Seefieber

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Alte Reiseaufzeichnungen, Erzählungen, Erinnerungen und Tagebücher haben uns schon immer fasziniert und auf unseren eigenen Reisen begleitet. Sie machen Orte auf eine besondere Weise erfahrbar und sensibilisieren für das, was man hier und jetzt an diesen Orten erlebt und sieht, sie relativieren, machen nachdenklich. Als man uns fragte, ob wir einen Beitrag zur komplett überarbeiteten Neuausgabe von Rollo Gebhards Buch Seefieber. Allein mit der Jolle Richtung Indien und über den Atlantik (erschienen bei: millemari 2016) schreiben wollten, sagten wir natürlich sofort zu, zumal es sich bei den geschilderten Reisen um Segelabenteuer (und hier ist das Wort Abenteuer tatsächlich kein Gemeinplatz oder Euphemismus) aus den 1960er Jahren handelt und wir einige der besuchten Orte selbst auf eigenem Kiel erfahren haben.

Das Buch ist eine Mischung aus Logbuch, Tagebuch und Erinnerung an seine ersten Reisen auf See. Ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis von „Seefieber“ lässt Erinnerungen an unsere Zeit in Venedig und in der Adria aufkommen. – „Es wurde spät, bis wir uns der Lagunenstadt näherten, aber nie werde ich den Anblick der Türme und Kuppeln im Glanz der Abendsonne vergessen“, schreibt Rollo Gebhard und es ist tatsächlich so, diese Stadt vergisst man nie. Und man vergisst nie, wie es war mit dem eigenen Boot zum ersten Mal in See zu stechen. Man muss sich trauen und den ersten Schritt machen. Und auch bei uns gab es danach kein zurück mehr. Das Seefieber hat uns auf die gleiche Weise gepackt wie damals Rollo Gebhard.

 

Auf eigenem Kiel in der Lagune von Venedig, den Markusplatz querab. Ein unvergessliches Erlebnis.

 

In der Adria kreuzten wir die Kurse Rollo Gebhards nicht nur zwischen Venedig, Grado und Triest, sondern auch auf der Insel Molat in Kroatien. Vor einigen Jahren wollten wir den durch Rollo Gebhard ins Leben gerufenen Verein zur Rettung der Delfine (http://www.delphinschutz.org/) und das auf Molat neu gegründete Delfinschutzzentrum besuchen. Leider war das Gebäude zu dieser Zeit noch nicht fertiggestellt und außerhalb der Saison konnten wir dort (unangemeldet) niemanden antreffen. Wir bedauerten es sehr, hofften wir doch auf die Möglichkeit, Rollo Gebhard vielleicht persönlich kennenzulernen.

Eine Erfahrung der anderen Art war auch für uns der Besuch Albaniens. Noch immer ein weißer Fleck auf der touristischen und seglerischen Landkarte Europas. Doch in den 1960er Jahren lag Albanien nicht bloß auf der anderen Seite der Adria, sondern vor allem auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Während seiner Reise in diesem Gewässer ist Rollo Gebhard nördlich von Korfu und vor der albanischen Küste vom Militär aufgegriffen und verhaftet worden. Nur eine große Portion an Glück und vor allem seine besondere Art mit Menschen und Situationen umzugehen, führten zu einem glimpflichen Ende und seiner sicheren Weiterfahrt. „Wir haben das Recht, Sie gefangenzunehmen. Aber Sie sind ein guter Mensch, Sie dürfen fahren frei!“, sagte der Soldat zu ihm, und ließ ihn auf Befehl des Commandante frei und ungehindert weiter segeln.

Die Zeugnisse der Militärherrschaft in Albanien sind noch heute überall im Land zu sehen. In den Seekarten sind noch immer die vermeintlich verminten Gebiete verzeichnet. Allein das machte uns ein wenig nervös. Doch seine Erfahrung mit Albanien hat Rollo Gebhard nicht entmutigt, ganz im Gegenteil, sie fachte das Seefieber in ihm geradezu an: „Die Parole hieß also: Segeln, solange es noch geht, so oft wie möglich und so weit wie möglich.“

 

Tausende und abertausende von Bunkern ‚verzieren‘ die Küste Albaniens.

