das gleiche könnten afrikanische Journalisten bspw. über Belgien sagen.

Hier ein seltener Reisebericht über Gambia aus der ZEIT (so schrieb man 2013), der sich wohltuend von der heutigen Flut an flachgehenden Wiederholungen abhebt und zudem meine bis heute stärkste Assoziation, die ich von Gambia habe, teilt: den Duft des Holzes!

Ich selbst hatte (und habe grundsätzlich) die größten Bedenken bezüglich eines ‘gut gemeinten’ Einmarschs zum Zwecke der Räumung eines Chefsessels und (natürlich auch) der “Befreiung” der Bevölkerung aus den Fängen eines Regierungschefs, der sich auf Kosten des Landes privat bereichert. Eine militärische Aktion zumal in Afrika mit der Beteiligung von multiplen Parteien bzw. Staaten riecht für mich immer nach einer totalen Destabilisierung auf Kosten der Bevölkerung. Wie es dann weiter ginge, kann man sich schnell ausmalen: Nach anfänglichem internationalen Interesse, Aufschrei nach Hilfe und Unterstützung, viel Gerede, was man möglicherweise tun könnte, läßt man für gewöhnlich solche Krisenherde einfach sich selbst überlassen… So zumindest meine Erfahrung in Konflikten in Afrika oder Russland. Und warum sollte es mit diesem winzigen Staat in Afrika anders sein? Zumal man schon en passant meinte, es sei sowieso “unnatürlich”…

Doch die Gefahr, die ich mir sicherlich nicht einbildete, sondern sie mit unabhängigen Beobachtern teilte, ist vorerst abgewendet! Jammeh hat nach harten Verhandlungen und eben jener drohenden Eskalation durch den geplanten Einmarsch eingelenkt und ist ins “Exil” nach Äquatorialguinea (unter anderem berichtet darüber die TAZ) ausgewandert. Nicht ohne eine große Geldsumme mitgenommen zu haben. Die Staatskassen seien wohl jetzt leer – sagt der Neue. Adama Barrow war selbst ein Wirtschaftsflüchtling, der mit einem Studiumsvisum nach England ging und dort sich mit allerlei Jobs durchgeschlagen hat, um sein Studium und das Leben in GB zu finanzieren.

Interessierte, die den Unterschied zwischen deutschsprachiger Berichterstattung zu Gambia und der britischen erlesen wollen, empfehle ich bspw. den BBC-Artikel (auf englisch) zu Adama Barrow hier.

Es bleibt spannend, wie sich der neue, demokratisch gewählte Präsident auf dem noch warmen Sessel in Nachfolge von Jammeh entwickelt. Ich hoffe sehr, er weiß um den großen Schatz des Landes: den unverseuchten, naturbelassenen Fluß Gambia River mit seinem fragilen Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.

Ich wünsche allen den wunderbar netten, gastfreundlichen, witzigen, offenen, um nicht zu sagen lockeren Muslimen, die wir in Gambia kennengelernt haben, dass ihr Land und ihre Lebensbedingungen sich verbessern, ohne jedoch den Fehler aller dem Wohlstand zustrebender Staaten zu machen: um den Preis der Zerstörung der Umwelt, der Natur und der vom Aussterben bedrohten Tiere. Haltet bitte euren wunderbaren Fluß weiter so schön und natürlich. Setzt auf alternative Erwerbsquellen im Tourismus und Ökologie.

Auch hoffe ich, dass sie ihre Religion so weltoffen behalten, wie wir den Islam dort erlebt haben! Das ist vielleicht sogar mein erster Wunsch und dabei denke ich vor allem an die Frauen und Mädchen…

Ein Appel an Segler und Individualreisende möchte ich an dieser Stelle noch loswerden, weil uns bereits besorgte und resignierte eMails erreichen, von Seglern, die nun nicht mehr über Gambia fahren wollen:

Wartet noch etwas ab. Gib dem neuen Präsidenten eine Chance, sich in seine Staatsgeschäfte einzufinden und die Richtung seiner Politik aufzeigen. Ich hege große Hoffnungen, dass alles sich sehr schnell fügt und zum Guten kommt. Die Gambier sind kein gewaltbereites Volk, soviel wir es beurteilen konnten. Und solange keine anderen politisch-militärischen Mächte ihnen dazwischenfunken, besteht die berechtigte Hoffnung auf eine baldige Entschärfung und Normalisierung. Es sieht bereits jetzt schon danach aus.

