Auf dem Weg nach Trieste – Cáorle
Joanna, 29. 12. 2011

Diese Stadt ist ehemals ein Fischerdorf gewesen, was man an den winzigen (in sehr kräftigen Farben angemalten) Häusern der “Altstadt” noch etwas erahnen kann – und natürlich an dem Canale, der in den gleicherweise kleinen Fischerhafen mündet. Dieser selbst ist weniger pittoresk, denn von Hochhäusern und jeweils einer gut befahrenen Kreisstraße eingefaßt. Fischerbote verschiedenen Couleurs liegen am Canale an den Dalben vertäut. Mehr oder weniger vom Fang dreckige Fischernetze lagen am Kai ausgebreitet und ein buntes und wahrscheinlich nur im Winter nicht stinkiges Sammelsurium an fischertauglich gemachten Utensilien (von ausrangierter Leselampe bis hin zu kaputten Eistruhen) gestalteten unseren Kanalweg in das Städtchen pittoresker. Ansonsten war es heute ein grauer, regnerischer Tag, an dem wir in der Marina am Canal dell’Orologico einliefen. Übrigens: eine ziemlich teure Marina mit kaum Komfort (kein Wi-Fi). Die Duschen jedoch waren sehr sauber, groß und gut geheizt – so wie das Wasser. 50 Euro als Sonderangebot ist jedoch entschieden zu viel.

Das Städtchen hat sich in ihren Ausläufern offenbar zu einer Hochburg des Strandtourismus ausgewachsen und droht über die gesamte Sandküste in Vereinigung mit anderen Orten zu verwachsen. Man baut noch da, wo es noch irgendwie geht, weiter. Aber ziemlich vielen müssen diese hochhausbewachsenen Sandstrände und vom Beton verschluckten Altstädte gefallen, denn sonst gebe es sie wohl nicht.

Baedecker (und es ist kein antiquarischer!) beschreibt den Ort ziemlich überschwänglich: “Ein malerischer Fischerhafen, lange Sandstrände […] und eine kleine, gemütliche Altstadt – diese Mischung macht das an der Mündung des Livenza-Flusses, etwa 80 km östlich von Venedig gelegene Caorle zu einem der schönten und beliebtesten Badeorte an der nördlichen Adriaküste.” Müller-Verlag ist da etwas ‘genauer’: “Wenn man die langen Hotelzeilen zu beiden Seiten des Ortes außer Acht lässt, zeigt sich Cáorle als schmuckes Ferienstädtchen mit bunt getünchten Häusern, breiten Bummelstraßen [… usw.].”

Die kleine Altstadt zeichnet sich vor allem tatsächlich durch ihre pastellfarbenen kleinen und kleinsten Häuschen aus, worin sie an eine Puppenstube erinnert. Sie ist eine einzige Fußgänger- und Einkaufszone.

Man kann sich kaum vorstellen, daß dieser Ort ehemals zu den bedeutendsten der Nordadria gehörte und erst mit dem Aufstieg Venedigs seine Bedeutung einbüßte. Und wie Venedig war auch er in die Lagune eingebaut und somit auf Fundamenten über eine Pfahlkonstruktion errichtet. Erst im 20. Jh. schüttete man die Kanäle zu! Welche Sünde. Daß die Stadt sich so bunt zeigt, ist keine historische Rekonstruktion oder Tradition (für Venetien eher unüblich), sondern geht auf die Anregung eines einheimischen Künstlers zurück (wer, wann und warum weiß ich jedoch nicht zu berichten).

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Mächtig hingegen ist der am Meer gelegene romanische Dom des Ortes. Der Dom San Stefano Protomartire und sein etwas schief stehender Campanile (48 m) sind um 1040 begonnen worden. Beide sind Backsteinbauten, die heute keinen Verputz tragen. Besonders schön fand ich den Glockenturm mit seinem unterschiedlichen Mauerwerk und den kleinen Säulen in den Zwillingsfenstern, der an diesem kalten und nassen Tag irgendwie Wärme ausstrahlen.