 

Berichte von Seglerlegenden wie Bernard Moitessier oder Rollo Gebhard, provozieren geradezu in uns die Frage, ob man heute noch diese Art von Abenteuer erleben kann… und will. Das Fahrtensegeln ist bereits zum Massenphänomen geworden und die sogenannte Globalisierung hat dazu beigetragen, dass viele Orte austauschbar und beliebig geworden sind. Liest man Rollo Gebhards Begegnungen mit den Behörden in Ägypten, dann erscheinen uns die heutigen Einklarierungsprozedere – auch wenn wir uns darüber beklagen – wie ein Kinderspiel, selbst dann, wenn man es mit korrupten Beamten in Gambia oder wichtigtuerischen auf den Kapverdischen Inseln zu tun hat. Letztendlich sind auch diese Länder in den weltweiten Tourismus bereits integriert und von den (erhofften oder tatsächlichen) Geldströmen abhängig geworden. Was Rollo Gebhard in Ägypten zu Zeiten der Diktatur erlebte, dass er festgesetzt, verhaftet oder umgehend des Landes verwiesen wurde, kann uns das heute noch passieren? Und wenn ja, wo? – In Nord Korea, Russland oder China?

 

Die Offiziellen sagen, wo es lang geht. Diskutieren zwecklos.

 

Die Gefahr der Piraterie allerdings scheint gestiegen zu sein, so war wohl der Überfall auf Rollo Gebhard im Golf von Aden symptomatisch für die Art von Überfällen, schwer bewaffnet, und auf immer größere Schiffe. Wir werden nicht erst seit der Lektüre von Seefieber einen großen Bogen um die Region machen, ebenso gilt Venezuela nicht gerade als sicheres Land für Segler. Hunderte von Fahrtenyachten allerdings gehen jedes Jahr durch den Panamakanal. Auch dort ist Rollo Gebhard überfallen worden. Waren es unsichere Zeiten, um weltweit unterwegs zu sein, oder ziehen manche Leute das Unglück an? Als er endlich von den Piraten frei kommt und sich in sicherer Entfernung weiß, wird Rollo Gebuard ohnmächtig. „Eine nie gekannte Schwäche lähmt plötzlich meinen Körper – ich kann nicht mehr. Segel runter, dann verliere ich das Bewusstsein.“

Doch beim Segeln gibt es reichlich Entschädigung für die Strapazen, die man auf sich nimmt. Eine meiner Lieblingsstellen in Seefieber ist der Logbucheintrag vom 06.03.1961, in dem es heißt: „10:00 Uhr SO 1, drückende Hitze. BP Tanker Chambo, Heimathafen Dünkirchen, ändert Kurs, läuft dicht (50m) an Backbord vorbei, grüßt und wirft eine 5-kg-Dose Nestle Milchpulver in das Kielwasser.“ – Kann man das heute noch erleben? Vielleicht. Wenn man in einem sieben Meter kurzen Segelboot alleine unterwegs ist. Vorausgesetzt, dass man von einem Tanker überhaupt wahrgenommen und nicht überfahren wird. Zweifelhaft aber, dass sich jemand die freundliche Mühe macht, Milchpulver oder Bier rüber zu werfen.

Wir haben auf unserer Reise einige Boote gesehen, die kleiner waren als unsere Chulugi, doch nur wenige, die so klein waren wie das Boot Rollo Gebhards. Und schon gar keine Jollen, die schließlich auch noch leicht kentern können. In Mindelo trafen wir einen Skandinavier, der mit seinem Sohn über den Atlantik in die Karibik rudern wollte. Ihr Ruderboot war mit der Größe und dem Komfort von Rollo Gebhards Booten vergleichbar: Ein Camping-Kocher, ein paar Konserven und Wasser für zwei Monate, sowie – vielleicht – hin und wieder eine 5-kg-Dose Milchpulver aus dem Kielwasser eines vorbeifahrenden Tankers gefischt. In der Ausrüstungsliste von Rollo Gebhards Hansa-Jolle Solveig auf ihrer Fahrt durch das Rote Meer findet man die Eintragungen: 1 Hongkong-Hut, 1 Strohhut und 2 blaue Leinenhüte. Auch die Marinehose und die Leinenhose sind blau. Zu Wollschal, Clubmütze, Wolljacke, Pullover und für das Tintenfass, beziehungsweise dessen Inhalt, sind hingegen keine Farbangaben vermerkt. – Seltsam. Unter „wünschenswert“ für die nächste Reise ist unter anderem notiert: „Komplette Dunkelkammereinrichtung mit Vergrößerungsgerät und Chemikalien“. – Heutzutage wohl nur noch ein Wunsch äußerst ambitionierter und traditionsbewusster Künstler-Fotografen, die dann mit Sicherheit ein weitaus größeres Schiff ihr eigenes nennen würden.

 

Groß und Klein nebeneinander auf Korfu. Gegen Solveig allerdings ist auch Chulugi ein Riese.