Festzuhalten ist: Es ist noch nichts schlimmes passiert. Alles scheint bisher friedlich zu verlaufen. Und nun haben die Gambier auch einen demokratisch mehrheitlich gewählten Präsidenten, der übrigens selbst ein Flüchtling war und in England studierte und arbeitete.

Es sieht nicht so aus, als ob man sich mehr fürchten sollte als bei einer Segelpartie in die Karibik! (Wer hat Nachrichten über ausgeraubte und ermordete Segler in Gambia gehört? Und über die Karibik?)

Als wir uns letztes Jahr, das war 2016, nach Gambia aufmachten, hatten uns – obwohl nichts im Lande passiert war – viele Segler davon abgeraten. Sie selbst hegten große Bedenken, dorthin zu fahren, einige haben sogar ihre Pläne umgeworfen, weil auf der Seite des Deutschen Auswärtigen Amtes gemeldet wurde, dass das Deutsche Konsulat bzw. die Deutsche Botschaft nicht über mögliche Inhaftierungen informiert wird. Außerdem gibt es in Gambia keine deutsche Botschaft. Ja, stimmt, und das schon lange, was aber nicht an Gambia liegt, sondern an den Deutschen.

Die allermeisten segelten dann von den Kapverden in die Karibik. Lese ich aber die Nachrichten von den vielen Überfällen auf Jachten in den karibischen Buchten und die Berichte über das Sichern von Luken und Niedergängen, dann frage ich mich ernsthaft, warum man eigentlich keine Bedenken äußert, dorthin zu fahren. Ich kann es mir nur damit erklären, dass man ein Herdentier – ja, auch als Segler – ist und eben Exotik nur in kleinen europäisch zubereiteten Häppchen konsumieren möchte oder kann.

Hätten wir auf unsere Seglercommunity gehört, wäre uns ein spannendes, interessantes allemal, und ja auch schönes, insbesondere aber noch industriell unverdorbenes Fluß-Land und seine ganz besonderen Bewohner entgangen. Wir wären um eine sehr schöne Erfahrung ärmer und hätten nach wie vor keine Vorstellung von einem (wenn auch sehr kleinem) Land in Afrika und der Art, wie man „afrikanisch“ lebt.

Aber wir können von einem Segler berichten, der die Liebe seines Lebens dort fand. Und nachdem er seinen Seglerfreund wie ausgemacht über den Atlantik nach Salvador/Brasilien begleitet hat, flog er nach Gambia zurück, um mit seiner gambischen (Ehe-?) Frau ein Haus auf dem Land zu bauen und sich dort niederzulassen. Ach ja, ich glaube er ist ein Österreicher, ein Volk, das tendenziell weniger Ängste hat als das deutsche.

Vor diesem aktuellen Hintergrund der neusten politischen Entwicklungen habe ich zunächst nur für mich unsere Bildmaterialien neu gesichtet. Mich wieder an so viel Wunderbares und bereits vergessenes erinnert, denn schließlich folgte nach Gambia auch das andere extreme (schöne) Land Brasilien. Dabei sind einige von uns unveröffentlichte Bilder, Videos aber auch Berichte zum Vorschein gekommen, die ich nun zum Feier des Tages hier präsentieren möchte.

 

I. Mit dem Bushtaxi

The Gambia ist natürlich mehr als der Fluß, nach dem der Staat benannt wurde. Es liegt auf der Hand, dass uns vor allem die Schiffsfahrt nach Janjanbureh reizte. Gleichwohl sind uns damit die Landwege und das Hinterland unbekannt geblieben.

In den Genuss einer auf der Landkarte kurzen, in der Realität überaus langen Bus- und Taxifahrt kamen wir, als ich einen Arzt wegen der Stiche konsultieren wollte, die mir Tsetsefliegen kurz vor Janjanbureh beschert haben. Einer der zahlreichen privaten oder semiprivaten Kliniken war in Serrakunda, in einer Stadt, die mit allen anderen, sie umgebenden Ortschaften zusammengewachsen ist. Hier ist der berühmte – oder zumindest der in allen Reiseführern erwähnte – Markt, der sich rühmt, der größte des Landes zu sein.