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Von größerem Interesse sind die zwei an der Außenfassade eingelassenen byzantinischen Hochreliefs (ca. 12. Jh. was meiner Meinung aber etwas spät für „byzantinisches“ ist). Rechts ist vermutlich der Hl. Georg dargestellt. Sicher bin ich mir jedoch nicht. Links könnte der Patron der Kirche, der Hl. Stefan, sein…

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Im Inneren ist die Kathedrale von enormer Breite und vermittelt den Eindruck einer Hallenkirche. Sehenswert sind die Fresken aus dem 12. bis 15. Jh. Jedoch war das Kirchinnere so düster-dunkel, daß wir kaum etwas davon sehen konnten. Dennoch wirkte auch diese Kirche ruhig und gelassen. Das kostbarste der Ausstattung ist die Pala d’Oro, die “Goldene Altartafel”, für uns bereits die dritte dieser Art in Venetien (eine in S. Marco, eine weitere (echte Rarität, weil sonst hinter dem Gemälde von Tizian ‘versteckt’) in S. Salvatore in Venedig)! Kein Foto an dieser Stelle, weil es zu dunkel war. Diese byzantinische Pala zeichnet sich durch ihre reich verzierte Gold- und Silberarbeiten aus und besteht (zumindest heute) aus einer einzigen länglichen Tafel von vielleicht drei Metern länge. Die in Reihe nebeneinander gestellten, sich zugewandten Figuren waren für mich nicht zu erkennen (sicherlich Christus im Zentrum, flankiert von Propheten oder Aposteln oder Maria und Heiligen).

Sehr nett und aufwendig gestaltet war auch die Krippe – jetzt zu Weihnachten lassen wir kaum eine aus. Es scheint ein regelrechter Wettbewerb der Gemeinden ausgebrochen zu sein, wer die schönste im ganzen Lande hat. Wir haben jedenfalls einen Engel vorbeifliegen sehen, der den Weisen (und uns) den Weg gezeigt hat. Der Engel war nur animiert.

Der Kirchvorplatz geht über in eine recht hohe und breite Mole, die zu einer Promenade ausgebaut wurde. Zum Meer hin ist sie mit mächtigen Steinbrocken gesichert, die bei genauem Hinsehen sich als große Skulpturen bzw. Hochreliefs entpuppen. Künstler haben aus dem istrischen Stein Tiere, Menschen und Fabelwesen herausgearbeitet.

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Am Ende der Molenpromenade steht die Hallenkirche Madonna dell’Angelo und ihr viereckiger Campanile. Links von der Kirche ist ein kleiner Strand, wo noch zwei kleine Boote auf dem Trockenen und vor der geschlossenen Kulisse der Hotels lagen. Die Kirche ist der Muttergottes und dem Jesuskind geweiht und im klassizistischen Stil mit barocken Elementen (bei der Vorhalle) entworfen.

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Im Inneren präsentiert sie sich als eine schön proportionierte Hallenkirche. Ihr Zentrum bildet eine recht gut gestaltete, vielleicht aus bemaltem Wachs oder Porzellan (?) modellierte Madonna mit Jesuskind. Das zentrale Deckengemälde verweist auf den Entstehungsmythos der Kirche: Fischer sollen unweit von Cáorle eine Madonnenerscheinung auf dem Wasser gehabt haben. Der steinerne Thron, der unter dem Kruzifix im rechten Seitenaltar zu sehen ist, soll der Fels oder der Sitz der Madonna gewesen sein. So oder so ähnlich ist die Geschichte. Die Einzelheiten sind bei meinem schlechten Italienisch ohne Gewähr.

DSC_1604 DSCF0450DSC_1608 DSC_1611 Und immer wieder ganze Votivfelder, meistens Herzen, nur vereinzelt lugt ein Bein oder Arm heraus…

Nach der Kirche eröffnet sich dem Betrachter ein Meer von Hotels und natürlich die nächste Lagune, nämlich die von Grado, die wir morgen anlaufen werden.

Nachzutragen bleibt noch etwas aus dem Baedecker (dem ich nicht mehr allzu viel Vertrauen schenken würde): Der empfiehlt eine Fahrt in die benachbarte Lagunenlandschaft. Sie soll noch unberührt vom Tourismus sein und ganz und gar ein Paradies für Vögel. Ernest Hemingway soll diese Landschaft in seinem Buch “Über den Fluß und in die Wälder” (kein guter Titel, aber vielleicht nur eine deutsche Variante) gehuldigt haben.