Tagebuch einer Fahrt von Indien durchs Rote Meer nach Kreta: Suakin – Suez {Part II}

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Es geht weiter auf unserem Weg durch das Rote Meer. Der Anker geht in Suakin am frühen Morgen hoch. Wir passieren noch einmal die schön-traurigen Ruinen der versunkenen Inselstadt Suakin, die ganz flache Toteninsel (den ehemaligen Friedhof) und durchfahren den Kanal, der der eigentliche „Hafen“ von Suakin ist. Wir haben uns vorab überlegt, dass wir dem historischen Weg durchs Rote Meer folgen werden. Die alten Segler gingen, wenn sie denn von Süd nach Nord segeln mussten, an die Küste von Saudi-Arabien. Leider ist dieses Land mittlerweile zu einer Terra incognita für Fahrtensegler geworden. Wie so häufig in „Arabien“ kommt uns deren Geschichte lebendiger vor als ihre Gegenwart.

Erstaunlich nah an den Ruinen manövriert uns der Skipper vorbei. Ein kleines Bötchen begleitet uns vorne weg, was allerdings nur ein Zufall und eine pittoreske Dazugabe ist.

Dienstag, 05.01.2021, Anker-Auf in Suakin

TAG
Mich hat es erwischt. An unserem am-windlichen Kurs, den wir sogleich nach dem Verlassen des Hafenbereichs von Suakin anlegen mussten, ist mir etwas übel geworden. Gleich eine sogenannte Reisetablette genommen, damit das Kind nicht gänzlich in den Brunnen fällt. Wenige Stunden später kommt starker Durchfall mit Bauchschmerzen dazu, Übelkeit hält sich in Grenzen, was aber vielleicht an der Reisetablette liegen könnte. Viel geschlafen, Kamillentee, Flohsamenschalen mit Betonit getrunken und wieder geschlafen. Um 15:00 Temperatur gemessen, leicht erhöht mit 37,5. Überrascht, denn ich fühle mich gar nicht fiebrig. Dabei fällt mir wieder ein, dass Diane, unsere Segelnachbarin aus Kochi (von der SY JOANA), die Krankenschwester in Kanada war, sich darüber wunderte, dass wir Deutsche 37,0 °C als erhöhte Temperatur bezeichnen. Offenbar ist in Kanada bis 37,5 alles im grünen Bereich. Nach Stunden des Dahinvegetieren ist die Übelkeit zwar verschwunden, aber die Bauchbewegung nicht.

Marcel beklagt mittlerweile auch eine leichte Diarrhö, die sich bei ihm nicht gravierend auswirkt. Kontaminiertes Geschirr, das Schneidebrett vielleicht? (Und ich sage Marcel immer wieder, er solle bitte keine Einkaufstüten auf das Schneidebrett ablegen und auch keine Messer ablecken!) Gegessen habe ich nur Fladenbrot mit Butter und Marmelade. Genau wie Marcel. Am Vorabend gab es lokales Hähnchen mit Reis. Kann es das Huhn (es schmeckte nicht so schlecht) gewesen sein?

NACHT
Wir fahren einen furchtbaren Zickzack-Kurs. Die Chulugi läuft eigentlich auf keinem Bug gut, nicht mal auf ihrer Schokoseite, dem Steuerbord. Die GFS-Modell-Wettervorhersage irrt, ich möchte schon sagen: natürlich, und natürlich nicht zu unseren Gunsten. Wir haben alles ausprobiert, wir können nicht so hoch an den Wind gehen, so dass wir gleichzeitig auch Strecke nach Norden machen würden. Was tun? Weiter so fahren und auf bessere Windbedingungen hoffen? Oder dichter an die Küste gehen, wo wir dann aber nur Tageshopping machen könnten, denn nächtliche Fahrten zwischen Land und Riffen sind an Ägyptens Küste nicht empfehlenswert. Wir entscheiden uns dafür, uns weiter am Amwindkurs zu quälen.

Wetter vor Suakin.
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06.01.2021

TAG
Nachdem wir sehr lange die aktuellen Gribfiles (abgefragt via Iridium Go) studiert und abermals studiert haben, entscheiden wir, auf „die andere Seite“ zu fahren. Viel Wind, genauer: zu viel Wind auf die Nase, bietet uns die Wettervorhersage für die ägyptische Seite an. Bei GFS muss man unserer Erfahrung nach bis zu 10 Knoten (nicht Prozent) auf die Vorhersage, allemal in Böen, draufrechnen. Letzte Nacht haben wir es kennenlernen müssen, wie es sich bei uns an Bord bei 12 bis 15 Knoten Wind aus nördlichen Quadranten (und das heißt „auf die Nase“) anfühlt. Wir haben uns in den Wellen feststampft.

