James Island im Gambia – eine mystische Stimmung

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Ein breiter, ich möchte fast sagen, träger Fluss – doch der Gambia alles andere als träge. Kabbelige Wellen kommen uns entgegen, Wind gegen Strom als wir den Lamin Bolong verlassen. Nach diesem breiten, tiefen Fluß ist der Staat “The Gambia” benannt, der in seiner Ausdehnung der Flußlänge folgt und in seiner Breite nur wenig über die Flußlandschaft hinausreicht. Wie ein Wurm liegt dieser Staat im Gebiet von Senegal, das The Gambia umschließt.

Mit solchen Wellen und Wind haben wir nicht gerechnet, so sind all unser Gegenstände des täglichen Lebens innen wie außen ungesichert und werden in dem heftigen Auf und Ab des zunehmenden Wellengangs durcheinander geworfen, das am Heck angschnallte Dinghi – auch das nur unzureichend angegurtet – gerät in bedrohliche Bewegung. Seltsamerweise stellen wir später fest, dass die lose am Heckaufbau aufgereihten Muscheln (meine kleine Sammlung) die Reise fast unverrutscht überstanden haben. Als wir an unserem ersten Stopp im Hafen von Banjul vorbeikommen, erkennen wir den ehemals ruhigen Ankerplatz nicht wieder, so bewegt und ungemütlich gebärden sich Wasser und Wind jetzt.

Wir fahren mit fast durchgedrücktem Gasknüppel weiter, gegen den Strom des immer noch abfließenden Wassers, der bestimmt an die zwei Knoten gegen uns aufbringt. Erinnerungen an die Nordsee und das Ijsselmeer werden wach. Nach einer Stunde kentert die Tide, langsam ist der Strom mit uns, er beruhigt die Wellen, und auch der Wind läßt etwas nach. Für uns beginnt nun die lange Fahrt auf dem Gambia, die wir durch etliche Zwischenstopps abwechslungsreicher zu gestalten planen.

Das Segelschiff, so ganz seiner Segelmöglichkeiten beraubt, wirkt wie eine kupierte Möwe. Nur der Motor brummt und läßt uns immer wieder staunen, dass es Motorbootfahrer gibt, die gerne unter solchen Konditionen (laut und unsanft) sich auf dem Wasser fortbewegen mögen. Die Stille des Flusses erreicht uns nicht mehr.

Die Sonnenluft ist diesig, fast schon wie ein dichter Nebel, aus dem plötzlich am Horizont ein Gebilde auftaucht. Eine felsige Insel. Hier im Gambia? Ich muss mehrmals angestrengt gegen die Sonne schauen. Was in der dunstigen Luft wie ein Berg aus dem Wasser ragte, entpuppt sich als eine kleine aber mit großen kahlen Bäumen bewachsene Insel. In ihrer Mitte ein altes, verfallenes Gemäuer. Kurz vor dieser seltsamen Insel inmitten des breiten Flusses ist das Wasser ganz still geworden, der Wind nur ein leiser Hauch. So beschließen wir im seichten Gewässer vor der Insel über Nacht zu ankern.

Fast mystisch wirkt sie vom Wasser aus gesehen. Die untergehende Sonne, die Stille in der Luft, große Vögel umkreise die Insel. Wir lassen das Dinghi zu Wasser und steuern das Eiland an.

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Kahle, weiße Riesen. Ich denke unwillkürlich an Schnee im Hochsommer. Noch nicht reife Früchte hängen vereinzelt wie Weihnachtskugeln an den schlafenden Bäumen. Nico benutzt die schräggewachsenen Bäume als Kletterhilfe, um sich die Früchte anzugucken.

Das sind Baobabs – Affenbrotbäume – die heiligen Bäume Westafrikas, jenes animistischen Afrikas, das fast vollständig vom Islam verdrängt wurde. Und Kapokbäume, die ‘Baumwolle’ (Kapok) liefern, und auch Elefantenbäume heißen, wachsen hier. Unschwer zu erkennen an ihren elefantenbein-ähnlichen Stämmen, deren Verdickungen im Geäst manchmal wie Elefantenköpfe mit Rüssel und Stoßzähnen aussehen.

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Eine Baumratte erlegt.

Die Insel nimmt uns ein. Hier fügt sich das eine zum anderen, unsere Reise von Portugal, von jenem Landzipfel aus, wo Heinrich der Seefahrer seine sogenannte “Akademie” betrieben hat, über die Kapverden, nach The Gambia und schließlich zu dieser Insel im Fluß. Wir bewegen uns auf einem Roten Faden zwischen Orten und historischen Daten.