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Für mich begann dieser Markt bereits weit vor Serrakunda, auf dem Senegambia Highway, der eine ununterbrochene Kette von schäbigen Hütten oder „Garagen-Häusern“ darstellt, die als Marktstände und Geschäftsflächen dienen. Dazwischen mal ein Viehmarkt und einige Garküchen, mal ein Metzger, der seine Ware in deutlich erkennbaren Tierhälften anbieten. Halbes Rind, halbe Ziege. Wenn man morgens einkauft, sind die Hälften nicht oder weniger mit Fliegen kandiert.

Wo der eine Ort beginnt und ein anderer endet, entzieht sich der Wahrnehmung. Die Wohnbezirke oder Dörfer liegen irgendwo “dahinter”. Anders als im Osten des Landes, bestehen sie lange schon nicht mehr aus traditionellen Rundhütten, sondern bilden lange schmale Wohnblocks mit mehreren Zugängen, die von einer gemeinsamen ‘Terrasse’ aus zu erreichen sind. Natürlich gibt es auch einige unschöne Wohn-Hoch-Häuser. Wo gibt es sie nicht?

Entlang der Straße reihen sich nicht nur Verkaufsbuden, sondern auch ruinöse Hochhäuser, Tankstellen, Moscheen in immer der gleichen architektonischen Ausführung mit deutlicher Vorliebe für quadratische Grundflächen und Türme mit falschen Kuppeln. Die ambitionierteren haben auch einen Erker. Dazwischen katholische und anglikanische Kirchen, diese wiederum stärker an Scheunenarchitektur orientiert und mit einem einfachen Satteldach, selten mit einem Glockenturm, gedeckt. Sie sind allesamt ärmliche Bauten. Allerlei Geschäfte reihen sich in einer schier endlosen Kette aneinander mit auffällig vielen Tischlern, die sich auf monströse, wuchtig geschnitzte Ehebetten spezialisiert haben, in denen sicherlich nicht nur eine Ehefrau platz nehmen kann.

Serrakunda: Für uns vollkommen unübersichtlich, ohne ein Zentrum oder zentralen Platz, an dem sich Müßiggänger und Touristen gleichermaßen im Café oder Bar treffen würden. Apropos Müßiggang, hier in Gambia scheint es so, als ob nur Frauen arbeiten würden, wohingegen Männer und Hunde überall herumlungern, die einen aus Gewohnheit, die anderen aus Armut und Krankheit. Beide halten sie Ausschau nach der Frau Fortuna, die den einen bloß Essen und ein Dach über der Schnauze, den anderen aber Geld oder eine weiße Frau (was synonymisch verwendet wird) beschere.

Unsere erste Station an diesem Tag ist der deutsche Tierarzt, Dr. Michael Meyer, von dem wir nur Gutes gehört haben. Von den Kapverden sind wir Katastrophales von Veterinären gewöhnt, die nicht einmal Spritzen in der ‘Praxis’ hatten, und ihre Behandlungs- bzw. OP-Tische mit gebrauchten Zeitungspapier auslegten. Eigentlich wurden dort nur Hoden abgeschnitten. Medikamente gab es auch keine. Aber hier erwartet uns ein kleines tiermedizinisches Paradies! Das selbstverständlich seinen deutschen Preis hat.

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Man biegt von dem Highway nicht einmal richtig ab, öffnet eine Pforte und befindet sich in einem ruhigen, sauberen Refugium. In vier Käfigen (auch diese sauber) sitzen afrikanische Hunde und warten… Kastration? Typisch für die Hunde aus Gambia: sie sind überaus ruhig und – ich möchte fast sagen: gelassen. Im übrigen sehen sie alle gleich aus.

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Nico begreift sofort, um was oder wen es sich hierbei gleich handeln wird, und möchte so schnell wie möglich wieder weg. Dabei geht es dieses Mal nur um ein Formular, dass der Doktor nach Begutachtung des Hundes ausfüllen soll, damit die brasilianischen Behörden Nico ohne Quarantäne hereinlassen.

 

Wir staunen, als wir die Praxis von innen sehen. So gut ausgestattet und nett hergerichtet findet man Tierarztpraxen auch selten in Deutschland. Das Formular wurde ohne Probleme ausgefüllt, auch wenn Herr Doktor nicht sicher war, ob die Rasse “Peruvian Inca Dog” an sich ‘gesund’ zu betrachten sei. Das ist ein uns leider durchaus bekanntes, allerdings nur deutsches Vorurteil, denn selten weiß in Deutschland jemand, dass es sich bei den Perros Peruanos um eine der ältesten Rassen der Welt handelt, die in Peru unter Denkmalschutz stehen und im übrigen seit Jahrhunderten auf der Straße überlebt hat. So krank und genetisch verhunzt kann die Hunderasse also gar nicht sein. Aber ja, empfindliche Seelchen sind diese Hunde schon, das macht sie aber um so liebenswerter.

