Munnar und die Tea Estates

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Wem haben wir es zu verdanken, all die wunderschönen Teeplantagen, die mich von Weitem an moosbewachsene Steine oder an grüngewebte Florteppiche erinnern? Beginnen wir mit dem Jahr 1862 als Colonel Douglas Hamilton mit seiner Expedition den von wilden Elefanten angelegten Pfaden folgte. Diese klugen Tiere überquerten die Berge und Hochplateaus seit Jahrhunderten auf gut ausgewählten, von ihnen selbst angelegten Wegen, die jede unangenehme oder gefährliche Steigung vermieden. Auf diesem alten Wegessystem überwand auch Hamilton das Anamudi-Bergmassiv und sichtete die Gegend während er weiter nach Süden vordrang. Sein Bericht spricht von der überwältigenden Schönheit dieser als undurchdringlich beschriebenen Gegend, die Hamilton als die schönste, die er gesehen hat, hervorhebt. Hamilton war ein hervorragender Tierbeobachter, liebte die Natur – und das Töten von Tieren zum Vergnügen. Diesem ‚Sport‘ ging er leidenschaftlich gerne in den Annaimalai und Palani Hills der Western Ghates nach. Was sich heute schwer gedanklich miteinander verbinden lässt – das „big game“ und die Liebe zu Natur – hielt er in zahlreichen Zeichnungen fest. Sie sind heutzutage nicht nur schöne Zeugnisse der Landschaften der High Range, sondern auch traurige Dokumentationen der Tierwelt, die es nur 150 Jahre später dank der ganz speziellen Liebe der Weißen zur Natur nicht mehr gibt.

 


Zeichnung von Hamilton: Der Tod des „Great Tusker“ (eines alten, besonders prächtigen Chief-Elefanten mit langen Stoßzähnen) mit Selbstporträt (der bärtige Mann links). Hamilton gab mehrere Bücher oder Alben mit seinen Zeichnungen, Lithographien und Berichten heraus, die fast auf jeder Seite das Töten darstellen. Um so größer, seltener und schöner die getöteten Tiere, desto erfreulicher für den Naturliebhaber Hamilton und seine Gleichgesinnte. [Foto: Wikipedia]

 


John Daniel Munro: der Entdecker

Auf Hamiltons Bericht fußt schließlich die alles entscheidende “Shikar-Expedition”, die John Daniel Munro 1877 unternimmt. “Shikar” (sprich: schik:ar) bedeutet in der Urgu-Sprache soviel wie “Jagen als Sport & Spaß”, und um dieses zweifelhafte Vergnügen, das unter anderem den heutzutage beinahe ausgestorbenen Bengal-Tiger und die Great Tusker Elefanten mit auf dem Gewissen hat, brachte Munro dazu, diese Region seinen Landsleuten in wirtschaftlicher Hinsicht schmackhaft zu machen. Anderen Berichten zufolge war Munro in diesem Gebiet unterwegs, um einen Grenzstreit zwischen dem Sultanat von Travancore und dem von Madras beizulegen. Beides schließt sich nicht aus.

John Daniel Munro ist bis heute ein in indischen Geschichtsbüchern geschätzter Europäer, tatsächlich war er ein gebürtiger ‚Inder‘ – vielleicht in Kottayam/Kerala geboren -, der jedoch als britischer Staatsbürger zur Welt kam. Zwar brachte er nicht den Tee nach Munnar, aber dafür war er maßgeblich an der Öffnung der Region für Plantagen beteiligt und in diesem Sinne betrachtet, gilt er als der Entdecker der (ökonomischen Seite) Region.

Als er mit seiner (Jagd-) Gesellschaft in die Gegend des heutigen Munnar kam, soll er sich ähnlich wie Hamilton sofort in die Schönheit dieser damals noch unentdeckten und unberührten Bergregion verliebt haben. Diese Liebe machte ihn jedoch nicht blind für die Geschäftsmöglichkeiten, die er sowohl in der Jagd als auch in dem Terrain selbst sah. Er gilt als der erste, der die Möglichkeiten des Plantagenbaus erkannte und konkrete Empfehlungen aussprach. Seine Erkenntnisse publizierte er darüber hinaus in einem Reisebericht. Munro empfahl, in dem auf unter 900 Metern liegenden Unjenaad-Tal Kaffee und die aus Südamerika stammenden Cinchona-Bäume anzubauen. Er lobte das gute und gesunde Klima und wies darauf hin, dass es nicht lange dauern wird, und diese Hügel würden von Bauern oder anderen Nutznießern besetzt werden. Insbesondere die Hügel, die heute als Kan(n)an Devan bekannt sind, haben es ihm angetan, und so beschloss er, das Land zu erwerben. Doch der Kauf war nicht ganz so einfach, denn obwohl das Land auf dem Terrain des Maharajas (Großkönige) von Travancore lag, war es ein sogenanntes Jenmam-Land, das per Geburtsrecht der königlichen Familie von Poonjar gehörte. Hier durfte man gar nichts, außer die Königsfamilie erlaubte es. Doch warum sollte sie es tun? Munro, der kein so unbekannter Mann war – sein Vater war Forstverwalter -, konnte eine Audienz bei dem Oberhaupt der königlichen Familie mit dem einfachen Namen Rohini Thirunal Kerala Varma Valiya Raja erwirken. Geholfen hat ihm dabei Kannan Thevar, der Chief von Anchunadu, einem kleinen Stammesreich, das heute als eine der frühesten menschlichen Ansiedlungen in Südindien gilt. Beide müssen ganz offensichtlich überzeugend gewesen sein, denn Munro wurde die Pacht der Kannan Devan Hills – die freilich damals noch nicht so hießen – gewährt (1877), was 1879 noch einmal ratifiziert wurde. Die Pachtabgabe belief sich jährlich auf 3.000 Rupien und einer einmaligen Kaution von 5.000 Rupien.

Übrigens, die Bezeichnung „Kanan Devan“ (mit einem oder doppelten N), die geografische Orte als auch Teeplantagen und Teefirmen im Namen tragen, wurde ursprünglich zu Ehren des Chiefs Kannan Thevar gewählt.