1455 und noch einmal 1456 segelt Cadamosto, der Venezianer im Auftrag Heinrich des Seefahrers, der uns schon mehrfach, zuletzt im Zusammenhang mit der kapverdischen Insel Santiago begegnet ist, sich langsam vortastend entlang der afrikanischen Küste auf der Suche nach dem Üblichen: dem Seeweg nach Indien, nach Gold, Gewürzen oder dem sagenhaften Land des Priesterkönig Johannes, von dem die Portugiesischen Könige etwas besessen waren. Er findet unter anderem das grüne Land Gambia und diese kleine aber strategisch interessante Insel. Hier soll einer seiner Leute gestorben und begraben worden sein. Nach ihm benannte der Seefahrer sie Isla de Andre.

Zunächst von der Bevölkerung, die Weiße für Menschenfresser und Aggressoren halten, bekämpft schafft Cadamosto schließlich im zweiten Anlauf 1456 in Handelsbeziehungen zum König des am Nordufer liegenden Reiches Baddibu zu treten. Auf dem Rückweg trifft er auf den König Nomi Mansa des Reiches Niumi, das sich vom Atlantik bis zum angrenzenden Reich Baddibu erstreckt. Nomi zeigt sich sehr an dem Christentum interessiert und erbittet schriftlich von dem portugiesischen König einen Priester. Als zwei Jahre später der Seefahrer Diego Gomez – auch dieser ein alter Bekannter aus Santiago – den gewünschten Geistlichen mitbringt, hat der gambische König sein Interesse an der fremden Religion bereits verloren. Was aus dem Priester wohl geworden ist? Der kleine Reiseführer, den wir mithaben, schweigt darüber. Wir wissen aber, dass in dieser Zeit die erste christliche Kirche in Westafrika und zwar am Nordufer des Gambia gegenüber der Isla de Andre entsteht.

Handelsniederlassungen und Siedlungen werden gegründet. Aber die ersten Siedler sind vor allem bessere Bauern, die Mais und Erdnuss anbauen, und Handel betreiben, daneben nur zögerlich im Sklavenhandel involviert sind . Ein Pferd kostete zehn versklavte Menschen, und wer hat schon Pferde. Schwarze Sklaven sind auf dem europäischen Festland zu diesem Zeitpunkt eher eine Kuriosität der Reichen oder Könige. Die ersten portugiesischen Siedler verheiraten sich zumeist mit Afrikanerinnen, mit Vorliebe mit  jenen aus den höheren Kasten, und ihre europäische Kultur wird weitgehend absorbiert. So gelangen einige portugiesische Worte in die jeweiligen Stammessprachen. man kann sagen, dass die ersten Beziehungen zwischen Portugiesen und den Einheimischen Stämmen im wesentlichen friedlich-freundschaftlich sind.

Die Lage änderte sich mit dem explosionsartig steigenden Bedarf nach Sklaven für Süd- und Nordamerika. Die Siedlungen und Handelsniederlassungen der Portugiesen kommt darin eine eminente Bedeutung zu – als Sammellager und Forts für die Zwischenlagerung, Transport und Verschiffung von den in die Sklaverei geraubten Menschen. Ihr nächster Zwischenstopp auf dem Weg in die ewige Sklaverei war dann die Hochburg und Drehscheibe des europäisch-portugiesischen Sklavenhandels bis ins 17. Jh. hinein, nämlich die Stadt Ribeira Grande auf Santiago, von wo aus wir nach Gambia segelten.

Unsere Seeroute mit der Chulugi verfolgt so gesehen die alte Sklavenhändler-Route von Portugal über Santiago/Kapverden nach Gambia.

Inwieweit die Isla de Andrea bereits zu diesem Zeitpunkt als strategischer Knotenpunkt ausgebaut war, konnte ich nicht recherchieren. Das vom Papst zwei Mal verbürgte alleinige Recht auf Ausbeutung der westafrikanischen Kolonien half den Portugiesen nicht lange, denn die neu erstarkten Seemächte in Europa drängten in das angestammte lukrative Geschäft der Portugiesen, allen voran Großbritannien und Holland, vor. 1588 war dann Schluß mit dem portugiesischen Monopolgeschäft, das an England verlorenging. Die britische Königin wiederum vergab das Handelsprivileg an eine private Gesellschaft, die den Sklaven- und Elfenbeinhandel am Gambia-Fluß vorantrieb.

Aber zunächst kommt es noch zu einem wenn auch kurzem, so doch interessanten Kapitel von deutsch-gambischer Geschichte, die ihren Anfang mit dem Erwerb der kleinen Insel im Fluß nimmt.