Die Brasilianer trauen einem ‘normalen’ Tierarzt offenbar nicht viel zu und verlangen darüber hinaus eine Amtstierarztbescheinigung. Also werden wir zum Viehmarkt geschickt, der gleichfalls an der Highway liegt. Dort stören wir eine , natürlich buntbekleidete, Dame beim täglichen Gebet inmitten einer Veterinärspraxis, die uns nun doch stark an die kapverdischen Verhältnisse erinnert. Die Dame kassiert 500 Dalasi von uns, während sie noch die letzten Gebetsstrophen vor sich her spricht, und führt uns zu dem Veterinär, der in einem vollkommen unterkühlten (sehr angenehm) und fensterlosen Raum sitzt. Neonlicht beleuchtet die fleckigen Wände. Der Herr möchte den Hund gar nicht sehen, dafür interessiert er sich für das brasilianische Einreiseformular. Marcel bietet an, zu übersetzen, doch der Herr überrascht uns mit der Aussage, er spräche spanisch.

Wir bekommen den Stempel, atmen auf, doch leider ist er ganz schnöde und macht nicht viel her. Wir hoffen, dass die Brasilianer keine Probleme machen werden, wenn sie diese Ergänzung of Ministy of Agriculture sehen.

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Danach geht es für uns weiter: auf der Suche nach einer Wasserabfüllfabrik, nach einem größeren Supermarkt, nach Gemüsemarkt… Bei diesen Temperaturen, bei dem Handel an jedem Stand, weil die Weißen immer für ihre Hautfarbe mitbezahlen, bei der Langsamkeit jeder Aktion in den Geschäften usw. usw. sind wir irgendwann so ermattet und gargekocht, dass wir tatsächlich nur die Hälfte der Dinge erledigen und flüchten, nur weg, nur schnell aufs Boot, uns ist alles egal.

Ich entdecke, dass aus dem Bushtaxi (Bus) oder Taxi gedrehte Handyfilmchen die einzige Möglichkeit darstellen, ungeniert (und ohne Konfrontation) Menschen aufzunehmen. Anders als bei uns, sind die Menschen hier nicht oder selten gewillt, sich aufnehmen zu lassen. Auf jeden Fall ist davon abzuraten, einfach ungefragt zu fotografieren. Außer – und es lohnt sich auf jeden Fall – einen „Guide“ dabei zu haben. Er ist meistens niemand anders als einer dieser hockenden jungen Männer, die das große Geld in der touristischen Ausbeute der Weißen sehen. Meine Empfehlung: In den Städten nicht den erstbesten nehmen, am besten empfehlen lassen. In den Dörfern bietet es sich an, nach dem Dorfältesten/Vorstand zu fragen. Ihn (manchmal auch eine „sie“) am besten mit einem kleinen Geschenk für seine Familie und/oder für die Schule besuchen, und ihn nach einem Führer/-in fragen.

 

 

II. Geschichte! Alte Geschichte!

Denkt man an Geschichtliches in Gambia, so fällt den meisten – auch uns – vor allem die Kolonialzeit, die Sklavenzeit, vielleicht auch noch die Islamisierung ein. Doch Gambia hat wesentlich ältere, ihre eigene, nicht von fremden Usurpatoren aufgedrückte Geschichte.

Selbstverständlich, könnte man mit Recht einwenden, hat Gambia ein alte Geschichte, ihre Stammesgeschichte. Doch diese hat bedauerlicherweise vor allem auf Tradierung und mündliche Überlieferung gesetzt, und verloren. Ihre Artefakte: zerstört, verkauft, zerstreut bei Sammlern und Galeristen, hingegen hat die mündliche Überlieferung alter Sitten, Rieten  und Geschichten durch die Islamisierung, vor allem die moderne Entwicklung, nicht überlebt.