Für die oben genannte Summe bekam Munro von Kerala Varma Raja circa 588 Quadratkilometer Land. Viel Land, um es selbst zu bewirtschaften, und so schaute sich Munro in seiner weißen Community nach geeigneten Mitstreitern um, und fand sie zunächst in den Halbbrüdern Turner. Henry  G. Turner und “Thambi” A. W. Turner kamen 1878 auf eine Jagdeinladung Munros hin nach Munnar und wurden vom wirtschaftlichen Potenzial der Region überzeugt. Zusammen mit Munro gründeten sie 1879 die “North Travancore Land Planting & Agricultural Society” und suchten nach zahlungsfähigen Mitgliedern, die bereit wären, ein Stück des Landes zu übernehmen, zu planieren und zu kultivieren. Man baute an verschiedenen Stellen des gepachteten Dschungels vor allem Kaffee an, der für die Weißen besonders lukrativ war, gefolgt von Cinchona, Sisal und Kardamom.


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Der Poonjar Palace in Poonjar-Ort, heute ein Museum. [Foto: Department of Archeology]

Hier, in diesem königlichen Anwesen aus Holz soll es gewesen sein, wo John Daniel Munro das Oberhaupt der Königsfamilie traf, dem das riesige unbekannte Land am Western Ghates gehörte. Der Palast ist 600 Jahre alt und beinahe vollständig aus Holz gebaut. Da ich (bisher) noch nicht da war, verlasse ich mich vorerst auf dieses Foto, was allerdings einen recht heruntergekommenen Eindruck von der alten Anlagen vermittelt. In Anbetracht der anderen mir bekannten Paläste königlicher Familien, kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Eingang tatsächlich “den Königspalast” darstellt. So oder so, es ist zu befürchten, dass dieses alte Anwesen unser Jahrhundert nicht überleben wird. Das liegt sicherlich nicht am Geldmangel des indischen Staates, sondern an der korrupten ‘Verteilung’ der Gelder.


Cinchona ist heutzutage nicht mehr so bekannt, doch bis ins 20. Jahrhundert hinein konnte man damit viel Geld machen. Vorausgesetzt, man hatte die richtige Sorte Baum angebaut. Denn aus der Rinde des Cinchona-Baumes gewann man das damals begehrte Chinin, das als einziges Mittel gegen die tödliche Malaria wirkte. Doch die weißen Farmer in Indien hatten zunächst auf Cinchona succiruba gesetzt, eindeutig die falsche Sorte, die kaum und schwachwirkenden Ertrag lieferte. Pech.

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Es gibt an die 24 verschiedene Arten des Cinchona-Baums, der aus dem Norden Südamerikas stammt. Die chininhaltigsten und damit die besten Baumsorten kommen in Peru vor. Indios haben schon lange um die medizinische Wirkung der Baumrinde gewusst und die klugen Jesuiten haben sie als erste Europäer erprobt und in die Alte Welt gebracht. Verwendung fanden (und finden) die Auszüge aus der Pflanze auch bei Magenproblemen, Fieber, als auch als Färbemittel (rot). Die interessante Kulturgeschichte dieser Bäume kann man bei Wikipedia nachlesen (eng. Beitrag informativer). [Foto: britannica.com]


Die Kaffeepflanze wollte offenbar in der vermutlich dafür zu kalt-feuchten Luft mit starken Monsunregenfällen nicht so recht gedeihen und litt bald unter Krankheiten. Und so schaute man sich nach besseren Quellen des Wohlstands um. Es war A. H. Sharp, ein aus Europa eingewanderter Farmer, der 1880 als erster Tee auf seiner Parvathi Plantage anbaute – und damit großen Erfolg hatte. Seinem Beispiel folgten schnell zahllose andere Farmer, die Land von der Society bekamen. Sharps alte Plantage – die älteste Teeplantage der Region – ist heute Teil des Seven Mallay Estates, wo immer noch Tee angebaut wird.

Ich konnte nicht eruieren, wie die Society dazu ermächtigt wurde, das gepachtete Land der königlichen Familie ab der 1880er Jahre offenbar zu verkaufen. Eines ist jedoch sicher: Die Nachfahren der Poonjar Raja Familie klagten zwischen 2003 und 2015 gegen den Staat um die Rückgabe einiger der Ländereien, die Munro im 19. Jahrhundert von ihren Vorfahren zu Pacht bekommen hat („New Indian Express„). Entweder währt dieser rechtliche Streit immer noch, oder – was wahrscheinlicher ist – die Klage wurde abgelehnt. Mit anderen Worten, nicht nur mir ist der plötzliche Wechsel der Besitzverhältnisse nicht klar geworden.

John Daniel Munro: Ashley Estate und das weiße Pferd

Nach anfänglichen Versuchen mit Kaffeeanbau wurde Munro schließlich Teepflanzer in Ashley in der Nähe von Peermade, Kuttikkanam. Könnte der “Ashley Bungalow”, der 1869 inmitten der Teeplantage gebaut wurde (das älteste überlieferte Plantagenhaus, heutzutage zu vermieten) einst sein Haus gewesen sein? In den Weiten des Internets finde ich den Hinweis, dass das Anwesen der Familie Baker gehörte. Zufall, dass John Daniels Ehefrau Henrietta eine geborene Baker war? Wohl kaum, denn die Familie Baker gehört zu den ältesten Plantagenbesitzern in der Region um Peermade und Kuttikkanam. Sie kam auf Einladung des berühmten Großvaters von John Daniel Munro, des Generals John Munro (Resident und Diwan der Staaten Travancore und Cochin 1810-1819) nach Indien. John Daniel Munro wiedrum baute den alten Elefanten-Pfad zwischen Kottayam und Peermade zu einem für Menschen und Güter befahrenen Weg aus und eröffnete überdies einige der Plantagen in Peermade und Ashley. Heute gehört das ehemalige Ashley Estate zusammen mit dem angrenzenden Stagbrook Estate der internationalen AVG-Group. Wer wie ich immer weiter und immer tiefer in die Geschichte der Plantagen und ihrer Gründer eintauchen möchte, der folge diesem Link (auf Englisch).

Von John Daniel Munro weiß man, dass er neben der Shikar, der Vergnügungsjagd, sein weißes Pferd, die Stute Downy liebte. Es heißt, er starb 1895 bei einem (Reit-?) Unfall in Peermade. Begraben wurde er auf dem Friedhof der anglikanischen St. George CSI Church in Pallikunnu nahe bei Kuttikkanam, die heute innen wie außen noch genauso aussehen soll wie damals. Dem schlichten Grab Munros steht das seines geliebten Pferdes gegenüber, das gleicherweise bei dem Unfall starb. Der Verwalter des Friedhofs hebt in einem Interview mit „The Hindu” hervor, dass diese Begräbnisstätte sicherlich die einzige in Indien und vielleicht auch weltweit ist, wo ein Pferd in geweihter Erde liegt. Das Grabmal der geliebten Downy ist jedenfalls bei weitem chicer als das ihres Herren. Munros Ehefrau Henrietta wird hingegen in der Kirche gedenkt. Wer noch mehr wissen und auch ein Bild von John Daniel Munro sehen möchte, der greift zu dem Buch “Above the Heron’s Pool”.