Seit wir Suakin verlassen haben, motor-segeln wir auf einem Kurs Nord-Nord-Ost circa 40 Seemeilen vor der sudanesischen bzw. ägyptischen Küste entfernt und kommen ganz schlecht voran. Jede Meile nach Norden wird schwer erkämpft. Also, noch einmal: Was nun? Es gibt die Möglichkeit, die viele Segler präferieren, dicht vor die sudanesisch/ägyptische Küste zu gehen, doch just dort gibt es (laut GFS) am meisten Nordwind, dafür aber wahrscheinlich kaum Welle. Dort, wo wir uns gerade befinden, das heißt jenseits der Korallenriffs, soll es zwar die berühmten Winddreher von Tag- und Nachtwinden um ca. 20 Grad (von NNW auf NNO) geben, allerdings kann Chulugi in der Realität des Wetters sie nicht richtig nutzen. Ich habe bereits berichtet, wie miserabel wir an der Kreuz sind. Wir brauchen tendenziell fast schon Halbwinde oder zumindest einen 55° Einfallswinkel, um gut zu laufen. Dabei muss die Welle auch noch optimal und am besten minimal stehen, ja dann, dann kann auch Chulugi gut am Wind sein.

Sollten wir vorher noch gezweifelt haben, so fällt die Entscheidung nun endgültig: Ab nach Saudi-Arabien! Der „Red Sea Pilot“ gibt uns Hoffnung und gleichzeitig vernichtet er sie im nächsten Satz. Es heißt, historisch ist die Ostseite das eigentliche Revier der Segelschiffe, die von Süden kommend das Rote Meer befahren. Nicht so schön ist es aber, dass Saudi-Arabien offenbar keine Segler willkommen heißt. Es gibt keine Erlaubnis einzuklarieren und es werden keine Touristenvisa ausgestellt. Ob man vor Inseln notfalls ankern darf, wissen wir nicht. Seenotfälle werden angeblich akzeptiert. Auch der „RS-Pilot“ (schon an die 20 Jahre alt) bietet kaum Auskünfte über mögliche Ankerplätze. Das macht die Sache für uns spannender als es uns lieb ist.

Die GFS-Wettervorhersage versprich auf der Ostseite moderate Segelverhältnisse, was vor allem schwachwindig bedeutet. Nur von Donnerstag auf Freitag müssen wir mit einem großen Windfeld rechnen, das zwischen 17 und 20 Knoten Windstärke mit sich bringen soll. Dieses „Feld“ werden wir also nicht abwettern können, falls wir uns nicht im letzten Moment trauen sollten, an die seglerisch betrachtet Terra incognita der Saudis vorzurücken. Und wir trauen uns nicht.

Es wird immer ungemütlicher. Duschen draußen ist kein Vergnügen mehr.

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NACHT
Wir sind mittlerweile bei einer guten Motor&Segel-Fahrt von über 5 Knoten Geschwindigkeit auf der anderen Seite angekommen. Überraschen stellen wir fest, dass es hier nur so von Häfen wimmelt, von denen wir noch nie gehört haben und von erstaunlich vielen großen Schiffen angefahren werden. l Quafimar oder Rabigh – schon mal davon gehört? Viel große Pötte liegen hier auf Reede und warten auf die Einfahrterlaubnis. Irgendwo muss es also gut kartografierte Karten geben. Anders als auf der anderen, flacheren Seite ankern die Großen hier nicht, sondern driften.

Puh, hier ist wirklich überraschend viel los. Sogar ein weiteres deutsches Schiff kreuzt unsere Kurslinie (das dritte insgesamt). Marcel muss sogar per Funk Kontakt zu anderen Schiffen aufnehmen, um das Wegerecht bzw. das Passierprocedere zu klären. Dieses Gewusel wird uns schließlich zu bunt. Gerade nachts, wenn man per se müde ist und die Augen sowieso nicht so gut die Distanzen einschätzen können (meine jedenfalls nicht), ist ein solches Schiffsaufkommen nicht wünschenswert.

Wir gehen noch einmal auf den anderen, den „schlechten“ Bug, entfernen uns somit von der Küste, um so wenigstens dem schlimmsten Geknubbel zu entkommen. Nach drei Stunden (während meiner sog. „Schwedische Wache“) wird wieder der Bug gewechselt.  Auf dem Steuerbordbug, dem Lieblingsbug der Chulugi, kommen wir nun wieder dichter an die Küste dran und hoffen, dass wir dort den vorhergesagten Wind besser ausnutzen können. Vor allem hoffen wir, dort der penetranten Welle zu entkommen.