Die Relikte, von denen ich spreche, sind jedoch steingewordene prähistorische Geschichte. Sie sind nicht nur für den Kontinent Afrika, sondern aufgrund ihrer Häufung und Ausdehnung auch weltweit einmalig, obwohl sie nicht so bekannt sind wie Stonehenge in UK – ganz zu unrecht. Da sie sowohl in Gambia als auch im benachbarten Senegal vorkommen, nennt man sie senegambische Megalithen, Steinkreise, Monolithen, Feldzeichnungen. Am bekanntesten sind die Steinkreise von Wassu, einem Ort an der Grenze zu Senegal; freigelegt, zurechtgemacht und beworben steht er auf einigen Sightseeingtouren der Touristenausflugsbusse. Er steht, wie einige andere dieser Art auch, unter UNESCO Denkmalschutz. Doch Gambia hat weit mehr als diesen einen touristisch gepflegten Bezirk zu bieten, mindestens 40 weitere Orte sind bekannt.  Wahrscheinlich sogar mehr. Allerdings schützt die UNESCO ihre Einmaligkeiten und Weltschätze nicht – vielleicht sind sie zu viele, vielleicht ist die Idee, sie bloß hervorzuheben, das heißt bloß auf eine Liste zu setzen, immer noch als ausreichend angesehen. Zu Unrecht, wie ich meine, denn die meisten Länder mit den interessanten Weltkulturerbe haben dafür weder Sinn noch Geld!

Dieser wunderbare Plan, den wir in Janjanbureh (Georgetown) entdeckt haben, bezeichnet den Ort ungenügend, aber immerhin sind sie als “Lamin-Koto-Stones” eingezeichnet. Auch andere Steinkreise waren dem Maler der Karte bekannt.

Wir machten uns auf dem Weg, um einen solchen vergessenen Steinkreis ausfindig zu machen, und erleben dabei eine Überraschung. Marcel hat schon ein wenig darüber berichtet.

Unserer Weg führt über die weitläufige Anlage der Lamin Koto-Lodge, die schon bald in stoppeliges ausgedörrtes Grasland übergeht. Wir erreichen die Hauptstraße – eine der wichtigsten Handelsstraßen nach Senegal – und fragen uns bei Militär durch. Ich bin überrascht, dass jeder der im Grunde einfachen Soldaten (oder Miliz) über den Steinkreis, den wir suchen, bescheid weiß. Und jeder zeigte unbestimmt auf ein weit vor uns liegendes gleichermaßen ausgedörrtes Feld. Dass wir die Anlage am Ende finden, ist nur der Fortuna zu verdanken.

[Viele der Fotos habe ich mit meiner schlechten Handycam gemacht. Das zum Einen, weil ich meine große Lumix-Kamera  bei all der Armut nicht vorzeigen wollte, zum Anderen, weil nur mit einer ‘versteckten’ Kamera manches, vor allem Menschen, zu fotografieren sind.]

Es ist schwer sich vorzustellen, wie es hier ehemals mit mehr Niederschlägen und mit Wäldern belebt aussah. Jetzt ist hier Weideland, besser gesagt, war hier Weide, jetzt ist es eine braun-rot-goldene Landschaft mit vereinzelt grünen Überlebenskünstlern, Büschen und Bäumchen, die es schaffen, ihre Blätter grün zu behalten. Man darf nicht vergessen, wir sind hier im Winter, trockene Jahreshälfte.

 

 

Senegambische Steinkreise

Sie gehören für mich zu den faszinierendsten Artefakten in der Natur! Meine Fotos können es kaum vermitteln, aber diese vermeintlich unscheinbaren porösen, braun-roten Steinblöcke, aufgestellt in einer ausgedörrten Landschaft, umgefallen, abgenutzt, von der Natur eingenommen, erzeugen eine Stimmung, die ich als eindringlich und still zugleich empfinde. “Hier ist etwas”, möchte ich ausrufen.

 

 

Ich erkunde die unmittelbare Umgebung des Hains und finde noch mehr verstreute Megalithe. Hat man sie bei der Umgestaltung der Felder – Rodung, Brandlegung, Planierung – verstreut bzw. zerstört? War die Anlage wesentlich größer? Wie viele sind zum Bau von Hütten oder der Straße mißbraucht worden? Keiner, weder Privatpersonen noch eine Institution, kümmert sich um diese kulturell nicht nur für Gambier und Senegalesen einmaligen Artefakte. Bald wird es sie nicht mehr geben.