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John Daniel Munro, 1833 – 1895. [Foto von Nicol Skinner]


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John Daniels geliebte Stute und ihr neuer Gedenkstein. [Foto von Nikol Skinner]



Noch ein wichtiger Name mehr

Ein ganz wichtiger jedoch ‘stiller’ Name ist John Payne. Ohne ihn hätten wahrscheinlich sowohl die großen als auch die kleinen Plantagenbesitzer schnell ihre hochgesteckten Agrarprojekte aufgegeben. Payne war selbst ein Plantagenbesitzer aus dem damaligen Ceylon (heute Sri Lanka), der 1881 von Henry Turner zur Mitarbeit an seiner Society überredet wurde. Er hat nicht nur das Talliar Estate der Turners aufgebaut, sondern die meisten hiesigen Plantagenbesitzer im Bau der Straßen, Drainage der Felder und den Bau von Häusern in der High Range angeleitet. Ihm ist der Bau der nach ihm benannten “Payne’s Ghat” zu verdanken, der Hauptstraße, die von Devikulam bis nach Periakanal führt und der Hauptgrund für die Urbarmachung und ‘Zivilisierung’ der gesamten Gegend ist. John Payne bewohnte auch eines der schönsten Bungalows (1887), das man heute für gut 150 Euro (für ein Zimmer) mieten kann. Für alle, die sich das leisten können, sicherlich die beste Adresse in Munnar.

Neues Kapitel in Munnars Geschichte: Tee, Katastrophen und Wiederaufbau

Im Jahr 1893 wurde ein neues Kapitel in der Tee-Geschichte Munnars aufgeschlagen, als die schottische Firma „James Finlay & Co“ mit John Muir an der Spitze die Bühne der High Range betrat. Die Firma, die James Finlay 1750 in Glasgow gründete, handelte zunächst mit Baumwolle aus den USA und später aus Indien. Als John Muir ihr 1849 beitrat, wurde er Junior Partner der Tochterfirma Finlay Muir & Co Ltd mit Sitz in Kalkutta. Seit den späten 1880er Jahren erweiterte die Tochtergesellschaft ihren Handel auf Hanf, Tabak, Rapssamen, Leinsamen, Salpeter, Zucker, Rizinusöl, Mohn, Schellack, Häute, Indigo, Ingwer – und nicht zuletzt Tee. „Finlay, Muir & Co Ltd.“ bestand bis zum Jahr 1964 in Indien.

Schon damals verfügte die Company über 90.000 Arbeiter und war das weltgrößte Unternehmen. In Munnar und Umgebung kaufte die Company mittels ihrer Tochterfirma viel Land von der mittlerweile schlechtgehenden Society der Munro und Tuners und fing an, Tee zu produzieren. 1897 gründete sie die Kanan Devan Hills Produce Company, die die aufgekauften Güter bündeln und verwalten sollte.


John Muir (1828–1903). [Foto: finlays.net]


Man kann nur staunen, wie schnell und gründlich Eisenbahn, Hängebrücken, Wege und geteerte Straßen aber auch technische Errungenschaften wie Hochseilbahnen zu Beförderung der Teeblätter und anderer Güter in Munnar Distrikt gebaut wurden. Aus den vielen kleinen und großen Teeplantagen der ersten Pionierzeit entstanden oder überlebten bis 1915 schließlich 16 Teefabriken, die die wiederkehrenden starken Monsunregenfälle und einige andere Rückschläge wegstecken konnten. Das Datum 1924 markiert einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte der Region, als ein Unwetter mit Gewittern und exzessiv starken Regenfällen auch die kleinen Bäche zu reißenden Stromschnellen machte, was wiederum zum Anschwellen der zahlreichen Wasserfälle und Flüsse mit nachfolgenden massiven Erdrutschen nach sich führte. Teeplantagen wurden weggeschwemmt, Brücken abgerissen, Zufahrtswege verschwanden von der Landkarte, viele der einfachen Hütten der zumeist tamilischen Arbeiter wurden weggerissen, Menschen und Tiere verloren ihr Leben. Und die Eisenbahn war fast zerstört. Doch man begann sofort mit dem Wiederaufbau und die Region verlor dadurch nichts an ökonomischer Bedeutung.


Die Finlays Collaction bzw. die Bibliothek der Glasgow University verfügt über originale Unerlagen von John Muir, der die Gegend 1894/95 selbst bereiste und darüber geschrieben hat. Sie sind in Form von Fotos und Tagebucheinträgen zum Teil auch online einsehbar. Sehr interessant sind diesbezüglich die drei Blogs, die (nicht nur aber auch) zum Thema Teeplantagen in Munnar der James Finlay Company bzw. ihrer Tochtergeselschaft „Finlay Muir & Co“ anläßlich des „International Day of Tea“ entstanden sind. Wer des Englischen nicht so mächtig ist, kann sich natürlich auch nur die interessanten Fotodokumente anschauen:
The James Finlay Collection: International Tea Day Part 1, Schwerpunkt: Geschichte, Projekt Finlay-Kollektion
The James Finlay Tea Estates: International Tea Day Part 2, Schwerpunkt: Geschäfte der Company, Tee
The James Finlay Employees: International Tea Day Part 3, Schwerpunkt: Geschichte der Angestellten.


