Das Castillo del Mar – eine traurige Geschichte

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Begonnen hat es mit der häufigen und enthusiastischen Erwähnung des Fotoateliers “El Fotógrafo” bzw. der “Galéria” in Valle Gran Rey, mit der Michael Fleck in seinem Reiseführer von 1992 uns sehr neugierig machte.

Der Fotograf, der hier kulturelle und fotokünstlerische Pionierarbeit geleistet haben soll, heißt Thomas K. Müller. Wie ich später herausfand, ist Herr Müller auch einer der Fotografen, die den besagten Reiseführer bebilderten. Gerne hätten wir ihn kennengelernt, also begaben wir uns – mit wenig Hoffnung, zugegebenermaßen – auf die Suche nach “El Fotógrafo”.

Die berühmte “Galería” fanden wir – leider als ein Appartementhaus umfunktioniert (wie wir erfuhren noch in der Hand von Th. M.). Das Geschäft “El Fotógrafo” jedoch gab es weiterhin an der Playa. Geöffnet und voller Fotografien bzw. Postkarten des Fotokünstlers. Der braune Schriftzug und die Gestaltung der Buchstaben lassen an die 70er Jahre denken. Im Inneren sahen wir zunächst eine Art Tienda mit deutschen Büchern, Zeitschriften, Schmuck, den üblichen ‘Spezialitäten’, Esoterik, T-Shirts, Internetshop und, in einem schieren Labyrinth im hinteren Teil des Gebäudes, hunderte von Fotos, Postkarten und Poster.

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Unter den vielen angebotenen Sachen im Geschäft an der Playa stach ein in Folie eingeschweißter Artikel ins Auge, der als Aufsteller einen besonders hergerichteten Tisch zierte. Da war eine DVD nebst einem Nachbau eines Gebäudes aus Pappe. Daneben ein Spendenaufruf. Der Artikel war auf Deutsch, erschienen im “Wochenblatt” der Kanarischen Zeitschrift von 2012. Es handelte sich offenbar um das Gebäude Castillo del Mar an der Nordküste La Gomeras, das  wie ich von der freundlichen Dame des Hauses erfuhr, im Besitz des “El Fotógrafo” seit  den 1980er Jahren ist.

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Was hatte es damit auf sich? Wir wollten dem nachgehen und informierten uns zunächst über die Hintergründe.

Herr Müller hatte die hervorragende Idee, ‘Dinge’, die wert sind, erhalten zu werden, Dinge, die im Begriff sind, für immer zu verschwinden, deren Bedeutung nur wenige zu schätzen wissen – kurzum, das ganze alte Zeug der Kultur, das dem Bauboom der Spanier noch nicht zum Opfer gefallen ist, für die Nachwelt zu retten. Seine Idee war es, aus dem Castillo, das bereits eine Ruine war, ein Kulturzentrum zu machen, mit Bar, Restaurant, Theater und Ausstellungsräumen. Renovierungsarbeiten mit einer hiesigen Firma konnten erst beginnen, als die Kommune die Straße erneuerte. Mit viel Arbeit und Hilfe erstrahlte das Castillo im neuen, restauratorisch geschmackvollen dabei nicht zu aufgesetzten Chichi-Stil. Den Berichten zufolge ging das Konzept auf und wurde sehr gut angenommen.

La Gomera ist keine Insel, die über ein Überangebot an kulturellen Tätigkeiten, Künstlern und kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten verfügt. Auch die Hauptstadt San Sebastian hat nichts dergleichen vorzuweisen, wenn auch zwei (meist geschlossene) Künstlerateliers mit Ausstellungsräumen. Man sollte meinen, dass die Inselverwaltung sich über ein solches Engagement, das zudem privat finanziert und steuereinbringend ist, sehr freut. Kommune und Verwaltung sahen es wohl gerne – nicht so das Mutterland Spanien, das mit einem passenden Gesetz (Küstengesetz) parierte, und Herrn Müller das Betreiben der Gastronomie und des Kulturzentrums nach ca. sieben Jahren verbot. Die Stromversorgung wurde zunächst eingestellt. Zwar wurde das Castillo noch eine Zeit lang von altersschwachen Aggregatoren betrieben, bis auch diese nicht mehr konnten. Zehn Jahre lang hat Müller gegen die Küstengesetzgebung prozessiert. Vor dem Obersten Gerichtshof der Insularen Verwaltung hat er schließlich 2013 gewonnen… da war das Castello bereits verwüstet: Vandalismus und die alljährlichen Stürme und Unwetter haben das Gebäude ruiniert. Da fielen Steinbrocken von der Steilwand herunter, die Brandung zerstörte nach und nach die Zufahrtstraße, die die Kommune nicht aufbauen kann (oder will), Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Schmuckornamente zerschlagen, das Postkarten- und Souvenierhäuschen verwüstet.