Viel Verkehr vor der Küste Saudi-Arabiens. Hier ankern die Schiffe nicht auf Reede, sondern driften.

07.01.2021

TAG
Wir fahren Reißverschluss. Weiterhin ist motorsegeln angesagt. Das ist alles andere als schön. Es dröhnt nonstop. Die Segel flappen, wenn wir aus dem begehbaren Windwinkel heraus geraten. Dabei ist die Welle nicht so hoch, dass sie uns vollständig bremsen würde. Ohne dass den mitlaufenden Motor wäre das ein schöner Segeltag. Marcel ist froh, dass wir durch den schwachen Wind und moderate Wellenverhältnisse wenigstens mehr Strecke am Stück Richtung Norden machen.

Seit wir von Suakin aufgebrochen sind, wo Marcel den Tank als auch die zig Kanister, die wir wenig dekorativ an beiden Seiten der Reling führen, mit Diesel befüllte, beschwere ich mich über den penetranten Gestank nach Treibstoff. Ich rieche den Diesel sowohl im Bad als auch im Niedergang. Das hatten wir noch nie so lange, auch nicht nach einer etwas missglückten Befüllaktion. „Nee, ist nicht so schlimm“, meint Marcel. Kann eigentlich nur von der Umfüllaktion in den Dieseltank passiert sein, bekomme ich zu hören. Oder ein Deckel der Kanister ist etwas undicht… Ich mag das nicht richtig glauben. Es hat noch nie so lange nach Treibstoff gestunken. Nun, nachdem irgendwann der Geruch wirklich ekelhaft und mir sich der sowieso schon angegriffene Magen umdreht, erklärt sich der Kapitän doch noch geneigt, den Kopf unter die Motorabdeckung zu stecken. Und siehe da, dort ist eben nicht alles in Ordnung. Ein sogenanntes Sichtstützen hat sich gelöst und gibt bei jeder Stampfbewegung des Schiffs in den Wellen etwas Diesel ab. Dieses Malheur kann nur provisorisch mit einer Schelle angezurrt werden. Marcel prophezeit, dass das keine echte Lösung des Problems bleiben wird. Das glaube ich ihm aufs Wort.

Der Zickzack-Kurs seit Suakin.

NACHT
Furchtbar, furchtbar, furchtbar. Stehende 20 Knoten auf die Nase und ein dickes Plus dazu in Böen. Das ist alles andere als „nur“ 20, denn auf den sogenannten Amwind-Kursen fühlt sich das an, als ob einem mindestens 30 um die Ohren fliegen würden. Es rauscht und dröhnt, das Schiff krängt, der Windgenerator überdreht und erzeugt ein surrendes Geräusch, die Dirk vibriert und spielt ihre eigene, mir ganz neue Melodie (unterwegs ist sie sonst still). Ich bin besonders geräuschempfindlich und höre ständig irgendwelche akustischen Veränderungen.

Schluss mit dem Wellenrauschen und -zischen, das uns auf achterlichen Kursen bis Suakin begleitete. Jetzt krachen die schräg von vorne kommenden kurzen Wellen mit einem dumpfen Schlag gegen die Bordwände. Bumm, bumm, bumm. Dann wieder Ruhe. Hat uns eine besondes hohe oder eine besonders schlecht aufgelegte Welle so richtig aus dem Kurs geschlagen, herrscht plötzlich überraschte Ruhe. Die See um uns herum glättet sich für eine Minute, nur ein leises Zischen der Wellenreste ist zu hören. Ich stelle mir vor, dies ist der Moment, in dem das Meer von seiner eigenen Wucht überrascht oder beschämt ist. Doch es holt nur tief Luft, sammelt Kraft für die nechsten neuen Ausbrecher. Und das böse Spiel geht von vorne los.

Natürlich versuchen wir mal auf dem einen, mal auf dem anderen Bug zu segeln. Auf dem „guten“ Bug läuft es flüssiger (klar, sonst würde er auch anders heißen). Doch leider können wir den NNW-lichen Kurs auf dem Steuerbordbug nicht allzu lange halten, denn unkartografierte Riffe, Untiefen und winzige Islettas lauern angeblich (oder tatsächlich) überall auf der Saudi-Seite. Ich verliere dabei am schnellsten die Nerven und möchte lieber viel zu früh als (zu) spät wenden. Nachtfahrten sind nicht so meine Sache, da starre ich auf die elektronische Karte und sehe das große rote Schiffssymbol nur wenige Meter vor dem nächsten Riff entfernt… Dann doch lieber die Zähne zusammenbeißen, auf den „schlechten“ Backbordbug und in die „schlechten“ Wellen reingehen. Krach, bumm, rumps. Nervraubende Explosionen an den Stahlwänden. Irgendwann wird man böse. Ja, lass es ruhig richtig krachen, denke ich mit. Geschirr scheppert, irgendetwas wechselt in der Kombüse seinen Platz von rechts nach links (oder umgekehrt), und irgendetwas anderes schlägt dumpf und arhythmisch gegen die Schranktür, Nico schreckt aus einem Traum auf… ach was, mir kann das alles den Buckel herunterrutschen! In Wahrheit denke ich eher, so ein Scheiß! Und würde am liebsten auf so eine Wellenparade mit einer Maschinenpistole schießen.