Estates gestern und heute

Viele der Estates der ersten Stunden sind bis heute noch ausfindig zu machen. Einige sind nur als Flurnamen überliefert, andere existieren als Plantagen und Fabriken bis heute. Die erste Teeplantage Parvathi von A. H. Sharp zum Beispiel existiert noch als Seven Mallay Estate und bietet Urlaubern ein altes Kolonialhaus inmitten der Teebüsche zu Miete an. Die alte Architektur aus der Gründerzeit der Region findet man kaum noch im heutigen Munnar. Das liegt zum einen daran, dass die ersten Bauten nicht besonders solide waren und/oder während der großen Flut beschädigt und neu errichtet wurden. Andererseits ist die englische Architektur, die hier zur Anwendung kam, ausschließlich funktional gewesen. Paläste bauten sich die Plantagenmanager oder -besitzer nicht. Statt dessen gab es hier den Typus “englisches Cottage”, aus Bruch- und Feldstein gebaute Bungalows mit großen Erkerfenstern und Veranden. Abgesehen von einigen wenigen raren Ausnahmen stammen die überlieferten Häuser vor allem aus der Zeit um 1935 und sind die einzigen Gebäude der Region, die außen und manchmal auch innen so etwas wie Kolonial-Charme versprühen. Diese Häuser sind nicht selten Mietobjekte, die durch ihre Lage inmitten der Teeplantagen, oder erhöht auf Hügeln, bestechen. Daher lohnt es sich, eine entsprechende Recherche im Internet zu unternehmen. Mein Tipp: Schaue auch auf den Homepages der jeweiligen Teeplantagen bzw. Tee-Companies unter dem Stichwort „heritage“ nach!

“Parvathi” (A. H. Sharp), “Donovan” (C. Donovan), “Aneimudi” (E. J. Fowler),  “Sothuparai” (C. W. W. Martin & Tony Martin), “Surianalle” (H. M. Knight), “Panniar” (J. A. Hunter & K. E. Nicoll) – das sind einige der ersten Plantagen, die zwischen 1880 und 1883 entstanden und damit zu den ältesten der Region zählen. Sie alle folgten dem Beispiel des Tee-Pioniers A. H. Sharp. Die mächtige Familie der Turners, die gemeinsam mit Munro die Society gründete, besaßen das 283 Hektar umfassende Talliar Estate, das sich in erster Linie dem Anbau von Kaffee widmete. Munro hat sich ein Estate in Ashley weiter südlich von Munnar aufgebaut, das heute, wie geschrieben, der AVG-Group angehört. Was aus Panniar Estate geworden ist – das wir besucht haben -, wird in meinem dritten Munnar-Blogbeitrag zu lesen sein.

Übermächtige Tatas und das alte Kan(n)an Devan Hills Estate

Was wäre Indien ohne die übermächtige indische Familie Tata! Fraglos, sie sind die modernen Maharajas von heute. Man kann, ohne zu übertreiben sagen, dass sie das heutige Indien wesentlich mitgestaltet haben. Öffne die Augen, wenn du in Indien bist, und halte Ausschau nach dem einfachen Schriftzug TATA und du wirst TATA-Sanitäranlagen, TATA-Tankstellen, TATA-Landwirtschaftsgeräte, TATA-LKWs und –PKWs und natürlich auch die TATA-Tuk-Tuks, TATA-Strom etc. sehen. Allein die Politiker, die sicherlich auch von der TATA-Group gekauft sind, tragen kein entsprechendes Firmenlogo. Die Tatas entstammen einer Parsi-Familie, die ursprünglich aus Navsari im Bundesstaat Gujarat nach Mumbai eingewandert ist. Als Begründer der heutigen Tycoons gilt Jamshedji Tata.

In Munnar wurden die Tatas im Jahr 1962 aktiv, als ihre TATA-Group eine Kooperation mit der alteingesessenen “Finlay Muir & Company” einging. Wenig später ging daraus die TATA-Finlay Group hervor. Im Laufe der folgenden Jahre sahen sich die Finlays bzw. die Muirs, die die Firma mehrheitlich hielten, dazu gezwungen, ihre Unternehmen aufzugeben und Indien zu verlassen. Im Jahr 1973 übernahm TATA die Firma vollständig. Sie nannte sich fortan TATA Tea Limited Ltd. Im Jahr 1983 war die Company eine der größten in Indien mit mehr als 30 Teeplantagen. Den Tatas verdankt Munnar viel. Die Company baute Straßen und Brücken, ein TATA-eigenes Postamt, Wasserkraftwerk und stellte die Stromversorgung für die Dörfer. 2004 geschah etwas neues, die Tatas strukturierten ihr Unternehmen in Munnar um, verließen die Company als Besitzer und gründeten gleichzeitig die Kannan Devan Hills Produce Company Pvt. Ltd., abgekürzt: KDHP. Was ist passiert?

Die Tatas sahen die Tea-Company nach einigen schlechten Jahren als zu unwirtschaftlich an und beschlossen, sich stattdessen auf die Vermarktung von hochwertigen Marken-Teeprodukten zu verlegen. So wurde ”TATA Tea” 2010 in das neuentstandene “Tata Global Beverages” umbenannt. Gleichzeitig wurde die KDHP eine Shareholding, bei der die Mitarbeiter zu Mehrheitsbeteiligten und Eigentümern wurden. Der Schritt war revolutionär, wenn auch eigennützig, als die TATA-Group die Grundstücke verkaufte und ihren Firmenanteil auf 19 % reduzierte. Voraussetzung für diesen Schritt war, dass die Mitarbeiter mindestens 300 Aktien zum Nennwert von 10 Rupien kauften und insgesamt circa 70 % halten mussten.

IMG_20191202_122903_thumbWir stehen hier auf dem Grund und Boden einer der ältesten, bis heute kontinuierlich betriebenen Teefabriken Südindiens, der ehemaligen “Finlay Muir & Company”, die aus dem Zusammenschluss kleinerer Plantagen in den 1890er Jahren entstand, und schließlich von der TATA-Group aufgekauft wurde. Heute ist sie unter der KDHP-Abkürzung bekannt. Vielleicht ist dieser Ort der meistbesuchte von Munnar. Das liegt mitunter daran, dass es hier ein Tee-Museum, einen Shop und eine Probierstube gibt.


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IMG_20191204_152159_edited_thumbHier genehmigen wir uns den ersten heißen Tee aus Munnar. Löblich sind die Pappbecher, denn es wird mittlerweile überall auf den Estates darauf geachtet, kein Plastik zu verwenden: “Plastic free zone” Aushang und „Don’t drop plastic“. Nur die Touristen kommen mit Millionen Plastikflaschen hier an. Heutzutage ist die Fabrik in der Hand der KDHP. Der Name erinnert an die erste große Teefabrik und Plantage, “Kanan Devan Hills Produce Company” der Schotten Finlay und John Muir. Der Name erinnert an einen Stammes-Chief, der maßgeblich dazu verhalf, dass das heutige Munnar entstehen konnte.