Die Insel de Andrea erscheint nämlich wieder im historischen Rampenlicht als der baltisch-deutsche Herzog Jakob Kettler von Kurland am afrikanischen (Sklaven-) Handel mitverdienen wollte, um auf diesem Umweg in der Karibik besser Fuß zu fassen. Um eine Zwischenstation und Handelswege zu festigen, sandte er 1651 vom fernen Baltikum aus zwei Schiffe an den Gambia-Fluß. Er ließ die Insel von dem Niumi-König kaufen und dort einen Stützpunkt für den (Sklaven-) Handel einrichten. (Nach anderen Quellen soll er die Insel von den Portugiesen gepachtet haben.) Die Insel hieß nun nach seinem Besitzer die Jakobsinsel.

Das erste – nicht mehr erhaltene – Fort mit der ersten Handelsniederlassung war also eine deutsche Konstruktion. Sie hielt nur acht Jahre lang: 1659 wurde sie von Franzosen überfallen, während der Herzog, in dem Schwedisch-Polnischen Krieg involviert, von den Schweden inhaftiert wurde. Zwar schaffte der Herzog anschließend die Insel mit der Unterstützung des Königs von Barra zurückzuerobern, war wenig später aber so pleite, dass er sie 1660 für kleines Geld an die Holländer verkaufte. Diese wiederum befanden sich im Krieg mit den Briten und die Insel wurde von ihnen nur ein Jahr später als Kriegsbeute einkassiert. Die lauten Proteste der holländischen Siedler stießen auf taube Ohren. Die Insel wurde von Isla de Andrea oder von Jacobsinsel nun auf James Island umgetauft, dieses Mal nach Herzog James of York, dem britischen Thronfolger.

Die Briten begannen mit dem Umbau und Erweiterung der deutsch-kurischen Anlage, hin und wieder unterbrochen durch die holländischen Versuche einer Rückeroberung. 1665 schließlich steht das Bollwerk im Fluß: vier Wehrtürme oder Bastionen, ein hoher Spähturm, 36 Kanonen in alle Himmelsrichtungen ausgerichtet, dicke Steinmauern, die die teure Wahre “Mensch”, die dort eingesammelt und zwischengelagert, nach Außen schützen sollten.

Der Strom und die Tide des Flusses haben seitdem stark an der Insel genagt, Erde und Gemäuer abgetragen, so dass die heutige Inselausdehnung nicht den ehemaligen Gegebenheiten entspricht. Doch auch damals verfügte die Insel über eine sehr begrenzte Raumkapazität. Kaum vorstellbar, dass im 18. Jh. als die britische Royal African Company auf der Insel eine Niederlassung führte, nicht nur der Gouverneur, seine 33 Soldaten und 32 Haussklaven, sondern auch 8 Händler, 20 Handwerker und 13 Schreiber wohnten. Das waren demnach über 100 mehr oder weniger feste Bewohner der Insel auf wenigen Quadratmetern. Hinzu kamen die versklavten Menschen, die zu Hunderten in Baracken und Verließen hausten, bevor sie von hier aus weiter verschifft wurden.

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Die Halterung, aber vor allem die Verschiffung selbst war bestialisch und wahrscheinlich das Schlimmste, was diese Menschen bisher erlebten. Da die Überseeschiffe klein waren, die Seewege lang und kostspielig, die Ware aber Profite abwerfen musste, pferchte man die Menschen so dicht beieinander, wie es eben ging. So beladen fuhren die Schiffe zu ihren überseeischen Destinationen mit einem Zwischenstopp auf Santiago, wo die Sklaven bis ins 16. Jh. hinein auf dem Markt in Ribeira Grande verkauft wurden, um anschließend drei oder mehr Wochen im Schiffsbauch um das eigene Überleben zu kämpfen. Die Geschichten, dass die Sklavenhändler und Kapitäne dieser Sklavenschiffe ohne Rücksicht auf Verluste mit den Versklavten umgingen, ist nur zum Teil richtig. Schließlich waren diese Menschen auf den Märkten in Süd- und Nordamerika Goldwert, man ‘verschwendet’ sie nicht so ohne weiteres.

Bezahlt wurden die afrikanischen Menschenhändler und Stammesfürsten nicht mit ‘Glasperlen’ und anderem wertlosen Plunder aus Europa, wie es immer wieder noch in einigen Büchern zu lesen ist. Sondern mit Rum/Alkohol, Baumwolle (die bereits erwähnten “palos”) und vor allem Waffen. Dass die Waffen nicht mehr die neusten Modelle waren, steht außer Frage. Aber die Händler und Stammesfürsten lernten natürlich auch schnell, wie begeht ihre Menschenware war.