Chaos unter Deck wird immer größer.

Wir pusten die noch nie benutzte Campingmatratze auf, die ich irgendwann extra für unseren schmalen Mittelgang gekauft habe, denn unsere Seekoje (tagsüber das Sofa im Salon) ist schlecht konstruiert und umständlich zu nutzen. Wer Freiwache hat, liegt zusammen mit Nico nun auf der Matratze, die leider sowohl zu glatt und damit rutschig als auch zu hoch ist. Man fühlt sich darauf wie auf einem Wasserbett. In gewisser Weise ist sie es ja auch. Darauf ausgestreckt kann man das Innenleben des eigenen Körpers mit einem Auf und Ab der Organe nachspüren. Wer dabei schlafen kann, oder sei auch nur Ruhe findet, der ist zweifelsohne ein hartgesottener Matrose „mit Prädikat“. Das ist zweifelsohne Nico – Captain Nico bitt‘ schön! Wir hingegen sind ganz offensichtlich nur Weicheier.

Natürlich dem nicht genug stinkt es schon wieder nach Diesel unter Deck. Nicht, dass es vielleicht doch noch ein Kanister draußen undicht wurde… Wer möchte freiwillig ans Deck und sich nach vorne durchrobben? Mir ist übel und ich habe Kopfschmerzen. Dieses „Wetter“ soll bis 8:00 so weitergehen.

Captain Nico.
Man trägt wieder Shirt.

08.01.2021

TAG
Nach dieser ganz besonderen Nacht bricht am Morgen die große Diskussion rund um die bereits bekannte und mehrfach auf dieser Fahrt gestellte Frage „Was machen wir jetzt?“ aus. Als Vorlage dient uns die neue Wettervorhersage, die weiterhin solche Tage und Nächte prophezeit, wie wir sie gerade hinter uns haben. Ich bin nach gestriger Nacht seekrank, muss wieder eine Tablette schlucken und will definitiv keine Wiederholung. „Wir fahren von mir aus wieder rüber und suchen dort eine Bleibe für die nächsten drei Tage oder so, bis die angesagten Starkwindfronten wieder abflauen.“ Gesagt, getan. Wo und wann würden wir drüben ankommen? Ich muss im Stillen zugeben, das ist dann doch keine Lösung. Wir kämen voraussichtlich irgendwann in der Nacht an der Küste Ägypten an. Nicht gut. Legen wir dann über den möglichen Einfallsort die Gribfiles (grafisch dargestellte Windvorhersage), dann soll dort gleicherweise Starkwind vorherrschen. Hmm. Wir versuchen dennoch auf den anderen Bug Richtung Ägypten zu gehen. Klappt nicht wegen der enervierenden Wellen, die uns vollständig ausbremsen. Nun gut, dann bleiben wir halt hier. Mir ist das jetzt auch schon alles egal.

NACHT
Wir fahren „unter Land“, sofern man das so nennen darf, denn vom eigentlichen Land sind wir an die 15 bis 20 Seemeilen entfernt. Bisher bleibt sowohl die Welle als auch die Windstärke und der Windeinfallswinkel erträglich. Große Überraschung, die GFS-Wettervorhersage kann sich also auch in die andere Richtung irren! Dieses Mal will ich auf keinen Fall darüber meckern. Vielleicht sind wir aber auch in eines dieser ominösen Schwachwindfelder geraten, die die Gribfiles immer wieder anzeigen, und an deren Existenz ich bisher gezweifelt habe. Es kann auch sein, dass wir tatsächlich eine Landecke erwischt haben, die den Starkwind abschwächt. Das sind so die nächtlichen Gedanken, die man sich während der eigenen langen Wache macht. Doch sobald wir auf den Backbordbug gehen, verändert sich der Einfallswinkel der Wellen zu unserem Ungunsten und schon wieder kracht es. Gott, wie ich das hasse. Das einzig Schöne weit und breit ist die blutig-scharfe Mondsichel, die gerade langsam am schwarzen Himmel aufgeht. Zwecklos, diese Naturschönheiten auf einem schaukelnden Schiff, bei Nacht und mit einer unzureichenden Handykamera fotografieren zu wollen. Also einfach nur im Stillen für sich selbst genießen.