In einem Spendenaufruf im Fotoladen als auch auf der Homepage (s. letztes Foto!) ruft Thomas Müller zum kleinen wie großen Spendieren auf – für eine sehr gute Sache, den wiederaufbau der Kulturstätte mit historisch einmaligen Hintergründen.

Damit man es wieder so erleben kann wie hier auf diesem Video:

 

Historische Hintergründe

Empaquetadora de Platanos oder Pescante sind die ursprünglichen Namen der Anlegestelle, einer halsbrecherisch ausschauenden Konstruktion, die weit vor der gefährlichen Brandung der Nordküste eine Anlandesituation schuf: eine luftige Rampe, getragen von drei im Meer stehenden Basaltpfeilern. Auf einem ins Meer vorkragenden Fels errichtete man die Verladestation, Lagerhallen und Bürogebäude. Hier im abgeschiedenen Norden der Insel, wo es bis in die 1930er Jahre noch keine Landverbildung (Straße) mit dem Rest der Insel gab, wurden auf diesem Wege allerlei Waren, vor allem aber Bananen, auf Schiffe verladen. Das erste Dampfschiff der Insel legte hier an, und 1910 wurde hier das erste Auto auf die Insel gebracht. Rechts oberhalb der Klippen (s. Foto) war das Hauptbüro, das alle Handelsgeschäfte überprüfte, registrierte und steuerte. Eine Art Festung mit Kanonen ausgestattet schützte die kaufmännische Plattform gegen mögliche Angriffe von See her.

Die Arbeiter waren vor allem Frauen, die schnell die kostbare aber verderbliche Fracht – die damals noch kleinen mit einem einzigartigen Apfelaroma versehenen “Kanarischen Bananen”, die in Europa abgesetzt wurden – bearbeiten mussten. Es war eine harte Arbeit, die angeblich aber nicht nur einmal durch eine Feier unterbrochen wurde, wenn nämlich zwischen den Bananen ein Baby zur Welt kam. Es heißt, an einem solchen Tag wurden keine Bananen mehr verladen (was ich mir kaum vorstellen kann). Das Ende der Rentabilität kündigte sich nach und nach an, konnte sicherlich noch etwas hinausgezögert werden, als General Franco den Spaniern den Konsum von Kanarischen Bananen verordnete (und die anderen Importe stoppte), spätestens in den 1950er Jahren war die Verladestation zu unwirtschaftlich geworden. Das Castillo – in privater Hand – verfiel, der Steinschlag zerstörte nach und nach die Zufahrtsstraße.

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Thomas Müller erwarb das interessante Anwesen 1981 (unterschiedliche Angaben) von Don Eugenio Pérez. Zum Kaufzeitpunkt war das Castillo bereits ruinös, keiner kümmerte sich um das historisch interessante Zeugnis insulaner Vergangenheit. Die notwendigen Restaurierungsarbeiten waren jedoch unmöglich in Angriff zu nehmen, solange die Zufahrtstraße gänzlich unbenutzbar blieb. Erst als ein großes Projekt Gomeras Norden infrastrukturell aufbessern sollte, wurde auch dieser Weg in die Planung aufgenommen, und die Straße renoviert. Unglück im Glück, denn das leistete zu aller erst dem Vandalismus Vorschub. Die Natursteinmauern wurden zerstört, die Holzdecken der Gebäude verbrannt und viele andere noch originalen Dinge und Gerätschaften wurden einfach aus Lust an Zerstörung ins Meer geworfen. Um diese wertvollen historischen Gebäude vor den einheimischen Zerstörern zu retten, musste schnell gehandelt werden.

Am 1. Mai 2001, das heißt zwanzig Jahre nach dem Kauf (so lange war die Straße nicht passierbar), begann die erste grobe Arbeitsphase. Diese erste schwere Arbeit wurde noch mit einem lokalen Bauunternehmer vorangetrieben. Fachkräfte für den Trockensteinbau wurden herangezogen, um den gesamten Haupteingang samt luftigen Zugang Stein für Stein zu errichten. Anschließend baute man in gleicher Weise die Steinmauern auf, die dem Gebäude Schutz vor der zerstörerischen Kraft des Meeres – und ehemals auch andere Angreifer – gaben. Nach dieser ersten Phase folgte die Innenrenovierung und Dekorierung des Gebäudes.

Heute sieht das Gebäude und die Straße so aus, als ob die Geschichte des Castillo sich wiederholen würde. Zwar hat man die Genehmigung, nun aber kein Geld mehr, das zwischen den Verhandlungen und Prozessen zerrieben wurde, um es noch einmal privat zu stemmen.

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 Zum Abschluss ein kleines Video von dem Kameramann Robert, SY Marie-Luise (Nico hört nicht auf fremde Skipper):