Der Wunderbaum Garoé oder Wasserwirtschaft auf El Hierro

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Seit vier Uhr in der Früh regnet es nur mit kleinen Unterbrechungen in Strömen. Die Dämmerung zögert, es will nicht richtig Tag werden. Der Wind peitscht das Wasser über den Ozean, durch den Hafen, über die verwaiste Uferstraße und über die sonst so trockenen und unter der Sonne heißen Lavahänge. Schwere Tropfen prasseln aus dem Rigg aufs Deck. Seit Wochen hat es nicht so geregnet wie heute. El Hierro ist keine wasserreiche Insel, wie Teneriffa, La Palma oder Gomera. Es gibt kaum Barrancos, das Grundwasser liegt tief und nur wenige Quellen treten zutage. Wasser war und ist (das vergessen viele) ein kostbares Gut auf El Hierro.

Das Geheimnis um das Wasser wurde über Jahrhunderte von den Bimbaches, den Ureinwohnern El Hierros, sorgsam gehütet, dass auf Verrat die Todesstrafe stand. Heute trägt man es stolz im Wappen der Insel: Der Garoé, der Heilige Baum der Urbevölkerung, der Wunderbaum, der den Nebel der Passatwinde zu „melken“ vermag und um seinen Stamm einen eigenen Tümpel bildet, steht zwischen den Insignien der Eroberer, zwischen Turm und Löwen – Castillo y León.

Wenn man das Geheimnis des Baumes kennt, findet man überall auf der Insel Hinweise auf die Wassergewinnung durch „horizontalen Regen“. Auf der Hochebene sind unter den Bäumen Auffangwannen aus Beton angelegt, die das an den Blättern kondensierte Wasser des Passatnebels sammeln und kanalisieren. Oft sind es einzelne, große Bäume, die auch im Sommer ohne Regen grün bleiben. Und manchmal wird das Wasser aus den Wannen in große Sammelbecken geleitet, die mehrere Tausend Liter fassen.


(Auffangwanne für kondensierten Nebel unter einem Baum bei El Pinar.)

Auf dem Weg zum Heiligen Baum finden wir eine Viehtränke am Rande der Schotterpiste, die durch den kondensierten Nebel der Bäume gespeist wird. (Längst sind auf El Hierro nicht alle Straßen, die zu den wenigen touristischen Attraktionen führen geteert, wie auch die Piste zum Leuchtturm La Orchilla, die wir uns nicht getraut haben, bis zum Ende hinunterzufahren.) Weiter oben auf einem Hügel stehen die modernen Versionen des Wunderbaums: Konstruktionen aus Edelstahlgestellen, die mit durchlässigen Gewebeplanen bespannt sind. Hier wird das Wasser in ein großes Sammelbecken unterhalb des Hügels geleitet. Die Gegend hier wurde noch bis vor wenigen Jahrzehnten fruchtbar bewirtschaftet. Man findet klägliche Reste von Gemüsegärten rings um den ehemaligen Hauptort der Insel, La Albarrada. 

  
(Eine moderne Version der Nebelfänger.)

  

Am Ende der Piste gelangen wir zum Parkplatz des Besucherzentrums des Arbol Garoé, und wie in alten Zeiten gibt es ein geschmiedetes Tor mit einem „Wächterhäuschen“. Der Zutritt, sowie die Zuteilung des wertvollen Nass war und ist reglementiert und mit einem Obolus verbunden. Wie bereits erwähnt, stand die Todesstrafe auf den Verrat des Ortes.

Eine der vielen Legenden besagt, dass eine der letzten Bimbachen-Frauen, die mit einem „Edelmann“ der Kastilier verheirate war, sich durch langes Betteln und Bedrängen dazu hinreißen ließ, ihm den Ort und den wundertätigen Baum zu zeigen. Doch der Spanier beging Wortbruch (wie so häufig in der Geschichte der spanischen Eroberung der Kanaren) und bald strömten die Invasoren in Scharen an den Heiligen Ort, um das Wunder zu sehen und sich am erfrischenden Nass zu laben. Eine alte Weissagung jedoch besagte, dass der Baum in dem Moment seine Kraft verliert, in dem ein Fremder seinen Blick darauf wirft.

Die Bimbachen-Frau wurden durch den Oberen der Gemeinschaft mit einem Fluch belegt und sie stürzte in einen nahegelegenen Barranco. Während sie fiel nahm ein böser Wind ihre Seele auf und entwickelte sich zu einem Tornado, der Bäume wie Strohhalme knickte und den Garoé entwurzelte. Über das verheerende Ende des ursprünglichen Baumes variieren die Jahreszahlen in den Berichten der Chronisten zwischen 1610, 1612, 1619, 1625 und 1689.

Heute dürfen Fremde den Baum sehen, ohne mit einem Fluch belegt zu werden (zumindest ist uns nichts derartiges bekannt). Ein schmaler Weg führt vom „Wächterhäuschen“ am Rande des Hanges zu einer Art Kessel am Ausgang eines schmalen Barrancos, in dem der heutige Baum wie in einer durch die Natur nur für ihn geschaffenen Mulde steht. An den seitlichen Hängen und unterhalb des Kessels sind die Auffangbecken, Albercas, in den Fels gehauen, in denen das Wasser gesammelt wird. Schon in den Jahren 1402 und 1406 priesen die Geistlichen Bontier und Le Verrier, die den frühen Eroberer des Archipels Béthencourt begleiteten, es als „das beste Trinkwasser, das man finden kann“. In späteren Berichten, unter anderem auch von Torriani (1590), wird häufig fälschlicherweise von Til, oder tiglia, gesprochen, was Linde bedeutet: Eine Baumart, „die Berge liebt und hart und knotig und duftend ist, deren Laub geädert und dem des Lorbeers ähnlich und deren Frucht halb Birne, halb Eichel ist; sie hat verschlungene Zweige, entlaubt sich nie und wächst zu großer Höhe.“

Tatsächlich handelt es sich um ein Lorbeergewächs, nämlich um den Stinkenden Lorbeer, dessen frisch geschlagenes Holz einen unangenehmen Geruch verströmt. Der Franzose Bory de St. Vincent nennt ihn „Lauras Poeteus“ – den „Poetischen Lorbeer“.


(Der aktuell amtierende Arbol Garoé von 1949. Stinkender Lorbeer (Ocotea foetens) ist eine Art aus der Familie der Lorbeergewächse(Lauraceae).)

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(Geschmiedetes Tor am „Wächterhäuschen“ mit dem stilisierten Laub des Garoé. Zur Zeit der Bimbaches höchstwahrscheinlich nicht aus Eisen. Das Metall kannten die Ureinwohner nicht, da die Insel(n) über keine Metallvorkommen verfügen.)

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P1080103(Eine magische Landschaft.)

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(Gleich am Eingang wird man in holpriger Übersetzung über die erloschene Wunderkraft des Garoé informiert. Geldspenden an den Baum bitte nur in Form des Eintrittspreises.)

garoebry (Nach einem Stich von Dietrich von Bry aus dem Werk „Von der neuen Welt“, Frankfurt 1594.)

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(Keine Wunder mehr zu erwarten, aber noch immer liefert der Baum Wasser.)

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