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09.01.2021

TAG
Tagsüber erträgliche Zustände da draußen. Ganz anders als bei der langen ersten Etappe, habe ich nun kaum Lust, ins Cockpit zu gehen. Der Motor läuft tagsüber immer mit, ich habe seit Tagen latente Übelkeit und Kopfschmerzen und der erhoffte Wechsel von NNO auf NNW und vice versa kommt nicht im ausreichenden Einfallswinkel für uns. Tja, da bleibt die vermeintliche Romantik des Segelns spätestens jetzt auf der Strecke. Aber ja doch, es gibt auch schöne Momente! Ich behaupte, diese sind so häufig wie das echte Glücksgefühl im Leben, eben nur kurz und selten. Dennoch war die Entscheidung richtig, noch etwas näher an Saudi-Arabiens Küste heranzurücken. Hier scheint uns die Welle etwas erträglicher und der Wind schwächer zu sein.

Vorräte. Dezimieren sich beinahe täglich von alleine. Und das nicht nur alleine durchs Essen. Andere wiederum werden nicht weniger.

10.01.2021

Ich weiß, ich habe das bereits mehrmals erwähnt, aber so ist nun mal das echte Leben auch, nämlich enervierend in der Wiederholung, denn auch am heutigen Tag haben wir eine entsprechend enervierende Welle zu vermelden, die im Verband von mehreren gegen die Bordwand, oder noch besser, vor den Bug läuft und hämmert. Diese Wellen kommen nur, um mich mürbe und malad zu machen. Vielleicht ist dies auch die späte Rache für den alkoholfreien Rotwein, den wir Neptun und anderen Meeresgöttern am Eingang ins Rote Meer opferten.

Zwar ist die Chulugi eine echte langkielige schwere Yacht (Koopmans, wofür wir unterwegs ständig dankbar sind), die sehr glatt durch die Wellen – „wie durch Butter“ würde der Skipper sagen – geht, doch ab bestimter Frequenz und Einfallswinkel kann auch ein Stahllangkieler nicht mehr buttrig abfedern. Anders als auf den Ozeanen, wo Wellen und Winde keine oder kaum Landmassen auf ihrem Weg haben und daher sich ungebremst in einer langen und langandauerndenDünung fortsetzen können, sind die Wellen im Roten Meer denen der flachen Nordsee oder des Mittelmeers vergleichbar: kurzfrequentig und verhältnismäßig steil mit einer Neigung zu Kabbelligkeit.

Ich für meinen Teil habe genug von unserem Part II der Reise. Wenn ich mir vorstelle, es gibt Menschen, eigentlich nur Männer, die mit Absicht gegen Wind und Welle um die Welt non-stop fahren, dann wundert es mich nicht, dass unsere Welt so vor die Hunde gekommen ist. Wer keine sinnvolle Herausforderung mehr im Leben erkennen kann – gleichwohl man auch gänzlich ohne sehr gut leben könnte (wahrscheinlich noch viel besser) -, wer also nicht einfach leben kann, ohne dass es jemanden wehtut und selbst keine Befehlskette unter sich dirigiert, der geht halt am Wind und vor der Welle segeln. Männerträume von Insichhineinhorchen. Ist da jemand, der über sich hinaus wachsen möchte? Wenn ich nach vier Tagen Motoren gegen Welle und hart am Wind in mich hineinhorche, dann höre ich rauschen und verspüre Kopfschmerzen.

Hund trägt wieder Vlies. Maßgeschneidert sein bestes Stück.

11.01.2021

Juhu! Wir haben Wind von der Seite! Meckern hat sich gelohnt, irgendjemand hatte das Einsehen und schickt uns etwas Push-up in Richtung Suez. Wir können den Motor ausgestellt lassen (was häufig nachts passiert, dann machen wir aber kaum Strecke nach Norden) und biegen in die Gubal Strait ein. Später muss der gute alte Volvo-Penta wieder zum Dienst antreten, denn dann haben wir nur 7 Knoten und eine spiegelglatte See. Wir planen schon mal die Einfahrt nach Port Suez vor. Könnten wir das im Hellen schaffen? Müssen wir gegebenenfalls ankern? Und wenn ja, wo am besten? Wir wissen, dass Übermorgen sehr viel Wind aus Süden kommen wird. Ja, ich habe mich nicht verschrieben. Aus SÜDEN. Warum nicht schon früher?! Was wir noch nicht wissen, mit dem Südwind kommt auch eine Südpolare Luft mit 10 °C hoch.