Ein anderer Blick auf die schönen Teeplantagen: der Sieg der Arbeiterinnen

Ein denkwürdiges Datum für das TATA-Estate ist der 6. September 2015. An diesem vielleicht nebeligen Tag begaben sich je nach Bezugsquelle 3.000, 5.000 oder 6.000 Pflückerinnen der KDHP vor das Hauptgebäude der Company in Munnar. Mit dabei hatten sie eine Liste all der Missstände, in denen sie leben: 1) schlechtere Bezahlung als die der männlichen Tagelöhner in den Dörfern, 2) schlechte Hütten mit nur einem Raum zum Leben, Schlafen, Kochen, 3) schlechte oder keine Versorgung für ihre Kinder während ihrer Feldarbeit. Ausschlaggebend war jedoch die Weigerung des Managements, die versprochene Erhöhung der Löhne um 20% zu realisieren. Die Arbeiterinnen bekommen einen Tagessatz von 234 Rupien für 12 Stunden täglicher Arbeit. Zum Vergleich: Ein einfaches Mittagessen in einem simplen Kerala Restaurant kostet zwischen 90 und 200 Rupien. Gleichzeitig war aber die geforderte tägliche Pflückmenge von 21 auf 31 Kilogramm gestiegen. Die Arbeiterinnen forderten dafür nun 500 Rupien. Angeführt wurden auch gesundheitliche Argumente, die Knieschäden als Berufskrankheit und die (Spät-) Folgen von giftigen Pestiziden, denen die Pflückerinnen ausgesetzt sind.

Interessanterweise waren Männer und Gewerkschaften von diesem Streik ausdrücklich ausgeschlossen. Mit der Begründung, dass Männer sich vom Alkohol beeinflussen lassen und sowieso nicht auf den Feldern arbeiten, hingegen die Gewerkschaftler für das Management arbeiten.

Nach 21 Tagen gab die Company nach… Die Geschichte der Pflückerinnen ist eine bis dahin in Südindien beispiellose, geschichtsmachende Aktion, die mit mehr Hintergrundwissen in dem Blogartikel “A tale of two tea gardens”, allerdings auf Englisch (mit Fotos), nachzulesen ist. Andere Berichterstatter heben die nebulösen Umstände dieses Streiks hervor und argwöhnen, dass sich hinter dieser ungewöhnlichen Aktion politische Machtspiele der Parteien aus dem Bundesstaat Tamil Nadu verbergen, der in der Region von Munnar an den Bundesstaat Kerala grenzt. Ganz aus der Luft scheinen diese Vermutungen nicht gegriffen zu sein, denn man kann sich tatsächlich eine solche revolutionäre Handlung der im Grunde ungebildeten Pflückerinnen ohne eine organisatorische Unterstützung schwer vorstellen. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Pflückerinnen Tamilen sind. Wer mehr über die vermuteten Hintergründe erfahren möchte, kann dies auf Englisch in dem Artikel der “Economic” nachlesen, der darüber hinaus in anschaulichen Fact-Bildern die Rolle der TATA-Group und die wechselnden Kräfteverhältnisse darstellt: Prädikat “lesenswert”.

Für TATA-Group war das nicht die erste öffentliche Anprangerung. Bereits ein Jahr zuvor kritisierte der Bericht des Human Rights Institute aus Columbia/USA die katastrophalen Arbeitsbedingungen, den schlechten Zustand der ArbeiterInnen, zu niedrige Löhne und last but not least die Menschenrechtsverletzungen, die “Tata Global Beverages” und das International „Finance Corporation“ (IFC, Teil der Weltbank) auf ihren Teeplantagen in Assam und Westbengalen begehen. “The Guardian News-Website” konnte in ihrem Artikel nachweisen, dass “Tata Global Beverages” den indischen Mindestlohn auf einer Assam-Teeplantage (zusammen mit anderen führenden Teeproduzenten) deutlich unterschreitet. Und das sagt schon einiges über die Arbeitsbedingungen aus.


Man sollte nicht vergessen, dass hinter der Schönheit der Teeplantagen und hinter dem Geschmack des “Chais”, für dessen Teeblätter wir so wenig zahlen, vielfältiges Leid und Naturzerstörung stehen.

Kann man angesichts der hässlichen Kehrseiten der menschengemachten Dinge denn überhaupt noch etwas genießen? Schwierige Frage in Anbetracht der Waldbrände in Brasilien und Australien, der Plastikverschmutzung der Meere, der fatalen Überfischungen und der katastrophalen Überbevölkerung. Können wir uns das Weggucken und Verharmlosen leisten? Sicherlich nicht. Doch es gibt immer einen Weg, wenn nicht aus, so doch wenigstens innerhalb des Dilemmas. Auch kleine Schritte führen zum Erfolg, wenn sie Nachahmer finden. Beispielsweise nicht den billigsten Tee kaufen, nicht jede spaßige Jeep-Tour durch die Natur unternehmen, kritische Fragen bei Führungen stellen, sich mehr für die Hintergründe interessieren und vielleicht auch einem Tuk-Tuk-Fahrer den sicherlich überteuerten Preis für eine Tour zahlen, ohne ihn dabei gleich zu verfluchen. Privatunterkunft (Home-Stay) ist besser als eine große, gerade aus dem Bode gestampfte Hotelanlage und Wasser in wiederverwertbaren Flaschen als ständig neugekaufte Plastikflaschen. Und nicht zuletzt: Auch kleine Geschenke und nette Gesten machen das Leben der Armen, und sei es auch nur für den einen kurzen Moment, schöner.

Verschenken wir einfach etwas auf unseren Reisen und werfen nicht das Essen, was sich auf dem Teller noch zum Schluss der Mahlzeit auftürmt, sondern geben es den Straßenhunden. Es gibt so viele kleine und große Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, um unsere Umgebung besser zu machen  – wir müssen sie nur ergreifen.


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Arbeiterinnen auf dem Weg nach Hause. Durch eine alte Plantage, gleich um die Ecke bei unserer zweiten Unterkunft in Munnar. Ich mag ganz besonders die alten Wege, die sich so harmonisch in die Landschaft der Teeplantagen einfügen. Übrigens, auf diesem Weg musste unser Chauffeur sein Auto durchquetschen, weil der andere Weg zum Hotel aufgrund der extremen Steigung für ihn nicht machbar war.


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IMG_20191203_101541_editedPittoresk bunt inmitten einer grünen Oase.