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Eingefangene Menschen in Afrika, Holzstich 1870

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Schiffsbelegung mit der Ware “Mensch”

In Gambia war das Fort im Fluß der englische Handelsumschlagsplatz für versklavte Menschen schlechthin. Aus den westafrikanischen Staaten Gambia und Senegal wurden während des afrikanischen Sklavenhandels, zwischen den Jahren 1700 und 1850, schätzungsweise 427.000 Sklaven verschleppt, in Gambia erfolgte das über den besagten Hauptumschlagplatz.

Im 18. Jh. ging es hin und her mit den Besitzverhältnissen: Mal überfielen und zerstörten die Franzosen die Insel, worauf eine Rückeroberung der Briten folgte, mal überfielen, plünderten und demolierten es die Piraten (häufig auch Franzosen). 1768 überfielen es sogar die Nachbarn, die Niumi-Kämpfer. 500 Mann der Niumi stürmte allerdings erfolglos die Bastion. Während all dieser Übergriffe bauten die Briten unermüdlich das Fort wieder auf. Erst als 1725 ein Pulvermagazin explodierte und die Festung samt Soldaten und Sklaven in die Luft flog, folgte nur ein mühsamer, langsamerer Wiederaufbau. Das Ende der Sklavenbastion läuterte schließlich ein erneuter Angriff der Franzosen im Jahr 1779 ein, bei dem alles “bewegliche Gut”, wenn nicht getötet dann gefangengenommen und die Anlage bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Mit der Gründung der kolonial-britischen Stadt und Bastion an der Flußmündung Barthurst – heute die Hauptstadt Banjul – von 1816 verlor das Fort schließlich an strategischer Bedeutung, doch erst nach dem Angriff der Barra-Soldaten 1830 wurde das Bollwerk im Fluß gänzlich aufgegeben.

Großbritannien war das erste Land der Welt, das 1807 den Sklavenhandel gesetzlich verbot und 1834 auch den Sklavenbesitz, dies geschah vor allem auf das Betreiben der anglikanischen und baptistischen Klerikalen. Legendär ist allerdings der erste Richterfreispruch für einen versklavten Menschen in Nordamerika (englische Kolonie zu diesem Zeitpunkt) und ist wert, noch einmal gelesen zu werden. Seinen Anfang steht eine Klage des schwarzen versklavten Menschen, der “Fall James Somersett”:

Der Rechtsanwalt Granville Sharp nahm sich des jungen Schwarzen Somersett an, der ihn um rechtlichen Beistand ersuchte. Auch das sicherlich keine Normalität in der damaligen Zeit. Somersett war ein in der nordamerikanischen Kolonie lebender Sklave, der von seinem Eigentümer eingesperrt gehalten wurde. Durch das bisher ausgeübte Recht auf Sklavenhaltung sah sich sein ‘Besitzer’ in seiner Handlungsweise legitimiert. Granville Sharp zog vor Gericht und erlangte bei dem zuständige Richter William Earl of Mansfield ein aufsehenerregendes Urteil:

„Die Sklaverei ist ein naturwidriger Zustand, der in England nicht gültig sein kann, der weder durch moralische noch politische Gründe gerechtfertigt werden kann, es sei denn es gäbe ein Gesetz aus alter Zeit, das uns dazu zwänge, sie zu ertragen. Doch ein solches Gesetz existiert nicht in England, und deshalb muss James Somersett freigelassen werden.“

Mit dem Urteil vom 22. Juni 1772 schreibt William Mansfield Geschichte, denn hier wird zum ersten Mal der Sklavenhandel für ungesetzlich erklärt.

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Geraubter Afrikaner (Fotografie; Datum, Ort?)

Mit dem Gesetz gegen den Sklavenhandel geht eine kuriose Wandlung des Forts einher, denn es wandelt sich von einer Bastion der Sklavenhändler zu einer Bastion der Sklavenbefreier, indem es jedes Schiff, das beladen mit Menschenware war, an seiner Weiterfahrt hinderte, die Gefangenen freisetzte bzw. später ihre Rückführung regelte. Bathurst (Banjul), Fort Bullen (Basse) an der Flußmündung und auch Georgtown (Janjanbureh) übernahmen die gleichen Aufgaben. Es heißt, mehrere hundert portugiesische und französische Sklaventransporte sollen durch den Fort von James Island vereitelt worden sein.