Ansteuerung. In der Gubal Strait und auch später im Golf von Suez begegnen uns allenthalben Aladinlampen. Ölplattformen bzw. Gasplattformen mit ausgekragter Flamme. Angesichts der Dichte des Verkehrs einerseits und der der Förderplattformen wundert es nun nicht, dass über 80 % (habe ich letztens erfahren) der berühmten Korallenriffs im Roten Meer tot sind.

Auf See sollte man meiner Erfahrung nach, gar keine Überlegungen anstellen, es kommt sowieso alles anders als gedacht. So auch bei uns. Das kann ich natürlich nur schreiben, weil ich an dieser Stelle das Echtzeit-Tagebuch verlasse. Ich greife also vor, denn an Bord haben wir gerade mal 12:00 Uhr und rechnen das Etmal (gemachte Strecke innerhalb von 24 h) aus, das beträgt 105 Seemeilen. Der Skipper vermerkt dazu: „gutgemacht“. Na ja, ist nicht so unsere beste Zahl, denke ich mir und merke mit ordentlicher Verzögerung, dass das natürlich anders gemeint und kein Rechtschreibfehler ist.

Land, diesig aber in Sicht. Die ersten Fischerboote mit Schleppnetzen gesichtet. Schleppnetze? Ich dachte, die sind nicht mehr erlaubt. Die faulen Möwen und die desinteressierten Fischer, beide nach langer Zeit wieder in größerer Anzahl zu sehen, freuen sich über solchen Fang. Nico riecht schon lange das Land, jetzt sieht er zum ersten Mal auch etwas anderes als Wellen.
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12.01.2021

Juhu zum zweiten Mal! Wir haben Wind von hinten! Vielen Dank liebe Seegötter. Vielleicht haben wir irgendeine Prüfung bestanden und dies ist die Belohnung dafür. Schön wäre es, wenn wir noch bei Tageslicht in den Suez Yacht Club reinfahren könnten. Wir kaufen ein Internet-Auslandspaket bei Aldi-Talk und laden es herunter auf unsere SIM Karte. Es funktioniert ohne Probleme und so können wir unseren Agenten, Captain Heebi, schon weit im Voraus informieren und alles Notwendige in Erfahrung bringen. Einige Seemeilen vor der betonten Einfahrt in den Kanal zum Port Suez melden wir uns beim Port Control an und erbitten die Einfahrterlaubnis. Sie lassen sich auf dem verrauschten Kanal 14 sehr viel Zeit mit einer Antwort. In der Zwischenzeit können wir uns ausgiebig mit den verschiedenen „Englischs“ vertraut machen. Wir hören Satzfetzen, die zwischen den knatternden und zischenden Kurzellenlauten in verschiedenen Sprachen aufblitzen, und vermuten, dass die häufigste davon wahrscheinlich Englisch ist. Ich wundere mich immer wieder, wie man „das“ verstehen kann.

Dann wird plötzlich Chulugi gerufen. Mehrere Versuche sind notwendig und noch mehr Wiederholungen und Nachfragen bis wir unsere Schiffsdaten durchgegeben haben, den Namen unseres Agenten, um dann am Ende die Hiobsbotschaft bekommen: „Drop the anchor where you are and wait.“ Okay, also hier auf offener See auf 20 Meter Tiefe? „Drop your anchor exactly where you are!“ Okay! Und genau das machen wir dann nicht… denn der Skipper der Chulugi möchte unbedingt in ein flaches Küstengewässer vordringen. Ich hätte es genau so gemacht, wie der Mann am UKW es sagt. Man weiß nicht, wie gut die Navionics-Karte ist – und ob wir im Flachwasserbereich nicht eher Korallenriffe als Untergrund haben.

Just in dem Moment, wo ich mich für das sofortige Ankerfallen durchsetze, wird Chulugi erneut per Funk gerufen. Dieses Mal ist der Port-Control-Offizieller sehr erbost und schimpft mit Captain Marcel im Befehlston: „What are you doing?! What is not to understand when I’m say drop your anchor?!“ Tja, ich habe es ja gesagt…

Am Ende alles gut, wir ankern und warten. Nun liegen wir mit dem Bug im Wind und in der Welle (im Flachwasserbereich) und tanzen auf und ab. Der Wind kommt ausnahmsweise – wunderschön, um hochzusegeln – aus Süden und damit gerade auflandig. Wie lange sollen wir denn hier warten?, Frage an Port Control. Drei Stunden, vielleicht vier. Der Konvoi aus Norden muss erst durch den Kanal durchgegangen sein und erst dann dürfen wir einfahren.