So oder so ähnlich sehen die typischen Wohneinheiten der Pflückerinnen-Familien aus. Manche sind kleiner, manche sehen recht heruntergekommen aus, andere wiederum liegen nahe an einer der Hauptstraßen. Die Entfernung macht sie vermutlich hübscher, als sie in Wahrheit sind. Die meisten liegen inmitten der jeweiligen Plantagen. Ihre Lage erlaubt kürzeste Arbeitswege und da die hier arbeitenden Pflückerinnen auch noch das Mittagessen für ihre Familie bereiten müssen, ist natürlich keine Zeit zu verlieren. Auch das Management hat keine Rupie für verspätete Arbeiterinnen übrig… und hat darüber hinaus alle Arbeiter isoliert und gut im Blick. Die Arbeiterinnenfamilien gehören einer entsprechenden Kaste an, die in das Plantagendasein geradezu hineingeboren wird. Und das schon seit vielen Generationen. Verlieren diese Arbeiterinnen ihren Job – beispielsweise durch die Modernisierung der Pflückmethoden (siehe meinen nächsten Beitrag) -, dann verlieren sie alles.

Man sieht an meinem Fotobeispiel, dass die Arbeiterinnen ein wenig eigenen Garten haben mit Bananenstauden und noch etwas Obst und Gemüse. Wie sieht es in den Wohneinheiten aus? Über wie viel Raum verfügt hier eine Familie? Und wie sieht es hier aus, wenn der Monsun einsetzt?

Das TATA-Tee-Museum

Stolz präsentiert man in der Ankündigung das erste Tee-Museum Indiens (ob das stimmt?). Es liegt circa 4 Kilometer außerhalb von Munnar-Ort, in dem Nalluthanni Estate. Die Straße, die dorthin führt, ist besonders schlecht, und das obwohl Hunderte Touristen, Tuk-Tuks, PKWs und Busse den Weg nach oben nehmen, wundert sich unser Chauffeur Varghese. Und wenn man bedenkt, welch reiche Unternehmen hinter der Teeplantage stehen, ergänze ich im Geiste. Eröffnet wurde das Museum anlässlich der Gründung der TATA “Kannan Devan Hills Produce Company” im Jahr 2005.  Dabei würde es problemlos als ein Museum aus den 1960er Jahren durchgehen. Es hat durchaus einen skurrilen Charme. Illustriert wird die Geschichte der Pioniere in den Plantagengründungszeiten, die schwierigen Anfänge, der ersten Maschinen, der speziellen Erfindungen zur Verbesserung in der Teeverarbeitung, etwas Mobiliar aus den alten Landhäusern,  viele verblasste Fotos, einen 30-minütigen Infofilm…

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Immerhin erfahren wir, wie reich an Wildtieren die hiesigen Wälder vor 100 Jahren noch waren. In Hülle und Fülle gab es hier neben dem mächtigen Sambar und dem wunderschönen Chital auch den zierlichen, ‚bellenden‘ Muntjak (Reh) und kleine Bären neben großen Bison-Büffeln. Bei den ausgestopften Exemplaren des Museums fehlen die Elefanten und Tiger – offenbar wollte man das Töten der fast ausgestorbenen Tierarten nicht zu deutlich vor Augen der Touristen führen und gleichzeitig auf die schießwütigen Briten aber auch auf die gelangweilten Maharajas und Rajas aufmerksammachen. Traurige Bilanz von nur 150 Jahren. Zwei relativ kleine Reservate – die wir aus bestimmten Gründen nicht besucht haben – sorgen für das Fortbestehen der einen oder anderen vom Aussterben bedrohten Spezies. So scheint offenbar der ziegenartige Nilgiri-Tahr (ganz rechts oben angeschnitten) das Glück zu haben, Publikumsliebling zu sein, da er sich gerne füttern lässt. Für andere wird es in dem zunehmen überbevölkerten und in Teeplantagen umgewandelten Hochgebirge das Überleben eng und enger. Zu den ganz großen Verlierern gehören neben dem so gut wie ausgestorbenen Bengal-Tiger auch die von uns gar nicht gesichteten Elefanten.

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Bottich für Reis, Öl, Bohnen – Tee vielleicht? Nein. Das Museum hat mich damit geködert, im Besitz des einzigen vollständig erhaltenen Artefaktes dieser Art in Indien zu sein.


Bei dem großen Fass auf dem obigen Foto soll es sich um ein sogenanntes Nannangady, eine Graburne aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., handeln. Sie ist für die Forschung besonders bedeutsam, heißt es, weil man erstmals in so einem Tongefäß menschliche Knochen fand. Diese wiederum lassen sich mit der Radiokarbonmethode datieren und geben Rückschlüsse auf andere am Ausgrabungsort gefundene Dinge, die bisher nicht datierbar waren. Die Urne fand man bei Bauarbeiten im benachbarten Estate in Thovalappady, auf dem Weg nach Ramakkalmedu im östlichen Teil des Distrikts Idukki. Die Fundstätte an sich ist nicht ungewöhnlich, sagen die Archäologen, denn in dieser Gegend (wo unsere erste Unterkunft lag, siehe vorhergehenden Beitrag) stößt man offenbar häufiger auf Überreste menschlicher Tätigkeit aus der Megalithzeit. Einige Dolmen, die gleichfalls in der Nähe von unserem Bungalow liegen (leider vor Vandalismus ungeschützt), bezeugen eine entwickelte religiöse Kultur. Indische Historiker sehen darin die Bestätigung für die dravidische Zivilisation, die in diese Region vor Jahrtausenden einwanderte und sich hier weiterentwickelte. Wer sich jetzt fragt, wer denn diese Draviden waren, der stellt damit eine heikle aber nicht minder interessante Frage.


Viele Historikern, Orientalisten und Linguisten gehen davon aus, dass es sich bei den Draviden um eine nicht einheitliche Urbevölkerung Indiens handelt, die im Kern animistische, an Jenseits und Geister glaubende sowie Ahnenkult betreibende Kultur war. Die große Überraschung besteht jedoch darin, dass es sich bei dieser Gruppierung genetisch betrachtet um eine stark mit den West-Eurasiern verwandte Gruppe handelt, zu denen Europäer, Araber und Berber zählen. Sie wiederum wurden von den ihrerseits von Nordosten eindringenden Stamm der Arier unterdrückt und verdrängt. Heutzutage sehen sich die Südinder, insbesondere die Tamilen aus Tamil Nadu, sowie die Nord-Sri-Lankesen (Tamilen) als Draviden an. Ihre Gemeinsamkeit ist das “Dravidische”, was sich in erster Linie auf die Sprache bezieht.


