Südatlantikpassage 4. Woche

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Ein altes maritimes Sprichwort besagt: „Mühsam nähert sich das Eichhörnchen.“ So, oder so ähnlich. Vielleicht hat das aber auch gar nichts mit der Seefahrt zu tun und es kommt aus der Sprache der Kleinwildjäger. Der Ursprung mancher geflügelter Worte ist durchaus kurios. Das bittere Ende beispielsweise stammt tatsächlich aus dem maritimen Sprachgebrauch. Auf den alten Segelschiffen gab es auf dem Vordeck zwei Pfosten (engl. bit) zum Belegen des Ankertaus. „To pay a rope out to the bitter end“ heißt also, das Tau so weit zu fieren (auszulassen) bis der Anker hält.

Anyway. Routinierte Eintönigkeit, mal mehr, mal weniger anstrengend bestimmt die vierte Woche auf See. Am frustrierendsten sind die Stunden, in denen wir nicht voran kommen, mal nach Norden, mal nach Süden aufkreuzen, ohne Strecke nach Osten gut zu machen, oder, noch schlimmer, sogar Meilen verlieren. Etwa eine Woche vor Kapstadt verbringen wir so vier Tage auf der Nord-Süd-Achse, ohne eine einzige Meile nach Osten voranzukommen.

Eine alte Seemannsregel besagt, dass man bei elendig langer Kreuzerei am Wind dem nächsten entgegenkommenden Schiff einen Besen vor den Bug werfen soll. Der Wind soll dann drehen, man fährt gemütlich raumschots weiter, während das andere Schiff gegenan kreuzen muss.

Was soll´s. Schon Goethe hat auf seiner Italienischen Reise notiert: „Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von der Welt und seinem Verhältnis zur Welt.“ Wollen wir also diese Beziehung weiter ausloten.

Am Dienstag morgen sichte ich am Horizont ein Schiff, das nicht im AIS, im automatischen Identifikationssystem, auftaucht. Was zunächst wie eine dunkle Wolkenformation am Horizont aussah, entpuppt sich nach einer Stunde tatsächlich als ein etwa dreihundert Meter langes Frachtschiff, das uns etwa eine Seemeile an Backbord passiert, – noch immer ohne AIS-Kennung. Seltsam. Im Jahre 2003 untersuchten irische Behörden die MV Unique, die unter mongolischer Flagge (Die Mongolei liegt etwa 1.500 Kilometer vom nächsten Meer entfernt.) offensichtlich monatelang ziellos und unbeladen unterwegs war. Handelt es sich hier um ein Geisterschiff?

Am Mittwoch überschreiten wir endlich den Nullmeridian – ein virtuelles Ereignis. Beim erstmaligen Überqueren des Äquators gibt es unter Seeleuten das blödsinnige Ritual der Äquatortaufe. Gibt es das beim Queren des Nullmeridians oder beim Überschreiten der Datumsgrenze auch? Renato müsste in diesem Falle getauft werden. Wir hatten das letzte Mal in der Neujahrsnacht 2013/2014 den Nullmeridian auf der Strecke von den Balearen zum spanischen Festland von Ost nach West überquert. Unsere westlichste Koordinate von ungefähr 058° westlicher Länge hatten wir auf dem Rio Lujan bei Buenos Aires befahren. Bei etwa 032° Ost, unserer bisher östlichsten Position, hatten wir vor fast zehn Jahren die Chulugi übernommen. Das war in Alanya, in der Türkei. Wir überschreiten also heute diese imaginäre Linie erneut und schreiben wieder östliche Koordinaten in unser Logbuch.

Das Menü an Bord in der vierten Seewoche:
-Geräucherter Schweinebraten mit Orangen und Palmherzen (Palmitos)
-Rindfleischcurry
-Pasta mit Sahnesauce (geräuchertes Schweinefleisch, Speck und Erbsen)
-Palmitorisotto
-noch einmal geräucherter Schweinebraten, diesmal mit Sauerkraut (polnisch: Bigos, aus Joannas Weihnachtsküche, mit getrockneten Pilzen, Äpfeln und Backpflaumen)
-Apfelpfannkuchen (eine Handvoll Äpfel lebt immer noch)

„Zusätzlich zu unserer winzigen Portion von einem Fünfundzwanzigstel eines Brotes und einem Viertel Pint Wasser für jeden spendierte ich heute eine Unze gepökeltes Schwein. Ich griff öfter auf das Schweinefleisch zurück, es schien mir besser, es in kleinen Happen aufzuteilen, als es in wenigen Tagen zu verbrauchen.“ William Bligh, 16. Mai 1789