Komfort und Sicherheit – zwei heutzutage prominente Themen und Sorgenfelder der Segler. Für viele gehört zur minimalen Schiffsausstattung ein Kühlschrank, ein Gasherd mit drei Flammen, ein Bad mit Duschvorrichtung, vielleicht sogar eine Waschmaschine oder ein Eismacher. Notbook, Ersatz- oder Zweitcomputer, GPS, AIS, Radar, Satellitentelefon, Wassermacher etc. Da ist eine elektrische Ankerwinsch nicht mehr der Rede wert. Ganz zu schweigen von den Versicherungen, die zumindest deutsche Seglercrews haben – für horrendes Geld! – oder haben wollen würden. Wir machen da keine Ausnahme. Sicherheit vor Diebstahl, Seekrankheit, Überfall, Unglück und Tod… Und die Seglerlegende? – Auf einer Jolle…

Der Bericht Rollo Gebhards über seine seglerischen Unternehmungen, über seine kleine Jolle, über die schwierigen politischen Zustände oder internationalen Unsicherheiten, die eine Privatperson auf Reisen mit dem eigenen Boot erleben konnte, stellt die modernen LangzeitseglerInnen vor die Frage nach den Grenzen unserer eigenen Abenteuerlust. Erstaunlich ist zu beobachten, mit welcher seltsam indifferenten Mischung aus Lust und Angst wir modernen („Sport-„) Seefahrer unsere Reisen planen. Mit Lust an unbekannten Ländern, neuen Menschen und ihrer Kultur einerseits und Angst vor dem Verlassen ausgetretener Pfade andererseits. Wir verlassen zwar das uns heimatliche und vielerlei Sicherheiten bietende Europa, doch wir verlassen es anders als Rollo Gebhard es getan hat.

Das Schiff wird zum beweglichen Habitat, zum Rückzugsort, egal, was um einen herum passiert. Wie bei einem Einsiedlerkrebs wird das Schiff ein Teil von uns. „Der Wind heult mit unverminderter Stärke. Solveig liegt sicher, ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit. Ich krieche wieder zurück in die Kajüte, blase das Licht aus und lege mich schlafen.“ Die Staulisten Rollo Gebhards im Anhang von Seefieber spiegeln dabei die Erfahrungen in und mit den Schiffen, die er segelt. Schiff und Schiffer bilden eine Symbiose.

In Seefieber kann man mitverfolgen, wie sich die Schiffe über die Jahre verändern und wie der Seemann durch das Leben auf See geformt wird. „Der Körper hat sich umgestellt, die Belastungen sind zum Alltag geworden. Und jetzt geschieht etwas Merkwürdiges: Mitte November bin ich in der Nähe von Mauritius und habe plötzlich keine Lust mehr, die Insel anzusteuern. Ich will in meiner Kajüte bleiben und weitersegeln.“

Diese magische Verbundenheit mit dem Meer kann man auch heute noch als Fahrtensegler nachempfinden. Sicher, Segeln hat auch etwas mit ankommen zu tun. Einige – viele – der modernen Segler sind Langzeitsegler auf Zeit: Sie nehmen sich beispielsweise eine zweijährige Auszeit vom Job und dem Leben auf heimatlichen Boden, um bestimmte Highlights anzusteuern. Karibik und die sogenannte Barfußroute von den Kanaren aus dorthin ist immer noch einer der häufigsten „Seglerträume“, manchmal ergänzt durch Nordamerika oder den Panamakanal. Danach wird zurückgesegelt. Der Job, die Freunde, die Familie – aber auch die Ängste vor der dauerhaften Unsicherheit – rufen viele der Langzeitsegler ohne ein festes Budget zurück nach Europa. Der Wunsch nach Sicherheit ist in vielerlei Hinsicht fest in den meisten europäischen Seglerköpfen verankert. Ist das vielleicht von Nation zu Nation unterschiedlich? Vermutlich. War das zur Zeiten von Rollo Gebhard anders? Mit Sicherheit!

Doch nach einer gewissen Zeit an Land hört der eine oder die andere SkipperIn auch heute noch tief in seinem oder ihrem Inneren den Sirenengesang locken – hinaus aufs Meer, trotz aller Strapazen und Entbehrungen, die das Leben auf See mit sich bringt. Und so endet auch Rollo Gebhards erste Weltumsegelung mit dem Wunsch, wieder in See zu stechen. „Einige Jahre werde ich jetzt an Land bleiben, doch dann soll Solveig wieder auf die Meere hinaus, neuen Zielen entgegen.“

 


Chulugi in der Adria.