Nun steht das bedeutende Stück Fass in dem weniger bedeutendem Teemuseum und wird von Hunderten von Besuchern schlicht übersehen. Ich gebe zu, meine Enttäuschung war dann doch recht groß.  Ich bezweifle nicht, dass in diese Vase gut und gerne ein kleiner Dravide passt, doch hätte ich ganz gerne etwas mehr darüber erfahren. Zum Beispiel wie ein Teemuseum in den Besitz einer solchen wichtigen Urne kommt. Und was wurde eigentlich aus der Knochenuntersuchung? Die Administrative des Idukki-Distrikts hat 2011 und 2012 Gelder für das Projekt “Discovering Idukki” bereitgestellt, das die Megalithkultur erforschen, Funde klassifizieren und schützen sollt. Wo die Gelder wohl geblieben sind… es gibt immerhin ein Idukki Heritage Museum“.

 

Lohnt es sich?

Die Frage ist berechtigt – lohnt sich das Tee-Museum überhaupt? Ich würde sagen, ja, wenn man gleichzeitig die Erwartungshaltung herunterschraubt. Zum einen hat man hier ein großes Sortiment an Tees und Zubehör im angeschlossenen Tee-Shop, zum anderen hatte das Museum die gute Idee gehabt, einen Raum einzurichten, in dem originale Maschinen dem Besucher vorführen, wie die Arbeitsvorgänge in einer Teefabrik sind. Vor allem ist die Lautstärke, die in so einer Fabrik herrscht, nicht zu unterschätzen, was mein dilettantisches Video anbei etwas vermittelt.

 

Die frischen Teeblätter werden geschnitten, fermentiert, gerüttelt, transportiert, getrocknet, geschnitten, gerollt … Rüttle rüttle, zisch zisch – hier bitte riechen, und der Nächste bitte… Interessant fand ich die vollkommen auf Sprache verzichtende Vorführung an den Maschinen, die im Grunde auch sehr hübsch anzuschauen sind. Schon alleine deswegen loht der Museumsbesuch. Anschließend geht es in den Verkaufsraum, zu dem auch ein kleiner Teeausschank (gegen Bezahlung) gehört. Hier kann man zum Beispiel Tee mit Kardamom trinken und sich überlegt, welche Dose Tee man ergattern sollte.


 

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20191202_120652_editedSchnuppern am unterschiedlichen Teeabfällen oder minderwertigen Verschnitt. Mal was anderes.

 

20191202_120753_editedLeider nur eine einzige Dose mit “organic Tea”, das heißt Bio-Tee. Um so größer die Nachfrage, desto schneller ändert sich das Angebot – und die ArbeiterInnen müssen keine Pestizide einatmen. Und wir sie nicht trinken. Alles gute Gründe, immer wieder nach “organic” zu fragen bis es sich durchsetzt.

 


20191202_184235Ach, das wäre schön, einen kleinen Garten zu haben, für den man ein paar dieser günstigen Teepflanzen kauft. Oder sie in die Heimat verschickt, um dort eigenen Tee anzubauen, was sicherlich bald möglich sein wird…

 


Munnar zum Zweiten: Noch ein wenig mehr Hintergrundwissen schadet nicht

Die Teeplantagen von Munnar beschränken sich bei Weitem nicht auf die unmittelbare Umgebung von Munnar-Ort oder auf den Distrikt Munnar. Sie liegen geschätzterweise im Umkreis von 80 Kilometern um das bekannte Munnar verstreut. Die schönsten Plantagen – und die schönste Landschaft – gibt es meiner Meinung nach sowieso in benachbarten Distrikten, doch dazu im nächsten Blogbeitrag mehr. Die Region um das heutige Munnar wurde erst spät von Weißen entdeckt. Verbürgt ist das Jahr 1816, in dem der Engländer Benjamin Swayne Ward und sein Assistent Leutnant Eyre Connor die Gegend zwischen Cochin und Madurai zu kartographieren begannen. Von Ward gibt es dazu schöne Lithographien.

Ward und Connor folgten dem Fluss Periyar (der bis nach Cochin reicht) und gelangten so in die wie es heißt “dunklen undurchdringlichen Wälder der High Range”. Von dem ursprünglichen Zustand dieser Region zeugen nur einige relativ kümmerliche Reste von Wald und geschützte Areale, die als “Wildlife Sanctuary” ausgegeben sind. Die Expedition der beiden war allem Anschein nach alles andere als ein Spaziergang. Die Männer hatten offenbar nicht viel zu essen – was rückblickend sehr verwundert, war die Gegend gespickt mit wilden Tieren unter anderem mit Rotwild, Bergziegen, Vogelvieh – aber viel Blutegel, unter denen die Männer besonders litten. Es heißt, die Expeditionsteilnehmer hätten sich von den Resten der Rehe ernährt, die die wilden Hunde zuvor gerissen hatten. Was tut man nicht alles, um ein unbekanntes aber vielversprechendes Land zu vermessen und davon Bilder anzufertigen.

Die Expeditionsteilnehmer mussten länger auf gutes Wetter warten und erreichten erst im Oktober 1817 die oberen Regionen des High Range. Sie schlugen ihr Lager an einem Zusammenschluss von drei Flüssen auf – Mudrapuzha, Nallathani und Kundala – und nannten diesen Ort “Munnar” oder in der englischen Schreibweise “Moonar”, was auf Tamilisch soviel wie “drei Flüsse” bedeutet. Der Bericht über die gesamte Expedition war zwar sehr aufschlussreich, doch es mussten noch weitere 50 Jahre vergehen, bis die Engländer es wiederentdeckten.

IMG_20191204_143214_editedWährend wir immer weiter nach oben, Richtung “Top Station” fahren, können wir uns den Dschungel nicht mehr vorstellen. Dazu bedarf es heutzutage etwas mehr Phantasie. Was man sich aber auch ohne Anstrengung gut vorstellen kann, ist die Entwicklung, die diese Gegend nimmt, betrachtet man den Hintergrund genauer. Die letzten Waldschutzzonen entlang der Hügel- und Bergrücken weichen den Teeplantagen, die modern angelegt, auch nicht mehr den Charme der weiter unten liegenden alten Teegärten haben. Hier zählt Effizienz und Ökonomie. Die letzten Rückzugsorte für Elefanten verschwinden. Elektrozäune nehmen zu.