Na gut, wir haben uns also umsonst beeilt. Über Nacht hier zu bleiben, wollen wir auf keinen Fall, denn am frühen Morgen soll ein Starkwindfeld von Süden (!!) kommend losbrechen und voraussichtlich 35 Knoten oder mehr erreichen. Unter diesen Bedingungen ist es sogar mir lieber, nachts in einer unbekannten Marina anzulegen. Wir rechnen sowieso damit, dass alles stark erleuchtet ist. Plötzlich – und es ist vielleicht eine Stunde vergangen – ertönt wieder unser Schiffsname auf Kanal 14. Es heißt, wir haben die Erlaubnis, in den Suezkanal und zum Yacht Club zu fahren. Nun aber schnell!

Der Skipper bekommt sehr genaue Anweisungen, zu welcher Tonne er sich wie verhalten soll. Ich höre zwar mit, bin mir aber überhaupt nicht sicher, wo diese Tonne liegt und wie wir fahren sollen. Hoffe aber, dass Marcel das alles richtig versteht… Seine Miene sieht irgendwie unsicher aus. Ich frage lieber nicht nach.

Nachdem wir Ankerauf gegangen sind, übernimmt Marcel das Steuer, denn ich bin nachts zwar nicht blind, habe aber große Probleme, mich zwischen all den blinkenden roten, weißen und grünen Lichtern zu orientieren. Zudem kann ich nachts (und eigentlich auch tagsüber) die Entfernungen auf See schlecht einschätzen. Mit anderen Worten, ich assistiere nur, indem ich auf das Geschehen rechts und links von uns mitachte, während der Skipper uns den Hauptweg bannt.

Im Fahrwasser rechts von uns – wir bewegen uns wie geheißen knapp außerhalb der Fahrrinne – fahren beinahe lautlos große Schatten vorbei. Das sind die letzten Schiffe des Konvois von Nord nach Süd. Der Suez-Kanal ist zu eng, als dass beide Richtungen gleichzeitig bedient werden könnten. Gleichwohl ist er breit genug, zudem ohne Schleusen, so dass hier die größten Pötte der Welt durchgehen können.

Wir fahren westlich der roten Tonnen und damit außerhalb des offiziellen Fahrwassers. Das verunsichert mich anfänglich etwas. Haben wir das auch richtig verstanden? Ja, alles richtig. Marcel bekommt sogar den Anruf, dass wir näher an den Tonnen fahren sollen (haha, waren wir dann doch zu vorsichtig?). Vielleicht hat Captain Heebi, unser Agent, die Autoritäten im Port Control davon überzeugt, dass so ein kleines Schiffchen wie wir es sind, und mit wenig Tiefgang schon etwas früher losfahren könnte und außerhalb des Fahrwassers dem Konvoi sowieso gar nicht in die Quere kommt. Das Timing ist perfekt. Wir passierten die letzte rote Tonne, die wir noch gerade westlich nehmen konnten, bevor wir dann in den Hauptkanal einbiegen müssen, denn danach wird es sogar für uns zu flach. Und tatsächlich geschieht es auf den Meter genau, dass uns der letzte Riese passiert und wir ab da Bahn frei für den Kanal haben.

Überall blinkt es, überall sind irgendwelche Lichtexplosionen von festgemachten Schiffen in den Nebenbecken des Kanals zu sehen. Im Kanal selbst flitzen Bugsierer hin und her, die auf niemanden und nichts Rücksicht nehmen. Marcel steht weiterhin konzentriert hinter dem Steuer und ich halte die Kommunikation via WhatsApp mit unserem Agenten aufrecht, der alles andere im Hintergrund organisiert. Zum Beispiel den Marinero, der mit seinem roten Bötchen uns entgegenkommt und die Leinen annimmt. Das Anlegen ist wie immer meine undankbare Aufgabe. Dieses Mal ist es einfach, denn wir müssen nicht an den Steg. Wir haben kaum Wind und werden zwischen zwei große Bojen festgemacht. Fertig.

Hier sind wir also, in dem Becken vor dem Yachtclub im Suez-Kanal, fest zwischen zwei Bojen verzurrt. Aus einem der Restaurants dröhnt laute Musik. Doch nicht etwa eine Hochzeit? Wir fühlen uns an Indien erinnert.

Wir sind am 12. Dezember 2020 in Kochi/India losgefahren und haben nun am 12. Januar 2021, auf den Tag genau einen Monat später, in Port Suez an einer Tonne im kleinen Hafenbecken des Suez Yacht Clubs festgemacht!

Fazit

Gefahrene Seemeilen von Suakin bis nach Suez: 961 Meilen (ca. 1.547 km) in 7,5 Tagen.