Falsch, wenn man meint, Gambier hätten andere, wichtigere Probleme zuerst zu lösen. Falsch, denn einen Menschen macht nicht das Fressen und die Moral (frei nach Berthold Brecht, der darin ganz entschieden Unrecht hatte), sondern seine Fähigkeit und sein Bedürfnis Artefakte herzustellen, die wir jetzt “Kunstobjekte” nennen. Die prähistorischen Menschen malten noch bevor sie vor Dinosauriern sicher waren oder fett geworden sind. Dieses urmenschliche Bedürfnis nach Ästhetik – wohl noch nicht Zweck an sich, sondern für die Beschwörung der Welt gedacht – ist es, was uns Menschen ausmachte (und seltsamerweise verloren geht), noch lange bevor sie rundum gesättigt und gesichert waren.

 

 

Wann die Megalithkreise entstanden sind, ist man sich in der Fachwelt nicht einigt, zumal wissenschaftliche Untersuchungen am Stein schwierig bis unmöglich sind. Zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 16. Jh. n. Chr. schätzt man. Das zeugt von einer sehr langen Kontinuität und früher Entwicklung dieser Kultur. Unter den Wissenschaftlern kursieren verschiedene Ansätze zur Klärung ihrer Entstehung. Man zweifelt nicht daran, dass sie mit Begräbnisriten zu tun haben, doch ist das wahrscheinlich nicht ihr einziger Sinn und Zweck gewesen. Archäologische Ausgrabungen, die leider zu selten finanziert werden (und andere, die eher “Plünderungen” gleichen), legten in der Nähe der Steinkreise Gräber frei, die mit Grabbeigaben bestückt waren. Eine Theorie geht davon aus, dass man innerhalb oder in der unmittelbaren Nähe der Steinkreise Körperteile und zwar zu unterschiedlichen Zeiten (Kontinuität der Riten?) beilegte.

Die Gestaltung der Steinkreise variiert je nach Fundort, im Wesentlichen haben sie jedoch einen schematisierten Grundaufbau: Jeder Kreis besteht aus einer Anzahl von ca. 10 bis 24 Megalithen, die unterschiedlich groß ausfallen können. Ihre Höhe liegt im heutigen Zustand zwischen 1 und 2,5 Metern. Es handelt sich dabei um sogenannte Laterit-Steine. Offenbar gab es nicht nur säulenartige Formen, was ein spektakulärer Fund eines V-Steins in Gambia belegt.

Eine informative, stark bebildete und mit einem Video bestückte Seite zu dem Phänomen der Steinkreise in Wassu kann man hier besuchen (nur auf Englisch).

Im Übrigen spricht man von der „Megalithkultur“ nicht zuletzt deswegen, weil die Megalithkreise an ganz verschiedenen Stellen, beinahe in ganz Europa gleichfalls auftreten!

 

 

III. Die Selbstverständlichkeit der Kunst

Die Gambier – eines der 20 ärmsten Völker der Erde – haben einen staunenswerten Drang zur künstlerischer Gestaltung. Das drückt sich sowohl in den allgegenwärtigen Wandbildern, die mal als “Reklameschilder” und “Informationstafeln” genauso künstlerisch ausfallen wie großflächige Landschaftsdarstellungen, als auch in der Gestaltung ihrer Bekleidung, in der Komposition der Stoffe und ihrer Zusammenstellung, was insbesondere bei den Kleidern der Frauen zum Ausdruck kommt. Ehemals hat man offenbar auch die strohgedeckten Hütten und die einfachen Gebrauchsgegenständen ästhetisch sparsam, jedoch darin wirkungsvoll gestaltet. Nun setzt man auch hier vermehrt auf Beton und Plastik – beides läßt sich nicht in der gleichen Weise ästhetisieren, noch verfügen diese Elemente über einen, dem Werkstoff eigenen ästhetischen Alterungsprozess.

 

Farben explodieren in Gambias Stoffen.

 

 

IV. Wir und die anderen – oder: Immer wieder Kinder

Marcel entwickelt eine regelrechte… nun sagen wir mal “Angst”, an Land zu gehen. Der Grund sind die Horden von Kindern, die schreiend, anfassend, zudringlich auf uns einströmen. Nico, der Kinder nicht verträgt, wird nervös – wir natürlich auch. Doch Nico macht es besser als Marcel und bleibt gelassener. Ich wundere mich über mich selbst, denn ich bleibe recht unberührt von dem Geschrei und den vielen Händen. Doch stört mich es auch, dass man nirgends alleine ist, um sich etwas in Ruhe angucken zu können – geschweige denn vor sich hin träumt! Aber das zudringliche “Give me, give me…” kann ich auch sagen, das verunsichert dann doch das eine oder andere Kind.