Apropos Brot. Ich glaube, dass ich es schon einmal erwähnt habe: Das Rezept für (nahezu) knetfreies und so schnell wie smutjeleicht herzustellendes Brot habe ich von Bruno, einem befreundeten Segler aus Brasilien, der auf einer neun Meter langen Koopmans (der gleiche Bootsdesigner, der auch Chulugi gezeichnet hat) vom Typ Victoire lebt. Dafür werden 500g Mehl vermischt mit 50g Vollkornmehl, ein bis zwei Teelöffeln Trockenhefe, zwei bis drei Teelöffel Salz und nach belieben ein bis zwei Teelöffeln Kreuzkümmelsamen. Das ganze mit einem Schuss Olivenöl und circa 350 Milliliter Wasser in einer Rührschüssel verrühren, bzw. verkneten, bis ein schöner Klumpen Teig entsteht. Diesen an einem warmen Ort abgedeckt bis zu 12 Stunden (über Nacht) ruhen (und gehen) lassen. Nach dem Umladen in eine geeignete Backform oder einen beschichteten Topf noch einmal gehen lassen. Wir backen das Brot dann für eine halbe Stunde im Camping-Ofen auf der Flamme. Im Ofen geht es etwas schneller. Fertig. So haben wir alle drei Tage frisches Brot an Bord. Schmeckt warm hervorragend mit gesalzener Butter oder griechischem Olivenöl.

Oh ja, und wie gerne hätte ich jetzt ein Glas südafrikanischen Rotwein dazu. Das wäre perfekt.

Um noch einmal auf Goethe zurück zu kommen: Neben dem Verhältnis zur Welt als Ort verändert sich aber vor allem das Verhältnis zur Welt als Raum und zur Zeit. Ozeansegeln ist nichts für Leute, denen schnell langweilig wird und die sich nicht selbst mit Büchern, Musik, den eigenen Gedanken (sofern da welche sind), essen, ohne zu denken in die Weite zu starren oder mit schlafen beschäftigen können, letzteres des öfteren auch nur bedingt. Das ist die (selbst erwählte oder auferzwungene) Erfahrung von Mönchen und Gefängnisinsassen. Kloster, Seefahrt oder Selbstmord waren über Jahrhunderte hinweg die Alternativen, ein an Land unlebbar gewordenes Leben aufzugeben. Wer Kloster oder Seefahrt wählt, sollte mit dem Faktor Zeit umgehen können oder es zu lernen bereit sein. Beide Alternativen liegen nur einen Schritt diesseits der Unendlichkeit (Alternative drei). Der Sternenhimmel über dem Südatlantik in pechschwarzer Nacht bei Neumond vermittelt bereits einen Eindruck davon.

Donnerstag. Unter vollen Segeln rauschen wir mit zunehmendem achterlichem Wind durch die Dunkelheit, die aufkommende Dämmerung erwartend. Der Radarwarner blinkt und zeigt uns, dass wir nicht die einzigen sind hier draußen. Ein Rundumblick lässt uns aber doch alleine. Da, wo der Horizont zu erahnen ist, sind keine anderen Lichter auszumachen, als die der untergehenden Sterne.

Am Freitag wird es irgendwie kalt und ungemütlich. Alle liegen im Salon oder der in der Koje unter Fließdecken eingerollt. Captain Nico trägt wieder seinen hellblauen Kaputzenpulli. Unserem Ziel kommen wir bei Gegenwind kaum eine Meile näher – scheiß Tag. Apfelpfannkuchen mit Zimt und Honig könnten Abhilfe schaffen.

Am Samstag geht es wieder gut voran und wir können damit beginnen, unsere ETA, die geschätzte Ankunftszeit, beziehungsweise den geschätzten Ankunftstag auszurechnen. Voraussichtlich wird es der Donnerstag Vormittag werden. Die Ansteuerung von Cape Town erfolgt aus Südwest, denn die vorherrschende Windrichtung am Kap in den Sommermonaten ist Südost – der berühmte Southeaster, der uns kurz vor unserem Ziel noch einmal kräftig erwischen kann. Setzen wir zu früh direkten Kurs auf Kapstadt, kann es sein, dass Wind und Strom uns so weit nach Norden versetzen, dass wir an Cape Town vorbeirauschen. Wir hoffen also, am Donnerstag bei Sonnenaufgang das Kap der Guten Hoffnung an Steuerbord voraus zu erblicken, welches übrigens nicht der Südzipfel Afrikas ist und auch nicht die Grenze zwischen dem Atlantischen und dem Indischen Ozean bildet. Beides kommt später, beim Kap Agulhas, einige Meilen weiter östlich.

Also, drückt uns die Daumen für die letzten paar Hundert Meilen.

Bis die Tage in Kapstadt,

Marcel, Joanna, Renato und Captain Nico

  1. Marcus

    Lesetipp fuer Suedafrika/Kapstadt: Thomas Pynchon, Mason & Dixon (1997), erster Teil.