Wassereinbruch und Ruder ab. Neue Geschichten aus Mindelo

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Blick aus unserem Schlafzimmer zur Mole.

Am Morgen drehe ich mich in unserer Koje noch einmal auf die Seite und schaue im Dämmerlicht aus dem Fenster (im Englischen heißt Bullauge porthole – wörtlich übersetzt Hafenloch; und hole umgangssprachlich auch Drecksloch. Und das passt auch ganz gut, wenn man sich den Dreck anschaut, der sich auf Deck, auf den Geräten, auf den Wanten, sogar auf senkrecht verlaufenden Seilen und den sich permanent bewegenden Rotorblättern des Windgenerators absetzt.).

Bis gestern lag neben uns an der Mole ein Stückgutfrachter, der tagelang Säcke verladen hat. Und zwar wie folgt: Vor dem Tor zum Porto Grande findet man an sechs Tagen in der Woche ein Schar Tagelöhner, die sich um Arbeit bewerben. Liegt nun solch ein Frachter an der Mole werden ungefähr zwanzig dieser Gestalten angeheuert mit anzupacken, wie man bei uns im Pott sagen würde. Die Säcke werden per Sattelzug angeliefert. Schön säuberlich gestapelt. Es fahren jeweils zwei Sattelzüge an der Mole vor und man würde vermuten, dass ein Kran, die gesamte Ladung in den Bauch des Schiffes hebt. Doch nein. Wir sind in Afrika. Die Männer teilen sich auf: Zwei befördern die Säcke einzeln vom Anhänger auf die Mole. Dort stehen zwei, die die Säcke wieder zu Bündeln zusammengurten. Dann hebt ein Kran dieses Bündel in das Schiff, wo auch noch mal zwei bis vier Arbeiter darauf achten, dass alles gut verteilt wird. Die unten im Schiff haben Glück, denn sie verheben sich nicht das Kreuz, denn wenn die zwei Sattelzüge abgeladen sind, warten ja schon die nächsten zwei. Nach ein paar Tagen wird das Gewusel von Leuten wieder vor das Tor geschickt und das Schiff liegt nun so tief im Wasser, dass die Beschriftung zur Markierung des Tiefgangs (wie heißt das noch mal?) nicht mehr zu sehen ist. Freibord mittschiffs circa zwei Handbreit. Das muss reichen.


Wendemanöver knapp achteraus. Unser Dingi blieb ganz.

Aber das wollte ich ja eigentlich gar nicht erzählen. Ich drehe mich also in meine Koje um und dort wo noch bis gestern der Stückgutfrachter lag, liegt heute morgen eine deutsche Segelyacht. Die Geschichte begann aber schon gestern in der Früh, als Milan, der Stützpunktleiter des Trans-Ocean, der sich hier mit unglaublichen Engagement für uns Segler einsetzt, einen Notruf eben jener Segelyacht bekommt: Wassereinbruch. Position circa 40 Seemeilen nördlich São Antao. Und einige Stunden später: Die Yacht hat das Ruder in den Tiefen des Atlantiks gelassen und ist manövrierunfähig. Zwei Knoten Drift in südwestlicher Richtung. Die Seenotrettungsstelle in Cuxhafen ist informiert. Ein schwedisches Segelschulschiff ist in der Nähe, kann aber bei vier bis fünf Meter Dünung die Yacht nicht in Schlepp nehmen. Und jetzt wieder Alltag in Afrika: Das Boot der Küstenwache ist einsatzbereit, hat Crew und Kapitän, aber kein Geld für Diesel. Milan telefoniert mit der Yacht, mit der Versicherung und organisiert, dass ein Tankwagen kommt und der Küstenwache auf Pump, mit Handschlag besiegelt, den nötigen Diesel zum Schiff liefert. Unglaublich, aber so läuft das hier.

 

Unser Nautischer Führer zu den Kapverdischen Inseln schreibt über den Porto Grande von Mindelo, dass man vorsichtig manövrieren sollte, vor allem nachts, denn es liegen diverse alte Frachtschiffe, rostige Trawler, schrottreife Fischerboote und ehemalige (hoffentlich) Fähren (bereits ausgemustert aus aller Herren (meist nördlicher) Länder) in dem großen Halbrund des ehemaligen Kraters auf Reede. Wenn man Glück hat sind sie nachts beleuchtet und vorsichtig sollte man sein, so Don Street Jun., da jedes dieser Schiffe zu jeder Zeit sinken könne. All sorts of derelict freighters are anchored in the main anchorage off Mindelo. Any of them could sink at any moment and become another dangerous unmarked wreck to join a good number already there and poorly marked. Und das ist auf keinen Fall übertrieben.

Auf einem gut 50 oder 60 Meter langen Longliner (Hochseefischerei mit kilometerlangen Schleppleinen), der einige hundert Meter weiter draußen im Ankerfeld vor Anker liegt, wurde gestern noch fleißig gearbeitet. Heute Morgen treffe ich Milan und Olaf in der Bar des Fishing Clubs. Sie machen mich auf das Schiff aufmerksam, welches schon gut zwanzig Grad Schlagseite hat. Vermutlich hat man beim Hämmern am Rumpf etwas zu viel Rost abgeklopft, denn man kann im Laufe des Vormittags dabei zuschauen, wie das Ding sich auf die Seite legt und dann bis auf einige Meter ganz im Krater versinkt. Wir sind in Afrika – Vermutlich bleibt das Wrack neben den zahlreichen anderen einfach hier im Porto Grande liegen.