Sie benehmen sich sofort anders, sobald sie von einem Einheimischen zurechtgewiesen werden. Es kommt manchmal in den von uns besuchten Dörfern vor, dass uns jemand errettet. Wir wissen, dass die Älteren und Alten diese Art der Zudringlichkeit und Bettelei nicht gut heißen, und für entwürdigend halten – zu recht. Doch sind viele Eltern machtlos, manche befürworten es sogar, da sie gesehen haben, wie ihre Kinder bei den mit schlechtem Gewissen geplagten Weißen Erfolg haben und Beute einheimsen. Dörfer, die nicht oder selten von weißen Touristen angefahren werden, funktionieren nicht nur diesbezüglich besser. Ganz offensichtlich wird bei wohlhabenden Schwarzen nicht gebettelt.

In anderen Ortschaften übernehmen richtige Kinderbanden einige Geschäfte. In Kau-ur liegt beispielsweise das “Transportwesen” fest in Kinderhand. Man kauft etwas in den vielen „Garagen-Geschäften“ und läßt es sich mit einem Eselskarren an den Fluß bringen. Dabei kann man nicht einfach – wie ein Taxi – irgendeinen Jungen mit Esel nehmen. Nein! Es gibt immer einen Supervisor, der sich um die Kundschaft kümmert, und dem andere Jungs mit Karren unterstehen. Dieser ’schnappt‘ sich einen just einkaufenden Weißen und bietet ihm seine Jungs an.

Unsere große Freude und Überraschung: Dieses muslimische Land ist hundefreundlich! Auch wenn man sich hier um Hunde nicht kümmert – sie müssen sich das Essen selbst besorgen – und die armen Tiere häufig (auch wegen der Parasiten) sehr schlecht aussehen, so sind sie frei, werden nicht geschlagen oder gequält und durchaus auch lieb gehabt. Das hört sich für uns Europäer und Christen (Achtung: Christsein hat nichts mit Religion und wenig mit einem Glaubensbekenntnis zu tun!) vielleicht seltsam an, aber laut islamischem Religionsgesetz gilt der Hund als unreines Wesen, das man unbedingt zu meiden hat. Ganz fürchterliche Erfahrungen haben wir diesbezüglich in der Türkei gemacht. Ganz anders hier in Gambia! Nico hat regelrechte Fans, die den Hund belagern (und immer anfassen wollen). Wir dürfen sogar mit ihm in die Restaurants. Ich hoffe, das ändert sich nicht mit der zunehmenden Verschärfung jener Islamisierung nach „westlichen“ Muster.

Es ist sehr schwer, schwarze Gesichter zu fotografieren. Ohne entsprechende Einstellungen oder Nachbearbeitung fehlt ihnen häufig die notwendige Binnenstruktur und damit der Ausdruck. Schnappschüsse sind bei den normalen afrikanischen Lichtverhältnissen somit kaum zufriedenstellend. Diese Beobachtung ist im Übrigen schon früh gemacht und ausführlich thematisiert worden, nämlich im Kontext von Aufnahmetechniken im Film, da es nämlich große Schwierigkeiten bei den gleichzeitigen Aufnahmen von Weißen und Schwarzen in einem Kader (Filmbild) bereitete.

 

 

IV. Landschaften, Bäume, Dörfer

Gambia, der lange ruhige Fluß. Ich kann es nicht oft genug wiederholen… der Satz ist so etwas wie ein Mantra. Auf die Mangrovenwälder folgt eine zum Teil dichte Palmen-Misch-Vegetation. Wir kommen ins Süßwassergebiet. Der Fluß wird enger, oder die Inseln größer. Reisanbaugebiete verändern nicht nur sichtbar die Landschaft, sondern stören das anfällige Ökosystem. Tsetsefliegen lieben die Reisfelder, Mücken auch. Krankheitsherde steigen. Ganze Kulturlandschaften verschwinden. Aber billigen Reis für explodierende Erdbewohnerzahlen gibt es nun. In solchen Ländern wird es uns deutlich gemacht, was in Europa der allgemeine Wohlstand überdeckt und die Tabuisierung des Themas nicht möglich macht zu sagen, dass wir nicht mehr so weiter machen können und uns ungehemmt weiter vermehren. Es ist an der Zeit, dass auch die europäisch-westliche Frau begreifen muss, dass Kinderkriegen für sie nicht mehr ein „sin qua non“ ist. Es gibt so viele spannende Lebensziele, mit denen frau ein wünschenswertes, erfülltes und glückliches Leben führen kann. In Europa und der sogenannten Westlichen Welt ist jedes Kind ein sur plus und ein „Lebensentwurf“, keinesfalls eine Notwendigkeit und keine „biologisch tickende Uhr“. Ein kleiner Exkurs, doch solche Gedanken drängen sich mir auf, sehe ich die vielen Kinder einerseits, die Armut andererseits und die Zerstörung der Umwelt durch Agrarprojekte, die genzwungenerweise auf Masse und Wertminderung (billig) setzten müssen.