Das ist nicht unsere beste Zeit, aber unter den gegebenen Umständen wollen wir nicht unzufrieden sein. Bei Winden aus den nördlichen Quadranten und einer entsprechenden Fahrt hart am Wind zeigt ein extremer Langkieler wie Chulugi deutlich seine Problemzonen. Am Wind kreuzen ist mit unserer Yacht so gut wie unmöglich. Alleine die Zuhilfenahme des Motors erlaubtes es uns, Strecken nach Norden zu machen. Bei glatter See hätten wir sicherlich eine bessere Figur gemacht, aber wann hat man schon glatte See bei 20 Knoten Wind? Dabei zeigten sich gleichzeitig auch noch einmal deutlich die Vorteile einer Stahlyacht mit langem Kiel, die gut ausbalanciert „butterweich“ (Lieblingsausdruck des Skippers) in die Wellen reingeht.

Von den 7,5 Tagen waren wir 4 mal 24 Stunden unter Motor, sei es vollständig oder unter seiner Zuhilfenahme. Dieselverbrauch: ca. 250 Liter.

Wir sind mit unserem alten Volvo-Penta-Motor sehr zufrieden. Erst recht, wenn wir bedenken, dass er schon öfters von sogenannten „Experten“ schlecht behandelt wurde. Zu klären bleibt allerdings das Problem des starken Dieselgeruchs. Ob das am undichten Sichtstützen liegt, oder doch noch eine andere Ursache dahinter steckt, wissen wir bis heute nicht (können auch nichts daran ändern, da der Skipper sich mit Motoren überhaupt nicht auskennt).

Es war eine gute Entscheidung, an die Ostküste des Roten Meeres zu gehen.

Zwar ist hier der Schutz vor möglichen Starkwinden nur jenen gegeben, die mutig genug sind – oder entsprechend detaillierte Karte haben -, sich an die Riffe der saudi-arabischen Küste heranpirschen zu wagen. Auf der anderen Seite hat man hier die größere Chance entsprechende Winddreher von NNO auf NNW zum Segeln zu nutzen und hier auch soweit „unter Land „zu fahren, dass die Welle erträglich bleibt oder kaum Wind ist, so dass das Motoren leichter fällt. Notfalls ist hier auch ablandiges Driften möglich. Wer sich hingegen für die ägyptische Seite entscheidet, muss entweder weit vor die Riff-Küste (ggf. harte Wellen und viel Wind) gehen, oder macht Tageshopping von Ankerplatz zu Ankerplatz, denn auch hier sollte man sich auf die elektronischen Karten beziehungsweise auf das GPS-Signal nicht verlassen und schon gar nicht nachts manövrieren.

Seite aus unserem Logbuch. Künstler: Marcel, der Skipper.

3 Antworten

  1. Angela

    Liebe Joanna,
    das sind ja gewaltige Momente, toll, dass alles gut geklappt hat. Wir sind ganz neidisch, haben wir doch bald die Befürchtung unsere She San bald nicht mehr wieder zu sehen… Viel Spass im Mittelmeer liebe Grüsse Angela und Reto

  2. Dietmar Henke

    Liebe Johanna,
    wieder einmal ein Genuss, Deinen Blog über Eure Abenteuer zu lesen. Man kann richtig mitfühlen, wie sehr einen die See fertig machen kann. Aber auch herzlichen Glückwunsch an Marcel, dass er die Navigation so gut drauf hat. Funken, navigieren und auch steuern sind gerade bei Nacht eine echte Herausforderung. Bin gespannt, wohin es Euch verschlagen wird!
    Fair Winds,
    Dietmar

    • Joanna

      Hallo Dietmar, just vor paar Minuten habe ich bereits an Dich hier geschrieben und jetzt muss ich mich noch einmal für die Blumen bedanken! Ja, Du selbst auf Deine Weltumsegelung hast auch genug Erfahrungen mit der See gemacht, vor allem auch mit der schweren See, wenn ich mich nicht täusche, insbesondere im Indischen Ozean…
      Marcel ist wirklich gut Nachts, nicht zuletzt, weil er tendenziell ein sehr entspannter Typ ist, den erst einmal nicht so schnell etwas auf die Palme bringt. Funken musste er nur einmal während der Nachtpassage, aber die vielen beweglichen und unbeweglichen Lichter – man selbst fährt ja auch – im unbekannten Terrain, das ist schon meiner Ansicht nach nur mit viel Coolness zu schaffen. Und natürlich auch einer Portion Erfahren. Die haben wir – vor allem Marcel – auf der Nordsee gesammelt. Häufig genug auch nachts irgendwo reingefahren. Da habe ich bereits gemerkt, dass ich das nicht kann. Zu viel Schiss, zu schlechte Orientierungsfähigkeit bei mir.
      Uns wird es, wie es im Moment ausschaut, wohl nicht nach Kreta verschlagen.
      Herzliche Grüße noch einmal aus Ismailia!