Heute heißt die Insel offiziell Kunta Kinteh Island und ist seit 2003 zusammen mit sieben weiteren Objekten, zwei davon unmittelbar am nördlichen Flußufer gelegen, zu einem Konglomerat unter dem Namen James Island and Related Sites von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Die Objekte sind alle nur in Ruinen vorhanden, ohne dass sich irgend jemand um ihre Konservierung und dauerhaften Erhalt kümmern würde. Auch hier ist meiner Meinung nach der regulierende Eingriff der UNESCO notwendig.

Man fragt sich natürlich, wer Kunta Kinteh ist. Vielleicht erinnern sich einige der Leser an einen, in den 1980er Jahren im Fernsehen ausgestrahlten Film, einer Familiensaga, die das Schicksal von fünf Generationen von Afrikanern in Nordamerika schildete. Es handelte sich dabei um die Verfilmung des berühmt gewordenen Romans mit dem bezeichnenden Titel “Roots”, das der amerikanische Auto Alex Haley 1976 geschrieben hat. Am Anfang steht die mündliche Erzählung seiner Großmutter. Haley war davon fasziniert und begann der Familienüberlieferung seiner Vorfahren nachzugehen und in der Geschichte des Sklavenhandels zu recherchieren. Ihn interessierte insbesondere der Stammesvater seiner afrikanischen Familie Kunta Kinteh, der im 18. Jh. aus Afrika in die Sklaverei verschleppt wurde und seine grausame Lebensgeschichte an seine Kinder weitergab. Sie wiederum führten diesen Brauch der mündlichen Familienerzählung fort, indem sie die Gesichte des Vorfahren um ihre eigenen immer wieder ergänzten. Haley recherchierte nicht nur in Bibliotheken, sondern besuchte auch Gambia, wo er einige “Geschichtenerzähler” befragte, die in den 70er Jahren noch die letzten lebenden Historiker der Stämme und Dörfer waren. Mithilfe eines solchen Erzählers meinte Haley schließlich, in dem kleinen Ort Juffure – am Nordufer des Gambia, fast gegenüber dem Fort gelegen – den Geburtsort seines Vorfahren gefunden zu haben. In der Nähe des Dorfes soll er von Sklavenfängern gefangen und ins Fort James verschleppt worden sein, von wo aus er nach Nordamerika verschifft wurde. Für seinen Roman bekam Haley den Pulitzerpreis und das Fort, vor allem aber das Dorf Juffure bekamen sehr viele Touristenbesucher. In Juffure existiert angeblich oder auch tatsächlich die Hütte der Nachfahren von Kunta Kintehs Familie.

Bald aber mehrten sich Stimmen, die gegen diese Auslegung Argumente vorlegten, die immer noch aktuell sind… Der Ort kann nicht stimmen, sagten die einen, denn dort wußte jeder um die Sklavenfänger, der Name Kunta Kinteh ist ein sehr gewöhnlicher und häufiger Name, sagten die anderen…  Auch eine Plagiatsklage überstand der Autor nur, indem er 650.000 Dollar an den Autor Harold Courlander zahlte und zugeben mußte, dass er Teile aus dem Roman des Kollegen “The African” übernommen hatte. Eine weitere Plagiatsklage wurde hingegen abgewiesen [siehe Wikipedia].

Dennoch ist die Gambische Regierung stolz auf seinen (realen  oder fiktiven) Helden, was sie mit der Namensgebung deutlich zum Ausdruck bringt. Die Freude seiner ‘Verwandtschaft’ in Juffure scheint sich abgekühlt zu haben, da Haley der von ihnen erwarteten Teilung der Tantiemen an dem Bucherfolg nicht nachkam.

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Die Phantasie arbeitet auf der Insel mit jeder Tageszeit aufs neue. Mal düster, mal mystisch, bedrohlich und dann wieder so friedlich.

Wir verlassen die Insel mit gemischten Gefühlen und segeln – ach ja, fahren – am nächsten Morgen weiter in den größten Seitenarm des Gambia-Flusses, den Bintang Bolong, der zum Teil so breit ist wie der Rhein. Das Dorf Bintang ist eine alte portugiesische Siedlung, die später von den Briten als eine Handelskolonie und Zwischenstation ausgebaut wurde. Es sollen angeblich dort noch spärliche, mittlerweile woanders verbaute Mauerreste aus dieser Kolonialzeit geben, doch unserer Dorfführer weiß nur von einer steinigen Stelle am Flußufer zu berichten, die wir mit ihm zusammen aufsuchen, und wo angeblich die Portugiesen und die Briten die Steine zum Hausbau holten. Oder sind die Steine jene alten Siedlungsüberreste? Wir wissen es nicht. Doch ich greife vor.

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