Ich werde gestochen, bekomme Panikattacken, weiß ich doch um die gefährliche Krankheit, die den harmlosen Namen “Schlafkrankheit” trägt und kaum zu behandeln ist. Schlafen tut man dabei nicht, nur qualvoll sterben. Tropenärzte sprechen von der “vergessenen Krankheit”. Die Möglichkeit, sie zu bekommen, verleidet mir so einige Ausflüge auf unserer Süßwasserpassage. Vor der Tsetse-Fliege, die sehr gezielt freie Körperstellen anfliegt und einen sehr kräftigen Stechrüssel hat, kannst du dich nur durch dicke Bekleidung schützen – bei über 30 Grad. Und die Krankheit kann noch nach Jahren (!) ausbrechen… Doch man redet lieber nicht darüber, und forscht auch nicht mehr. Warum? Weil die Weißen, seitdem sie sich als Kolonisatoren aus Afrika zurückgezogen haben, davon kaum mehr betroffen werden: die Tsetsefliegen gibt es zwar nicht nur in Afrika, aber in Afrika am meisten. Mit der dort neu angebauten Reisfeldern bekommen die Tsetsefliegen gleicherweise einen nie dagewesenen Aufschwung, denn sie brauchen Süßwasser. Im Übrigen sterben auch Rinder an dieser Krankheit, was wiederum ein Ernährungsproblem produziert und die Armut vergrößert.

 

 

Auf so einer Flußfahrt passiert nicht viel. Mal kommt ein Hippopotamus und brüllt, mal liegt ein Krokodil am Ufer, mal fliegen schöne oder seltene Vögel vorbei, mal ein Ausflugsboot mit sehr weißen, oberkörperentblößten und nicht selten pummeligen Engländern (oder Holländern oder Schweden, die wohl eher nicht „pummelig“) oder sehr schwarzen Fischern vorbei, mal blättert man in dem Flußführer damit keine Untiefe angelaufen wird. Mal ist es einfach nur heiß, und dann – überraschend – passieren uns (Fluß-) Delphine. So ist es, auf dem Gambia River – alles hat seine Zeit, und die Zeit ist ein langer ruhiger Fluß.

 

 

Galeriewälder: Plötzlich werden die Ufern hoch, die Landschaft verändert sich noch einmal, wir sehen Hügel und Hochplateaus. Leider sind die namensgebenden Wälder verschwunden, abgefackelt, gerodet. Was bleibt sind immerhin beeindruckende Hochplateaus ohne Baumbestand. Wir sehen und riechen Buschbrände überall. Ich bezweifle, dass sie jemand tatsächlich kontrollieren kann, doch sind sie allesamt offenbar gewollt und bewußt gelegt.  An einigen Tagen scheinen zig Brände gleichzeitig angezündet zu werden, so etwas wie die “schwäbische Kehrwoche” im Busch?

 

 

Und dann gibt es die Dörfer. Mal nur wenige Hütten, mal verfallen, mal Durchgangsorte. Manche laufen wir an, andere nicht, weil Marcel zu viele Kinder am Ufer sieht.

 

Verlassene Dörfer. Alte Architektur inmitten mystischer Bäume. Ich bekomme nicht genug davon, sie anzustarren. Sie und der Duft der Erde, des verbrannten Holzes, das Würzige der Landschaft – das alles sind die stärksten Assoziationen, die ich an Gambia behalte. Das kann ich nicht fotografieren.

 

Nach der Hitze des Tages kommt der sanfte Abend, das diffuse Licht und die Nacht. Wir hören die Hippos brüllen und die Affen am Ufer kreischen. Der Fluß schläft.