Frühe Umweltfragen

Wie könnte man die entdeckten Gebiete zu Geld machen, ohne gleich die gesamte Umwelt und damit die Grundlage vieler Einheimischer zu zerstören? Hier begegnet uns ein für damalige Zeit ungewöhnlich fortschrittlicher Gedanke, der  heutzutage den indischen Unternehmern und Politikern fehlt. Von britischen Kolonialherren erwartet man dieses am allerwenigsten. Tatsächlich aber gab es einen guten Grund, um diese Umsicht gegenüber der Umwelt walten zu lassen. Die Briten haben nämlich durch ihre Pfefferplantagen den Regenwald des damaligen Ceylons (Sri Lanka) zerstört. Indem sie den Regenwald rodeten, vernichteten sie auch die Grundlage der Reisplantagen, die die gesamte Bevölkerung ernährten und daher als die “Reisschale Ceylons“ genannt wurden. Hier in der indischen High Range sollte das also nicht passieren … Doch egal was der Mensch anpackt, es führt am Ende zu unseren heutigen Umweltkatastrophen, sozialen und ökologischen Problemen.

Schon im frühen 20. Jahrhundert haben die Farmer die Auswirkung des gerodeten Dschungels erleben dürfen, als nämlich starke Monsunregenfälle die gesamte Gegend unter Wasser und Schlammlawinen begruben, da der schützende Wald mit seinem dichten Wurzelwerk fehlte. Gelernt hat man daraus nur insofern etwas, als man bessere Häuser, Dämme und Brücken baute. Und auch heutzutage sahen wir, wie in Munnar die Straßen auf das Dreifache verbreitert werden, ohne dass man die Seiten mit Bäumen oder Büschen absichert, vielmehr einfach nackte, steile Hänge belässt. Bis zum nächsten Monsun.

Lockhart Estate: unsere zweite Teeplantage

Es gäbe so einiges Interessante mehr über die britischen/schottischen Expeditionen und Machenschaften mit den Maharajas zu erzählen, doch ich fürchte, ich habe bereits die Geduld und das Interesse der LeserInnen endgültig überstrapaziert, und daher fahren wir jetzt weiter. Auf einer vollständig von Baggern aufgerissenen Straße, der Thekkedy Road, ein paar Kilometer raus aus Munnar Richtung Südosten, dort wo ein neuer Distrikt beginnt, und wo eigentlich auch unser vermaledeites erstes Hotel steht, doch dieser Teil der Straße ist gesperrt. Hier, zwischen Chokarmudy Hill und Devimalai Hill, hat “Thambi” Turner in den späten 1870er Jahren den dichten Wald um sein erstes Lager im Distrikt Devikulam gerodet. Sein Halbbruder Henry Turner hingegen kehrte nach Madras zurück, um vor Ort persönlich nach Investoren zu suchen, die weitere Landstücke zu übernehmen bereit wären. Er fand die ersten Interessenten in seiner eigenen Verwandtschaft: in Baron Georg Otto von Rosenberg und seiner Schwester, beide aus Dresden stammend und durch Heirat mit der Turner-Familie verbandelt. Die von Rosenbergs begannen mit der Manalle-Plantage 1879 – einer der ältesten Plantagen der Region –, die später in das bis heute bestehende Lockhart Estate eingehen wird. Sein Sohn Baron John Michael von Rosenberg übernahm das gewachsene Estate in den 1890er Jahren und rühmte sich, der erste zu sein, der in den Bergen einen Tennisplatz anlegte. Neben Tennisspielen wurde Cinchona, Kaffee und erst als drittes Tee angebaut.

Baron_von_RosenburgBaron John Michael von Rosenburg, dritter von Links stehend. Jener, der ein wenig wie ein französischer Maler des 19. Jahrhunderts ausschaut und sich gänzlich hinter seinem wuchernden Bart versteckt. [Foto: Wikipedia]


Als wir in Lockhart Estate ankommen, ist eine Führung durch die Fabrik nicht mehr möglich. Uns wird empfohlen, sie für den nächsten Tag zu buchen, doch die mörderischen Wege und Umwege lassen uns davon Abstand nehmen. Dabei ist der Besuch einer Plantage nur dann interessant, wenn man sowohl die Produktionsstätte als auch die Plantage selbst besichtigen kann. Alles andere macht eigentlich keinen Sinn. Immerhin stehen wir auch hier auf historischem Boden des “Barons aus Dresden”. Den Tennisplatz können wir nicht entdecken, vielleicht ist er schon einem anderen Zweck zugeführt worden. Die Lockhart-Fabrik verfügt über ein kleines Museum, in das wir aber nur einen kurzen Blick werfen, und ist erst seit 2014 für den Publikumsverkehr offen. Der Besuch der Fabrik und einiger Plantagenabschnitte ist – so die Auskunft – während der regulären Arbeitszeit möglich.

Die Plantagen des Lockhart Estates erstrecken sich über Hänge des Chokarmudy und gehören zu den höchstgelegenen der Region. Heutzutage gehört Lockhart Estate zu dem Imperium der Harrison Malayalam Limited Company, neben der TATA-Group des größten Teeproduzenten in Südindien.

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Das Fabrikgebäude stammt von 1936, wie übrigens die allermeisten noch vorhandenen alten Fabriken und Bungalows der Plantagenmanager.


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Die Fabrik produziert 20.000.000 (Millionen) Kilogramm Tee jährlich. Zum Vergleich: Die KPHD produziert 24.000.000 pro Jahr.

20191202_141836_2editedWährenddessen die übliche Fotosession mit Nico. Hunde nicht erlaubt auf dem Gelände der Teefabrik – na ja, die anderen streuenden Hunde natürlich ausgenommen.


Der nächste Blogbeitrag, die Nummer drei, folgt. Darin berichten wir vor allem in Fotos über unsere geführte Wanderung durch das schönste Tea-Estate!

2 Antworten

  1. Heidi

    Sehr interessanter Bericht, Joanna. Hat mich sehr interessiert die Geschichte des Tees in Indien. Ich hab in Indien davon abgesehen, Tee zu kaufen, da er mit berüchtigt viel Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden gespritzt wird.

    • Joanna

      Liebe Heidi, vielen Dank! Ich habe endlich Zeit gefunden, die dort sich häufenden Fehler ein wenig auszumerzen. :-) Immer wieder ein Problem, wenn ich (zu) lange Beiträge schreibe und das Internet mir dabei immer wieder aussteigt. Ich sollte mich unbedingt kurzfassen. Nächstes Mal.