Der Morgen ist noch frisch und die Luft diesig als ich an der Praia de Urca anlande. Es ist vor sieben Uhr, der Strand fast menschenleer. Die Reinigungskräfte der Stadt kehren sowohl die Straßen, als auch die Strände mehrfach am Tag, doch um das Wasser in der Bucht kümmert sich niemand. Ich stapfe durch schwimmenden Unrat, dutzende Plastiktüten, Wasserflaschen, Joghurtbecher, angespülte Flip-Flops und ziehe das Dingi den Strand hinauf. Die Brandungslinie sieht aus wie eine Müllkippe, doch es wird ja alles schön beiseite gefegt – aus den Augen, aus dem Sinn. Die olympischen Teams haben eine öffentliche Stimme und es ist richtig, dass sie mit dem Boykott der Wettkämpfe drohen, falls sich die Wasserqualität in der Bucht nicht ändert. Uns wundert es, dass sich die eigene Bevölkerung nicht für ihre Bucht einsetzt.
In der zweiten Seitenstraße hinter dem Strand habe ich ein Yoga Studio gefunden, in dem ich trainieren kann. Es wird sogar traditioneller Ashtanga-Yoga unterrichtet. Am Morgen übe ich meine eigne Sequenz und alle zwei Tage am Abend die klassische Erste Serie des Ashtanga Yogas. Nach einem Jahr ohne Studio geht es erstaunlich gut. Ich merke, dass selbst ein minimales Programm am Tag den Körper fit hält. Selbst Bewegungsabfolgen auf den Armen balancierend klappen. An meine Yogis zu Hause, versucht das mal: Hochdrücken in Eka-Hasta-Bhujāsana (Nr. 124 bei Iyengar), Beine zur Seite in Ashtāvakrāsana (123), zurück in Eka-Hasta-Bhujāsana, und die Beine durch die Arme nach hinten in Eka-Pāda-Koundinyāsana II (160), Chaturanga-Dandāsana und Vinyasa.
Um acht Uhr bin ich fit für den Tag und für einen Ausflug auf den Pão de Açucar. Von unserem kleinen Strand muss ich um den Morro da Urca herum laufen um die Talstation der Seilbahn zu erreichen. Sie liegt im anderen Teil von Urca, Rios kleinstem und angeblich sicherstem Stadtteil. Einerseits wegen der Militärpräsenz (Das Militär hat sich traditionell schon immer die schönsten Fleckchen ausgesucht und durch seine Anwesenheit, bzw. seine Isolation dafür gesorgt, dass diese Fleckchen Erde lange Zeit dem Zugriff der finanzstarken Investoren entzogen blieben.) – andererseits wegen der isolierten Lage am Fuße des Zuckerhuts. Urca ist familiär, ein Dorf in der Stadt. Man grüßt uns, wenn wir morgens mit dem Hund spazieren gehen und nach einer Woche kennen wir die Gesichter auf den Straßen und Nachbarn auf dem Ankerfeld vor dem Strand.
Um diese Uhrzeit haben sich vor der Talstation der bondinho (der kleinen Seilbahn wie die cariocas, die Bewohner von Rio sagen) noch keine Schlangen gebildet. Die langen Absperrungen wie im Wartebereich vor den Sicherheitskontrollen in Flughäfen zeugen vom täglichen Massenansturm. Pro Jahr fahren gut eine Million Besucher hinauf. Die erste bonde wurde in den Jahren 1912/13 von der Kölner Firma Pohlig erbaut. Das Unternehmen war auf Bergwerks- und Hüttenanlagen spezialisiert. Unter anderem wurden Seilbahnen zum Transport von Kohle und Erz zu Häfen und Bahnhöfen gebaut. Leider lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren wie die Zusammenarbeit mit dem ‚Vater‘ der Seilbahn, dem Ingenieur Augusto Ferreira Ramos zustande kam, da fast alle Unterlagen im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv zu Köln sollen sich jedoch einige Fotos und eine Karte finden, in der der Verlauf einer Seilbahn in Rio de Janeiro eingezeichnet ist – von Copacabana über den Corcovado, auf dem die Christus-Figur steht, nach Tijuca. Verwirklicht wurden diese Pläne aber nie. Ebenfalls aus Köln stammten die Drahtseile, nämlich vom Drahtseilspezialisten Felten & Guilleaume. Die heutige Anlage befindet sich in der dritten Generation und wird von einer italienischen Firma betreut, die unter anderem die Seilbahn auf den höchsten Berg der Dolomiten gebaut hatte. Ein Schild in der Gondel verweist außerdem auf die Wartung durch ein Unternehmen aus – na woher wohl – natürlich aus der Schweiz.
Die bondihno um 1940. (Fotoquelle)
…und vom Gipfel zurück zur Sattelstation. Links unten die Praia Vermelha, rechts der Stadtteil Botafogo und links oben die Copacabana.
Von der Zwischenstation geht es weiter auf den fast vierhundert Meter hohen Gipfel des Pão de Açucar (wörtlich übersetzt Zuckerbrot). Von dort bietet sich eine fantastische Aussicht auf die Guanabara Bucht und auf Rio. Während meine Rückfahrt war ich alleine in der Gondel hinab zur Talstation und ich ich fühlte mich ein bisschen wie im James Bond Film Moonraker – Streng geheim von 1979 mit Roger Moore, der in der Kritik wahlweise als einer der besten (James Monaco) oder einer der schlechtesten Filme (Danny Peary) der James Bond Reihe bewertet wird. Wie dem auch sei – die Macher der James Bond Filme beweisen auf jeden Fall immer ein gutes Händchen für die Auswahl der Drehorte. Die Produktionsfirma hatte einen Teil der bondinho für zwei Wochen für die Dreharbeiten gemietet – heute vermutlich nicht mehr denkbar.
Der Hubschrauber kann für Rundflüge gebucht werden. Man fliegt aber auf der Höhe, auf der man sich eh schon befindet. Im Hintergrund der Corcovado.
Unten angekommen, ohne auf den Bond Kontrahenten Beißer (gespielt von Richard Kiel) zu treffen, mache ich mich auf den Rückweg auf die andere Seite des Felsens. Nico wartet auf seinen morgendlichen Strandgang. – Zum Thema Sicherheit: Wir haben bei unserem zweiwöchigen Aufenthalt hier in Rio unser Dingi immer unabgeschlossen an der Praia de Urca liegen gelassen, wenn wir auf Landgang waren und es ist nie etwas weggekommen. Überfallen wurden wir auch nicht.